VDE und ZVEI veranstalteten gemeinsam das 10. Symposium Mikroelektronik 2021 – Corona-bedingt online. Das Motto ,Innovation schützt Klima' gilt insbesondere für die in nahezu alle neuen Entwicklungen benötigte Mikroelektronik. Zu deren erfolgreicher Realisierung muss Europa auch hier technologisch souverän bleiben.
Durch neue ökologische und gesellschaftliche Herausforderungen wie Klimawandel und Mobilitätswende steigt die Nachfrage nach Produkten der Mikroelektronik immer mehr. Neben den Halbleiterbausteinen für die Computer- und die Kommunikationstechnik gewinnt die Leistungselektronik, etwa für Prozesse der Energieumwandlung, zunehmend an Gewicht. Diese Trends sowie die Bedeutung der Mikroelektronik für den Wirtschaftsstandort Deutschland standen beim 10. Symposium Mikroelektronik im Zentrum der Diskussion. Vertreter aus Politik, Wissenschaft und Industrie erörterten die Potentiale der Mikroelektronik im Hinblick auf die Standort- sowie Zukunftssicherung. Die Vertreter des ZVEI und des VDE betonten die Bedeutung der Schlüsseltechnologie Mikroelektronik für Europa und boten der EU-Kommission und den EU-Mitgliedsstaaten ihre Unterstützung bei der Umsetzung des zweiten ‚Important Project for Common European Interest' (IPCEI) für Mikroelektronik an. Denn technologische Souveränität entsteht nicht aus sich heraus.
Mikroelektronik: Erhebliches Zukunftspotenzial
Tagungsleiter Dr. Franz Auerbach, Infineon Technologies AG, eröffnete das Symposium und dankte dabei auch dem EDA-Zentrum, Silicon Saxony e.V. und den Sponsoren für die Unterstützung des Symposiums: „Mikroelektronik ist in der ganzen Kette von elektrischer Energieerzeugung über Energieübertragung bis hin zum Energieverbrauch beim Endverbraucher ein ganz wesentlicher Schlüssel zu Innovationen im Bereich Energieeffizienz und Ressourcenschonung“. Der Leistungselektronik komme bei der Energiewandlung genauso wie der klassischen Mikroelektronik bei der intelligenten Steuerung im Energiemanagement eine wichtige Funktion zu. „Innovationen in diesen Bereichen haben bereits viel bewirkt und bieten darüber hinaus erhebliches Potenzial für die Zukunft.“
Rahmenbedingungen im Blick – von Lieferketten bis zum Nachwuchs
In der politisch orientierten Gesprächsrunde wurden die Rahmenbedingungen für die industriellen und technologischen Entwicklungen in Form von Fragen und Antworten erörtert. Moderiert von Sven Oswald, MEN IN TEXT, diskutierten ZVEI-Präsident Dr.-Ing. Gunther Kegel, Pepperl + Fuchs, VDE-Präsident Prof. Dr. Armin Schnettler, Siemens Energy, und Staatssekretär Thomas Bareiß, BMWI, die Themen.
Als Vertreter der Politik forderte Bareiß, dass sich die deutsche Elektronikindustrie im internationalen Wettbewerb durch Technologieführerschaft profilieren sollte. „Wir müssen uns über Innovationen und Kompetenz differenzieren, nicht über ‚Me too'-Produkte“. Besondere Sorge müsse der langfristigen Ausbildung und der Forschung gelten. Die sinkenden Absolventenzahlen in den Elektrotechnikstudiengängen seien „kritisch zu sehen“, mahnte er. Denn Mikroelektronik sei heute „eine Schlüsseltechnologie, die aus keiner Branche mehr wegzudenken ist“.
Prof. Dr. Schnettler betonte vor dem Hintergrund aktueller Lieferengpässe in der Chip-Branche, Europa müsse bei Schlüsseltechnologien wie der Mikroelektronik technologisch souverän bleiben. Und Dr. Kegel ergänzte: „Wir brauchen in Europa die Fähigkeit, auch in Krisenzeiten und trotz unterbrochener Lieferketten die Industrieproduktion fortzuführen.“ Technologische Souveränität meine keinesfalls Abschottung und Protektionismus. „Es ist nicht notwendig, alles selbst vor Ort produzieren zu können. Vielmehr ist es wichtig, globale Wertschöpfungsnetzwerke zu erhalten und gleichzeitig in Europa den Führungsanspruch in bedeutenden Technologiefeldern zu sichern und auszubauen. Für die Unternehmen geht es um Resilienz, das heißt, mit Unsicherheiten und Risiken in der global vernetzten digitalen Welt des 21. Jahrhunderts umzugehen“, so Kegel. Da technologische Souveränität in Europa nicht aus sich selbst heraus entstehe, sei es gut, dass die Bundesregierung im engen Schulterschluss mit weiteren europäischen Mitgliedstaaten bereits 2018 ein IPCEI-Projekt für Mikroelektronik initiiert habe. Kegel betonte, dass es nun gilt, diesen Weg konsequent fortzuführen und das zweite IPCEI für Mikroelektronik schnellstmöglich umzusetzen. VDE und ZVEI stehen der EU-Kommission und den Mitgliedstaaten bei IPCEI-Projekten weiterhin beratend zur Seite.
Auch Schnettler wies auf die Notwendigkeit einer europäischen Technologiestrategie hin: „Um langfristig den Wohlstand zu wahren, brauchen wir einen Masterplan pro Technologie. Der Absatzmarkt in bedeutenden Zukunftsfeldern wie Digitalisierung, Künstliche Intelligenz, Industrie 4.0, Mobilität und Quantentechnologien ist weltweit heiß umkämpft. Um im Wettbewerb mithalten zu können, muss Europa jetzt die Stellschrauben justieren.“ Europa müsse den Aufbau von Mikroelektronikfertigungen viel stärker und engagiert forcieren. „Die systemrelevante Chip-Industrie hat Auswirkungen auf die gesamte Volkswirtschaft“, betonte er und forderte: „Wir müssen unbedingt dafür sorgen, dass die Produktkompetenz für die einzelnen Anwendungsfelder weiterhin in Deutschland bleibt.“ Als zentrale Hebel, um Kompetenz und damit industriepolitisch auch die technologische Souveränität zu erhalten, sah er die Handlungsfelder Patente, Forschung und Entwicklung sowie Ausbildung an. Dominiert hier die wirtschaftliche Eigeninitiative, so seien von Seiten des Staates „regulative Rahmenbedingungen“ gefordert, die für mikroelektronische Anwendungen eine bestimmte „Produktionstiefe in Europa“ sicherstellen müssten. Ausgebaut werden sollten auch die mit EU-Geldern gestützten Wirtschaftsprojekte von besonderer europäischer Bedeutung, wie sie bereits in der Batteriezellfertigung zum Einsatz kommen. Ein Kompetenzabfluss, wie er sich in der einst führenden deutschen Photovoltaik abgespielt habe, dürfe sich in der Mikroelektronik nicht wiederholen.
Keynotes: Leistungshalbleiter und Energieversorgung
‚The 2020s – a Decade for Power Semiconductors' lautete der Titel des Vortrags von Dr. Peter Wawer, Infineon Technologies AG. Er verdeutlichte, dass das gerade begonnene Jahrzehnt eine Dekade der Leistungshalbleiter ist. Denn diese sind überall dabei, wo Energie zu Kraft umgewandelt wird, ob bei elektrischen Fahrzeugantrieben, bei der Wandlung von Windenergie in Grünen Wasserstoff oder bei der Herstellung synthetischer Kraftstoffe. Die Technologie entwickelt sich dementsprechend rasant. So können durch Einsatz neuer Materialien in den Leistungshalbleiterbausteinen die Verluste deutlich reduziert und dadurch neue Anwendungen ermöglicht werden, was die Wachstumsraten beflügelt. Vom Umsatz her sind sie mit rund 20 Mrd. $ gegenwärtig zwar noch eine Nische im gesamten Halbleitermarkt mit derzeit rund 500 Mrd. $ Umsatz. Aber in den nächsten zehn Jahren sehen die Experten ein Wachstum der Sparte zwischen acht und zwölf Prozent voraus. Treiber dafür sind drei Megatrends, die erst am Anfang stehen: die Elektrifizierung des Verkehrs, die Dekarbonisierung des Energiesektors und die Digitalisierung immer weiterer Lebensbereiche.
Prof. Dr.-Ing. Jochen Kreusel, Hitachi ABB Power Grids, der auch Mitglied des VDE Präsidiums ist, ging in seinem Beitrag ,Die Zukunft der elektrischen Energieversorgung: smarter, digitaler – und elektronischer' auf technische und wirtschaftliche Aspekte der Energiewende ein. Die Kosten von Photovoltaik, Lithium-Ionen-Batterien und Smart Sensors fallen. Die Preisentwicklung verdeutliche die Dynamik: Kostete eine Solarzelle am Beginn der technischen Entwicklung noch 76 $/W, ist dieser Betrag bis 2015 auf 0,3 $/W gesunken. Ähnlich ist die Kurve bei den Sensoren, wo der Stückpreis von 30 $ im Jahr 2010 auf inzwischen 13 $ gesunken sei. Eine weitere Reduktion stehe mit der weiteren Verbreitung der Sensorik bevor. Die bisher zentrale Netzstruktur wandelt sich. Das Netz wird dezentraler und gleichzeitig komplexer, autonomer und intelligenter. Denn Transparenz sowie Regelungen sind auf allen Ebenen gefordert und ohne Digitalisierung ist das Regelungsparadoxon nicht in den Griff zu bekommen. Die elektrische Energieversorgung wird deshalb smarter, digitaler und elektronischer werden. Kreusel bezeichnete die Energiewende als eine besondere ,industriepolitische Chance', die genutzt werden müsse. Neben Konnektivität (v.a. bezüglich der E-Fahrzeuge) ist für die Energiewende eine Lernkultur nötig.
Nachhaltigkeit im Fokus der Podiumsdiskussion
Auch bei der anschließenden digitalen Podiumsdiskussion, an der Prof. Dr.-Ing. Jutta Hanson, TU Darmstadt, Dr. Manfred Horstmann, Globalfoundries, Dr. Andreas Lenz, MdB, Dr. Andreas Piepenbrink, HagerEnergy GmbH, und Prof. Dr. Ina Schieferdecker, BMBF, teilgenommen haben, fungierte Sven Oswald als Moderator. Seine erste Frage an das digitale Podium lautete: „Wie retten Sie mit Ihrer Arbeit das Klima?“ Diese Frage wurde wie auch die folgenden beantwortet, indem Nachhaltigkeitsaspekte und Herausforderungen anhand eigener Bespiele verdeutlicht wurden. Insgesamt zeigte sich Optimismus in den Antworten.
Hanson ging auf die Bedeutung der Übertragungs- und Einspeisenetze ein. Mit der Wende zu den erneuerbaren Energien entstehe eine dezentrale Netzstruktur, die an die elektronische Steuerung neue Herausforderungen stelle, etwa zum Erhalt der Netzstabilität auch in Phasen der „Dunkelflaute“ ohne Wind und Sonne.
Horstmann würdigte das europäische Instrument der IPCEI-Förderung als gelungenen Ansatz, der seinem Unternehmen den Aufstieg zum größten europäischen Wafer-Hersteller ermöglicht habe und plädierte für eine zweite IPCEI-Tranche in der europäischen Mikroelektronik.
Als Vertreter der mittelständischen Wirtschaft richtete Piepenbrink den Blick auf den Wärmemarkt im Eigenheimbereich und den Wandel der Energiespeichertechniken. Ein langfristiger Trend, der gegenwärtig zu wenig strategisch gefördert werde, sei die Kopplung der Elektromobilität mit der dezentralen Energieversorgung. „Wir werden in Elektroautos mehr elektrische Energie speichern können als durch eine Speicherung mittels Wasserstoffs jemals möglich wäre“, sagte Dr. Andreas Piepenbrink im Hinblick auf die beiden Energiespeichermöglichkeiten, die für ihren Betrieb auf Elemente der Leistungselektronik angewiesen sind.
Lenz begrüßte in seiner Eigenschaft als Vorsitzender des parlamentarischen Nachhaltigkeitsbeirats die positiven Beiträge der Mikroelektronik für den Klimaschutz. Die Politik steuere im Bereich der Energiegesetzgebung ständig nach und versuche etwa mit dem ,Mieterstrommodell' mehr Photovoltaik in urbane Quartiere zu bringen.
Für Schieferdecker war wichtig, dass in der Forschungsförderung für die Mikroelektronik nicht nur die Chip-Entwicklung Beachtung findet sondern auch die Software und der Systemkontext. Es müsse darum gehen, in der gesamten Wertschöpfungskette zu einer „grünen IKT“ zu gelangen, die Prinzipien der Nachhaltigkeit und Energieeffizienz berücksichtige sowie zu einer „vertrauensvollen Elektronik“ mit herausragenden Sicherheitsstandards.
Mit einem Schlusswort von Dr. Franz Auerbach endete das 10. Symposium Mikroelektronik. Er bewertete das Symposium trotz des virtuellen Modus' als gut und dankte allen verbunden mit dem Wunsch, dass das 11. Symposium Mikroelektronik in 2022 wieder eine Präsenzveranstaltung sein wird.