Das Elektrolytmanagement steht im Zentrum der galvanischen Wertschöpfung. Digitale Lösungen ermöglichen die Transformation von reaktiver Badpflege zu vorausschauender Prozesssteuerung. Der Beitrag zeigt Entwicklungsstufen vom klassischen Management über digitale Systeme bis zu KI-gestützten Prognosemodellen und digitalen Zwillingen.
Elektrolyte als Erfolgsfaktor
Die Elektrolyte bilden das Herzstück jeder galvanischen Anlage. Während Anlagentechnik, Logistik und qualifiziertes Personal die Rahmenbedingungen schaffen, findet die eigentliche elektrochemische Schichterzeugung im Elektrolyten statt. Die präzise Führung der Badchemie entscheidet maßgeblich über Prozessstabilität, Produktqualität und Wirtschaftlichkeit.
Untersuchungen in der Praxis zeigen erhebliche Einsparpotenziale durch optimiertes Elektrolytmanagement: Ressourcenkosten lassen sich durch geringeren Chemie-, Wasser- und Abwasserverbrauch um etwa 14 % reduzieren. Die Qualitätskosten durch verbesserte Prozessstabilität können um 3 bis 26 % sinken, wobei die große Spannweite die unterschiedlichen Ausgangssituationen der Betriebe widerspiegelt. Inwieweit die Personalkosten durch Automatisierung und vereinfachte Prozesse ebenfalls signifikant gesenkt werden können, ist noch nicht bewertet worden. In der Praxis werden die frei werdenden Personalkapazitäten eher zur Erfüllung anderer Aufgaben genutzt. Zu beachten ist, dass die vorgenannten Werte lediglich eine grobe Orientierung aus wenigen Erfahrungseinschätzungen darstellen und sich nicht an wissenschaftlichen Fakten ausrichten.
Abbildung 1: Schematische Darstellung des Elektrolytmanagement-Prozesses
Herausforderungen der klassischen Praxis
Abbildung 2: Zeitverzüge im ElektrolytmanagementDas traditionelle Elektrolytmanagement (Abb. 1) kämpft mit systematischen Herausforderungen. Zeitverzögerungen zwischen Probennahme, Analyse und Korrekturmaßnahmen führen zu unpassenden Dosierungen, da sich die Badzusammensetzung zwischenzeitlich verändert hat. Diese Verzögerungen gliedern sich in Informationszeitverlust (Zeit bis zum Vorliegen der Analyseergebnisse) und Reaktionszeitverlust (Zeit bis zur Umsetzung der Korrekturmaßnahmen) (Abb. 2).
Eine weitere kritische Herausforderung stellt die Datenlücke zwischen den Analysen dar. Der tatsächliche Konzentrationsverlauf zwischen zwei Messpunkten bleibt unbekannt, was die Prozessführung erschwert und das Risiko fehlerhafter Maßnahmen erhöht. Zudem sind Informationen oft über verschiedene Systeme und Abteilungen verteilt, was die Nachvollziehbarkeit von Maßnahmen und deren Auswirkungen beeinträchtigt.
Digitalisierung als Lösungsansatz
Die Digitalisierung des Elektrolytmanagements adressiert diese Herausforderungen systematisch. Sie ermöglicht die Führung komplexerer Prozesse, erfüllt Dokumentationspflichten für anspruchsvolle Branchen und schafft die Grundlage für Produktivitätssteigerungen. Durch die Erzeugung von Daten, die maschinell verarbeitet werden können, entsteht neues Wissen, das für KI-gestützte Optimierungen genutzt werden kann.
Das digitale System basiert (wie die bisher übliche Praxis) auf dem Konzept der Konzentrationsgrenzen: Äußere Grenzen definieren den Bereich für fehlerfreie Produktion, innere Grenzen signalisieren Handlungsbedarf bei noch möglicher Produktion. Verbreitete Bezeichnungen für die Grenzen mit unternehmensspezifisch variierenden Definitionen sind Warn-, Eingriffs-, Toleranz- MIN-, MAX- und Spezifikationsgrenzen. Ziel ist dabei im ersten Schritt die Prozessstabilisierung, um anschließend die Prozessoptimierung zu ermöglichen (Abb. 3).
Abbildung 3: Konzentrationsverlauf mit inneren und äußeren Grenzen zur Prozesssteuerung
Implementierung digitaler Systeme
Ein digitales Elektrolytmanagement-System integriert verschiedene Komponenten zu einem durchgängigen Workflow. Die Analysewerte werden entweder manuell erfasst, über Schnittstellen aus Laborsystemen importiert oder direkt von Inline-Messgeräten übernommen. Das System berechnet automatisch Korrekturempfehlungen basierend auf konfigurierten Regeln und Grenzwerten.
Die (teil-)automatische Badführung umfasst komplexe Schrittketten für Badneuansätze, Teilverwürfe und Beckenreinigungen. Durch die Integration von Ventilen, Pumpen und Heizungen in automatisierte Abläufe reduziert sich die Fehlerquote erheblich. Gleichzeitig kann weniger qualifiziertes Personal eingesetzt werden, da das System durch die komplexen Prozesse führt. Anlagen mit geringem Automatisierungsgrad können durch die Integration manueller Handlungsschritte (z. B. Bediener soll Handventil öffnen) ebenfalls von den Vorteilen profitieren.
Perspektiven
Die Vernetzung verschiedener Perspektiven ist ein Kernmerkmal: Verfahrenstechnik, Labor, Qualitätssicherung, Produktion, der Anlagen-Meister und sogar Kunden erhalten jeweils eine angepasste Ansicht der relevanten Daten. Dies schafft Transparenz über Abteilungsgrenzen hinweg und ermöglicht schnelle, fundierte Entscheidungen. Die anwenderspezifische Darstellung nimmt Menschen mit, indem sie einen auf die Rolle zugeschnittenen Zugang zu einem komplexen digitalen System bietet und damit Überforderung vermeidet. Das bis hierhin Beschriebene stellt den bisherigen Stand der Technik dar (Abb. 4).
Abbildung 4: Interaktive Regelkartenansicht
Digitale Zwillinge und Prognosemodelle
Der digitale Elektrolytzwilling, der sich aktuell in der Entwicklung befindet, stellt die nächste Evolutionsstufe dar. Er bildet den bisherigen, aktuellen und zukünftigen Zustand aller Elektrolyte ab. Die Konzentrationen im Elektrolyten sind damit vor und nach jedem Warenträger präzise bekannt. Dies ermöglicht proaktive Dosierungen sowie fundierte Prozessanalysen.
Für die Erstellung eines digitalen Zwillings werden klassisch vorhandene Daten (Messwerte, Laboranalysen, Stoffdaten) mit neuen Datenquellen (Artikeldaten, Ablaufprogrammen, Anlagenereignissen) kombiniert. Bekanntes Wissen aus Physik, Chemie und Galvanotechnik fließt ebenso ein wie moderne IT-Technologien einschließlich Algorithmen, Machine Learning und KI. Als entscheidend erweist sich auch die Strukturierung und Verknüpfung der Daten.
Die Prognosefähigkeit entsteht durch lernende Systeme, die aus dem Abgleich zwischen Berechnung und Realität kontinuierlich verbessert werden. Vorausschauende Dosierempfehlungen basieren auf Trendanalysen sowie dem konkreten Produktionsprogramm, wodurch Analysefrequenz und Fehler reduziert werden können. Das Ergebnis ist eine ressourcen- und qualitätsoptimierte Produktion.
KI-Anwendungen im Elektrolytmanagement
Künstliche Intelligenz eröffnet neue Möglichkeiten im Elektrolytmanagement. Automatisierte Anomalieerkennung identifiziert Abweichungen frühzeitig, generiert Handlungsvorschläge und erstellt Berichte. KI-Interfaces ermöglichen die natürliche Interaktion mit dem System, wodurch komplexe Abfragen und Analysen vereinfacht werden.
Kombinierte Anlagensimulation
Die Kombination der heutzutage üblichen Logistiksimulation zur Produktivitätsermittlung und -optimierung mit der Elektrolytsimulation in einem digitalen Zwilling ermöglicht ganzheitliche Optimierungen. Bei der Anlagenplanung können Durchsatzdaten, Layout und Elektrolytmanagement-Parameter gemeinsam betrachtet werden. Simulationen von Veränderungen im laufenden Betrieb erlauben fundierte Planungen, Ressourcenkalkulationen und Vorhersagen. Besonders wertvoll sind die vielfältigen Auswertungsmöglichkeiten: Chemieverbräuche lassen sich abschätzen, Wasserverbräuche als knappe Ressource optimieren und CO2-Fußabdrücke individuell je Warenträger bilanzieren. Diese Transparenz erfüllt nicht nur Kundenanforderungen, sondern identifiziert auch Optimierungspotenziale.
Ausblick und Vision
Die Vision des fortschrittlichen Elektrolytmanagements ist die ergebnisorientierte Steuerung: Das System erhält die gewünschten Schichteigenschaften als Zielvorgabe und steuert die Prozessparameter eigenständig innerhalb einer definierten Bandbreite. So werden KI-gestützte Feinsteuerung, dynamisierte Prozessführung und kommunikative Interaktion zwischen Mensch und Anlage möglich.
Zusammenfassung
Die Digitalisierung des Elektrolytmanagements ist auch bei geringer Anlagenautomatisierung realisierbar. Verschiedene Implementierungsstufen ermöglichen einen schrittweisen Einstieg. Die Motivationen sind vielfältig: Kostensenkung, Branchenzugang durch lückenlose Dokumentation, Datengewinnung für KI-Anwendungen. Erweiterungsmöglichkeiten durch Module für Umwelt-, Energie- oder Abwassersteuerung erschließen zusätzliche Potenziale.
Fazit
Digitales Elektrolytmanagement bietet einen Wettbewerbsvorteil. Es senkt Ressourcenverbrauch und Kosten, erhöht Prozessstabilität und Qualität und nutzt die großen Potenziale, die ein sinnvoller Einsatz von Künstlicher Intelligenz bietet. Die zunehmende Digitalisierung in der Oberflächentechnik erfordert es, die Veränderungen zu erkennen und den Anschluss nicht zu verpassen. Innovationspartnerschaften zwischen Anwendern, Technologieanbietern und Forschungseinrichtungen beschleunigen die Entwicklung und Implementierung fortschrittlicher Lösungen.
Der Artikel geht auf einen Vortrag auf den ZVO-Oberflächentagen 2025 zurück