In meiner Kolumne vom Mai 2024 habe ich das Thema bereits ganz kurz indirekt aufgenommen, als ich mich einführend der KI/AI sowie NVIDIA und deren Game-Changer-AI-Boards widmete: „Am Rande der richtungsweisenden Elektronikmessen wie der CES hat der CEO von NVIDIA (Jen-Hsun Huang) auf der GPU 2024 fast beiläufig ins Spiel gebracht, dass …“.
Jen-Hsun Huang tat dies bereits auf einer speziellen Fachmesse für Grafikprozessoren und nicht auf der HMI oder der ‚electronica'. Das mag verwundern, ist aber offensichtlich der Trend. Die GPU ist nur ein Beispiel. Es gibt immer häufiger neue Formate – und die führen durchaus zum Sterben von Traditionsmessen. So hat die SMT&Hybrid trotz neuem Branding als SMTconnect nicht überlebt. Parallelmessen und die neuen Formate von Messen lenken die Interessenten und Kunden um. Und tragen nur bedingt zur Belebung einer Messe mit relativ teuren Investitionsgütern wie Bestückautomaten bei. Dafür gibt es inzwischen, wie angesprochen, ein anderes Format, nämlich eigene Hausmessen bzw. den Zusammenschluss befreundeter Firmen zu Themenmessen/Konferenzen. Sie sind damit einerseits zu einer klaren Konkurrenz geworden. Andererseits zeigt sich auch, dass gewisse Formate einfach nicht mehr zeitgemäß sind. Woran liegt das?
Impressionen von der IFA 2024 in Berlin
Besuchern steht immer weniger Zeit zur Verfügung
In den Boom-Zeiten der Elektronik-Industrie war man mindestens drei Tage entweder in Nürnberg auf der SMT und/oder sogar fünf bis acht Tage in München auf der ‚electronica'. Als die ‚electronica' auf der Theresienhöhe / auf der Wiesn lokalisiert war, ging sie auch bis Samstag und darüber hinaus (wie es Gustl Keller in der letzten Ausgabe beschrieben hat).[1] Das habe ich in den 1990ern selbst noch erleben können. Die ‚electronica' 2024 scheint eine rühmliche Ausnahme zu sein und verspricht jetzt schon ein riesiger Erfolg zu werden. Rekorde, Rekorde, Rekorde bei Ausstellern, bei der Messefläche – evtl. auch bei den Besuchern? Obwohl das Ganze nur noch an vier Tagen stattfindet. Frage ist: Wie wird die Stimmung und der Optimismus sein? Reicht es dazu, dass auch in zwei Jahren die Weltleitmesse ‚electronica' wieder so einen Zuspruch erlebt?
Gut besucht: ‚electronica‘ im Jahr 2022
Werden neue Formate und Orte eine größere Bedeutung erhalten?
Wodurch waren früher die Messen charakterisiert? In Bayern, vor allem in München, waren sie immer ein bisschen Oktoberfest am Abend, an den Messeständen gab es eben Brezeln und Weißwurst. Das kann man inzwischen aber auch in China bekommen.Schauen wir einmal auf aktuelle internationale Messekalender [2]. Im gleichen Zeitraum von einem Jahr (November 2024 – November 2025) finden in der Volksrepublik China 50 Elektronikmessen statt, in Deutschland 32 und in den USA 15. Was also sind in der Nach-Corona-Zeit die ‚Unique Selling Points' von Elektronikmessen in Deutschland? Nun, man muss nicht so weit reisen: Das spart Zeit und Geld für die Mittel- und Westeuropäer. Für Amerikaner und Asiaten sind das keine schlagenden Argumente. Aber an die möchte man doch seine Waren und Dienstleistungen verkaufen, denn dort sind die Zukunftsmärkte zu finden – leider nicht hier in Westeuropa. Oder fällt Ihnen eine entsprechend vielversprechende größere Investition eines Elektronikherstellers bzw. Verarbeiters/Veredlers ein, welche die Wettbewerbsfähigkeit für die nächsten Jahre hier in Westeuropa sichert? Vielleicht wird ja der Großauftrag aus Australien an Liebherr – medial wirksam unterzeichnet auf der MINExpo in Las Vegas (USA) – zur Lieferung von ‚Mulden-Kippern' für sage und schreibe 2,5 Mrd. € ein Leuchtturm sein [3]. Sie fragen sich, was haben jetzt der Bergbau und die rollenden Monster mit Elektronik zu tun? Nun, diese Vehikel sollen allesamt vollelektrisch angetrieben werden. Also etwas für Hochspannungs- und Hochstrom-Elektronik … Wer sind die Zulieferer in Europa, oder muss man sich doch wieder in Asien bedienen? Aber das würde jetzt zu weit führen … vielleicht widme ich mich diesem Thema zu einem späteren Zeitpunkt. Wir waren beim Thema Messen und deren Nutzen im Hier und Heute, und auch in Zukunft, hier in Europa. Meiner Meinung nach werden mehrere Messen ihren Stellenwert und ihren Charakter als Leitmesse verlieren und damit früher oder später verschwinden. Messen sind eben auch nur das Spiegelbild einer funktionierenden Wirtschaft.
Batterieelektrischer T264 auf der MINExpo 2024 in Las Vegas
Stellenwert von Messen hat sich geändert
Es fehlen einfach die Triebkräfte für entsprechend große und erfolgreiche Messen, vor allem in einer Zeit, in der es bei vielen Unternehmen um das nackte Überleben geht. Und diesmal wird es sich wahrscheinlich und dummerweise nicht nur um eine Delle, um ein Ab im Schweinezyklus handeln, sondern ein tiefgreifender und dauerhafter Einschnitt sein. Die durchgehende Wertschöpfungskette der Elektronikbranche hier in Deutschland wird sich weiter auflösen und nur noch rudimentär und mit kleinen Inseln und einigen Unicorns weiter am Markt um Aufträge kämpfen. Und das im Wettbewerb mit globalen Anbietern aus Ost, West und Süd.
Die verbliebenen Hersteller von Elektronik und Maschinen für die Produktion von Elektronik werden vor allem Hausmessen bespielen und auch auf einigen großen Leitmessen vertreten sein.
Diese Leitmessen sind nicht weg, sondern eben auch woanders.
Man kann das ja auch mal so sehen.
Herzliche Grüße
Jan Kostelnik
www.tebko.de
Quellen
[1] ‚Die Weltleitmesse der Elektronik wird 60 und größer', PLUS 10/2024.
[2] messeinfo.de
[3] Vgl. www.liebherr.com/de-de/n/größter-auftrag-in-der-firmengeschichte-475-liebherr-maschinen-gehen-an-den-mining-konzern-fortescue-97280-6335108 (Abruf: 11.10.2024).