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Mittwoch, 27 April 2022 12:00

Geschichten der Galvanotechnik - Dickvernickelung – von Castoren und weiteren Großbauteilen

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Geschätzte Lesezeit: 4 - 7 Minuten
Behälter für abgebrannte Brennelemente Behälter für abgebrannte Brennelemente

Die Stromgewinnung aus Kernkraftwerken war in Deutschland über lange Zeit von Bürgerinitiativen sowie Umwelt- und Antiatomkraft-Bewegungen begleitet. Neben der Reaktorsicherheit standen Lagerung und damit verbunden Transporte hochradioaktiver Abfälle aus Kernkraftwerken in der Kritik der Antiatom-Bewegung [1]. 1979 wurde mit der Untersuchung eines Salzstocks in Gorleben für die Eignung als Endlager begonnen. Nachdem im Jahr 2000 auf politischen Druck hin die Erkundung unterbrochen wurde, gibt es heute 16 Zwischenlager über Deutschland verteilt [2, 3]. Obwohl die Kernenergie auch heute noch zu den CO2-neutralen Energiequellen zählt, ist der Ausstieg nach dem Unfall in Fukushima für 2022 aufgrund des großen Risikos austretender Radioaktivität beschlossen worden. Bis zum endgültigen Ausstieg wird auch weiterhin großen Wert auf Reaktorsicherheit und die Sicherheit bei Transport und Lagerung abgebrannter Brennelemente gelegt.

Belastungswunder Castor

Versuchsaufbau: Castor-Behälter steht neben dem KesselwagenVersuchsaufbau: Castor-Behälter steht neben dem KesselwagenVor allem der Transport abgebrannter Brennstäbe in den sogenannten Castor-Behältern hat in der Vergangenheit zu zahlreichen und emotionsgeladenen Demonstrationen geführt. Der Name Castor steht für „Cask for Storage und Transport of Radioactive Material“. Sie wurden speziell für den Transport und die Lagerung abgebrannter Brennelemente entwickelt und sollen Strahlung abschirmen und die Freisetzung von Radioaktivität verhindern. Dazu unterliegen sie der Genehmigung und Verordnung der Typ-B-Verpackungen, deren Prüfung und Genehmigung durch das Bundesamt für kerntechnische Entsorgung (BfE) erfolgt [4].

Der Name Castor steht für „Cask for Storage und Transport of Radioactive Material“ 

Die Behälter werden im Auftrag der Gesellschaft für Nuklear-Service GmbH (GNS) aus 30–40 cm dickem Gusseisen mit Kugelgraphit hergestellt. Zur Neutronenabschirmung und zur Verbesserung der mechanischen Belastbarkeit werden Polymerstangen eingebracht und die Innenseite der Behälter vernickelt. Um die Sicherheit beim Transport und der Lagerung der hochradioaktiven Abfälle aus kerntechnischen Anlagen zu gewährleisten, wurden von der Bundesanstalt für Materialforschung und -prüfung (BAM) als wissenschaftlich-technischer Bundesoberbehörde für die Prüfungen an Castorbehältern Prüfverfahren entwickelt, bei denen es einerseits um den Strahlenschutz geht und andererseits um die mechanische Belastung, denen die Behälter standhalten müssen. Hierzu zählen [2]:

  • Aufprall aus 9 m Höhe auf ein unnachgiebiges Fundament
  • Aufprall aus 1 m Höhe auf einen 15 cm dicken Stahldorn
  • Feuer (30 Minuten bei 800 °C)
  • Druck von 20 m Wassertiefe über acht Stunden
  • Druck von 200 m Wassertiefe über eine Stunde (nach IAEO-Empfehlungen ergänzend).

Ein zu prüfender Behälter muss durch die Szenarien nicht völlig unbeschadet bleiben. Die abschirmende Wirkung darf sich durch die Belastung um maximal den Faktor 100 verschlechtern, was einer maximalen Strahlenbelastung von 10 mSv/h (Millisievert pro Stunde in 1 m Entfernung) entspricht.

Die Behälter werden zusätzlichen Tests unterzogen, durch die sich keine Beeinträchtigungen der Sicherheitsfunktionen ergeben dürfen [4, 5]:

  • Sturz eines Behälters von einer Autobahnbrücke aus 40 m Höhe
  • Sturz eines auf -40°C heruntergekühlten Behälters aus 9 m Höhe
  • Explosion eines Flüssigkeitstanks mit 5 t Propan direkt neben einem Behälter
  • Feuertest mit 1200 °C für 30 min
  • Abwurf eines maßstabgetreuen Behälters von einem Hubschrauber aus 800 m Höhe
  • Direkter Aufprall eines Personenzugs mit 130 km/h an der Längsseite eines Behälters
  • Beschuss eines Behälters mit einer 1000 kg schweren Nachbildung einer Flugzeugturbinenwelle mit 292 m/s (1050 km/h).

Strahlenschutz durch Nickelbeschichtung

Nach der Explosion: Der Castor ist aus seiner Position geschleudert wordenNach der Explosion: Der Castor ist aus seiner Position geschleudert wordenNeben diesen Kriterien ist der Strahlenschutz das Hauptkriterium der Behälter. Dieser wird durch eine mehrere Millimeter dicke Nickelschicht auf der Innenseite der Behälter erzielt. Hierzu wird der Elektrolyt in den kathodisch geschalteten Behälter gefüllt und mit einer Innenanode galvanisiert. Damit erhöht sich das Gewicht eines jeden Behälters um 1 Tonne [6]. Im Auftrag und mit Unterstützung der GNS entwickelte das Solinger Unternehmen Metallveredlung (MTV) das galvanische Verfahren NIBSORB®, eine Dispersionsschicht bestehend aus einer duktilen Nickelschicht mit Einlagerungen von neutroneneinfangenden borhaltigen Feststoffen [7]. Die technischen Eigenschaften von NIBSORB®, das in beliebig dicken Schichtdicken abgeschieden werden kann, lässt ein großes Anwendungsspektrum zu. Durch den homogenen Einbau von 15–25 Vol.% von natürlichem oder isotopenangereichertem Borcarbit mit mittleren Korngrößen von 6–8 µm wird eine effektive Neutronenabschirmung erreicht, die schon bei geringen Schichtdicken die Wirksamkeit von bis dahin bekannten Absorber-Schichten übertraf. Weitere Vorteile sind die gute Korrosions-, Verschleiß- und Temperaturbeständigkeit.

Dispersionsabscheidung NICABOR®

2005 wurde die Entwicklung einer Nickeldispersionsschicht als Ersatz für Hartchrom patentiert. Hierbei handelt es sich um die Dispersionsabscheidung NICABOR® [8], bei der in die Nickelschicht Borcarbidpartikel mit Korngrößen von 1 µm in einer Konzentration von ca. 15 % eingebaut werden. In Kombination mit anderen galvanisch abgeschiedenen Schichten z. B. Nickelsulfamat oder Bronze als Unterschicht, erreichen die Schichtsysteme Korrosions- und Verschleißbeständigkeiten die mit Hartchrom vergleichbar sind. Große Bauteile, wie Kolbenstangen, -rohre oder Druckzylinder sollten mit diesen Verfahren in Solingen beschichtet werden. Mit diesem Verfahren erreichte MTV schon früh einen technischen Vorsprung im Hinblick auf die durch die ECHA in den Annex 14 der REACh-Verordnung als SVHC-Verbindung klassifizierten und damit zum Verbot vorgeschlagenen und in Hartchrom eingesetzten Chrom(VI)-Verbindungen [8,9,10].

Proteste gegen geplantes Vernickelungswerk

Obwohl die Atommülltransporte in den Castor-Behältern als sicher gelten, wird gegen die Transporte weiter protestiert [9]. Proteste gab es in der Vergangenheit auch gegen die Errichtung einer Galvanik in einem Industriegebiet in Solingen. Während die Beschichtung der Castorbehälter auf Betreiben des Auftraggebers, der GNS (Gesellschaft für Nuklear Service), bereits 2002 nach Mülheim verlagert wurde, wollte die in Solingen alteingesessene Lohngalvanik MTV (Metallveredlung) für die Etablierung des neuen Vernickelungsverfahrens NICABOR® die gute Anbindung an die Verkehrswege nutzen und im Industriegebiet Fürkeltrath ein Werk mit der neuen Technik für andere große Objekte errichten. Im Januar 2008 wurde der Plan des unter die Störfallverordnung fallenden Betriebs bekannt, was zu Folge hatte, dass der ursprüngliche Bebauungsplan an die neuen Anforderungen angepasst werden musste. Seitens der Solinger Politik wurden die Pläne begrüßt, denn es war die Rede von 160 bis 200 neuen Arbeitsplätzen. Die Nähe zur Wohnbebauung und Biolandwirtschaft sowie die Höhe des geplanten Gebäudes von 30 m und der Begriff Störfallbetrieb ließ die Anlieger aufhorchen und sie verfolgten die Pläne der Stadt genau. Schließlich gründeten sie eine Bürgerinitiative. Die Bürgerinitiative mobilisierte von Sommer 2008 bis März 2009 130 Eigentümer, um die Galvanik zu verhindern. Im März 2009 kam es sogar zur Androhung einer Klage. Die Biobauern fürchteten um ihre Existenz, da die Nähe zur Galvanik regelmäßige Bodenproben mit sich gebracht hätte und hohe Kosten fällig geworden wären. Hinzu kam die stete Befürchtung, dass sich der Boden mit Nickel anreichern könnte. Die Stimmung schaukelte sich bis Sommer 2010 hoch, als die Anwohner „Die Angst vor Dauerbelastung durch Schwermetalle und möglichen Störfällen“ zum Ausdruck brachten. Im April 2011 wurde schließlich bekannt, dass MTV- Eigentümer Klaus Wilbuer die Pläne aus unternehmerischer Sicht aufgab und sich die Solinger Politiker den Forderungen der Bürgerinitiative beugten [11].

Die von Protesten begleiteten Transporte von Castoren sind Symbol des ausklingenden Atomkraftzeitalters

Die von Protesten begleiteten Transporte von Castoren sind Symbol des ausklingenden Atomkraftzeitalters in Deutschland. Neben massivem Guss ist eine Dicknickelbeschichtung wesentlich für den Strahlenschutz der Atommüllbehälter. Mit einem ähnlichen galvanischen Verfahren wollte eine Galvanik Großbauteile beschichten – und geriet in den Strudel von Protesten und Klageandrohungen.

Fotos: BAM [5]

Literatur

[1] https://de.wikipedia.org/wiki/Kernenergie_in_Deutschland#Geschichte
[2] https://www.ndr.de/geschichte/schauplaetze/Gorleben-und-der-Atommuell-Eine-Chronik,gorlebenchronik2.html
[3] https://www.rnd.de/politik/wo-der-atommull-in-deutschland-liegt-I6EOB4MGERGZBJPGKMQHVCOHAA.html
[4] Wikipedia Castor (Kerntechnik)
[5] https://tes.bam.de/TES/Navigation/DE/Gefahrgut/Behaelter-radioaktive-Stoffe/Pruefmethoden-und-Forschung/pruefmethoden-und-forschung.html
[6] Welt am Sonntag, Solinger Firma macht Castor sicherer, 16.04.2006
[7] NIBSORB®; www.mtv-gmbh.com
[8] NICABOR®; www.mtv-gmbh.com
[9] Warum nicht mal auf Kompromisse verzichten, Heiko Reski, MTV Metallveredlungs GmbH & Co. KG, Solingen, WoMag 9 (2016), S. 1-2
[10] Maßgeschneiderte Hybridschichtsysteme, Heiko Reski, MTV Metallveredlungs GmbH & Co. KG, Solingen, JOT Kombinierte Oberflächen, X (2016), S. 20
[11] www.maschinenmarkt.vogel.de, 11.02.2014, Redakteur Carmen Kural, Chromersatz mit hoher Korrosionsbeständigkeit
[12] https://castor-stoppen.de/buendnis/
[13] Artikel aus dem Solinger Stadtarchiv von 27.4.2002 – 27.05.2011 zu den Begriffen Bürgerinitiative und Metallveredlung

Weitere Informationen

  • Ausgabe: 4
  • Jahr: 2022
  • Autoren: Dr. Elke Moosbach, Dr. Frank Krüger

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