Bericht aus Indien

Abb. 1: Bruttosozialprodukt Indiens auf einen Blick (Quelle Abb. 1 und Abb. 2: India Stat).

Das Bruttosozialprodukt Indiens wird, wie aus Abbildung 1 zu entnehmen ist, vom Dienstleistungssektor dominiert. Das Wachstum des indischen Dienstleistungssektors, insbesondere der IT-Branche, hat weltweit Aufmerksamkeit erregt. Im Gegensatz zu anderen sich entwickelnden Wirtschaften, in denen das Wirtschaftswachstum zu einer Verlagerung von der Landwirtschaft zur Industrie geführt hat, ist in Indien eine Verlagerung von der Landwirtschaft zum Dienstleistungssektor zu verzeichnen. Mittlerweile lebt knapp 40 % der Bevölkerung in Stadtgebieten. Das Wachstum des Dienstleistungssektors hat zur Entwicklung verschiedener Branchen wie IT, Ge­sund­heitswesen, Tourismus, Verkehr und Finanzen geführt. Indiens boo­-men­der Dienstleistungssektor ist ein bemerkenswertes Beispiel dafür, wie moderne Wirtschaftswachstumsmodelle die traditionell etablierten Modelle übertreffen können.

Der produzierende Industriesektor, wovon die Oberflächentechnik-Industrie ein wichtiges Glied ist, liegt derzeit im Schatten des Dienstleistungssektors. Wie in Abbildung 2 grafisch dargestellt, trägt aktuell der Herstellungssektor weniger als 15 % zum Bruttosozialprodukt Indiens bei. Es gibt jedoch klare und deutliche Hinweise und Ursachen dafür, dass dieser Beitrag steigen wird.

Abb. 2: Prozentualer Beitrag des produzierenden Industriesektors zum Bruttosozialprodukt

Aufbauend auf dem Wettbewerbsvorteil qualifizierter Arbeitskräfte und niedrigerer Arbeitskosten erlebt der verarbeitende Sektor einen verstärkten Zufluss von Investitionen und eine erhöhte Fusions- und Übernahmeaktivität, was zu einem Anstieg der Produktionsleistung und einem daraus resultierenden höheren Beitrag zu den Exporten führt. Die sogenannte produktionsgebundene Anreizregelung (Production linked Incentive) wurde für die Herstellung in Indien angemeldet. Diese Regelung zielt darauf ab, die Attraktivität der produzierenden Industrie für große Investitionen zu verstärken. Die positiven Entwicklungen im Fertigungssektor, die durch den Ausbau der Produktionskapazitäten, die Unterstützung der Regierung, politische Stabilität, verstärkte M&A-Aktivitäten und Investitionen vorangetrieben werden, schaffen robuste Rahmenbedingungen für ein nachhaltiges Wirtschaftswachstum des Subkontinents in den kommenden Jahren.

Aktueller Stand der Galvanotechnik in Indien

Mehrere indische Firmen, die die benötigten Chemikalien für die Galvanoindustrie produzieren, sind auch im Export-Markt aktiv. Insbesondere in den klassischen Verfahren für Zink, Nickel oder Kupfer bietet so manche indische Firma Produkte zu unschlagbaren Preisen. Global aktive Firmen, insbesondere deutsche Firmen wie MKS-Atotech, MacDermid-Enthone/Coventya und BASF, haben meist ihre eigene Produktion in Indien. Andere Firmen, wie Dr. Hesse, lassen unter Lizenz in Indien produzieren und vermarkten. Manche Firmen, z. B. Schlötter oder Brünofix, exportieren direkt an indische Kunden, mit starker lokaler technischer Unterstützung. Viele Grundchemikalien für die Galvano- und Oberflächentechnik (Tenside, organische Verbindungen, Metallsalze) werden in Indien produziert und auch global exportiert.

Im Bereich des Anlagenbaus gibt es nur wenige Firmen wie Kamtress, Dürr und Grauer & Weil, die große automatische Anlagen für die Galvanotechnik oder für die Abwasserbehandlung bauen. Es gibt viele Hersteller von Gleichrichtern, Trommeln, Behältern, Gaswäschern, Pumpen, Filtern und anderem Zubehör. Viele ausländische Firmen, insbesondere chinesische, deutsche und italienische Firmen, haben aktive Vertretungen in Indien, die im Auftrag der Kunden solche Geräte und Zubehör importieren. Wenn es aber um Galvanik-Anlagen für große Projekte geht, werden diese Anlagen meist als Teil des Projekts und oft inklusive der damit verbundenen Chemie ins Land gebracht. Auch gebrauchte automatische Galvanik-Anlagen werden regelmäßig importiert, vor allem aus ostasiatischen Ländern.

Lohngalvaniken, Verbände und Branchensichtbarkeit

Der Bedarf an funktionellen und dekorativen Beschichtungen (Abbildung 3) der Automobilindustrie wird meist durch Lohngalvaniken gedeckt. Aggressive Einkäufer bei Automobilherstellern bekommen ihre Ware zu niedrigeren Preisen beschichtet, darunter leidet die Entwicklung der Galvanik-Industrie Indiens sehr. Es gibt häufig Preiskämpfe unter den Lohngalvaniken. Oft wird bei der Vergabe des Auftrags erwartet, dass der Lohngalvaniker seine Fabrik inspizieren lässt und seine Technik offenlegt. Die gewonnenen Informationen werden jedoch später nicht vertraulich behandelt. Als Trend bei den Lohngalvaniken ist hauptsächlich Kapazitätserweiterung durch Automatisierung, begleitet von Qualitätssicherung im Haus, zu beobachten.

Abb. 3: Kunststoff-Galvanik bei Polyplastics Yamuna Nagar

Es gibt in Indien nur wenige Vereine, Verbände oder Handelskammern, die aktiv auf die Galvanotechnik-Industrie fokussiert sind und regelmäßig Tagungen bzw. Messen organisieren. Aus diesem Grund fällt es der Industrie schwer, eine effektive Lobbyarbeit durchzuführen. Große Handelskammern organisieren jedoch Tagungen, oft mit Galvanotechnik und Korrosionsschutz als Themen. Die Galvanik-Industrie präsentiert sich auf Messen anderer Industriebranchen, um ihr Produktspektrum zu zeigen und ihre kritische Rolle in der Produktionskette populär zu machen.