Im zweiten Teil unseres Nachberichts zu den Highlights der Münchner Messen beschäftigen wir uns mit ausgewählten Vorträgen und Podiumdiskussionen, die wir besucht haben. Insgesamt sechs Foren boten auf der electronica ein reiches Rahmenprogramm zum Wissenstransfer, hinzu kamen die Foren und Konferenzen der SEMICON Europa.
Geballtes Fachwissen und neue Impulse bot das umfangreiche Rahmenprogramm der electronica. Auf sechs Bühnen vermittelten Experten in anwendungsorientierten Vorträgen ihr Wissen zu nahezu allen Anwendungsfeldern der Elektronik. Beispielsweise startete das Forum ‚PCB, EMS & Components' am ersten Messetag mit interessanten Beiträgen.
Neue zusätzliche Schwerpunkte im Forenprogramm waren AI Machine Learning, Industrial Control und Women in Tech. Die Themen Nachhaltigkeit und Kreislaufwirtschaft hatten einen hohen Stellenwert, sei es in den Vorträgen, in Diskussionsrunden oder bei speziellen Touren. Ein weiterer Fokus lag auf den Fachkräften von morgen: Die Plattform ‚Fast Forward' bot Start-ups eine Bühne, um ihre Innovationen zu präsentieren, in der Career Area informierten persönliche Beratungsangebote und eine Online-Jobbörse über Berufsperspektiven in der Elektronikindustrie. Sehr großen Anklang fand auch der Young Talents Day für Schüler und Studierende am letzten Messetag.
Thomas Winkel, Viscom, verglich in seinem Vortrag: ‚Für höchste Taktzeitansprüche: 3D AXI Prüfung vs. KI-Void-Analyse‘ die heute verfügbaren Lösungen, Voids in Lötverbindungen aufzuspüren.
Jan Pedersen, NCAB Group Germany, referierte über UHDI und IC-Substate und in einem späteren Vortrag über nachhaltige Leiterplatten.
Andreas Beck, Phoenix Contact, erläuterte, welche Vorteile die bei Gleichspannungssteckverbindern den Lichtbogen vermeidende neue ArcZero- Technologie hat, und verdeutlichte, dass diese ein Wegbereiter für energieeffiziente DC-Netze in der Industrie ist.
Bernhard Wieser und Roland Palkovich, BECOM, erörterten, wie die Time-to-Market neuartiger Konzepte durch präzise Validierung in modernsten Prüflabors für EMV, Umweltsimulation und Analytik beschleunigt werden kann, und verdeutlichten, dass die Validierung als Schlüssel für die Innovationskraft der Zukunft immer wichtiger wird.
Gedämpfte Stimmung bei Leiterplattenherstellern und EMS-Unternehmen
Erneut war ein Großteil der Leiterplattenhersteller und EMS-Unternehmen auf der Münchner Messe vertreten. Angesichts der momentanen Flaute, die sich abhängig von deren Kunden unterschiedlich stark auswirkt, war die Stimmung überwiegend gedämpft. Die meisten blicken allerdings hoffnungsvoller ins nächste Jahr, wo wieder steigende Auftragszahlen erwartet werden. Schließlich funktioniert ohne Leiterplattenhersteller und EMS-Unternehmen die gesamte Elektroniklieferkette nicht. Gustl Keller
Vorträge und Podiumsdiskussionen electronica
Auf der ‚Power Efficiency Stage' wurde über SiC- und GaN-Technologien diskutiert. Den Diskutanten zufolge sind die Chancen für Consumer-Elektronik, Automotive, Datenzentren und erneuerbare Energien riesig, zumal diese Technologien in den kommenden fünf Jahren voraussichtlich weitere Quantensprünge machen werden. Beispielhaft wurde genannt, dass Wärmepumpen durch Galliumnitrid eine Effizienzsteigerung von 50-70 % erzielen könnten. Fast unglaublich klang, was Guy Moxey, Wolfspeed, für den Automotive-Bereich in Aussicht stellte: eine Verbesserung der Zuverlässigkeit und Lebensdauer durch GaN-Technologien um Millionen (!) möglichen Benutzungszyklen. Florin Udrea, Cambridge GaN Devices, erinnerte aber an die beträchtlichen Kosten von Galliumnitrid. Seiner Ansicht nach könnte GaN auf SiC einen Kompromiss darstellen.
Podiumsdiskussion über SiC- und GaN-Technologien (Moderation: Maurizio Di Paolo Emilio)
Über die Situation sowie die Chancen und Risiken der EMS Industrie referierte Dieter G. Weiss, in4ma, auf dem Forum ‚PCB, EMS & Components‘ anhand von MarktdatenAuf dem Forum ‚PCB, EMS and Components' trug Dieter G. Weiss über die Chancen und Risiken der EMS-Industrie vor – wie man es von ihm gewohnt ist – mit offenen Worten und ausgestattet mit üppigem Zahlen- und Datenmaterial. Er las der Branche oder auch den Auguren ihrer Entwicklung die Leviten. Die Wachstumszahlen 2022-2023 seien vor allem bei den Komponentenherstellern gelandet, und EMS hätte sich die Lager gefüllt. Dabei sei laut Dieter Weiss die Chipknappheit ein ‚Missverständnis ' gewesen und hätte als selbsterfüllende Prophezeiung gewirkt. Inzwischen sei aber laut aktuellen Zahlen die Verzerrung sichtbar geworden. Die Distributoren hätte es am härtesten getroffen. Dieter Weiss warnte ebenfalls vor der Lage der europäischen Leiterplattenindustrie, die gewissermaßen Leidtragende durch ‚erzwungene' Kosteneinsparungen geworden sei. Wenn das so weitergehe, so Weiss' düstere Prognose, würden von den nur noch ca. 170 europäischen (vor allem kleinen und mittleren) Herstellern bald 40 weitere die Segel streichen. Insgesamt handelte es sich um einen sachlichen und offenherzigen Vortrag, der exakt das Zeitfenster ausfüllte (Weiss mit Stolz: „... neun Sekunden sind sogar noch übrig ...“) und die Zuhörer in den Bann schlug – auch wenn der Inhalt sicher nicht alle erfreute.
Gut besucht war auch die prominent besetzte Podiumsdiskussion ‚Für ein starkes Mikroelektronik-Ökosystem in Europa: EMS als Schrittmacher', die den Versuch unternahm, trotz der schwierigen wirtschaftlichen Lage der EMS-Branche Zukunftschancen auszuloten. Markus Aschenbrenner, Zollner Elektronik, betonte die Wichtigkeit, das gesamte europäische Ökosystem der Elektronik zu stärken ... sonst drohten wichtige Kompetenzen verloren zu gehen. Laut Michael Velmeden, CEO von cms electronics, sei die Politik am Zuge, um die Wirtschaft zu stimulieren. Das gehe auf verschiedenen Wegen, nicht allein durch klassische Subventionen: Velmeden nannte als Beispiel die Förderung von Forschung und Wissenschaft. Diskutiert wurden auch die Unterschiede zwischen dem US-amerikanischen ‚Chips and Science Act' und dem europäischen Chipgesetz – dies sei in den USA alles sehr viel besser und umfassender gelöst worden. Carsten Ellermeier, CEO von PRETTL, sprach die Energiepolitik an. Er wünsche sich sehr, dass deutlicher kommuniziert werde, wie wichtig bezahlbare Energie eben auch zur Produktion kritischer Infrastuktur (z. B. in der Elektronik) sei. Michael Velmeden äußerte Unverständnis, dass es im Zuge der Energiewende nicht gelungen sei, den Energietransfer von Norden nach Süden (Wind- und Wasserkraft) zu bewerkstelligen – dies aber wäre angesichts des Ausstiegs aus der Nuklearkraft von enormer Wichtigkeit gewesen. Ali Sahin, EPSa-Elektronik, stellte der EMS das Zeugnis aus, gerade durch die Erfahrung der Nach-Corona-Zeit die Lieferketten vorausschauend sicherer gemacht zu haben – eben auch durch eine Aufstockung der Lagerbestände. Stefan Rückbrod, Hekatron, schloss mit einem zuversichtlichen Appell: Man solle sich in Erinnerung rufen, dass Deutschland ein Land der Ingenieure sei. Darin läge eine unglaubliche Kraft, die man nur wieder anzapfen müsse. Markolf Hoffmann
Podiumsdiskussion zur Lage der EMS-Branche (Moderation: Karin Zülke)
Vorträge SEMICON Europa
Die Physikerin Dr. Heike Riel, IBM, sprach auf dem Forum ‚III-V Summit – Integrated Photonics' über Q System One, den laut IBM weltweit ersten schaltkreisbasierten kommerziellen Quantencomputer – und über die faszinierenden Technologien elektronischer und fotoelektrischer integrierter Schaltungen, neue spektakuläre Materialien wie Niobphosphid und das Potential, den Von-Neumann-Flaschenhals der Computerarchitekturen zu umgehen. Mit diesem erklärte der Mathematiker John von Neumann (1903-1957) die Einschränkung des Durchsatzes der gängigen PC-Architekur.
Einen Vortrag, der nicht nur an der Oberfläche kratzte, sondern diese zum Thema machte, hielt Miika Mattinen, Universität Helsinki: Er sprach mit Enthusiasmus über die Atomic Layer Deposition (ALD) von 2D-Materialien in der Elektronik und Energietechnologie, v. a. TMDC (Übergangsmetall-Dichalcogenid-Monoschichten). Dies ermögliche zukunftsweisende MEMS- und NEMS-Bauelemente und eröffne neue Forschungssichtweisen. Markolf Hoffmann
Weitere Messeneuheiten
Multifunktionales Inspektionssystem von GöpelDie neue Multi Line-Plattform von Göpel electronic vereint verschiedene Prüfaufgaben wie die Inspektion von SMD- und THT-Baugruppen, die Lotpasteninspektion und die Schutzlackkontrolle und verfügt über eine einheitliche, komfortable Bediensoftware. Das Multi Line-Basissystem kann dazu mit Modulen für AOI, SPI und CCI ausgestattet werden. Zudem bietet es weitere, kundenspezifische Konfigurationsmöglichkeiten, wie z. B. die beidseitige 3D-Inspektion ohne Wenden der Baugruppe.
Mit dem neuen KI-gestützten smartTCA ist es möglich, die Testabdeckung ohne manuelle Klassifizierung von Bauteilen oder Netzwerken, ohne Zuordnung von Bibliotheksmodellen und ohne das Anlegen von Tests zu analysieren. Nach dem Import der CAD- und Board-Daten muss man nichts mehr tun. Denn smartTCA macht es automatisch: Die KI erkennt die Bausteinstrukturen sowie die Architektur des Boards und kalkuliert die theoretisch mögliche, geschätzte Testabdeckung auf Pin, Netz und Device-Level.
Siemens Digital Industries Software informierte über seine KI-gestützte Software der nächsten Generation für das Design von Elektroniksystemen. Die Plattform unterstützt den kompletten Ablauf vom IC-Packaging-Design bis hin zur Produktindustrialisierung (NPI). Die Weiterentwicklung verfolgt einen integrierten multidisziplinären Ansatz und vereint die Xpedition-, Hyperlynx- und PADS Professional-Software mit Cloud-Konnektivität und KI-Funktionen, um die Grenzen der Innovation im Design elektronischer Systeme zu verschieben. Die neue Software ist darauf ausgerichtet, hochintuitive Tools bereitzustellen, um den Mangel an Fachkräften zu beheben und den Designern eine schnelle Anpassung mit minimalen Lernkurven zu ermöglichen. Sie bietet vorausschauendes Engineering und neuartige KI-Unterstützung. Die Cloud-Konnektivität erleichtert die Zusammenarbeit entlang der Wertschöpfungskette und ermöglicht den Zugang zu spezialisierten Dienstleistungen und Ressourcen. Die Designer können sich so schnell an geänderte Anforderungen anpassen und erhalten Einblicke in die Lieferkette. Zudem wird die Zusammenarbeit mit Stakeholdern unabhängig vom Standort vereinfacht. Die Software bietet zudem eine verbesserte Integration mit der Teamcenter-Software von Siemens für das Produktlebenszyklusmanagement und der NX-Software für die Produktentwicklung. Dies ermöglicht eine Multi-BOM-Unterstützung und eine engere Zusammenarbeit zwischen ECAD- und MCAD-Domänen. Für erhöhte Sicherheit bietet die Software rigide Datenzugriffsbeschränkungen, die konfiguriert und geolokalisiert werden können, sodass der Schutz kritischer Design-IP sichergestellt ist.
Im Rahmen der electronica 2024 hat das Startup-Unternehmen Q.ANT die Fachpresse darüber informiert, mit der Q.ANT Native Processing Unit (NPU) den ersten kommerziellen Photonik-Prozessor auf den Markt zu bringen. Die NPU basiert auf der firmeneigenen Rechenarchitektur LENA (Light Empowered Native Arithmetics). Das Produkt baut auf dem Industriestandard PCI-Express auf, sodass es mit dem heutigen Computing-Ökosystem kompatibel ist. Die Q.ANT NPU kann komplexe, nichtlineare Berechnungen nativ mit Photonen statt mit Elektronen ausführen. Die neue Technologie verspricht eine mindestens 30-mal höhere Energieeffizienz und signifikante Verbesserungen der Rechengeschwindigkeit gegenüber der herkömmlichen CMOS-Technologie. Gustl Keller
Günther Ziegler (rechts) mit Gerald Schwager-Rännar, Redaktion PLUS, auf dem Kingshine-Stand
Katek war zusammen mit Beflex erstmals auf dem Kontron Stand vertreten

18. – 21 November 2025 in München statt.
Die nächste electronia öffnet vom 10. – 13. November 2026 ihre Pforten.
www.electronica.de, www.semiconeuropa.org