Kolumne: Anders gesehen – Auf dem letzten Loch pfeifen

Ein Trompeter bläst den schnellen spanischen Marsch ‚Amparito Roca’ von Jaime Texidor in der Bearbeitung von Aubrey Winter – ein herausfordernder Paso Doble, bei dem die Finger auf allen Löchern des Instruments tanzen

Man könnte sich die Ohren zuhalten, wenn einer mit dem Blasinstrument auf dem letzten Loch trillert, denn das sind die höchsten Töne, die das Instrument hergeben kann, und sie klingen nicht selten extrem schrill. Da der Musiker dann keine höheren mehr aus dem Instrument kitzeln kann, muss er aufgeben, sollte die Partitur noch höhere verlangen. Was uns auf musikalischen Umwegen zu der Through-Hole-Technology (THT) führt.

Der japanische Poet und Ultranationalist Yukio Mishima in Tokio, ehe er Seppuku beging – als bislang letzter Japaner (1970). Seppuku ist eine ritualisierte Art des männlichen Suizids der japanischen Samurai, bei dem ein zur Ehrwiederherstellung entschlossene Suizidant mit einem Dolch oder Schwert seinen Bauch aufschneidet – sich sozusagen das ultimativ letzte Loch zufügt.Vor Jahren, als die ersten oberflächig gelöteten Bauteile auf den Baugruppen erschienen, waren mehrere Fachleute schon dabei, das Aus der durchkontaktierten (THT = Through-Hole-Technology) zu prognostizieren: Sie pfeife sozusagen auf dem letzen Löchlein, denn Löcher braucht sie nun einmal, die jedoch meist als 'Durchkontaktierungen’ bezeichnet werden, außer bei einseitig kaschierten Leiterplatten. Das war so in den 1960er-Jahren, als SM (Surface Mount) ursprünglich als ‚planar mounting' (planare Montage) bezeichnet wurde und wieder einmal von IBM als Erstem in einem kleinen Computer Verwendung fand.

Jedoch ist dieses vorhergesagte Harakiri (腹切) – der Begriff geht auf christliche Missionare in Japan zurück – der THT etwas verfrüht und leider haben die selbsternannten Auguren dann nicht – wie es sich ziemt unter ordentlichen Samurai, die ihr Gesicht verloren haben – Seppuku (切腹) begangen. Somit kann man vermuten, dass weitere dubiose Prognosen von ihnen in die einschlägige Presse lanciert werden.

Obgleich SM-Technologie eine Reihe von verführerischen Vorteilen aufweist, erfreut sich THT nach wie vor einer erstaunlichen Beliebtheit, denn SM hat auch Nachteile und THT Vorteile.

Ein schneller Blick auf die Marktanteile zeigt auf, wie gut es den bedrahteten Bauteilen geht: Die globale Marktgröße für bedrahtete Bauteile erreichte im Jahr 2024 41,1 Mrd. $. Die IMARC Group erwartet, dass der Markt bis 2033 auf 67,5 Mrd. $. steigen wird. [*]

Dagegen muss sich die SM-Technologie mit 5,73 Mrd. $. im Jahr 2023 schon auf die Zehen stellen, um bemerkt zu werden. Es scheint mal wieder, dass 'Totgesagte’ länger leben.

Dafür hat es natürlich Gründe, die schon bei der Einführung der ersten SM-Bauteile bekakelt wurden: Halten die Lötverbindungen bei oberflächigen Bauteilen genauso lange wie jene der bedrahteten in ihren Löchern?

Man fand, dass in vielerlei Hinsicht die Qualität ausreicht, aber wenn es zu sehr wackelt (Vibrationen), sie mehrmals mechanischen Belastungen ausgesetzt werden (mechanischer Schock) oder aber sie viele 'dramatische’ thermische Exkursionen erleiden müssen, man mit bedrahteten Bauteilen besser aufgestellt ist. Damit sicherten sich diese Bauteile mehrere ganz wesentliche Anwendungsbereiche.

Der Drang zu immer kleineren Bauteilen, um Gerätegrößen soweit zu reduzieren, dass man 'Handys’ auch kleinen Kindern in die Hand drücken kann, geht in gewisser Weise nach hinten los. Denn solche Winzlinge, wie die 01005-Bauteile, die gerade Furore machen, kann man kaum mit zittrigen Fingern auf die Lotpaste befördern. Die Landeflächen mit Paste zu versehen und dann das Bauteil aufzusetzen, sodass die vielen möglichen Fehler zuverlässig vermieden werden, bedarf teurer Maschinen und die kann sich ein kleiner dahinkrebsender Betrieb nicht leisten. Konsequenterweise überlässt man das dann Großfirmen, die auch Personal anheuern können, um die Probleme anzugehen, die sich hier stellen [1]. Für all jene, die reichlich Platz in ihren (Haushalts-?)Geräten haben, lohnt sich also dieser Schritt nicht.

Da sich die bedrahtete Technik bereits über fünfzig Jahre behauptet hat, sind die verschiedenen Prozessschritte den meisten Firmen vertraut. Die Qualität von Durchkontaktierungen zu beurteilen, Bauteile per Hand (immer noch weit verbreitet!) oder mit Maschinen und Robotern einzufädeln, alles dann hübsch schwallzulöten und zu prüfen, ist weitgehend Routine und wird in vielen kleineren Betrieben von Hausfrauen ausgeführt, die Bilder ihrer Enkel auf dem Tisch stehen haben.

Etwas exotischer ist die PiP (Pin in Paste = Beinchen in Paste)-Vorgehensweise, die den Reflowprozess ausnützt, den die Baugruppe sowieso durchlaufen muss, weil die Mehrzahl der Bauteile oberflächig gesetzt wurde (Mischbestückung). Hier melden sich hauptsächlich zwei Fragen: a) wie bekommt man genug Paste in die Löcher und b) wie lässt sich vermeiden, dass beim Bestücken die Paste durchgeschoben wird und somit verlustig geht?

Pin-In-Paste-MethodePin-In-Paste-Methode

Die Berechnung der Pastenmenge hängt sehr vor der Spezifizierung der Durchkontaktierung ab und von der Form der Anschlussdrähte – rund oder flach, rechteckig oder quadratisch? Zum Glück gibt es einschlägige Rechengenies, die dem Anwender die entsprechenden Formeln unterbreiten, die zumindest für die Berechnung nötig sind.

Das Durchdrücken der Paste hängt von der Einfädelgeschwindigkeit und noch mehr von der Konsistenz der gewählten Paste ab. Gerundete oder spitze Beinchen haben da eventuell weniger Probleme als jene mit flachen Enden. Zudem sollte es weder beim Transport wackeln noch eine holprige Weiterreichung von einem Transportband zum nächsten die oft hohen Bauteile umkippen lassen.

Was uns automatisch auf den Gedanken der Reparatur bringt. Bei den 01005-Bauteilen wird regelmäßig eine Reparatur weitgehend ausgeschlossen, vor allem, wenn sie – wie traditionell üblich – per Hand ausgeführt werden soll. Das Internet ist voll mit gütigen Ratschlägen, aber die Großproduktionen richten das Augenmerk eher darauf, geringe Fehlerquoten zu erzielen. Bei bedrahteten Bauteilen kann man nicht nur mit dem heißen Lötkolben den Fehler beseitigen, sondern es gibt eine große Auswahl an Geräten, die dabei helfen können. Zudem sind bedrahtete Bauteile eben eher auf menschliche Größe zugeschnitten als die kleinsten der SM-Kategorie.

Vergessen wird dabei, dass sich die inzwischen beliebten Selektivlötanlagen aus den Reparaturmaschinen entwickelt haben. Statt PiP kann man bei den Mischbestückungen oft die nach dem Reflowlöten verbleibenden Lötstellen mit solchen Geräten fertigen. Die zehn oder zwanzig Selektivlötanlagen am Schluss einiger Produktionslinien deuten jedoch darauf hin, dass der Entwurf der Baugruppe viel zu wünschen übrig lässt. Die Managerinnen und Designer sollten vielleicht mal einen Kurs für DfM (Design for Manufacturing = Entwurf für die Fertigung) belegen, denn das würde zwar den armen Maschinenherstellern schaden, jedoch die Kosten und speziell die Fehlerraten dramatisch verringern.

Das heißt nicht, dass die Leiterplattenhersteller ihre tollen Bohrmaschinen abschaffen müssen, denn Löcher in Leiterplatten wird es sicherlich noch lange geben. Ob man zusätzliche Löcher in Blasinstrumente bohren sollte, steht dahin.

Passive Bauteile der Serie 0603, 0201 und 01005Passive Bauteile der Serie 0603, 0201 und 01005

Durchgeschobene PasteDurchgeschobene Paste

Referenzen

[*] www.imarcgroup.com/through-hole-passive-components-market (Abruf: 16.06.2025).
[**] Yu Wang, Michael Olorunyomi, Martin Dahlberg, Zoran Djurovic, Johan Anderson und Johan Liu, ‚Process and pad design optimization for 01005 passive component surface mount assembly’, Soldering & Surface Mount Technology Volume 19, Nr. 1, 2007, S. 35 (Abruf: 16.06.2025).

Literatur

[1] Sjef van Gastel u. Claudia Mallok; '01005-SMD-Chips verarbeiten Bei einem Abstand von 60 µm sind 01005-Komponenten produktionsgeeignet'; Elektronik Praxis; 2009.
[2] Vatsal Shah et al.; Process Development for 01005 Lead-Free Passive Assembly: Stencil Printing; Speedline and Indium Corp 2006.
[3] Vamsi Gajula; 'How to solder components on PCB by using through hole reflow process; 33 digital we days'; April 23, 2024.
[4] Ross B. Berntson et al.; 'Through-Hole Assembly Options for Mixed Technology Boards'; IPC Printed Circuits Expo; SMEMA Council APEX ; Designers Summit 04.

  • Titelbild: Ein Trompeter bläst den schnellen spanischen Marsch ‚Amparito Roca’ von Jaime Texidor in der Bearbeitung von Aubrey Winter – ein herausfordernder Paso Doble, bei dem die Finger auf allen Löchern des Instruments tanzen
  • Ausgabe: Juli
  • Jahr: 2025
  • Autoren: Prof. Armin Rahn
Image

Eugen G. Leuze Verlag GmbH & Co. KG
Karlstraße 4
88348 Bad Saulgau
GERMANY

Tel.: +49 7581 4801-0
Fax: +49 7581 4801-10
E-Mail: info@leuze-verlag.de

 

Melden Sie sich jetzt an unserem Newsletter an: