AOI und SPI in einer einheitlichen Plattform

KI-getriebene AOI- und SPI-Lösung von Delvitech

Delvitech entwickelt seit 2018 in der Schweiz Inspektionssysteme für die Elektronikfertigung. Mit Horus und Aton bietet das Unternehmen eine Plattform, die AOI und SPI kombiniert und auf proprietärer Hardware sowie trainierbarer KI basiert.

Im Dezember 2024 hat Delvitech mit der Gründung von Delvitech in Nürnberg eine eigene Niederlassung in Deutschland eröffnet. Damit reagiert das Unternehmen auf die hohe Bedeutung des deutschen Marktes mit seiner stark ausgeprägten Elektronik- und Halbleiterindustrie. Die neue Gesellschaft soll nicht nur Vertrieb und Beratung übernehmen, sondern vor allem den Service stärken. Dazu gehören Ersatzteile vor Ort und ein lokales Team von Ingenieuren, das Kunden bei Installation, Wartung und Applikationsfragen unterstützt. Ziel ist es, die Hemmschwelle für den Einsatz der noch jungen Plattform in einem Umfeld zu senken, das traditionell hohe Anforderungen an Prozessqualität, Dokumentation und langfristige Verfügbarkeit stellt. Mit dieser Präsenz will Delvitech sicherstellen, dass Anwender in Deutschland dieselben Reaktionszeiten und Servicelevel erwarten können, die bei etablierten AOI- und SPI-Herstellern seit Jahren Standard sind.

Horus und Aton vereinen SPI und AOI

Delvitech verfolgt mit Horus und Aton einen Ansatz, der automatische optische Inspektion und Lotpasteninspektion in einer gemeinsamen Plattform zusammenführt. Statt für Pastendruck, Bestückung und Reflow unterschiedliche Systeme einzusetzen, können Anwender ein einheitliches Inspektionsprogramm nutzen, das über alle Fertigungsstufen hinweg gültig bleibt. Horus ist als universelle Lösung mit beweglichem optischem Kopf bei feststehender Leiterplatte ausgelegt, während Aton mit fixem Kopf und bewegtem Transport für Baugruppen mit großen Bauteilhöhen und hohem Gewicht entwickelt wurde.

Beide Systeme decken Leiterplattenformate bis 560 × 550 mm, mit einem Gewicht bis zu 5 kg und einer Bauteilhöhe von 55 mm, ab. Die Lade- und Entladezeiten liegen unter zwei Sekunden. Linearmotorachsen sorgen für präzise Bewegungen und ermöglichen damit auch die Einbindung in Hochgeschwindigkeitslinien. Optional können die Systeme mit Dual-Lane-Transport ausgestattet werden, um Takte weiter zu verkürzen. Aton verfügt über einen Z-Verfahrweg von 80 mm und ist für schwere Leiterplatten mit hohen Bauteilen ausgelegt. Der feste Optikkopf und der bewegte Transport erlauben stabile Messungen bei Baugruppen mit großer Massenträgheit. Horus nutzt die gleiche Software und Optikfamilie, arbeitet aber mit beweglichem Kopf bei feststehender Leiterplatte, was die Nutzung in allen Standardprozessen inklusive Post-Reflow erleichtern soll.

3D-AOI/SPI-Lösung Horus3D-AOI/SPI-Lösung Horus

3D-AOI-Lösung Aton3D-AOI-Lösung Aton

Optische Architektur und Datenerfassung

Das zentrale Element ist das optische Modul 3IS. Es enthält fünf Kameras, darunter eine 25-Mpx-Topkamera und eine polarisierte 12-Mpx-Kamera, die ergänzend zu Standardbildern auch Informationen über transparente Materialien wie Klebstoffe liefern kann. Vier digitale RGB-Projektoren und strukturierte RGBW-Beleuchtung in drei Ebenen ermöglichen eine vollständige 3D-Rekonstruktion des Sichtfelds. Hinzu kommt eine telezentrische Optik mit 11 µm Pixelauflösung. Das Sichtfeld beträgt 50 × 50 mm. Nach Herstellerangaben entstehen pro Aufnahme Datenmengen zwischen 15 und 18 GB, die durch eigene Hochgeschwindigkeitsboards synchronisiert und verarbeitet werden. Kameras, Projektoren, LEDs und die Steuerplatinen wurden vollständig im eigenen Haus entwickelt, um die nötige Datenrate und Synchronität zu gewährleisten. Laut Delvitech verwenden Wettbewerber dagegen teilweise Standardkomponenten, die in den letzten Jahren zwar ebenfalls optimiert wurden, aber in ihrer Architektur nicht in dieser Konsequenz auf proprietäre Integration setzen.

Ein spezielles Beispiel ist die Polarisationskamera, die es erlaubt, transparente Kleber auch in unterschiedlichen Schichtdicken darzustellen und in 3D zu vermessen. Damit können Bauteile mit Klebeprozessen kontrolliert werden, die klassische AOI-Systeme nicht erfassen. Ähnlich gilt dies für mechanische Elemente wie Schrauben oder metallische Abschirmungen, die in herkömmlichen Systemen oft als Störgeometrien ausgenommen werden.

Softwarearchitektur und trainierbare Inspektoren

Die Software Neith bildet die Steuer- und Auswertungsumgebung. Sie basiert auf einer webbasierten Microservices-Architektur, die modular erweitert werden kann. Für die Einbindung in Produktionsumgebungen stehen Schnittstellen zu gängigen MES- und Traceability-Systemen bereit. Inspektionsaufgaben sind als spezialisierte neuronale Netze implementiert. Diese Inspektoren decken Pin-Konturen, Polarity-Erkennung, OCR sowie Lötstellenanalyse ab und führen quantitative Messungen wie Höhe, Position oder Volumen durch. Ein weiterer Bestandteil der Lösung ist der Training Manager. Mit ihm können Anwender neue Komponenten selbst anlernen, wenn sie nicht in der Standardbibliothek enthalten sind. Die Netze werden dabei lokal weitertrainiert, ohne bestehende Inspektionsprogramme zu destabilisieren. Dies unterscheidet Delvitech laut eigener Aussage von anderen Anbietern, deren Systeme automatische Prüfprogrammerstellung bieten, aber nicht auf nachtrainierbare neuronale Netze setzen. Der Aufwand für neue Produkte in Linien mit hoher Variantenvielfalt soll dadurch sinken, gleichzeitig entsteht aber eine Abhängigkeit von der Qualität der Trainingsdaten vor Ort.

Die Software ist zudem in der Lage, Prozessabweichungen vorherzusagen. Statt ausschließlich fertige Fehlerbilder zu erkennen, wird auf Basis von Schwankungen in Volumen oder Höhenprofilen eine mögliche Fehlerentstehung prognostiziert. Ziel ist, Ausschuss zu vermeiden, bevor er entsteht. Nach Herstellerangaben sinkt die Fehlalarmrate im Vergleich zu klassischen AOI-Systemen um den Faktor zehn. Unabhängige Messungen dieser Quote liegen bislang nicht vor.

Prozessintegration und Nachhaltigkeit

Delvitech betont die Vereinheitlichung der Inspektionsprogramme über alle Fertigungsstufen. Auf der IPC APEX EXPO 2025 wurde Horus mit einem Bedienkonzept vorgestellt, das getrennte Tabs für Pastendruck, Bestückung und Reflow bietet, die alle in einer gemeinsamen Verifikationsumgebung zusammenlaufen. Pastenfehler und Bauteilfehler werden damit in einer Oberfläche dargestellt, was die Bedienung vereinfachen soll. Die Plattform ist sowohl für lokale Datenhaltung als auch für cloudbasierte Nutzung ausgelegt. Bibliotheken und Prüfergebnisse können zwischen unterschiedlichen Werken geteilt werden. Damit richtet sich Delvitech auch an global agierende EMS, die Konsistenz über mehrere Standorte hinweg benötigen. Als Beitrag zur Nachhaltigkeit verweist das Unternehmen auf den reduzierten Ausschuss und die damit verbundenen Einsparungen an Material, Energie und CO2.

Marktauftritt und Referenzen

Die Systeme sind erst seit wenigen Jahren am Markt. Erste Referenzen gibt es in Indien bei Kaynes Technology, wo die Plattform in den Bereichen Automotive, Luftfahrt und Medizintechnik eingesetzt wird [*]. In der Schweiz laufen Installationen bei kleineren EMS. Um die Akzeptanz zu erhöhen, hat Delvitech neben dem Hauptsitz in Mendrisio Büros in Bengaluru, Dallas und Nürnberg eröffnet. In Indien arbeiten mehr als 25 Mitarbeiter für das Unternehmen, während die Deutschland-Niederlassung Service, Ersatzteile und lokale Ingenieure bereitstellen soll. In den USA wurde 2025 ein Büro nahe Dallas eröffnet, das den nordamerikanischen Markt abdeckt. Zur Unterstützung der Expansion wurde im Frühjahr 2025 eine Finanzierungsrunde abgeschlossen. Insgesamt flossen 12 Mio. CHF, darunter 4 Mio. CHF in Form eines Wandeldarlehens und 8 Mio. von bestehenden Aktionären. Für eine Serie-B-Finanzierung in Höhe von 25 Mio. CHF besteht ein Mandat an eine Investmentgesellschaft. Ziel ist die Skalierung der Plattform und die Ausweitung der Präsenz in Europa, Asien und Nordamerika.

Vergleich mit Wettbewerbern

Systeme von TRI, Koh Young oder Göpel haben über viele Jahre hinweg große Serienfertigungen begleitet. Sie bieten umfassende Unterstützung für Smart-Factory-Standards wie IPC-CFX, Hermes oder IPC-DPMX und sind in MES-Umgebungen integriert. TRI hat mit dem TR7600FB SII ein 3D-AXI-System vorgestellt, das Künstliche Intelligenz für die Programmierung nutzt und Inspektionsgeschwindigkeiten von 20 FOV pro Sekunde erreicht. Koh Young setzt in der aSPIre-Serie auf vier Projektoren und hochauflösende Pixelgrößen, um lbst kleinste Unebenheiten in Sinterpasten zu erkennen. Göpel hat mit MagicClick eine Lösung entwickelt, die Prüfprogramme automatisch aus CAD-Daten generiert und so den Zeitaufwand reduziert.

Delvitech unterscheidet sich von diesen Ansätzen durch die vollständige Eigenentwicklung von Kameras, Projektoren und Steuerboards sowie durch die Integration trainierbarer neuronaler Netze. Während Wettbewerber bei der Erkennung von Sonderfällen wie transparenten Klebern oder mechanischen Bauteilen oft an Grenzen stoßen, adressiert Delvitech diese explizit. Ob sich diese Vorteile in der industriellen Breite durchsetzen, hängt davon ab, ob die Systeme im 24/7-Betrieb stabil arbeiten und unabhängige Studien die behaupteten Verbesserungen bei Fehlalarmquote und Prozesssicherheit bestätigt werden.

Referenzen

[*] legacy.delvi.tech/kaynes-technology-selects-delvitechs-3d-ai-based-aoi-solutions/

  • Titelbild: KI-getriebene AOI- und SPI-Lösung von Delvitech
  • Ausgabe: September
  • Jahr: 2025
  • Autoren: Thomas Joos
  • Link: https://delvi.tech/
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