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Donnerstag, 30 März 2023 11:59

Wie Espenlaub zittern

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Geschätzte Lesezeit: 4 - 7 Minuten
Wie Espenlaub zittern Wie Espenlaub zittern Bild: Adobe Stock

Der Mensch zittert, wenn er Angst hat oder friert. Das ist der Versuch der Muskeln sich zu erwärmen. Im ersteren Fall, um fit für einen Angriff zu sein – oder für eine Flucht, wenn der Mensch schlau ist. Bei Kälte hingegen will der Körper lebenswichtige Organe vor einem Abfall der Temperatur bewahren. Interessanterweise gibt es eine Lötmethode, die das Zittern ebenfalls nutzt. Da wird aber schneller oszilliert als der Mensch oder die Zitterpappel es schafft.

Abb. 1: Populus tremula – die Zitterpappel; historische Illustration aus einem floristischen Lexikon von 1885 [3]Abb. 1: Populus tremula – die Zitterpappel; historische Illustration aus einem floristischen Lexikon von 1885 [3]Was das Espenlaub angeht: Wie das Wort sagt, ist es nicht der Baum, der zittert, sondern seine Blätter, die an langen und recht dünnen Stielen wachsen und deshalb beim geringsten Luftzug wackeln, was Hieronymus Bosch [2] in einigen seiner Gemälde sehr wirkungsvoll darstellte.

Unter all den vielen Lötmethoden macht sich nur eine das Zittern zunutze. Das Löten mit Ultraschall [4] benötigt als besonderen Vorteil kein Flussmittel und bedingt deswegen – sollten keine anderen Verunreinigungen eingeschleppt werden – keine Reinigung nach dem Lötprozess.

Mit dieser Technologie haben sich auch völlig neue Anwendungen ergeben, die mit den althergebrachten thermischen Methoden nicht machbar waren. So lassen sich auch Glas und Keramik löten, und Edelstahl sowie Aluminium, die früher sehr stark ätzende Flussmittel erforderten, können damit ohne Säure verbunden werden.

Die Entwicklung geht in die 1960er Jahre zurück, wobei der erste Ultraschalllötkolben im Jahre 1936 in Deutschland auftauchte (Patent 1939). Dank der modernen Elektronik hat sich die Methode gewaltig verbessert. Das bezieht sich hauptsächlich auf die Erzeugung der Ultraschallwellen, die seit Paul Langevin [5] durch die Entdeckung der Piezoelektrizität (1880) durch Jacques [6] und Pierre Curie [7] große Fortschritte zu verzeichnen hat, was sich auch stark auf die sehr unterschiedlichen Anwendungen auswirkte.

Eingesetzt werden heutzutage hauptsächlich Piezokristalle. Diese Oszillatoren werden durch angelegte Spannungen zu Schwingungen angeregt, die jedoch je nach Material und Dimension eine bestimmte Resonanzfrequenz und Schwingungsamplitude liefern. Deswegen wählt man für jede spezifische Anwendung den geeigneten Wandler.

Durch aufwendige Untersuchungen weiß man inzwischen, dass sich auf diese Weise die Ergebnisse optimieren lassen. Die Effizienz und die Qualität der Lötung hängen somit von der Frequenz und der erzeugten Amplitude der Schwingungen ab. Da das in der Produktion nicht für jede Lötstelle sinnvoll ist, wird verallgemeinert und alles über einen (weitgehend) passenden Kamm geschert. Da Flussmittel fehlt wird unter Vakuum oder Inertgas gelötet.

Beim Löten – anders als beim Schweißen – wird stets eine zusätzliche Legierung eingesetzt, eben das ‚Lot'. Somit kann man mit den richtigen Lötkolben (oder einem Lottiegel) operieren. Das gesamte Lötarreal hat sich durch das Aufkommen der sogenannten Aktivlote [8] auch auf Glas und Keramik und selbst Diamanten erweitert.

Abb. 2: UltraschallgerätAbb. 2: UltraschallgerätSchall pflanzt sich unterschiedlich in Gasen, Flüssigkeiten und Festkörpern fort, was auch für Ultraschall gilt. Während in Luft Ultraschall eine starke Dämpfung erfährt, setzt sich der Schall dämpfungsarm in Flüssigkeiten fort, was sich beim Löten als nützlich erweist, denn das Lot muss ja geschmolzen werden, um die Verbindung einzugehen.

Nicht ganz unerwartet sind jedoch die physikalisch-chemischen Vorgänge für die Metalle und die Glas- bzw. Keramiklötung unterschiedlich.

Die schwer lötbaren Metalle wie Aluminium und Edelstahl tragen eine starke und widerstandsfähige Oxidschicht, die bei traditioneller Lötung mit ausnehmend starken Flussmitteln angegangen wurde. Bei der Ultraschalllötung bedient man sich eines Effekts, der in Flüssigkeiten auftritt, wenn diese ‚überbelastet' werden. Durch Druckunterschiede treten kleinste Blasen auf die als Kavitation [9] aus anderen Gebieten bekannt sind (Schiffspropeller). Diese Blasen kommen in hoher Anzahl vor, werden kritisch und kollabieren. Dadurch werden lokal innerhalb einer 50-tausendstel Sekunde beeindruckende Energien frei und sprengen dann, netterweise, die Oxidpartikelchen weg.

Damit ist der Weg für das Lot frei, sich mit dem Metall zu verbinden.

Abb. 3: Prinzip des UltraschalllötensAbb. 3: Prinzip des Ultraschalllötens

Abb. 4: SiO2 als Glas: Quarzglas (Wiki)Abb. 4: SiO2 als Glas: Quarzglas (Wiki)

 Abb. 5: Löten auf einer Glasplatte (Modell)Abb. 5: Löten auf einer Glasplatte (Modell)Als Lötkolben verwendet man solche mit einer doppelten Funktion: sie erhitzen und schmelzen das Lot und gleichzeitig leiten sie Schallwellen(20–60 kHz) in das nun flüssige Metall. Weil die Spitzen schon mal 450 °C erreichen können, muss das piezoelektrische Kristall thermisch isoliert sein denn sonst leidet dieses wesentliche Element und sackt in seiner Leistung ab.

Neben dem Vorteil kein Flussmittel verwenden zu müssen, haben Anwender noch bemerkt, dass die Lötstellen kaum oder keineLunker aufweisen. Bekannt ist ja die Anwendung des Ultraschalls zur Entgasung von Flüssigkeiten. Zudem drückt offenbar die Vibrationsenergie das flüssige Lot in enge Spalten und sogar Mikroporen des Substrats was bei Verbindungen für Hochvakuumanwendungen wünschenswert ist. So ganz nebenbei vergrößert sich dadurch auch die Fläche, die mit Lot benetzt wird, ein Effekt der vor allem bei sehr kleinen Lötstellen nicht übersehen werden sollte.

Glas und Aluminium bestehen aus oxidierten Materialien und sind daher mit den oben erklärten Reaktionen des Ultraschalllötens nicht zu benetzen. Da es aber dennoch funktioniert, muss ein anderes Prinzip dahinter stehen.

Ganz genau scheint man es nicht zu wissen, aber angenommen wird, dass die Verbindung mittels Sauerstoffs entsteht. Die Bläschen der Kavitation kollabieren und setzen neben der Wärme auch Sauerstoff (O2) frei. Einige der oft absichtlich zugesetzten Bestandteile des Lots haben eine starke Affinität zu Sauerstoff und die bilden – so besagt das Modell – mittels einer chemischen Reaktion eine Verbindung mit der Oberfläche des Glases oder eben der Keramik.

Die Anzahl der chemischen Verbindungen, die in den verschiedenen Veröffentlichungen genannt werden, variiert stark und hängt zum Teil von den Zugaben in den Loten ab. Immerhin erweitert sich das Anwendungsgebiet des Ultraschalllötens stetig.

Als immer wieder erwähntes Beispiel ist das Löten der Glaspanels der Sonnenkollektoren bekannt:Elektroden werden an Photovoltaik-Solarmodulen mittels Ultraschall angelötet.

Ob diese Lötmethode jedoch für Baugruppen zu empfehlen ist, steht dahin, denn schon der Einsatz von Ultraschall bei Waschanlagen kam in Verruf, weil ‚empfindliche' – einige sagen minderer Qualität – Bauteile durch Eigenschwingungen geschädigt wurden – so war zumindest die Behauptung.

Prof. RahnZur Person

Prof. Rahn ist ein weltweit tätiger Berater in Fragen der Verbindungstechnologie. Sein Buch über ‚Spezielle Reflowprozesse‘ erschien beim Leuze Verlag. Er ist erreichbar unter Diese E-Mail-Adresse ist vor Spambots geschützt! Zur Anzeige muss JavaScript eingeschaltet sein!, wohin auch Anfragen über In-Haus-Seminare gerichtet werden können.

Literatur

Joshua Caleb Wilson: Wetting Analysis of the Ultrasonic-Assisted Soldering Process (Masterarbeit), Clemson University, South Carolina (USA) 2020
Somayeh Gheybi Hashemabad et al.: Flux-less direct soldering of aluminum by ultrasonic surface activation, Journal of Materials Processing Technology, Vol. 233, 2016
Priyanka Tripathi et al.: Ultrasonics: Past, Present & Future, International Journal of Engineering Development and Research, Vol. 7, Issue 3, 2019
Keitaro Kago et al.: Novel Ultrasonic Soldering Technique for Lead-Free Solders, Materials Transactions, Vol. 45, No. 3, 2004
Jennifer Shaffer Brown et al.: Failure modes and bonding strength of ultrasonically-soldered glass joints, Journal of Materials Processing Technology 299, 2022
Felix Weber und Markus Rettenmayr: Joining of SiO2 glass and 316L stainless steel using Bi-Ag-based active solders, Journal of Material Science, Volume 56, 2021

Bildquellen

www.mbr-gmbh.com
www.cheersonic.com
www.japanunix.com

Referenzen

[1] So im ‚Meier Helmbrecht'von Wernher der Gartenaere (bayerischer oder österreichischer Autor Mitte des 13. Jahrhunderts). Zudem muss man wissen, dass die Espe zittert, weil sie das Holz zum Kreuz Christi geliefert hat und weil sich obendrein Judas an einer Espe erhängt haben soll– ein wirklich tragisches Holz
[2] Hieronymus Bosch (geboren Jheronimus van Aken um 1450-1516), niederländischer Maler der Spätgotik bzw. der Renaissance
[3] Prof. Dr. Otto Wilhelm Thomé Flora von Deutschland, Österreich und der Schweiz 1885, Gera, Germany
[4] Frequenzen ab 20 kHz bis 10GHz
[5] Paul Langevin (1872–1946), französischer Physiker
[6] Jacques Curie (1855–1941), französischer Physiker
[7] Pierre Curie (1859– 1906), französischer Physiker
[8] Die Benetzbarkeit erreichen Aktivlote dadurch, dass ihnen aktive Komponenten, wie Titan, Zirkonium oder Hafnium zugefügt werden
[9] https://de.wikipedia.org/wiki/Kavitation

Weitere Informationen

  • Ausgabe: 3
  • Jahr: 2023
  • Autoren: Prof. Rahn

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