Leiterplatten für Gründer – und (viel) mehr …

Leiterplatten für Gründer – und (viel) mehr …

Selten wurde ich so oft von Freunden und Kollegen (jeweils m/w/d) um meinen Berufswechsel beneidet wie vor zwei Jahren, als ich vom Produktmanagement eines schwäbisch-globalen Technologiekonzerns an das Start-up-Center der Eberhard-Karls-Universität Tübingen wechselte [1]. Und wie von allen Seiten erwartet sind die Aufgaben extrem vielfältig und spannend.

Im Innovationslabor unterstütze ich Gründungsinteressierte aus der Uni in ihren unterschiedlichen Themen und über individuelle Beratung und Betreuung. Daneben sehe ich für mich auch die Aufgabe, an einer Universität ohne Ingenieurwissenschaften Interesse an Prototypen- und Produktentwicklung zu wecken und Gründungsabsichten zu fördern. Daraus stellten sich wiederum einige Leitfragen für das Innovationslabor und für die Konzeption von Veranstaltungen:

  • Was hilft gründungsinteressierten Studierenden, welche Inhalte und Hintergründe sind wichtig?
  • Wo funktioniert Innovation in Start-ups und etablierten Betrieben und wo gibt es Vorbilder und best practise?
  • Wie motiviere ich zu neuen Ideen und Lust auf Selbermachen und wie vermittle ich dazu technische Grundlagen und Themen der Produktentwicklung?

Der Rückblick auf die Zeit ab 1995 half dabei sehr, damals hatte ich an der Uni Tübingen ja selber ein Unternehmen zusammen mit Kommilitonen ausgegründet [2].

Ich war dort bis 2007 aktiv – viele Jahre auch bei der Elektronik- und Leiterplattenentwicklung für Sensorsysteme, von Wasserstoffsensoren bis zu sogenannten ‚elektronischen Nasen'.

Von Seiten der Uni bekam man vor 25 Jahren leider bestenfalls moralische Unterstützung – und auch heute ist der Etat des Innovationslabors insbesondere im Vergleich zu Technischen Universitäten sehr begrenzt. Umso wichtiger ist damit die Auswahl von Themen, die Beschränkung auf wesentliche Angebote und die Berücksichtigung von Rückmeldungen der Teilnehmer, die im Rahmen eines kontinuierlichen Verbesserungsprozesses in die Veranstaltungen einfließen.

„Beim Workshop halten einige Teilnehmende das erste Mal eine Leiterplatte in der Hand.“

Während der Pandemie konnten vier Veranstaltungen zur Produktentwicklung im Online-Format angeboten werden, eine davon war ganz den Themen Elektronik und Leiterplattendesign gewidmet. Beides zusammen bildet ja den unverzichtbaren Kern vieler heutiger Produkte. Auch kann man exemplarisch gut die Verknüpfung zwischen Produktanforderungen und Technologieentwicklung bei Leiterplatten zeigen, etwa anhand von LCD-Displays, die Mikrofeinstleitertechnik im Hochvolumen benötigen. Ein weiteres Beispiel ist die Zuverlässigkeit von Elektronik und Leiterplatten für automotive Anwendungen, dieses Thema beschäftigte mich auch einige Jahre als Projektleiter [3].

Aktuell bietet das Innovationslabor eine Reihe von neun Workshops à drei Stunden mit jeweils begrenzter Teilnehmerzahl an. Diese ‚Blitzlichter' bieten Einblicke in grundlegende, technische und kommerzielle Aspekte der Produktentwicklung und ermöglichen gleichzeitig auch praktische Erfahrungen. Die geringe Teilnehmerzahl erlaubt, fast individuell und während der Veranstaltung den Wissenshintergrund zu berücksichtigen. So halten beim Workshop Elektronik einige Teilnehmende das erste Mal eine Leiterplatte und ein IC in der Hand und stecken oder löten sich eine Schaltung zusammen, mit LT Spice und Simulink können einfache oder für Fortgeschrittene auch recht komplexe Schaltungen simuliert werden. Videos vermitteln Einblicke in den Stand bei der Massenfertigung und die Verarbeitung aktueller miniaturisierter Bauteilformate.

Beim Workshop Leiterplatte kommt Fusion360 zum Einsatz [4], es werden Schaltpläne gezeichnet, Bibliotheken erstellt, am Leiterplattenlayout gearbeitet und die Anbindung an mechanisches CAD ausprobiert. Herstellungsprozesse von Leiterplatten und Möglichkeiten für die Auftragsfertigung von Prototypen und Serien werden gezeigt, ebenso Einblicke in historische Ausführungen von Elektronik und natürlich auch Kosten- und Marktaspekte.

Auch ganz grundsätzliche Themen einer Produktentstehung streifen die Workshops, z. B. Marktaspekte, Megatrends, Firmenstrukturen und -prozesse, Qualitätsmanagement, rechtliches Umfeld mit Sicherheit, Haftung, geistigem Eigentum und auch einzelne Konzepte und Methoden wie pretotyping, first time right, TRIZ und viele weitere. Da auch kaum ein physisches oder Softwareprodukt rein ausschließlich aufgrund von pragmatischen Aspekten einen Käufer findet, wird auch das Thema hedonische, also ‚emotionale' Qualität und deren Erfassung behandelt. Neben der Technologie fließen hier auch in hohem Maß Kreativität und Verständnis für Design in eine Entwicklung mit ein – und darüber entstehen natürlich auch neue Anforderungen für alle Komponenten, wie auch die Elektronik und die Leiterplatte.

Die Rückmeldungen auf die bisherigen Angebote und Veranstaltungen waren ausgesprochen positiv. Für gut ein Drittel der Teilnehmenden war das Thema Entwicklung und Fertigung von Elektronikprodukten und Leiterplatten völlig neu. Nahezu alle Teilnehmenden fanden das Konzept gut, eine Produktentwicklung möglichst umfassend und aus unterschiedlichster Perspektive darzustellen. Und wenn ein Workshop aufgrund der vielen Fragen anstatt drei (mit Pause) über vier Stunden (ohne Pause) dauert, freue ich mich uneingeschränkt über das große Interesse – denn an der Uni unterliege ich keinem strengen Zeitmanagement wie bei einer Produktentwicklung in der Industrie.

Referenzen

[1] www.uni-tuebingen.de/gruenden
[2] Heute www.sciosense.com
[3] https://www.edacentrum.de/trace/
[4]www.autodesk.de/products/fusion-360

 

  • Ausgabe: August
  • Jahr: 2023
  • Autoren: Dr. Andreas Krauß
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