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Dienstag, 06 Juni 2023 11:59

Ein limitierender Faktor – Fachkräftemangel in der Elektronikindustrie- und forschung

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Geschätzte Lesezeit: 14 - 27 Minuten
Ausbildung von Ingenieurinnen für AI-Roboter und Mechatronik Ausbildung von Ingenieurinnen für AI-Roboter und Mechatronik Bild: Amorn/AdobeStock

Seit langem wird in der Elektronikindustrie über den wachsenden Fachkräftemangel geklagt. Gesucht wird quasi in jedem Bereich. Auszubildende sind rar und begehrt, und auch an Fachhochschulen und Universitäten – etwa im Bereich der Ingenieurwissenschaften – ist der Mangel evident. Dabei fehlt es nicht an Angeboten und Engagement bei Firmen, Schulen und Ausbildern, oder an Studien zu dem drängenden Thema. Was also ist zu tun? Zeit für eine Bestandsaufnahme.

Die Klagen sind freilich nicht neu. Schon 2010 warnte der damalige VDMA-Präsident Thomas Lindern, dass der Fachkräftemangel deutsche Schlüsselindustrien wie den Maschinenbau zurückwerfen könnte. Das Angebot an Fachkräften werde für die Branche zum limitierenden Faktor werden – und gleiches gelte für Forschung und Entwicklung, warnte Lindner [1].

Mehr Tannenbaum als Pyramide: Demografischer Wandel in Deutschland (Altersaufbau der Bevölkerung 2021)

Er sollte recht behalten. 2023 ist die Lage brennender denn je. Fachkräfte fehlen in der Industrie und im Handwerk, und selbst Hilfskräfte oder Logistikarbeiter werden rar [2]. Gerade erst ergab eine Studie, die im Auftrag des Bundesverbandes der Deutschen Industrie (BDI) und des Verbandes der Elektro- und Digitalindustrie /ZVEI) erstellt wurde, dass im Jahresdurchschnitt um die 62.000 Fachkräfte in Berufen fehlen, die etwa in der Halbleiterindustrie eingesetzt werden sollten [3] – und das in Zeiten des anvisierten und politisch gewünschten ‚Reshorings‘. Laut ZVEI-Präsident Gunther Kegel gefährde der Fachkräftemangel auch die notwendige „digitale und grüne Transformation“ [4].

Die Erwerbsbeteiligung unter den 25- bis 59-Jährigen lag im Jahr 2022 mit 87 % bereits auf einem sehr hohen Niveau – ein klarer statistischer Befund, dass das Arbeitsreservoir in Deutschland weitgehend ausgeschöpft ist

Was aber sind die Gründe? Für Mirko Wesling vom Zentralverband des Deutschen Handwerks (ZDH) steht der Hauptgrund fest: „Der Elefant im Raum ist natürlich die Demografie“, so Wesling in einem Podcast des Statistischen Bundesamtes (DeStasis) [5, 6]. Die Zahl junger Menschen sei in den vergangenen Jahren deutlich zurückgegangen, und das mache sich bei der Nachfrage nach Ausbildungsstellen bemerkbar. Bildungspolitisch habe in den vergangenen Jahrzehnten der Fokus auf der akademischen Bildung gelegen, während es noch immer keine flächendeckende Berufsorientierung an allgemeinbildenden Schulen über die Karrieremöglichkeiten mit einer beruflichen Bildung gebe.

Ungewisse Datenlage

In der Elektronikbranche sind Fachkräfte rar und begehrt – und zunehmend umworben und umkämpftAuch Umfragen des Leibniz-Instituts für Wirtschaftsforschung an der Universität München (ifo) ergaben, dass knapp 50 % der Unternehmen durch Fachkräftemangel eingeschränkt seien [7]. Die Autoren des ifo-Standpunkts Nr. 243 wiesen darauf hin, dass dies genauso auf Länder mit einer günstigeren demografischen Struktur zuträfe – etwa auf die USA. Der PLUS-Kolumnist Dr. Hayao Nakahara berichtet gleiches aus Südostasien, z. B. Malaysia, wo sich in der aufstrebenden Leiterplattenindustrie die Firmen gegenseitig Fachkräfte abwerben müssten [8].

Laut Clemens Fuest (ifo) und Simon Jäger (Institute of Labor Economics, IZA) liege die Lösung auf der Hand: Dem Mangel ließe sich nur durch höhere Löhne begegnen. Zwar würde dies dazu führen, dass sich einige Unternehmen aus dem Markt zurückziehen und manche „unliebsame Tätigkeit wegfallen oder automatisiert“ werden würden. Gesamtwirtschaftlich ergebe sich aber ein Gewinn, da Menschen bei höheren Löhnen eher bereit seien, eine Stelle anzunehmen. Die Folge seien auf jeden Fall steigende Preise und ein stärkerer Wettbewerb – dies helfe aber letztlich gegen den Fachkräftemangel [7].

Eine differenzierte Position nimmt Prof. Dr. Wenzel Matiaske von der Helmut-Schmidt-Universiät der Bundeswehr in Hamburg (HSU) ein, den wir für unser ‚Gespräch des Monats‘ befragt haben.

Dr. Wenzel MatiaskeMatiaske leitet die Langzeitstudie ‚Betriebe und betriebliche Arbeitswelten in Deutschland‘, die im Auftrag des Deutschen Instituts für Wirtschaftsforschung (DIW Berlin) und in Kooperation mit der Helmut-Schmidt-Universität Hamburg (HSU) durchgeführt wird [9]. Sie untersucht Veränderungen der Arbeitswelt durch den technologischen Wandel und will eine datenbasierte wissenschaftliche Grundlage für politische Entscheidungen schaffen, inwiefern sich Anforderungen für Weiterbildung, Arbeitszeitmodelle und Arbeitsorte ändern oder ändern müssen. Vorschläge hierzu gebe es viele: Attraktivere Arbeitsbedingungen wie die Vier-Tage-Woche bei gleichbleibender oder gar erhöhter Produktivität, eine familiengerechtere Gestaltung von Arbeitszeiten und höhere Löhne. Laut Matiaske sei jedoch die generelle Effektivität dieser Maßnahmen „zweifelhaft“ [10]. Gegenüber der PLUS gibt er zu bedenken, dass es darauf ankomme, „ob die spezifische Gruppe von Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmern auf ein höheres Entgelt oder auf geringere Arbeitszeit anspricht oder welche Art von Arbeitsbedingungen als attraktiv gesehen wird.“ Individualisierung sei ein Stichwort, unter dem die soziologische Forschung unsere Gesellschaft beschreibe, und es impliziere „für das Personalmanagement zunehmend, dass sich vielfältige Bedürfnisse mit der Erwerbsarbeit verbinden und bei einem verringerten Arbeitsangebot aus betrieblicher Sicht berücksichtigt werden müssen.“ Seiner Einschätzung nach seien die Betriebe keinewegs ratlos, wie dem Fachkräftemangel zu begegnen ist: „Betriebliche Praktiker kennen ihre Situation und sind findig darin, Lösungen zu generieren. Dieser Findigkeit bedarf es allerdings.“ Die Zuspitzung im aktuellen Jahr 2023 sei auch ein „nachlaufender Effekt der Corona-Krise“. Maßnahmen zur Personalgewinnung, also zur Deckung von Ersatzbedarfen oder gar Aufstockung, seien verschoben worden. Dies zeige sich auch in den Befragungsergebnissen der Langzeitstudie.

Dem Mangel kreativ begegnen

Ein kommender Elektronikfachmann bei der Arbeit; Bild: AdobeStockEin kommender Elektronikfachmann bei der Arbeit; Bild: AdobeStockWährend der Fachkräftemangel ein Faktum ist, kann von einem Mangel an Findigkeit kaum gesprochen werden. Firmen und Verbände, Schulen, Universitäten und Fachhochschulen sind seit Jahren an dem Thema dran und bieten Veranstaltungen für verschiedene Adressaten an: Für Mädchen (‚Girls‘ days‘) und Jungs (‚Boys‘ days‘) im Schulalter, potentielle Azubis nach dem Schulabschluss, Interessenten an einem Elektronikstudium oder an dualen Studienkonzepten. Doch die zeitlichen und monetären Ressourcen für diese Programme sind begrenzt, und die Ergebnisse nicht immer überzeugend. Oft wirke es, so äußern sich Vertreter der Leiterplattenindustrie zerknirscht, wie ein Kampf gegen Windmühlenflügel.

Ein Beispiel hierfür ist die Firma Hannusch Industrieelektronik aus dem baden-württembergischen Laichingen nahe Ulm [11]. Sie ist sehr aktiv im Bereich der Nachwuchsförderung – mit besonderem Augenmerk auf Mädchen und Frauen [12]. Claudia Hannusch, Prokuristin und bis vor kurzem CEO des Familienbetriebs, hat selbst nicht den steinigen Weg vergessen, der auf sie beim Berufseinstieg in die ‚technische Männerwelt‘ wartete. Entsprechend engagiert ist sie bis heute, Mädchen frühzeitig an die Industrieelektronik heranzuführen. Hannusch Industrieelektronik unterhält unter der Leitung der IHK Ulm Bildungspartnerschaften, etwa mit der Anne-Frank-Realschule, der Erich-Kästner-Gesamtschule und dem Albert-Schweitzer-Gymasium in Laichingen. Kontakte bestehen auch zu der Grundschule in Feldstetten und der Blautopfgrundschule in Blaubeuren. Auch hat Hannusch Industrieelektronik gemeinsam mit den Firmen Rafi, Zollner und Ersa und in Kooperation mit dem Fachverband FED den Ausbildungsverbund ‚Löttechnik Elektronik‘ (AVLE) gegründet, um die Qualität, Zuverlässigkeit und Reproduzierbarkeit von Handlötstellen zu verbessern [13]. AVLE bietet jeweils am Sitz der beteiligten Firmen mehrtägige Seminare und Ausbildungsprogramme an.

Clauda Hannusch, Hannusch IndustrieelektronikClauda Hannusch, Hannusch IndustrieelektronikUm die Jugend – insbesondere die weibliche – anzusprechen, veranstaltet die Firma ‚Technik-Tage‘ für die Laichinger Schulen, ebenso ‚Girls-Days‘ und ‚Schnupperkurse Handlöten‘. Doch die Bilanz ist laut Claudia Hannusch durchwachsen. Im persönlichen Gespräch mit der PLUS beklagt sie, dass sich zu wenige Teilnehmerinnen für eine Ausbildung entscheiden – und am Ball bleiben. Dies sei aber nicht die Schuld der aufgeschlossenen jungen Menschen. Neben ‚lokalen‘ Schwierigkeiten im ländlichen Raum, in der etwa der öffentliche Nahverkehr oft zu schwach ist, um eine sichere und zuverlässige Anfahrt der Azubis zu gewährleisten, macht Claudia Hannusch Probleme bei der Elterngeneration aus. Deren Unterstützung sei entweder nicht ausreichend – oder im Gegenteil zu „helikopterhaft“. Oft werde vergessen, die jungen Menschen zur Selbstständigkeit anzuregen. Dabei gehöre es zum Erwachsenwerden – gerade auch für einen erfolgreichen Ausbildungsweg –, sich mit seinen Kompetenzen selbst bei Firmen vorzustellen, die An- und Abreise zu organisieren und sich Grundlagen der Arbeitswelt anzueignen. Hannusch hält deshalb wenig davon, die Jugend mit Angeboten wie Tablets oder einem Elektroauto als Betriebsfahrzeug zu ‚ködern‘. Sie unterstütze sehr gerne die Ausbildung – auch jene der Werkstudenten, die für eine Firma im ländlichen Raum noch schwieriger zu gewinnen sind – und lasse junge Menschen in schwierigen Phasen nicht hängen. Doch auf Selbstständigkeit lege ihre Firma Wert, und hier seien eben auch die Eltern in der Pflicht. Wie man jedoch diese besser erreichen und ansprechen kann – dies lässt die sonst schlagfertige Claudia Hannusch ratlos zurück.

Öffentlicher Nahverkehr als entscheidender Faktor

Eine Schule, die lange mit der Firma Hannusch verbunden ist, ist die Anne-Frank-Realschule in Laichingen [14]. Sie arbeitet seit Jahren mit Firmen und Handwerksbetrieben zusammen, um Schülern den Weg in ein Praktikum oder für eine Ausbildung aufzuzeigen. Seit kurzem besteht auch eine Bildungskooperation mit der Firma Rehm Thermal Systems in Blaubeuren [15]. Laut der Konrektorin Eva Grech, die den Bereich Berufsorientierung leitet, kam die Fa. Rehm selbst auf die Realschule zu. Zuvor war sie den Schülern und Eltern kein Begriff gewesen – ein Grund sei dabei auch die schlechte Anbindung im ländlichen Raum zwischen Laichingen und dem 15 km entfernten Blaubeuren.

Schüler der achten Klasse der Realschule in Laichingen bei der Unterzeichnung einer Bildungspartnerschaft mit der Firma Rehm Thermal SystemsSchüler der achten Klasse der Realschule in Laichingen bei der Unterzeichnung einer Bildungspartnerschaft mit der Firma Rehm Thermal Systems

Um Praktika (und daraus folgende Ausbildungsoptionen) zu ermöglichen, denken Schule und Firma über die Organisation eines Fahrdienstes nach. Laut Frau Grech ist der öffentliche Nahverkehr ein entscheidender Faktor, der über das Gelingen solcher Kooperationen mitentscheidet.

Davon abgesehen hingen 80–90 % des Erfolges von den Eltern ab. Auch Grech sieht bedenkliche Entwicklungen der Elterngeneration. Viele könnten sich aufgrund eigener beruflicher Sorgen nicht ausreichend um die Ausbildungswege ihrer Kinder kümmern. Besonders schwer sei dies für Familien mit Migrationshintergrund. Zudem sieht Grech das Problem von „Helikopter- oder auch Rasenmähereltern“, die ihre Kinder nur schwer in die Selbständigkeit entlassen wollen. Beide Phänomene in Kombination erschwerten die Wege zur Ausbildung.

Die Schülerinnen und Schüler selbst seien alle interessiert an Kontakten zu Firmen wie Hannusch und Rehm und würden die Angebote gerne annehmen. Allerdings seien sie erstaunlich gut über den Fachkräftemangel informiert: Sie wüssten nur zu genau, dass sie ohne Probleme einen Ausbildungsplatz bekommen und seien „entsprechend gechillt.“ Eines wüssten sie aber ebenso: Dass sie später nicht, wie ihre Eltern, zu ‚Workaholics‘ werden wollen. Entsprechend genau prüfen sie Ausbildungsangebote, sprechen sich untereinander ab – auch in sozialen Medien – und sind bei Hürden eher bereit, „die Pferde zu wechseln“.

Schulkind beim Löten von Drähten und Leiterplatten im Rahmen eines Elektronikstudiums für Kinder im Labor; Bild: AdobeStockSchulkind beim Löten von Drähten und Leiterplatten im Rahmen eines Elektronikstudiums für Kinder im Labor; Bild: AdobeStockInsgesamt gebe es laut Frau Grech grundlegende Faktoren, die zu einer Verschärfung der Lage beitragen. Einerseits gebe es schlichtweg weniger Schüler als früher. Andererseits habe sich die Zusammenlegung von Haupt- und Realschule negativ ausgewirkt. Die Kompetenz bezüglich der Ausbildungsorientierung lag bei der Hauptschule – für Realschulen gab es keine entsprechenden Programme. Mit der stark abgenommenen Attraktivität der Hauptschulen und bei der Zusammenlegung mit Realschulen ging diese Kompetenz verloren. Die Realschulen müssten sich teilweise ganz neu in das Thema einarbeiten.

Auf die Frage der PLUS, was Firmen noch tun könnten, um mehr Ausbildungsplätze besetzen zu können, empfiehlt Frau Grech eine stärkere Hinwendung zu den sozialen Medien, die Schülerinnen und Schüler wirklich wahrnehmen und nutzen. Diese reagieren auch am besten auf jüngere Gesichter bei Ausbildungstagen. Die Firma Rehm habe dies vorbildlich umgesetzt: Hier würden Schüler bewusst mit Azubis und jüngeren Ausbildungsleitern in Kontakt kommen. Dies sei sehr gut angenommen worden. Und natürlich sei ein größeres Engagement der Firmen für den Ausbau des öffentlichen Nahverkehrs sinnvoll. So habe sich für Laichingen ein neuer Bahnhalt im nahegelegenen Merklingen auf die Ausbildungsförderung äußerst positiv ausgewirkt [16].

Was denken Kinder selbst über Angebote von Firmen, um Praktikanten und Azubis zu gewinnen? Befragt haben wir bei unserer Recherche zwei Schülerinnen aus Rheinland-Pfalz [17]. Eine davon nahm im Alter von 13 Jahren an einem ‚Girls‘ day‘ teil, bei dem Handwerksbetriebe und Firmen besucht wurden. Ihrer vier Jahre jüngeren Schwester steht ein solcher ‚Girls‘ day‘ im kommenden Schuljahr bevor.

Die erstgenannte, inzwischen 16 Jahre alte Schülerin äußert sich in Rückschau eher kritisch. Für sie und ihre Klassenkameradinnen wäre der ‚Girls‘ day‘ uninteressant gewesen – „Hauptsache, ein Tag schulfrei“ (Zitat). Gefragt nach den Gründen gibt sie an, dass in ihren Augen viel zu alte Ausbilder uninteressante Details erzählt und gezeigt hätten. Sie hätte sich mehr Kontakt zu jüngeren Auszubildenden und jüngeren Ausbildern erhofft. Sowohl sie als auch ihre Schwester regen an, solche ‚Girls‘ days‘ viel früher – also für jüngere Schüler – anzubieten: Im Alter von 8 bis 10 Jahren hätten sie sich beide immer gewünscht, in die Arbeitswelt ‚hineinschnuppern‘ zu können.

Intermezzo: Der Beginn einer Recherche

Mit der grundsätzlichen Beschäftigung der oben erwähnten Studien und mit der Befragung von Firmen, Schulen und Schülern endet unserer Recherche nicht – sie beginnt erst. Denn schon die ersten Gespräche haben gezeigt, dass allein mit dem Verweis auf den demografischen Wandel der Fachkräftemangel nicht umfassend erklärt werden kann. Es scheinen verschiedene Faktoren ineinanderzugreifen – politische, gesellschaftliche, kulturelle und technologische. Als Fachzeitschrift können wir freilich nicht eine Erklärung liefern – aber was wir durch unsere Kontakte (und schlichtweg durch journalistische Recherche) sehr wohl können, ist uns an einer Bestandaufnahme des komplexen Themas zu versuchen.

So stand am Anfang der Beschäftigung der Plan, umfassende Befragungen möglichst unterschiedlicher Akteure vorzunehmen: Von Wissenschaftlern und Politikern, Ausbildern und Auszubildenden, Professoren und Studierenden … aber auch Abbrechern eines Studiums bzw. einer Ausbildung. Das erklärte Ziel dieser Recherche ist es, ein umfassendes Bild der momentanen Lage zu zeichnen. So können die Gespräche, von denen wir in Folge berichten, nur ein Auftakt sein. Denn jedes wirft ein neues Schlaglicht auf die Problemlage – und hat unser Interesse angefacht, uns tiefergehender mit dem Fachkräftemangel in der Elekronikindustrie und -forschung zu befassen.

Legen wir also nach diesem kurzen Intermezzo los und widmen uns weiteren Gesprächspartnern auf unserem Weg durch den Dschungel des Fachkräftemangels.

„Jeder Jahrgang muss neu gewonnen werden“

Christian Schröder, Vizepräsident für Studium und Lehre, Lehrkräftebildung und Weiterbildung der Technischen Universität BerlinChristian Schröder, Vizepräsident für Studium und Lehre, Lehrkräftebildung und Weiterbildung der Technischen Universität BerlinSo konnten wir uns mit Christian Schröder, Vizepräsident für Studium und Lehre, Lehrkräftebildung und Weiterbildung der Technischen Universität Berlin, austauschen. Auch Schröder konstatiert einen Fachkräftemangel „in fast allen“ Bereichen. Er weist besonders auf den Lehrkräftemangel im technischen Bereich (Physik, Chemie) hin, der sich zunehmend auswirke. Dies sei damit auch ein politisches Problem. Bei den Studentenzahlen selbst sieht Schröder keinen Rückgang – jedoch sei der Bedarf enorm gewachsen. Deshalb müsse sich die Ansprache an junge Menschen verbessern: „Jeder MINT-Jahrgang muss neu gewonnen werden.“ Und das sei auch möglich: Oft höre Schröder von Bewerbern Aussagen wie „Wir wollen die Energiewende mitgestalten – mit welcher Ausbildung kann ich das?“. Dieser Themenkomplex spreche viele Interessenten an – und darauf reagiere die TU Berlin. „Wir sagen den jungen Menschen: Du willst Nachhaltigkeit studieren? Hier kannst du es.“

Ein Beispiel sei das Orientierungsstudium ‚MINTgrün‘ [18]. Dabei nehmen die Studenten zwei Semester lang an Universitätsveranstaltungen aus der Mathematik, Informatik, Naturwissenschaft und Technik teil und legen Prüfungen ab. Sie vertiefen ihre Kenntnisse in speziellen MINTgrün-Tutorien und setzen sie in den Projektaboren praktisch um. So lernen sie verschiedene Fragestellungen, Arbeitstechniken und Methoden aus MINT-Fächern kennen. Im Modul Wissenschaftsfenster setzen sie sich mit aktuellen Forschungsthemen unter dem Aspekt der Nachhaltigkeit auseinander. Dies helfe am Ende bei der fundierten Studienwahlentscheidung – wobei erbrachte Leistungen im MINTgrün-Orientierungsjahr angerechnet werden können. „Das wird sehr gut angenommen“, freut sich Schröder.

Um bereits das Interesse von Schülern an MINT-Fächer wecken, setze die TU Berlin auf Kooperationen mit Schulen in Berlin und Brandenburg. So gebe es mit ‚dEIn Labor‘ ein Elektrotechnik- und Informatik-Schülerlabor der Fakultät IV (Elektrotechnik und Informatik), in dem sich neugierige Schüler ausprobieren [19]. Allerdings muss Schröder auf Nachfrage der PLUS zugeben, dass der Erfolg schwer zu messen ist. Bei Befragungen von Absolventen sei ermittelt worden, ob diese vor Beginn ihres Studiums solche Schülerlabore gekannt und sich eventuell durch diese Erfahrung für ihr Studium entschieden hätten. Die ernüchternde ‚Erfolgsquote‘ lag nur im einstelligen Prozentbereich.

Alles umsonst? Das sieht Christian Schröder anders: „Würden wir so etwas nicht anbieten, wäre alles noch schlimmer.“ In diesem Zusammenhang weist er auf einen entscheidenden Faktor hin: Die Familie habe den wohl größten Einfluss auf die Studien- und Berufswahl – genauso, wie es Claudia Hannusch und Eva Grech berichten.

Junge Gründer im Fokus des Interesses

Dr. Andreas Krauß; Bild: Eberhard Karls Universität TübingenDr. Andreas Krauß; Bild: Eberhard Karls Universität TübingenEin aufschlussreiches Gespräch ergab sich mit Dr. Andreas Krauß, der an der Eberhard-Karls-Universität Tübingen das Innovationslabor des ‚Start-up Center‘ verantwortet [20]. Die Universität Tübingen fördert den Transfer von Technologie in Anwendung und Verwertung und unterstützt mit dem ‚Start-up Center‘ sowohl Studierendeals auch Forschende, Mitarbeitendeund Alumni bei ihren Versuchen, aus innovativen Ideen und Projekten erfolgreiche Start-ups entstehen zu lassen.Neben der operativen Arbeit befasst sich ein Forschungsteam mit wissenschaftlichen Fragestellungen rund um das Thema Entrepreneurship. Auch bietet das Team rund um Dr. Krauß Workshops zur Produkt- und Prototypenentwicklung an, unter anderem zu den Themen CAD-Konstruktion, Lasercutter und 3D-Druck, Embedded Computing Systeme und Leiterplattenentwicklung [21].

Dr. Krauß kennt damit genau eine bislang selten beachtete Phase im Ausbildungszyklus junger Menschen – kurz vor und kurz nach ihrem wissenschaftlichen Anschluss und beim Beginn ihrer beruflichen Laufbahn. Die von ihm betreuten Gründerinnen und Gründer kämen zur Hälfte aus den Naturwissenschaften und der Informatik, 20 % aus der Medizin – und beachtliche 30 % aus den Geisteswissenschaften. Sie müssten sich als Quereinsteiger technische Voraussetzungen erst aneignen, wären aber mit großem Einsatz dabei.

Befragt nach dem Fachkräftemangel in der Elektronikindustrie und -forschung bestätigt Dr. Krauß viele Aussagen unserer Recherche. Er sieht bei Ingenieursstudiengängen das Problem einer „enorm hohen Komplexität“, schlichtweg bedingt durch den rasanten technischen Fortschritt. Das schiere Volumen der Studieninhalte sei für Studierende oft abschreckend. Hinzu komme, dass sich die Reduzierung der gymnasialen Schulzeit auf nur noch acht Schuljahre negativ bemerkbar mache. An Universitäten müsse entsprechend „nachgeschult“ werden – und das in einer Zeit, in der nicht nur ein Fachkräfte- sondern auch ein Lehrermangel besteht. Die Folge seien ausfallende Schulstunden und eine oft geringe Medienkompetenz der aktiven Lehrkräfte – und in Folge auch jene der Schüler. Zudem erkennt Dr. Krauß, dass es an Praxisbezug fehle und die Elterngeneration durch gesellschaftliche Härten weniger Augenmerk auf die Ausbildung ihrer Kinder legen kann. Dies alles trage in seiner Gesamtheit zu einer Verschärfung des Fachkräftemangels bei. Denn an „Angeboten fehle es zwar nicht, auch nicht an der Ansprache“. Doch die universitäre Ausbildung müsse erkennen, „dass sich die Rahmenbedingung geändert haben“ [22].

Es fehlt der Praxisbezug

Befragt haben wir auch Sven Gramatke, Galvanotechniker im Leuze-Verlag, u. a. redaktionell für unsere Mutterzeitschrift ‚Galvanotechnik‘ (GT) tätig. Im Verlauf seiner Aus- und Weiterbildung an der gewerblichen Schule in Schwäbisch Gmünd kam er auch mit der Leiterplattenherstellung in Berührung [23].

Sein Urteil deckt sich mit den Befunden von Dr. Krauß: Die Elektrotechnik sei inzwischen so kompliziert, dass es Auszubildenden zunehmend schwer falle, sich den Stoff anzueignen. Die Fähigkeit zu abstrahieren gehe angesichts der Komplexität verloren. Gramatke empfiehlt, statt auf stures Auswendiglernen größeren Wert auf physikalische und chemische Grundlagen zu legen, auf theoretischen Ballast zu verzichten und sich mehr auf die Praxis zu fokussieren. Die klassische Vier-Stufen-Methode (‚vormachen‘ durch die Ausbilder, ‚nachmachen‘ durch die Auszubildenden) [24] sei häufig der beste Weg, sich Inhalten zu nähern – doch er wird von Ausbildern zu selten angewendet. Weiterhin verweist Gramatke auf Motivationstechniken, mit denen junge Menschen für solche Berufe begeistert werden könnten – Stichwort: soziale Medien.

Was sagen Studenten selbst?

Im Gespräch mit der Fachschaft der Fakultät für Elektrotechnik und Informationstechnik [25] des Karlsruher Instituts für Technologie (KIT) [26] wird die Lage ebenfalls als düster eingeschätzt: „Sieht nicht gut aus.“ Bei den Studentenzahlen gebe es starke Einbrüche. Die Fachschaft arbeite dagegen und versuche neue Studenten zu gewinnen. Doch die Elektrotechnik habe ein Imageproblem. Ihre Inhalte seien kaum zu greifen, das Studium gilt als schwer: „Es wird sehr schnell sehr verzwickt.“ Oft fehle der rote Faden. Entsprechend wählen viele Studenten einen – vermeintlich – leichteren Studiengang.

Universität Karlsruhe; Bild: Klaus Epple/AdobeStockUniversität Karlsruhe; Bild: Klaus Epple/AdobeStock

„Teilweise hinken die Lehrmethoden der Zeit hinterher“

Gespräch mit einem Studenten der Fachschaft Elektro- und Informationstechnik am Karlsruher Institut für Technologie [*]

Warum haben Sie sich für Ihren Studiengang der Elektro- und Informationstechnik entschieden?

Breite Arbeitsmöglichkeiten, hoher Spezialisierungsgrad möglich, maximale Jobsicherheit. Solange es Strom gibt, gibt es Arbeitsplätze (und wenn es keinen Strom gibt haben wir andere Sorgen), die Aussicht auf großzügige Vergütung in einer anhaltend angespannteren ökonomischen Gesamtsituation.

Wann haben Sie sich erstmals für diesen Bereich interessiert?

Kurz nach dem Abitur, nach einer kurzzeitigen Beschäftigung in einem handwerklichen Betrieb. Dort wurden grundlegende Elektriker-Aufgaben übernommen und Smarthome-Anwendungen installiert. Das hat den Wunsch geweckt mehr zu erfahren.

Welchen Beruf bzw. welche Position streben Sie an?

Entwicklungsingenieur/Teamleitung

Wie erleben Sie bislang Ihre Ausbildung am KIT bezüglich Stoffmenge, Komplexität und Wissensvermittlung?

Es ist viel. Und nicht immer gut zuzuordnen (besonders am Anfang des Studiums). Teilweise hinken die Lehrmethoden der Zeit hinterher. Es gibt keine einheitlichen Lehrstandards und die Begeisterung der Professoren, sich untereinander zu ‚kontrollieren‘, hält sich in Grenzen aufgrund der ‚Freiheit der Lehre‘. Dazu lässt sich sagen, dass ein Großteil der Lehrbeauftragten grundsätzlich sehr motiviert ist, aber leider auch hoffnungslos überarbeitet. Den Instituten fehlt es allgemein an Support. Es fehlen Gelder für die ausreichende Anstellung von Verwaltungspersonal und für unbefristete Arbeitsverhältnisse. Das liegt nicht mal hauptsächlich an der Fakultät oder Universität, sondern ist ein landes- bzw. bundesweites Problem.

Was müsste sich Ihrer Meinung nach in der Ausbildung im Bereich Elektronik verbessern?

Klarere Kommunikation über die Möglichkeiten, die einem durch dieses Studium eröffnet werden, eine handliche Darstellung über verfügbare Arbeitszweige und die eindeutige Auflistung, wie (um)welt- und gesellschaftsverbessernd Arbeit geleistet werden kann mit den hier erworbenen Fähigkeiten.

Kennen Sie Kommilitonen, die das Studium abgebrochen haben, und ihre Gründe hierfür?

Überarbeitung, kein ausreichender Support, Überbelastung durch eigenständige Studienfinanzierung neben der doch sehr fordernden Ausbildung. Die Regeln für BaFöG gelten – abgesehen von Covid-19 – sehr strikt. Bei einer Regelstudienzeit von sechs Semestern – und danach ausgesetzter staatlicher Unterstützung – und einer durchschnittlichen Studiendauer für den Bachelor zwischen acht und neun Semestern muss zwangsläufig gearbeitet werden, außer man kommt aus einem finanziell sehr abgesicherten elterlichen Haus.

Was sind Ihrer Meinung nach die Hauptgründe für den Fachkräftemangel in der Elektronikindustrie und -forschung?

Es ist die Summe aus geringen Immatrikulationszahlen aufgrund der genannten Imageprobleme und das anstrengende Studium mit hohen Abbruchquoten entlang des Weges.

Referenz

[*] Auf Wunsch möchte unser Gesprächspartner anonym bleiben.

„Der Fachkräftemangel ist kein isoliertes Problem der Elektroindustrie“

Interview mit Max Mönikes, Student der Elektrotechnik im Master an der Technischen Universität Berlin

Ernst-Reuter-Platz in Berlin: Hier liegen im weiten Umfeld die verschiedenen Institute der Technischen Universistät; Bild: AdobeStockErnst-Reuter-Platz in Berlin: Hier liegen im weiten Umfeld die verschiedenen Institute der Technischen Universistät; Bild: AdobeStock

Warum haben Sie sich genau für diesen Studiengang entschieden?

Elektrische Geräte sind heutzutage in fast keinem Bereich mehr wegzudenken. Durch das Elektrotechnik Studium bekommt man einen umfassenden Einblick wie die Technik die uns umgibt funktioniert und hat die Möglichkeit aktiv an der zukünftigen Entwicklung mitzuwirken. Daneben ist der Studiengang sehr vielseitig und bietet auch später die Möglichkeit in verschiedensten Berufen zu Arbeiten.

Seit wann interessieren Sie sich für diesen Bereich?

Für Technik begeistere ich mich seit meiner Kindheit und bin über meine Eltern recht früh mit Computern in Berührung gekommen. Über die Informatik kam in der Oberstufe das Interesse an Mikrocontrollern (Arduino) und damit einhergehend auch an der Elektrotechnik/Elektronik.

Welchen Beruf bzw. welche Position streben Sie an?

Nach dem Studium würde ich zunächst gerne als Hardwareentwickler im Bereich Leiterplattendesign und Layout arbeiten.

Wie erleben Sie bislang Ihre universitäre Ausbildung bezüglich Stoffmenge, Komplexität und Wissensvermittlung?

Die Stoffmenge während des Bachelors ist relativ hoch und die Module von der Arbeitslast nicht immer gut aufeinander abgestimmt. Elektrotechnik zählt berechtigterweise zu den komplexeren Studiengängen mit einem vergleichsweise hohen Mathematikanteil. Dafür bekommt man einen guten Überblick über die meisten Teilbereiche und tiefgehende theoretische Grundlagen. Der Master ist dagegen deutlich projektbezogener und versucht das im Bachelor erlernte Wissen anzuwenden. Gleichzeitig ist es möglich, sich in vielen Bereichen zu spezialisieren und über den Tellerrand der Elektrotechnik hinauszuschauen, indem z. B. auch Module zum Thema Umwelteinfluss elektronischer Geräte angeboten werden.

Was müsste sich Ihrer Meinung nach in der universitären Ausbildung im Bereich Elektronik verbessern?

Der Praxisanteil während des Bachelorstudiengangs ist, zumindest an meiner Universität, recht gering. Das ist natürlich irgendwo der relativ großen Stoffmenge geschuldet, sorgt aber schnell dafür, dass eine Idee fehlt, warum man etwas lernen muss. Das kann einerseits schnell für Frustration sorgen, andererseits fördert es ein Lernen für die Klausur und nicht das nachhaltige Verständnis.

Kennen Sie Kommilitonen, die das Studium abgebrochen haben, und ihre Gründe hierfür?

Ich kenne persönlich keinen der das Studium abgebrochen hat, dafür viele die sich nach dem Bachelor für einen anderen Master/zweiten Bachelor wie beispielsweise Medizintechnik oder Mathematik entschieden haben.

Was sind Ihrer Meinung nach die Hauptgründe für den Fachkräftemangel in der Elektronikindustrie und -forschung?

Zunächst ist der Fachkräftemangel ja kein isoliertes Problem der Elektroindustrie, sondern der ganzen Branche. Bei der Elektroindustrie kommt meiner Einschätzung nach hinzu, dass es eine recht große Überschneidung zur Informatik gibt, sprich Leute die gegebenenfalls Elektrotechnik studiert hätten, studieren Informatik und umgekehrt. Daraus folgt ein kleinerer Pool von potentiellen neuen Fachkräften, was neben dem demographischen Wandel und einem starken Wachstum beider Branchen über die letzten Jahrzehnte einen Fachkräftemangel begünstigt.

Neue Konzepte für den ‚Azubi-Tag‘

Jana Brielmayer, Ausbildungsleiterin bei RafiJana Brielmayer, Ausbildungsleiterin bei RafiVon ihren Erfahrungen bei der Suche nach neuen Auszubildenden berichtet Jana Brielmayer, Ausbildungsleiterin bei der Firma Rafi im baden-württembergischen Berg (bei Ravensburg) [27]. Rafi, ein bedeutender EMS-Dienstleister im DACH-Raum und Anbieter von HMI-Plattformen, besitzt insgesamt acht Standorte, sechs davon in Europa sowie jeweils einen in den USA und in China. In Deutschland ist Rafi sehr aktiv bei der beruflichen Förderung und –so wie die Firma Hannusch – an dem Ausbildungsverbund AVLE beteiligt [13]. Frau Brielmayer organisierte erst vor kurzem – am 12. April 2023 – wieder einen Rafi-Azubi-Tag. 2022 habe dieser erstmal stattgefunden, in einem deutlich größeren Rahmen als ‚Tag der offenen Tür‘. Dieser habe allerdings nicht den gewünschten Anklang gefunden. Trotz vieler Besucher hätten sich nur wenige im Nachklang bei Rafi zurückgemeldet.

Also habe sich die Firma für ein neues, bewusst reduziertes Konzept entschieden: Geboten wurden „nur“ Betriebsbesichtigungen, organisiert von einem kleinen Team, wobei drei Azubis selbst ihren Beruf vorgestellt hätten. Interesse gezeigt hätten neun Personen – aber aus diesem vergleichsweise kleinen Kreis habe es bereits mehrere Rückmeldungen gegeben. Insofern fühlt sich Frau Brielmayer bestätigt. Das neue Konzept wird nun häufiger erprobt, der nächste Termin stehe Ende Juli an.

Insgesamt könne man bei Rafi für 18 verschiedene Berufe ausgebildet werden, es bestünden Kooperationen mit zehn unterschiedlichen Schulen, dem Bildungszentrum Meckenbeuren und der Hochschule Ravensburg-Weingarten. In dieser Zusammenarbeit suchte Rafi Azubis und Werkstudenten – mit Erfolg! Die Abbrecherquote sei niedrig (nur ca. eine Person im Jahr). Doch auch Brielmayer erkennt eine Theorieüberforderung im Studium. Auch wenn man bei Rafi versuche, die Werksstudenten bei entsprechenden Problemen zu unterstützen, sei dies ein generelles Problem. Ein praxisorientierteres Studium wäre laut Brielmayer hilfreich.

Werkstudent bei der Firma RafiWerkstudent bei der Firma Rafi

Interview Philip Arnold

Für welchen Beruf genau werden Sie gerade bei RAFI ausgebildet?

Bachelor of Embedded Systems Engineering – Automotive Engineering

Warum haben Sie sich genau für diese Ausbildung/für dieses Studium entschieden?

Weil ich mich fürElektronikschaltkreise ebenso interessiere wie für das Programmieren.

Seit wann interessieren Sie sich für diesen Bereich?

Ich hatte schon immer Spaß an Technik. Als Verantwortlichen hierfür würde ich meinen
Vater benennen. Durch ihn hatte ich schon immer Kontakt zu Elektronik und Software.

Welchen Beruf bzw. welche Position streben Sie an?

Mein Ziel ist es nach dem erfolgreichen Abschluss meines Studiums in der Entwicklung bei Rafi mit Rat und Tat mitzuwirken.

Wie erleben Sie bislang Ihre Ausbildung bei RAFI bezüglich Stoffmenge, Komplexität und Wissensvermittlung?

Da ich einen Dualen Studiengang belege, ist der Workload höher. Gerade in den Theoriephasen des Studiums wird einem viel komplexer Stoff in kurzer Zeit übermittelt, da ein Semester nur drei Monate dauert. Doch diese Wissensgrundlage aufzubauen ist wichtig, und umso besser ist es, wenn man sein theoretisch erlerntes Wissen in der Praxisphase im Betrieb direkt anwenden und davon profitieren kann.

Was müsste sich Ihrer Meinung nach in der Ausbildung im Bereich Elektronik verbessern?

In meinem Studium habe ich ja sowohl mit Elektronikinhalten als auch mit Informatik zu tun und bin deshalb ja kein reiner Elektroniker. Von meiner Perspektive aus kann ich nur erkennen, dass die Elektronik gerade in der Anwendung an der Hochschule der Informatik nachhängt.

Kennen Sie Azubis oder Studenten, die ihre Ausbildung abgebrochen haben, und deren Gründe hierfür?

Die Anzahl meiner Kommilitonen hat sich im Verlauf der letzten Semester um etwa ein Viertel verringert. Bei den meisten war das Problem, dass sie nicht mitgekommen sind.

Was sind Ihrer Meinung nach die Hauptgründe für den Fachkräftemangel in der Elektronikindustrie und -forschung?

Ältere Fachkräfte gehen in die Rente und es kommen zu wenig junge Leute nach, um die Plätze aufzufüllen – so wurde mir das zumindest in der Schule gesagt.

Komplexe Gemengelage

Wie erwähnt sind die obigen Gespräche als Startpunkt einer längeren journalistischen Recherche gedacht, die wir in der PLUS weiterführen möchten. Schon jetzt zeigen sich unterschiedliche Faktoren, die den Fachkräftemangel eventuell verschärfen und die bislang nicht – oder zu wenig – diskutiert wurden. Dass unsere Gesprächspartner aus unterschiedlicher Perspektive zu ähnlichen Befunden kommen, ist bemerkenswert – seien es Positionen zur Komplexität der universitären und praktischen Ausbildung, zu der idealen Ansprache junger Menschen, zur offenbar unterschätzten Bedeutung des öffentlichen Nahverkehrs für diese Problematik, zu den die Auswirkungen von Schulkonzepten wie G8, zu dem gewachsenen Intersse der Jugend an Nachhaltigkeitsthemen oder zu dem nach wie vor entscheidenden Einfluss der Elterngeneration. Es lohnt sich, viele dieser Ansatzpunkte weiter zu verfolgen.

Aus diesem Grund wird unsere Recherche weitergehen – hoffentlich können im voranschreitenden Jahr weitere Gespräche geführt und ausgewertet werden. Auch wollen wir laufende Studien wie jene der HSU Hamburg und des DIW Berlin unter Leitung von Prof. Wenzel Matiaske weiterverfolgen. Ihm gehört entsprechend auch das abschließende Wort dieses umfangreichen Artikels: Als generelle Hypothese zum Thema Fachkräftemangel formuliert er, dass „ältere Konzeptionen der Bildungsexpansion und des lebenslangen Lernens weiterhin Bestand haben und fortlaufender Reformation bedürfen.“ Gerade der inkrementelle Prozess der Digitalisierung in der Produktion und zunehmend in der Dienstleistung berge „noch viele Rationalisierungpotenziale, mit denen neue Anforderungen an menschliche Arbeit einhergehen.“ Wie diese im Konkreten ausfallen, ließe sich laut Matiaske nicht mehr seriös von einer Warte aus sagen. Dazu braucht es sehr spezifische Kenntnisse der Produktionsbedingungen in der jeweiligen Branche – gerade auch in der Elektronikindustrie.

Die PLUS-Redaktion ist an weiterem Austausch mit Firmen, Auszubildenen, Ausbildern, Schülerinnen und Schülern, Studierenden und Abbrechern interessiert. Schreiben Sie gerne eine E-Mail an die Redaktion: Diese E-Mail-Adresse ist vor Spambots geschützt! Zur Anzeige muss JavaScript eingeschaltet sein!

Referenzen

[1] Lutz Reiche: Maschinenbau Frauen wegen Fachkräftemangel gesucht, Manager-Magazin, 2.11.2010 (Abruf: 4.5.2023)
[2] In einem Gespräch mit der PLUS wies Uwe Veres-Homm vom Fraunhofer-Institut für Integrierte Schaltungen (IIS) darauf hin, dass auch in der Logistik Arbeitskräfte fehlten und sich die Branche insgesamt ändern und flexibler werden müsse: „Wer bitte soll sonst in zehn Jahren, wenn die Babyboomer in Rente gehen, diese Arbeit noch machen?“ Vgl.: der PLUS, Ausgabe 3/2023, 363
[3] PLUS, Ausgabe 4/2023, S. 468
[4] Ebd.
[5] www.destatis.de/DE/Presse/Pressemitteilungen/2022/11/PD22_N068_p001.html (Abruf: 3.5.2023)
[6] Podcast-Folge vom 19.01.2023: www.destatis.de/DE/Mediathek/Podcasts/_inhalt.html (Abruf: 3.5.2023)
[7] Vgl. Clemens Fuest; Simon Jäger: Können höhere Löhne zur Überwindung des Fachkräftemangels beitragen?, Ifo-Standpunkt Nr. 243, www.ifo.de/stellungnahme/2023-03-13/ifo-standpunkt-243-hoehere-loehne-fachkraeftemangel (Abruf: 3.5.2023)
[8] Der zweite Teil von Dr. Nakaharas Kolumne ‚Bericht aus Asien‘ finden Sie ab Seite 607
[9] Siehe hierzu: www.arbeitswelten-in-deutschland.de (Abruf: 3.5.2023)
[10] Wenzel Matiaske: Personalforschung soll Rezepte gegen den Fachkräftemangel liefern, Frankfurter Allgemeine Personaljournal, Ausgabe 2/2023, www.faz-personaljournal.de/ausgabe/02-2023/personalforschung-soll-rezepte-gegen-den-fachkraeftemangel-liefern-3118/ (Abruf: 3.5.2023)
[11] www.hannusch.de
[12] Hannusch Industrieelektronik feiert 30-jähriges Bestehen mit Tag der offenen Tür , Ausgabe vom 4.07.2018, www.schwaebische.de/sonderthemen/ehingen/erfolgreich-am-weltmarkt-40468 (Abruf: 3.5.2023)
[13] www.avle-training.de
[14] www.realschule-laichingen.de
[15] Siehe S. 565
[16] Martin Miecznik: Neuer Bahnhalt: Was die Neubaustrecke für Merklingen bedeutet, SWR am 20.1.2023, www.swr.de/swraktuell/baden-wuerttemberg/ulm/bahnhof-merklingen-102.htm (Abruf: 3.5.2023)
[17] Auf Wunsch der Eltern – und der Schülerinnen selbst – möchten diese anonym bleiben
[18] www.tu.berlin/studienberatung/mintgruen
[19] www.dein-labor.tu-berlin.de/
[20] www.uni-tuebingen.de/forschung/innovation/startup-center/
[21] www.uni-tuebingen.de/forschung/innovation/startup-center/veranstaltungen/#c1548026
[22] Wir werden im Austausch mit dem ‚Start-up Center‘ in Tübingen diese Fragen in einem der kommenden Hefte vertiefen
[23] www.gs-gd.de/fachschule-fuer-leiterplattentechnik.html
[24] www.aevo-online.com/ausbildungsmethode-vier-stufen-methode/
[25] www.kit.edu
[26] www.fs-etec.kit.edu
[27] www.rafi-group.com/historie-standorte/rafi-berg/

Weitere Informationen

  • Ausgabe: 5
  • Jahr: 2023
  • Autoren: Markolf Hoffman

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