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Dienstag, 16 Mai 2023 11:59

Es gilt, die Spreu vom Weizen zu trennen

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Schweißtreibende Arbeit: das Kornwenden mit der Worfel, hier vollführt von ‚Un Vanneur‘ auf einem Bild des französischen Malers Jean-François Millet (1847-48) Schweißtreibende Arbeit: das Kornwenden mit der Worfel, hier vollführt von ‚Un Vanneur‘ auf einem Bild des französischen Malers Jean-François Millet (1847-48) Bild: PDM

Nach dem Dreschen mit dem Dreschflegel wartete man auf einen guten Wind, um die Spreu vom Weizen zu trennen. Die leichteren Hülsen wurden von dem Luftzug weiter weggetragen als die Körner, die nahe auf den Tüchern landeten. Das war eine dreckige und schwere Arbeit, die heute natürlich zumindest in den meisten Gegenden von Maschinen übernommen wird. Immerhin kann man diesen Arbeitsgang, der nach dem großen Krieg noch auf dem Lande üblich war, derzeit in einigen Museumsdörfern den Kindern zeigen. Beim Recycling elektronischer Produkte, die aus ‚unerklärlichen Gründen' ihr Lebensziel erreicht haben, wurden in ärmeren Ländern ähnliche Tätigkeiten übernommen. Tatsächlich versucht man auch diese Arbeit mit Maschinen zu erleichtern.

So hat Apple 2016 mit viel Tamtam der staunenden Menschheit den Roboter ‚Liam' vorgestellt, der eines ihrer Telefone in elf Sekunden zerlegen kann. Dank ‚Liam' können also etwa 1,2 Mio. dieser begehrten Produkte pro Jahr zu eventuell verwertbarem Schrott verwandelt werden. Stellt Apple einige mehr davon zur Verfügung, so kann man dem Haufen an 231 Mio. neuer Mobiltelefone vielleicht doch ohne der Ausbeutung ärmster Mitmenschen in verschiedenen Entwicklungsländern Herr werden.

‚Daisy‘ zerlegt als Einzelkämpferin der geplanten Obsoleszenz in Windeseile Mobiltelefone, die bereits als unreparierbar konzipiert wurden‚Daisy‘ zerlegt als Einzelkämpferin der geplanten Obsoleszenz in Windeseile Mobiltelefone, die bereits als unreparierbar konzipiert wurden‚Liam', der kurz darauf 2018 unter dem Namen ‚Daisy' wiederkehrte, soll wohl kaschieren, dass diese Mobiltelefone bereits als unreparierbar entworfen werden. Denn das zentrale Problem nicht nur in diesem Technologiesektor ist eine Strategie, die auf Gewinn ausgerichtet ist. Geplante Obsoleszenz sorgt dafür, dass der Kunde immer wieder neu zugreifen muss und somit den Profit der Firma auch zukünftig sichert. Dazu kommen dann immer wieder kleine sorgfältig psychologisch geplante Verbesserungen, die schnell hintereinander angeboten werden.

Schon Vance Packard [2] hatte einige dieser Methoden angeprangert. Seitdem ist die Welt nicht weniger gierig geworden, wie etwa die Zahlen für das Jahr 2022 zeigen: Die lieben Kunden besitzen derzeit weltweit etwa 16 Mrd. Mobiltelefone und haben schätzungsweise mehr als 5 Mrd. davon weggeworfen (wir sagen gerne ‚entsorgt') oder diversen Schubladen anvertraut.

Die Haltbarkeit – und was man früher als ‚gute Qualität' bezeichnete – wirkt sich direkt auf den Umsatz aus. Denn je weniger Nachkäufe getätigt werden, desto geringer wird die Produktion des Betriebs sein. Werden gebrauchte Produkte – etwa über das Internet – angeboten, so sind eventuell einige potentielle Kunden eher dazu geneigt, etwas Geld zu sparen, als die neuste Version dieser Zauberwaffe zu kaufen. Deswegen wohl auch die Propaganda, die Kinder der Grundschule psychologisch dazu zwingt, nicht nur die neuesten Klamotten mit Reklameaufklebern zu tragen sondern auch das allerneueste elektronische Gerät stolz in der Klasse herum zu zeigen.

Edelmetalle auf der Schrotthalde

Auch ‚Liam' und ‚Daisy' werden wohl am Ende ihrer Dienstjahre den Haufen des Elektroschrotts vermehren, denn Mobiltelefone machen nur einen geringen Teil des riesigen Berges aus, der hier aufgehäuft wird. Weltweit rechnet man mit 44,48 Mio. t. Der allergrößte Teil davon wird nicht der Wiederverwendung zugeführt, obgleich sie voller teurer Materialien sind. Schließlich kommt weder die Leiterplatte noch das Bauteil ohne Gold, Kupfer, Silber, Palladium oder seltene Erden aus. Eine t Elektroschrott aus Computern und Laptops enthält ca. 70 kg Kupfer, 140 g Silber und 30 g Gold – eine Tonne Handyschrott hingegen rund 240 g Gold, zweieinhalb kg Silber, 92 g Palladium, 92 kg Kupfer und 38 kg Cobalt.

Die Gegenden der Welt liefern jedoch sehr unterschiedliche Szenarien. Schätzungen reichen von Europa, wo 50–55 % des Elektroschrotts gesammelt oder recycelt wird, bis zu anderen und speziell einkommensschwachen Ländern, bei denen 95 % und manchmal sogar über 99 % auf Müllhalden, in der Umwelt oder gar im Meer landen.

Rational betrachtet machte es mehr Sinn, diese Rohstoffe aus dem Schrott zu gewinnen, als sie der Natur zu rauben. Denn der Abbau solcher Ressourcen kostet schätzungsweise das siebenfache im Vergleich zur Rückgewinnung aus Elektronikschrott. Ausrangierte Mobiltelefone (Batterien bitte vorher gewaltsam entfernen, denn sie sind mit industriellen Klebern befestigt!) liefern deutlich mehr der kostbaren Elemente als natürliche Erze.

Sowohl dieser Aspekt wie auch die potentielle Gefährdung von Arbeitern (Greenpeace berichtete 2008, dass Messungen in Luft und Boden auf der Müllkippe in Ghana um das 50-fache über den als gesundheitlich unbedenklich geltenden Werten lägen) wurde schon bald erkannt. Das ‚Basler Übereinkommen'[3] über die Kontrolle der grenzüberschreitenden Verbringung gefährlicher Abfälle und ihrer Entsorgung vom 22. März 1989 kann als Merkmal dienen.

Verbrennung einer Leiterplatte über offenem Feuer – die freigesetzten Dioxine und Furane bedeuten ein gesundheitliches RisikoVerbrennung einer Leiterplatte über offenem Feuer – die freigesetzten Dioxine und Furane bedeuten ein gesundheitliches RisikoEinige Länder haben auch selbst reagiert und nehmen dem Westen ihren Müll ungern oder gar nicht mehr ab, so dass diese Ausfuhren umdirigiert werden müssen. China hat Ende 2017 angefangen, die Einfuhr von Schrott zu reduzieren. Das kann man auch indirekt als Reaktion auf amerikanische Handelsrestriktionen interpretieren, denn dadurch wurde das Leben einiger Städte in den USA sehr viel komplizierter. Statt den Abfall zu sortieren und der Rückgewinnung zuzuführen, karren sie alles direkt auf die Deponie, zum Bedauern umweltbewusster Menschen. Franklin (New Hampshire) gab sein erfolgreiches ‚Recycling'-Programm auf, als die Kosten pro t von ca. 6 \( auf 125 \) pro Tonne kletterten – und das ist nur ein Beispiel zahlreicher anderer Orte in den USA. Relevante Studien zeigen, dass 50–80 % des Elektroschrotts nach Übersee verschickt werden und zusätzlich etwa 2 Mio. t pro Jahr auf US-amerikanischen Mülldeponien landen.

Einst der letzte Schrei, heute als Elektroschrott in Schubladenfriedhöfen versenkt: Handys und Smartphones von vorvorgesternEinst der letzte Schrei, heute als Elektroschrott in Schubladenfriedhöfen versenkt: Handys und Smartphones von vorvorgesternDoch auch Europa sollte sich nicht zu sehr auf die Schulter klopfen, denn die sogenannte CWIT-Studie (‚Countering WEEE Illegal Trade'), die im Auftrag der EU erstellt wurde, ist nicht gerade schmeichelhaft in ihrem Ergebnis [4]. Allein schon die illegale Entsorgung von Elektroschrott bewirkt Stirnrunzeln. Das könnte eventuell zumindest einige Politiker dazu verleiten, statt bei der Elektronik die Streu vom Weizen zu trennen, der Worfel lieber dort anzudenken, wo die Ursache zu finden wäre: bei den Firmen.

Zur Person

Prof. Rahn ist ein weltweit tätiger Berater in Fragen der Verbindungstechnologie. Sein Buch über ‚Spezielle Reflowprozesse' erschien beim Leuze Verlag. Er ist erreichbar unter Diese E-Mail-Adresse ist vor Spambots geschützt! Zur Anzeige muss JavaScript eingeschaltet sein!, wohin auch Anfragen über In-Haus-Seminare gerichtet werden können.

Referenzen

[1] Aus der Lutherbibel: Lukas 3,12: ‚... er wird die Spreu vom Weizen trennen …'
[2] Vance Packard (1914–1996) war ein US-amerikanischer Journalist, Gesellschaftskritiker und Bestsellerautor.
[3] www.bmuv.de/gesetz/basler-uebereinkommen-ueber-die-kontrolle-der-grenzueberschreitenden-verbringung-gefaehrlicher-abfaelle-und-ihrer-entsorgung (Zugriff 21.03.2023)
[4] www.weee-forum.org/wp-content/uploads/2021/07/CWIT-Summary-Report_Final_Medium-resolution.pdf (Zugriff 21.03.2023)

 

Weitere Informationen

  • Ausgabe: 4
  • Jahr: 2023
  • Autoren: Prof. Armin Rahn

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