Technologietage in Zeiten des Wandels

Technologietage in Zeiten des Wandels

Nach dem erfolgreichen und gutbesuchten Firmenjubiläum von Rehm Thermal Systems im Vorjahr wurden auch in diesem Jahr die Technologietage in Blaubeuren (11./12. September) gespannt erwartet. Die PLUS ließ es sich nicht nehmen, den Auftakt der vielversprechenden Mischung aus Vorträgen, Workshops und Maschinenpräsentationen in Augenschein zu nehmen.

Die Technologietage standen diesmal unter dem Motto #opentochange – TOGETHER TOWARDS TOMORROW. Das Unternehmen lud dazu ein, „gemeinsam die Tore zur Zukunft aufzustoßen“ – das war natürlich schon eine Ansage. CEO Johannes Rehm begrüßte die Besucher der zweitägigen Veranstaltung, verband dies jedoch mit einer persönlichen Ankündigung: Er selbst werde in Zukunft in der Öffentlichkeit etwas weniger Präsenz zeigen. Stattdessen wird fortan COO Rainer Trometer bei öffentlichen Auftritten prominenter ‚ins Licht treten'. Nach dieser Staffelstabübergabe ergriff entsprechend Rainer Trometer das Wort. Er hob die Bedeutung der Technologietage bei Rehm hervor – dies hätte auch das in diesem Sommer verkündete Aus der der SMTconnect vor Augen geführt.[*] Ob allerdings eine Vielzahl von ‚Hausmessen' ein adäquater Ersatz für die verblichene SMT sein wird, kann dann doch bezweifelt werden.

Nach weiteren Anmerkungen von Dr.-Ing. Paul Wild, Leiter Forschung & Entwicklung bei Rehm, zum wohl meistdiskutierten Thema des Jahres (K.I., Künstliche Intelligenz) – bei Rehm schon seit 2016 beachtet – begann der erste Vortragsblock. Lisa Leonhardt und Michael Hanke referierten zu den Dispensing- und Coating-Linienlösungen von Rehm und über die Notwendigkeit, den Automatisierungsgrad weiter zu erhöhen: Die Arbeitswelt ändere sich rasant. Steigende Lohnkosten, der Wunsch nach anderen Arbeitsmodellen (new work) und das Faktum des Fachkräftemangels machten dies erforderlich. Auch ließe sich durch Automatisierung die Produktivität steigern und die Wiederholgenauigkeit bei wachsender Komplexität verbessern. Automatisierte sowie vollautomatisierte Linienlösungen und letztlich eine automatisierte Produktion durch zentrale Produktionssteuerung mit einem Personaleinsatz von „quasi 0“ könnten dies bewerkstelligen. Hierzu bietet Rehm von der Konzeptionierung bis zur Umsetzung seinen Kunden ‚schlüsselfertige Lösungen' an, unter Abstimmung der notwendigen Schnittstellen und auch der Koordinierung entsprechender Lieferanten. Insgesamt hätten dem Vortrag mehr praktische Beispiele gutgetan.

plus 2024 12 037Dr.-Ing. Paul Wild
plus 2024 12 038Dr. Patrick Bleiziffer
Denny BartelsDenny Bartels
Prof. Dr. Dennis-Kenji KipkerProf. Dr. Dennis-Kenji Kipker

„Bilder sind Zahlen!“

Dr. Patrick Bleiziffer, maXerial, eröffnete Möglichkeiten, durch Röntgenstrahlen und K.I. Materialien ‚intelligent' zu machen. Zunächst erklärte er das lambert-beersche Gesetz – die Grundlage moderner Photometrie als analytische Methode. Die Röntgeninspektion ist zerstörungsfrei und ermittelt eine Vielzahl physikalischer Informationen für industrielle Anwendungen, etwa zur präzisen Materialcharakterisierung, Baugruppenprüfung und Messtechnik. Durch industrielle Computertomographie-Untersuchungen (iCT) lassen sich feinste Risse, Poren oder Unebenheiten einzelner Materialschichten abbilden, wie Dr. Bleiziffer durch Abbildungen von Titan- und Aluminiumbauteilen aus dem Automotive-Bereich (Rennsport) verdeutlichte.

Mit der Software ‚Falknis X-Ray Inspect' können 2D- und 3D-Analysen, etwa von PCB-Reels, erstellt werden. Anhand visuell eindrucksvoller μCT-Scans dieser Rollen zeigte Patrick Bleiziffer, wie ein K.I.-Algorithmus arbeitet, Bilder in Pixel zerlegt und segmentiert werden („Bilder sind Zahlen!“) und so Defekte von Drahtverbindungen und filigranen Glaspolymeren analysiert werden können. Wie die Software durch KI-Filterungstechniken wie das Poissonsche Schrotrauschen diese Scanbilder auswerten kann, sorgte für staunende Gesichter – und machte deutlich, was eine industrielle K.I. leisten kann, wie sie arbeitet und welche Möglichkeiten sie bietet. Fazit: Spannendster Vortrag des Tages.

Wege zum ‚grünen Lack'

In der dritten Präsentation beschäftigte sich Denny Bartels von der Firma Tonfunk, Ermsleben, mit verschiedenen regulatorischen Herausforderungen wie der WEEE-Richtlinie zur ordnungsgemäßen und umweltschonenden Entsorgung von Elektroschrott, aber auch mit den Bestimmungen RoHS, REACH und LkSG (Lieferkettensorgfaltspflichtengesetz).

Konkret ging Denny Bartels auf neue Lacksysteme der Firma Peters (SL1307 FLZ/4) und Gele dieser Lacke ein, die weniger Gesundheitsrisiken als ihre Vorgänger aufweisen. Zwar sind auch sie nicht frei von VOC-Anteilen (Volatile Organic Compounds, flüchtige organische Verbindungen), können bei unvorsichtigem Einsatz allergische Hautreaktionen, Benommenheit oder Schläfrigkeit auslösen und sind giftig für Wasserorganismen – doch ihr Gefährdungspotential wurde deutlich reduziert. An dieser Stelle verweisen wir auf unser Interview mit Dr. Manfred Suppa, der in diesem Jahr im Leuze-Verlag ein umfangreiches Buch über neue Beschichtungsstoffe und Lacke für die Elektronik vorgelegt hat.[**] Denny Bartels zog am Ende ein positives Resümee: „Den“ grünen Lack gebe es zwar noch nicht, aber man sei auf einem guten Weg – in Zusammenarbeit mit Lackherstellern. UV-härtende Lacke und Nanolacke würden sich weiter verbessern. Bislang seien sie zwar nicht völlig abrieb- und kratzfest, doch in bestimmten Bereichen (z. B. Displays) finden sie bereits Verwendung oder werden geprüft. Hier darf in der kommenden Zeit mit großen Fortschritten gerechnet werden.

Gekommen, um zu bleiben

Künstliche Intelligenz (K.I.) blieb auch nach der Kaffeepause präsent. Markus Mittermair und Rainer Trometer, beide Rehm Thermal Systems, machten die nüchterne Feststellung: „K.I. ist gekommen, um zu bleiben.“ Die Technologie biete enorme Vorteile für Prozesssicherheit, die Analyse riesiger Datenmengen, die wachsende Komplexität und den Datentransfer zwischen Mitarbeitern – die nebenbei von der durch K.I. sinkenden Sprachbarriere profitieren. Auch ließe sich der Fachkräftemangel abmildern. Die Zuhörer wurden auf eine Reise durch die Geschichte der K.I. bei Rehm mitgenommen und erfuhren, in welchen Bereichen K.I. schon jetzt zum Einsatz komme und wie sie sich weiter in der Fertigung auswirken werde. Etwa bei der vorhersagbaren Instandhaltung (Predictive Maintenance) von Maschinen, durch die frühzeitige Ausfälle und Verschleiß vorhergesagt werden können, oder durch den Einsatz von Chatbots bei der Erlernung, Bedienung und Optimierung von Maschinen. Bei Chatbots warnte aber Rainer Trometer, dass ihr Einsatz neue Kenntnisse erfordere: „Wir müssen das Prompting lernen.“ Ein Feld, das in den Fachbereich der Computerlinguistik fällt, das Scharnier zwischen Sprachwissenschaft und Informatik. Chatbots, so erklärte Markus Mittermair, können den Kundensupport und die Benutzerfreundlichkeit verbessern. Als drittes großes Feld wurden Möglichkeiten genannt, durch K.I. eine firmeninterne Wissensdatenbank aufzubauen, um etwa den Wissensverlust durch Mitarbeiter, die das Unternehmen verlassen oder in den Ruhestand gehen, zu minimieren. Mittermair bat dabei die Kunden von Rehm um Rückmeldung, aus welchen Gründen sie bei Maschinen Einstellungen ändern – solche Entscheidungen stellen wichtige Informationen für eine Wissensdatenbank dar, die allen zugutekommen. Rainer Trometer bezeichnete zum Ende des Vortrags Mensch und Maschine als Team – sie können, sollen und werden sich ergänzen und die Produktion gemeinsam optimieren.

Rainer Trometer und Markus MittermairRainer Trometer und Markus Mittermair

Die Findigkeit der Hacker

Den letzten Vortrag an diesem Tag hielt Prof. Dr. jur. Dennis-Kenji Kipker, cyberintelligence.instituteFrankfurt a. M.. Prof. Kipker knüpfte gewissermaßen an die vorangegangene Präsentation an – denn eine Firmen-Wissensdatenbank könnte sicher auch habgierige Hackeraugen anlocken. Angriffe auf die Wirtschaft nehmen rapide zu, meistens durch digitale Einfallstore, aber auch auf analogen Wegen (Diebstahl von IT- und Kommunikationsgeräten oder physischen Dokumenten, geheime Aufzeichnungen von Besprechungen oder physische Sabotage). Kipker führte einige beängstigende Vorkommnisse der letzten Zeit auf, etwa 2021 auf die Aerzener Maschinenfabrik, als nach einem Hackerangriff die Geschäftsprozesse zum Erliegen kamen. Auch die Cyberangriffe auf Continental 2022 [***] und auf Varta im Frühjahr 2024 schlugen medial hohe Wellen. Inzwischen seien acht von zehn Unternehmen von Datendiebstahl, Spionage oder Sabotage betroffen, die Schäden reichten in mehrstellige Milliardenhöhe. Oft gingen Unternehmen auf Erpressungsversuche der Hacker ein, um Schäden zu minimieren. Dies alles, so der Appell von Prof. Kipker, erfordere ein Umdenken in der Geschäftsleitung. Cybersecurity müsse größere Beachtung finden – und es sei zu bedenken, dass für Hacker keine Trennung zwischen IT und OT bestehe und sie durch kompromittierte Hardware, etwa ein ‚harmloses' intelligentes Thermostat, sogar auf sensible Daten zugreifen können. Nicht ohne Grund rücken gesetzliche Initiativen wie KRITIS, NIS 2-RL, IT-SIG 2.0 oder der EU Cyber Resiliency Act die Gefahren in den Vordergrund.

RDS MagazintrocknerRDS Magazintrockner

Bei so vielen Regularien schwirrte den Zuhörern schnell der Kopf, zumal Prof. Kipker seine Fakten und Warnungen wie ein Trommelfeuer auf das Auditorium einprasseln ließ. Auch war wohl jedem im Raum bewusst, dass Risikomanagement für Cybersicherheit Unternehmen eine ordentliche Stange Geld kostet. Prof. Kipker wies aber darauf hin, dass das Sicherheitsniveau zum erwartbaren Risiko passen müsse; er positionierte sich gegen eine Cybersicherheit „zu jedem Preis“, warnte aber davor, sie zu vernachlässigen. Seiner Ansicht nach müsse Cybersecurity Compliance in der Produktion zum neuen Generalstandard werden. Fazit: Ein komplizierter, aber warnender Beitrag, der auf eine wachsende Bedrohungslage hinwies, die kein Unternehmen ignorieren kann.

Nach den Vorträgen konnte man in den weitläufigen Räumlichkeiten von Rehm die Stände mitausstellender Firmen und mehrere Workshops zu besuchen. So gewährten die Firmen Rehm und Asys sowie das in Ulm ansässige Zentrum für Sonnenenergie- und Wasserstoff-Forschung Baden-Württemberg (ZSW) Einblicke in die Brennstoffzellenfertigung, und aus der Nähe ließen sich die Prozesskammern des Magazintrockners RDS begutachten, die sich unabhängig voneinander schließen, öffnen und temperieren lassen. Der eigens für das Trocknen von Powermodulen entwickelte RDS erreicht Temperaturen bis zu 300 °C und Restsauerstoffwerte von < 5000 ppm O2, wobei eine starke Dämmung und Schotts eine thermische Trennung der einzelnen Prozesskammern – und damit sehr präzise Trocknungsvorgänge – ermöglichen.

Zwar konnte die Redaktion nur den ersten der zwei Technologietage besuchen, doch der gut besuchte Auftakt überzeugte mit abwechslungsreichen Vorträgen und einer guten Atmosphäre während der Pausen. Es wird spannend sein zu beobachten, wie sich das Unternehmen Rehm Thermal Systems gemäß dem Motto #opentochange während der kommenden Veränderungen durch künstliche Intelligenz, neue Arbeitsmodelle und -bedingungen in Zeiten der Digitalisierung positionieren wird. Deutlich wurde, dass man sich in Blaubeuren über solche Prozesse sehr viele Gedanken macht – und die Kunden auf diese Reise mitnehmen möchte.

Referenzen

[*] Siehe PLUS-Ausgabe 7/2024.
[**] Siehe diese Ausgabe, S. 1504.
[***] Siehe PLUS Ausgabe 12/2022, S. 1611.

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