Problematisch, aber unverzichtbar – Das PFAS-Dilemma aus Sicht der Elektro- und Digitalindustrie

Modell der chemischen Struktur des Polymers Polytetrafluorethylen (PTFE). Seine Eigenschaften werden bei der Produktion von HighTech-Produkten hochgeschätzt

Per- und polyfluorierte Alkylsubstanzen (PFAS) sollen EU-weit umfassend reguliert werden. Aktuelle Vorschläge berücksichtigen nicht, dass ein umfassendes Verbot auch negative Folgen für die Gesellschaft einschließlich der Industrie hätte.

Der ZVEI und seine Mitglieder wissen: Die PFAS-Gruppe enthält problematische Stoffe. Der Umgang mit ihnen steht zu Recht im Fokus. Es ist richtig, ihre Emissionen in die Umwelt bestmöglich zu verhindern und einzelne Stoffe mit unkontrollierbaren Risiken gezielt zu regulieren. Selbstverständlich muss die Industrie verantwortungsvoll mit gefährlichen Stoffen umgehen. Unsere deutliche Kritik an dem geplanten Regulierungsvorschlag im Rahmen der EU-REACH-Verordnung richtet sich nicht gegen das Ob, sondern gegen das Wie.

Die Bedeutung für Hightech-Produkte

Das erste von mehreren Dilemmata bei der Beschränkung besteht darin, dass viele Verbindungen der PFAS-Familie eine enorme Bedeutung für Hightech-Produkte haben. Alternativen sind in vielen Fällen auf absehbare Zeit noch nicht in Sicht. Ein Verbot mit wenigen Ausnahmen und kurzen Übergangsfristen, wie vor zwei Jahren von Deutschland und vier weiteren europäischen Staaten vorgeschlagen, hätte weitreichende Folgen für Wirtschaft und Gesellschaft. Darüber hinaus gefährdet eine nicht ausreichend differenzierte Regelung strategische Ziele Deutschlands und Europas, wie technologische Souveränität, Energiewende, Gesundheit, Digitalisierung und Verteidigungsfähigkeit.

Haltbarkeit und Persistenz

Die Kohlenstoff-Fluor-Bindung macht PFAS chemisch sehr stabil, was sich positiv auf die Haltbarkeit und Widerstandsfähigkeit von Produkten und Materialien auswirkt. Daraus ergibt sich das zweite Dilemma: Die gewünschte Langlebigkeit im Produkt wird zum Nachteil, wenn die Stoffe in die Umwelt gelangen. Dann spricht man negativ von Persistenz. Die Stoffe zerfallen nicht, reichern sich in der Umwelt an und können sich dort ausbreiten. Was in der Diskussion jedoch zu kurz kommt: Alternative Stoffe und Materialien mit vergleichbaren Eigenschaften sind oft ebenfalls persistent und daher Gegenstand paralleler Regulierung, wie etwa die Pläne für eine Flammschutzmittelstrategie der ECHA zeigen.

Fluorpolymere: Chemische Verbindungen mit einzigartigen Eigenschaften

PFAS – das sind über 10.000 verschiedene Verbindungen. Nicht alle werden industriell genutzt, nicht alle haben dieselben physikalischen, chemischen und toxikologischen Eigenschaften. Es gibt feste, flüssige und gasförmige PFAS, es gibt giftige PFAS und völlig inerte, die sogar in chirurgischen Instrumenten oder künstlichen Herzklappen verwendet werden.

Grund für die hohe technische Relevanz der PFAS ist ihre einzigartige Kombination technischer Eigenschaften. Dies kommt insbesondere bei Fluorpolymeren zum Tragen: Sie widerstehen extremen Drücken und Temperaturen sowie aggressiven Chemikalien, sind zugleich gut desinfizierbar, physiologisch inert, haben einen geringen Reibungswiderstand und hohe elektrische Isolationswirkung, sind wasser- und stoffabweisend. Fluorpolymere verringern den Wartungsbedarf von Anlagen, reduzieren Ausfallzeiten in der Produktion und die Ausfallraten kritischer Infrastruktur. Ihre Eigenschaften erhöhen die Langlebigkeit und die Sicherheit. Die Kehrseite der Medaille: Zur Herstellung von Fluorpolymeren werden oft noch kurzkettige, problematische PFAS benötigt. Auch der Umgang mit fluorpolymerhaltigen Abfällen bedarf weiterer Klärung.

Brandschutzübung mit Löschschaum an einem Öltankwagen. Durch solche Übungen wie auch nach Löscheinsätzen realer Brandfälle, etwa in Flughafennähe, gelangte PFAS massenhaft in die NaturBrandschutzübung mit Löschschaum an einem Öltankwagen. Durch solche Übungen wie auch nach Löscheinsätzen realer Brandfälle, etwa in Flughafennähe, gelangte PFAS massenhaft in die Natur

Risikobasierte Regulierung statt Pauschalverbot

Über die Persistenz fast aller PFAS hinaus unterscheiden sich ihre Untergruppen erheblich. Daher sollte man sie auch regulatorisch nicht über einen Kamm scheren. Fluorpolymere gelten in der Gebrauchsphase im Allgemeinen als sicher, anders als z. B. die monomeren seifenartigen Perfluorcarbon- oder Perfluorsulfonsäuren oder die seitenkettenfluorierten Polymere. Aber auch bei den in der Gebrauchsphase unbedenklichen PFAS sind Herstellung und Entsorgung trotz Fortschritten noch problematisch. Aus Sicht des ZVEI sollte die Regulierung gezielt an diesen Stellen im PFAS-Lebenszyklus ansetzen: Kontrolle und Vermeidung von Emissionen, etwa im Emissions- und Abfallrecht. Sichere Verwendungen müssen aber weiterhin möglich sein.

Die Suche nach Ersatzstoffen ist komplex

Die Unternehmen in der Elektro- und Digitalindustrie suchen mit ihren Zulieferern intensiv nach Alternativen. Zur Wahrheit gehört aber auch: Selbst wenn geeignete Ersatzstoffe und Verfahren gefunden werden, sind diese in der Regel nicht sofort in großem Umfang einsetzbar. Produkte und ihre Produktion können nicht von heute auf morgen umgestellt werden. Entwicklung, Prüfung und Zertifizierung brauchen Zeit und binden viele Partner in der Wertschöpfungskette ein. Es gelten europäische und internationale Produktanforderungen und Normen, die unter anderem aus Sicherheitsgründen den Einsatz von Fluorpolymeren vorschreiben. Bei Fluorpolymeren kann oft nicht ein einziger Werkstoff alle Anforderungen erfüllen. Daraus folgt, dass das Produktdesign komplett geändert werden muss.

Für einige Anwendungen wird die Suche auch viel länger dauern, als es der vorliegende Beschränkungsvorschlag vorsieht, und in einigen Fällen werden Alternativen vielleicht nie gefunden werden. Eine Substitution für einen Anwendungsfall ist nicht ohne Weiteres auf andere Anforderungsprofile übertragbar.

Beispielsweise erfordern hochpräzise Fertigungsprozesse in der Halbleiterindustrie den Einsatz von PFAS. Im Laufe der Jahrzehnte wurde die Herstellung optimiert. Technologien zur Absaugung der Abluft und zur thermischen Zerstörung problematischer Abgase (Abatement) minimieren die Emissionen weitgehend. Ohne PFAS müsste der Prozess möglicherweise neu erfunden werden, die Entwicklung ginge zurück auf ‚Start'. Forschungsprojekte laufen, werden aber viele Jahre, wahrscheinlich sogar Jahrzehnte dauern. Viele weitere prominente Beispiele belegen die technologische Bedeutung von PFAS. Elektrofahrzeuge, die PFAS unter anderem in Batterien, Hochvoltverkabelungen und Getriebekomponenten einsetzen, wären ohne PFAS heute nicht denkbar. In Wärmepumpen, die hinsichtlich ihrer Effizienz andere Heizungstechnologien deutlich übertreffen, werden teilweise noch PFAS-haltige Kältemittel eingesetzt. Zwar gibt es für einzelne Anforderungsprofile schon Substitute, die Behauptung, es gäbe PFAS-freie Wärmepumpen, führt jedoch in die Irre: Jede Wärmepumpe besteht neben dem Kältemittel aus Dichtungen und elektronischen Bauteilen, für die noch PFAS nötig sind. Ähnlich ist die Situation bei anderen grünen Technologien: Bei der Wasserstoffelektrolyse, Brennstoffzellen und Li-Ionen-Batterien zeigt die Suche nach Ersatzstoffen erste Erfolge. Es bleibt abzuwarten, ob und wann die Verfahren marktreif werden.

Rotorblätter für Windkraftanlagen sind nach heutigem Stand der Technik schon PFAS-frei, beim Gießen der Rotorblätter sind jedoch Fluorpolymerfolien nötig, damit sich die Blätter leicht aus der Form lösen lassen. Andernfalls drohen kleinste Verformungen, die einen geringeren Wirkungsgrad und höhere Laufgeräusche zur Folge haben. Auch viele elektronische Komponenten in der Windkraftanlage und manche Komponenten zur Einspeisung und Weiterleitung des Stroms können derzeit nicht ohne PFAS hergestellt werden. Intelligente, effiziente, digitale Stromnetze sind ohne PFAS-basierte Netzkomponenten und Steuerungen mit Halbleitern nicht denkbar.

Anlagen und Produkte mit einer langen Lebensdauer von bis zu mehreren Jahrzehnten müssen mit PFAS-haltigen Originalersatzteilen gewartet und repariert werden können, sonst würden viele Produkte und Anlagen vorzeitig zu Schrott. Dies wäre alles andere als nachhaltig und umweltverträglich. Eine zukünftige Beschränkung von PFAS muss dies berücksichtigen.

Wir befürchten, dass ein unausgewogenes Verbot viele Technologien und Geräte, die unsere moderne Gesellschaft prägen, unmöglich machen würde. Wir müssen uns als Gesellschaft dessen bewusst sein, dass Errungenschaften und Produkte mit Risiken einhergehen können. Die Entscheidung darüber, welche Risiken wir zu tragen bereit sind oder auf welche Errungenschaften und Produkte wir in Europa verzichten wollen, sollte in einem transparenten Verfahren geklärt werden.

In der Produktion von Rotorblättern für Windkraftanlagen werden Fluorpolymerfolien eingesetzt.In der Produktion von Rotorblättern für Windkraftanlagen werden Fluorpolymerfolien eingesetzt.

‚Verbraucher' versus ‚Industrie'?

Dänemark, Frankreich sowie einzelne US-Bundesstaaten haben jüngst bereits Gesetze auf den Weg gebracht, die eine Verwendung von PFAS in Produkten für die breite Öffentlichkeit (Consumer Uses) verbieten. Auch die europäische Kommission hat angekündigt, PFAS in Verbraucheranwendungen verbieten, hingegen „essenzielle industrielle Anwendungen“ weiter ermöglichen zu wollen. Wenn es sich um einfache Produkte wie etwa Einweg-Lebensmittelverpackungen, Kosmetika oder Imprägniersprays handelt, bei denen Menschen den Stoffen direkt ausgesetzt sind, leuchtet das ein. Für eine Vielzahl dieser Anwendungen existieren zudem bereits Substitute. Unstrittig ist jedoch, dass Fluorpolymere sowohl in industriellen Anwendungen als auch im privaten Bereich sicher eingesetzt werden können.

Der Gesetzgeber muss daher klären, wie er Verbraucherprodukte und -anwendungen definiert. Gehören auch Smartphones, Autos, Computer, Waschmaschinen und Kaffeemaschinen dazu? Ohne PFAS-haltige Komponenten funktionieren sie nicht wie gewohnt oder haben eine deutlich verkürzte Lebensdauer. Ein vollständiges und sofortiges Verbot von PFAS in diesen Anwendungen hätte negative Folgen für Technologien, die für unsere heutige Gesellschaft selbstverständlich sind. Entscheidend aus unserer Sicht: Exposition und Risiko sind umfassend zu betrachten, eine Schwarz-Weiß-Einteilung in Industrie- und Konsumgüter hilft nicht weiter.

Fehlende Strategie und Transparenz

Ein weiterer Kritikpunkt am Beschränkungsvorschlag ist die fehlende Ausrichtung an der regulatorischen Strategie der europäischen Chemikalienagentur (ECHA). In der EU sollen alle PFAS beschränkt werden. Der Beschränkungsvorschlag enthält jedoch keine abschließende Liste mit CAS- oder EC-Nummern der Stoffe im Geltungsbereich. Bis auf wenige Ausnahmen gibt es auch keine harmonisierte Einstufung von PFAS nach den Gefahrenklassen der CLP-Verordnung, und auch die Identifizierung als ‚Substances of Very High Concern' (SVHC) mit Aufnahme in die REACH-Kandidatenliste ist nur für wenige Einzelverbindungen der PFAS-Gruppe erfolgt, für die große Mehrheit jedoch nicht. Deshalb kennen Unternehmen bis heute nicht alle Anwendungen von PFAS in ihren Produkten und Prozessen, was aber die Voraussetzung für eine Substitution wäre.

Unternehmen in der Elektro- und Digitalindustrie kaufen häufig fertige Erzeugnisse ein und verarbeiten diese weiter, gehen also nicht direkt mit chemischen Gemischen um. Die vollständige chemische Zusammensetzung dieser Zukaufteile, die oft aus vielen verschiedenen Einzelteilen und Materialien bestehen, ist ihnen in der Regel nicht bekannt. REACH Art. 33(1) sieht eine Informationspflicht für Stoffe der REACH-Kandidatenliste in Erzeugnissen vor: Wenn ein Kandidatenstoff mit einem Masseanteil von mehr als 0,1 % in einem Erzeugnis enthalten ist, muss diese Information entlang der Lieferketten an den direkten gewerblichen oder industriellen Abnehmer weitergegeben werden. Dadurch wird im Laufe der Zeit eine recht gute Transparenz über die Verwendung dieser ‚Kandidatenstoffe' in Erzeugnissen erreicht. Diese Verpflichtung gilt nicht für PFAS und allgemein für ‚Kandidatenstoffe für Beschränkungen', sondern nur für Kandidatenstoffe für das Zulassungsverfahren unter REACH.

Auch der zeitliche Versatz zwischen dem Inverkehrbringen eines Produktes, dem Inkrafttreten eines Stoffverbots und dem Eintritt des Produktes in die Abfallphase zeigt ein Dilemma auf, das nur politisch gelöst werden kann: Was heute zu Abfall wird, enthält oft Stoffe, die vor Jahrzehnten noch nicht geregelt waren, heute aber Beschränkungen unterliegen. Wie solche Materialien im Kreislauf geführt werden können, ist unklar. Historische Belastungen dürfen nicht mit aktuellen Anwendungen und deren Emissionen gleichgesetzt werden. Ein sicherer und sachgerechter Umgang mit Abfällen nach dem Stand der Technik hilft dabei, ungewollte Emissionen zu vermeiden. Altgeräte werden seit Jahrzehnten getrennt gesammelt und einer ordnungsgemäßen und fachgerechten Verwertung und Behandlung zugeführt.

Lösung für PFAS-Dilemmata erfordert Sachlichkeit und Kooperation

Wie die genannten Beispiele zeigen, ist der Beschränkungsvorschlag aus unserer Sicht dringend verbesserungsbedürftig. Der derzeitige Ansatz, alle PFAS und alle Verwendungen in einem einzigen Verfahren regulieren zu wollen, ohne zuvor wichtige regulatorische Voraussetzungen geschaffen zu haben, birgt viele Unwägbarkeiten und sprengt den für das Verfahren vorgesehenen Zeitrahmen. Der Sektor ‚Halbleiter und Elektronik' wird voraussichtlich im Juni 2025 erstmals zur Beratung auf der Tagesordnung der Ausschüsse stehen. Der weitere Zeitplan bis zum Inkrafttreten eines Verbots ist unklar. Wir rechnen aktuell nicht vor 2028 damit.

Dies bedeutet für die betroffenen Unternehmen eine erhebliche Planungs- und Investitionsunsicherheit, die aus unserer Sicht durch ein abgestuftes, zielgerichtetes und vor allem auch international abgestimmtes Vorgehen hätte vermieden werden können.

Ein europäischer Alleingang birgt zudem die Gefahr, dass Produktion und Know-how aus der EU in Regionen mit weniger strengen PFAS-Regelungen abwandern. Dies würde nicht nur den ohnehin angeschlagenen Industriestandort Europa schwächen, sondern könnte in letzter Konsequenz – den gut gemeinten Zielen der EU zum Trotz – sogar zu einer höheren globalen Umweltbelastung führen.

Insgesamt erfordert die Lösung des PFAS-Dilemmas eine sorgfältige Abwägung zwischen ökologischen und technologischen Erfordernissen. Eine ausgewogene, wissenschaftlich fundierte Regulierung, die risikobasiert vorgeht und die Balance zwischen Umwelt- und Gesundheitsschutz, technologischer Innovation und wirtschaftlicher Wettbewerbsfähigkeit wahrt, ist der Schlüssel für eine nachhaltige Zukunft. Nur durch eine enge Zusammenarbeit von Politik, Wirtschaft und Wissenschaft lässt sich ein Weg finden, der den Herausforderungen gerecht wird und gleichzeitig die Chancen der technologischen Entwicklung nutzt. Der ZVEI wird sich im Dialog mit allen Beteiligten weiter dafür einsetzen, dass dieser Spagat gelingt.

  • Titelbild: Modell der chemischen Struktur des Polymers Polytetrafluorethylen (PTFE). Seine Eigenschaften werden bei der Produktion von HighTech-Produkten hochgeschätzt
  • Ausgabe: März
  • Jahr: 2025
  • Autoren: Dipl.-Chem. Kirsten Metz, ZVEI e.V.
  • Link: https://www.zvei.org/
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