Warum PFAS kein Exotenthema des Chemikalienrechts ist, warum es uns alle angeht und warum ein Pauschalverbot die Grundfesten unserer Gesellschaft, unseres Lebensstandards und unseres Wohlstands erschüttern kann.
Fluorpolymere, eine kleine, aber wichtige Untergruppe der PFAS, werden in einer Vielzahl von professionellen Prozessen und Produkten verwendet: Kein Verkehrsflugzeug, keine moderne Lithium- oder Brennstoffzelle funktionieren ohne sie, auch kein optisches Hochleistungssystem. Aber auch Verbraucheranwendungen wie die Brille, das Handy, den Computer oder Autos gäbe es in ihrer heutigen Form nicht. Ihre Langlebigkeit und Widerstandsfähigkeit – der Gesetzgeber spricht von Persistenz – werden diesen Hochleistungswerkstoffen politisch zum Verhängnis, obwohl sie genau deshalb eingesetzt werden. Wohlgemerkt: Die Grundlage der Beschränkung ist nicht zwangsläufig eine Gesundheitsgefährdung.
Auch andere PFAS-Untergruppen sind essenziell, etwa in Arzneimitteln, deren Wirkung auf funktionellen PFAS-Seitengruppen basiert, oder in der Halbleiterherstellung, wo PFAS von inert bis hochreaktiv meist alternativlos sind. Auch nicht-polymere PFAS spielen dabei eine zentrale Rolle.
Modell der chemischen Struktur von Polytetrafluorethylen (PTFE). Aufgrund seiner Eigenschaften wird es etwa für Implantate oder Gefäßprothesen eingesetzt
PFAS-Verbot: Moderne medizinische Versorgung würde zusammenbrechen
Mindestens jede zweite Krankenhausbehandlung würde es ohne PFAS nicht geben. Wir sprechen von 30 Mio. Krankenhausbehandlungen pro Jahr in Deutschland. Medizinprodukte, wie beispielsweise Inkubatoren für Neugeborene, Herz-Lungen-Maschinen oder Dialysegeräte könnten nicht mehr genutzt werden, genauso wie die Endoskopie und minimalinvasive Chirurgie als wichtige Teilbereiche der diagnostischen und interventionellen Medizin. Erst mit den Fluorpolymeren wurde dieses medizinische Teilgebiet so erfolgreich, wie es heute ist. Gallenblase, Blinddarm, Leistenbruch, Uterus, Harnblase oder Prostata könnten nicht mehr schonend minimalinvasiv behandelt werden; ohne Narkosegeräte könnten sie nicht einmal offen-chirurgisch operiert werden. Über hunderttausend Medizinprodukte würden vom Markt verschwinden, die meisten würde es nach aktuellem Stand in der EU nach 18 Monaten Übergangsfrist nicht mehr geben, nicht einmal der Service oder die Reparatur von Bestandsgeräten im Krankenhaus wären erlaubt. Längere Übergangsfristen sind aktuell bei Medizinprodukten nur für Implantate, Schläuche oder Katheter vorgesehen. Aber was nützen mehr Jahre, wenn es absehbar keine Alternativmaterialien gibt? Fluor hat die stärkste Elektronegativität aller chemischen Elemente. Das macht Fluorpolymere so besonders. Die Politik sollte sich nicht anmaßen, die Natur zu überlisten. Am Ende droht der EU ein Rückfall ins letzte Jahrhundert, nicht nur in Bezug auf die medizinische Versorgung.
Abb 1.: Resektoskop zur minimalinvasiven Behandlung von Prostata, Blase oder Gebärmutter. Fluorpolymere werden gebraucht, um 5 unterschiedliche Funktionalitäten allein bei diesem Produkt sicherzustellen
Risikobasiert statt Bürokratie-Tsunami
Der derzeitige Ansatz mit weitreichenden Verboten und begrenzten Ausnahmen ist nicht praktikabel, der Jurist bezeichnet ihn als ‚Verbot mit Erlaubnisvorbehalt'. Er wird einen Bürokratie-Tsunami zur Folge haben, weil wir täglich neu verstehen, welche weiteren Anwendungsausnahmen geschaffen werden müssten. Die Zukunft ist offen und kann nicht vom allmächtigen Gesetzgeber vorhergesehen werden. Und nein: Verbote sind keine Innovationstreiber – Verbote fesseln Entwicklungsabteilungen, bekannte Lösungen in der Regel ‚anders und schlechter' umzusetzen. Warum? Weil „anders und besser“ durch den Wettbewerb automatisch erfunden wird. Sie fesseln auch Entwicklungsabteilungen, weil in der Zeit keine zukunftsgerichtete Innovation passiert, zumindest nicht mehr in Europa. Bei Medizinprodukten, wie in anderen hochregulierten Branchen, bedeutet das zeit- und kostenaufwendige Rezertifizierungen von Zigtausenden Produkten.
Wer nur bestimmte Anwendungen privilegiert, vergisst komplexe Lieferketten und verhindert Innovation. Unsere Lieferkette wäre nicht von einer anwendungsbezogenen Ausnahme für Medizinprodukte geschützt. Lieferketten, insbesondere für Nischenprodukte, werden an vielen Stellen zusammenbrechen, Abertausende Nischenprodukte, etwa für Kinder, würden unkontrolliert vom Markt verschwinden.
Wir fordern daher eine sofortige Neubewertung, auch um einer Deindustrialisierung nicht weiter Vorschub zu leisten. Risikobasiert zu regulieren heißt, dort hinzuschauen, wo es ‚unannehmbare Risiken' gibt, wie es REACH (Art. 68) vorsieht. Fluorpolymere gehören nicht in den Scope. Emissionen bei Herstellung und am Lebensende können gezielter anders reguliert werden und Umweltbelastungen können vermieden werden, z. B. bei Verbraucheranwendungen, deren Emissionen in die Umwelt sich nicht vermeiden lassen, wie bei Skiwachsen, Kosmetika oder bestimmten Lebensmittelverpackungen. Juristisch wäre das eine ‚Erlaubnis mit Verbotsvorbehalt'. Als Gesellschaft haben wir vorausschauende Politik sowie zielgerichtete Gesetze verdient. Wir sind fest davon überzeugt, dass man diese im Einklang mit den Zielen der Nachhaltigkeit realisieren kann. Zum Wohle von Mensch und Natur.
Ein Weckruf für uns Europäer
Insgesamt wird die EU als Produktionsstandort international zurückfallen, da Maschinen und Anlagen, die auf Langlebigkeit ausgelegt sind, oft Dichtungen und Schmiermittel aus PFAS-Substanzen benötigen. Wissen wir, ob für unsere Fertigungsmaschinen zukünftig Übergangsfristen greifen? Wissen wir, ob zum Ende von Übergangsfristen Alternativen verfügbar sind? Welche Sicherheit gibt das für Investitionsentscheidungen am Standort Europa?
‚Make America Healthy Again' lässt erwarten, dass Emissionen auch in den USA stärker in den Fokus kommen. Das ist der richtige Weg, Pauschalverbote, wie bei uns vorgesehen, sind es nicht. Günstigere Unternehmenssteuern in den USA bewirken Schwung für die US-Wirtschaft, ebenso beherzte Schritte, überbordende Regulierung abzubauen. Amerika setzt Anreize für die Industrie. Auch das ist ein Weckruf für Europa.
Die neue deutsche Bundesregierung könnte ein Zeichen setzen und ihren Vorschlag bei der ECHA zurückziehen, um einen stärker risikobasierten Vorschlag vorlegen zu können. Auch die neuformierte EU-Kommission bietet die einmalige Chance, nun politisch starke Signale und Pull-Faktoren für unsere Industrie zu senden. Für die kommende Legislatur brauchen wir jetzt einen ‚Industrial Deal'. Einen solchen ‚Clean Industrial Deal' stellt die Kommission über die gerade begonnene Legislatur, mit der Ansage, Wettbewerbsfähigkeit und Wachstum wieder in den Mittelpunkt zu stellen. Das ist gut und das wollen wir aktiv unterstützen.
Dennoch sind wir beim Thema PFAS noch nicht auf dem richtigen Weg. Nehmen wir diesen Weckruf ernst und nehmen wir ihn in unser Tagesgeschäft und stellen auch in unserem Umfeld dar, worauf Wohlstand und der erreichte Lebensstandard beruhen. Lassen Sie uns weiterhin wachsam und engagiert bleiben. Die offizielle deutsche Übersetzung des ‚Clean Industrial Deal' lautet übrigens: ‚Clean Deal für die Industrie'. Für mich klingt die deutsche Übersetzung wie Nachsitzen, nicht wie ein positiver Impuls für die Gesellschaft.