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Mittwoch, 14 Oktober 2020 08:59

Im Gegenteil - Menschen auf Reisen

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Geschätzte Lesezeit: 1 - 2 Minuten
Im Gegenteil - Menschen auf Reisen María Victoria Alister Pixabay

In der Corona Krise wird viel darüber lamentiert, dass Menschen auf Abstand von anderen achten müssen, die sie in Supermärkten, auf Spielplätzen oder in den Straßen treffen. Leider ist die einfachste Möglichkeit, Menschen aus dem Weg zu gehen, derzeit versperrt. Gemeint ist das Reisen, das solange unterbleiben muss, solange keine Hotels geöffnet sind und auch die Gastronomie erst wieder auf die Beine kommen muss.

Reisen gehört zu den großen Vergnügungen von Menschen, wie jeder von sich selbst weiß und sich historisch durch den Hinweis belegen lässt, dass mit dem Aufkommen der Eisenbahn „Europa in einen Zustand der permanenten Bewegung“ geraten war, wie es die schottische „Edinburgh Review“ um 1860 feststellte, als erstmals nicht nur alle Hauptstädte, sondern auch kleinere Orte mit der Eisenbahn erreicht werden konnten. Als eine Folge kamen nicht nur Touristen in Massen, worüber sich selbst Theodor Fontane beklagte – „Die ganze Welt verreist heutzutage“. Es entstand zudem die Tourismusindustrie, die zu Mengen von Menschen führte, die vor sogenannte Sehenswürdigkeiten geschleppt wurden und dort in ihre Reiseführer starrten, so wie sie sich heute in ihre iPhones versenken.

Fontane kam dieses Verhalten „idiotisch“ vor, vor allem wenn Touristen „doing Europe“ auf ihrem Programm stehen hatten und nur abhakten, was ihre Broschüren aufführten. Doch dieser Blick auf die menschliche Kultur kann und muss ergänzt werden durch den Hinweis, dass in den Jahren der ersten Massenreisen die ersten Pioniere einer neuen Wissenschaft auftauchten, die man Anthropologie nannte und die nicht bloß davon handelte, was ein Mensch ist, sondern davon, wie jeder der besondere Mensch wird, der er oder sie ist. Die ersten Anthropologen reisten durch die Welt und besuchten fremde Völker, zum Beispiel in Polynesien, um mit ihren Feldforschungen die alte philosophische Überzeugung von einem unveränderlichen Typ, der sich in einem Menschen zu erkennen gibt, zu überwinden und das Gegenteil zu zeigen, nämlich dass die Mitglieder der Art Homo sapiens über eine fließende und anpassungsfähige Kultur verfügen und sich ihr Leben lang bilden können. Deshalb haben sie mit dem Reisen begonnen, sobald die technischen Möglichkeiten vorlagen. Der Mensch kann dabei das Ziel haben, zu sich selbst zu kommen. Aber offenbar kommt er da nicht an. Das ist nicht schlimm. Im Gegenteil. Es ist des Menschen Glück.

Weitere Informationen

  • Ausgabe: 10
  • Jahr: 2020
  • Autoren: Ernst Peter Fischer

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