Diese Seite drucken
Montag, 19 Oktober 2020 08:59

Alle Jahre wieder [1]

von
Geschätzte Lesezeit: 3 - 6 Minuten
Abb. 1: Komet Neowise am 14. Juli 2020 hinter einer Kirche des Dorfes Korma im Bezirk Dobrush, Belarus Abb. 1: Komet Neowise am 14. Juli 2020 hinter einer Kirche des Dorfes Korma im Bezirk Dobrush, Belarus Grigory Bruev - stock.adobe.com

Während alle, die das Erscheinen von Neowise versäumt haben, nun 5825 Jahre warten müssen, brauchen sich christliche Kinder jeweils nur ein Jahr gedulden, bis ein geschweifter Stern wieder auftaucht – in zahllosen, meist elektrifizierten Kopien zumindest, sobald es demnächst weihnachtet. In der elektronischen Industrie hingegen geben die Neuerungen den Stab weitaus schneller weiter und die wachsende Durchdringung des Alltags durch Elektronik ist für den Durchschnittsbürger oft nicht mehr bemerkbar.

Während Bürger, Politiker(innen) und Journalisten sich noch über 5G-Technik erregen, wird Google bald 6G in 17 Staaten (Arizona, California, Colorado, Florida, Georgia, Illinois, Iowa, Kansas, Nebraska, Nevada, New York, North Carolina, Oklahoma, Oregon, Texas, Utah und Virginia.) erproben [2]. Natürlich sind alle jene Anbieter, die nicht hinten vom Pferd runterfallen wollen, schon längst genauso weit oder gar weiter [3]. Zu viel Geld steht auf dem Spiel.Abb. 2: Herzschrittmacher im Körper eingesetztAbb. 2: Herzschrittmacher im Körper eingesetzt (Bild: Wikipedia.org)

Mit den zunehmenden Frequenzen wird die Kommunikation zwischen den einzelnen Geräten immer effizienter, was sich auch direkt beim Menschen auswirkt. Der Herzschrittmacher ist ja bereits ‚alter Tobak', denn schließlich wurde der erste 1958 einem Patienten namens Arne Larsson in Stockholm eingesetzt.

plus 2020 10 0011Abb. 3: Cochlea-ImplantatWeniger bekannt sind die Ohrimplantate. Vermarktet als ‚cochlea implants' wurden sie seit etwa 1980 mehrere hundertausend Mal verwendet. Statt den Klang zu verstärken, wie das bei normalen Hörgeräten der Fall ist, umgehen Cochlea-Implantate beschädigte Teile des Ohrs und stimulieren direkt den Hörnerv. Vom Implantat erzeugte Signale werden über diesen an das Gehirn gesendet, das die Signale als Schall erkennt und verarbeitet. Noch unterscheidet sich das ‚Gehörte' aber vom natürlichen Klang.

Vom Ohr zum Auge: Im März 2011 wurde die Verwendung der Argus II in der Europäischen Union zugelassen. Dabei handelt es sich um ein bionisches Auge, welches von der Firma ‚Second Sight Medical Products' hergestellt wird. Die Argus-Netzhautprothese ist ein elektronisches Netzhautimplantat und wird als visuelle Prothese verwendet, um das Sehvermögen von Menschen mit schweren Fällen von Retinitis pigmentosa zu verbessern.

Die Anzahl solcher und ähnlicher Prothesen nimmt beinahe lawinenartig zu. Sie werden in den Körper implantiert oder auf der Haut befestigt und können mit der 5G-Technik jetzt nicht nur Daten untereinander austauschen sondern auch an eine Zentralstelle übermitteln. Ob damit nun die Temperatur im Haus so geregelt wird, dass sie dem Bewohner am angenehmsten ist oder ob er darauf aufmerksam gemacht wird, dass seine nächste Tablette fällig wird – hier zeigt sich, welche Möglichkeiten bestehen.Abb. 4: Prinzip von Argus IIAbb. 4: Prinzip von Argus II

Es ist auch so, dass sobald etwas Nützliches erfunden wird, der Mensch sofort darüber nachdenkt, wie man es zum Vorteil beim Morden und Zerstören umfunktionieren kann: Der Fortschritt beim Militär ist bemerkenswert, und ob es sich nun um Drohnen handelt oder aber um neuartige Schusswaffen – ohne die Weiterentwicklungen der Elektronik kommen sie alle nicht aus.

Gerade hat Elon Musk einen weiteren Fortschritt angekündigt. Mit Neuralink will er unser Gehirn mit der KI synchronisieren, was er vorsichtshalber nicht an sich selbst, sondern an einigen unschuldigen Schweinchen demonstrierte.

Das (Fern-?)Ziel ist es, ein neuronales Implantat zu entwickeln um das menschliche Gehirn mit der KI zu synchronisieren, so dass es dem Individuum ermöglicht, Computer, Gliedmaßenprothesen und andere Maschinen nur mit Gedanken zu steuern. Man kann sich sicher schon jetzt freuen, welch riesiges Gebiet sich da für die Hacker-Szene eröffnet.

Selbstfahrende Autos brauchen ja nicht einmal mehr Passagiere und bald wird man sehen, wie sie sich zum Kaffeeklatsch auf der Wiese treffen und ihren Cappuccino, der natürlich von Robotern bereitet und von Roboterdamen serviert wird, genüsslich schlürfen. Elektronische Sensorik für den Geschmack sind ja bereits in der Entwicklung und sollten den Automobilen nicht vorenthalten werden.Abb. 5: Vernetzte SoldatenAbb. 5: Vernetzte Soldaten

Nun aber nicht gleich das Kleinkind mit dem Badewasser ausschütten: Man kann sich auch insgeheim über die Aussagen einiger Programmierer und übereifriger Manager amüsieren, die immer wieder vorpreschen und Behauptungen aufstellen, die Künstliche Intelligenz modelliere das menschliche Gehirn und Denkvermögen. Das ist allenfalls witzig, denn die Forscher haben bis dato die Funktion unseres Gehirns noch nicht entschlüsselt und wie will man etwas nachbauen, dessen Funktionsweise man noch gar nicht versteht?

Es gibt sogar Philosophen, die meinen, dass unser Gehirn unser Gehirn überhaupt nicht verstehen könne, denn ein System könne sich selbst nicht erkennen. Die Diskussion darüber generiert immer neue Modelle, je nachdem, was gerade modern ist, und unterhält sehr viele Wissenschaftler.

Das soll aber Journalisten und gute Vermarkter nicht davon abhalten mit solchen Aussagen im Fernsehen aufzutreten. Schließlich sind wir durch das Überangebot von spektakulären ‚Science Fiction'-Filmen schon so darauf ‚programmiert' worden, dass wir diese volltönigen Aussagen gerne ungeprüft schlucken.Abb. 6: Musks Neuralink – Demo zunächst mit Schwein (Bild ©lightpoet - stock.adobe.com)Abb. 6: Musks Neuralink – Demo zunächst mit Schwein (Bild ©lightpoet - stock.adobe.com)

Wie sich herausstellt ist der Zhejiang University und dem Zhejiang Lab allerdings billig, was Elon Musk recht ist. Hier geht es jedoch nicht um Implantate und Prothesen, sondern um eine neue Computer-Architektur, die zum Beispiel mehrere kollaborierende Roboter dazu befähigen soll, ihr gemeinsames Vorgehen in Notsituationen besser aufeinander abzustimmen. Dabei durchaus interessant im Sinne des bisher Gesagten: Als Eingaben akzeptieren diese ‚brainlike computer' nicht nur Tastaturbefehle, sondern auch menschliche Gehirnströme. Ob die Kommunikation auch in die andere Richtung funktioniert, ist bislang nicht bekannt.Abb. 8: Anfang September 2020: Der gehirnähnlich arbeitende Computer in einem Labor in der ostchinesischen Provinz Zhejiang realisiert ‚Mind Typing‘Abb. 8: Anfang September 2020: Der gehirnähnlich arbeitende Computer in einem Labor in der ostchinesischen Provinz Zhejiang realisiert ‚Mind Typing‘ (Foto: Xinhua)Abb. 7: Dieser Sensor kann mitteilen, wann etwas versalzen ist (Bild: Rob Felt, Georgia Tech)Abb. 7: Dieser Sensor kann mitteilen, wann etwas versalzen ist (Bild: Rob Felt, Georgia Tech)

Referenzen:

  1. Wilhelm Hey (1789-1854) gedichtet 1837 – Melodien von Christian Heinrich Rinck und Ernst Anschütz – heute meist Friedrich Silcher (1789-1860) zugeschrieben. Er veröffentlichte das Lied 1842 in seinem Liederzyklus Zwölf Kinderlieder aus dem Anhange des Speckter´schen Fabelbuches
  2. https://www.techspot.com/news/86415-google-wants-perform-secret-6ghz-tests-17-states.html
  3. https://www.siliconrepublic.com/comms/huawei-6g-research

Literatur:

Prof. Rahn ist ein weltweit tätiger Berater in Fragen der Verbindungstechnologie. Sein neues Buch über ‚Spezielle Reflowprozesse' erschien vor Kurzem beim Leuze Verlag. Er ist erreichbar unter Diese E-Mail-Adresse ist vor Spambots geschützt! Zur Anzeige muss JavaScript eingeschaltet sein!, wohin auch Anfragen über In-Haus Seminare gerichtet werden können.Prof. RahnProf. Rahn

Weitere Informationen

  • Ausgabe: 10
  • Jahr: 2020
  • Autoren: Prof. Rahn