Klarheit schaffen bei der Digitalisierung im Unternehmen

Klarheit schaffen bei der Digitalisierung im Unternehmen

Jedes Unternehmen strebt nach etwas und agiert am Markt, um einen bestimmten Bedarf zu decken. Immer schneller verändern sich zurzeit Erwartungen, Anforderungen und Gegebenheiten am Markt – allein im vergangenen Jahr kamen enorme Veränderungen hinzu. Mithalten kann da nur, wer mit diesen Änderungen umzugehen weiß.

Hohe Energiepreise, Fachkräftemangel, Lieferengpässe und Kostendruck entlang der Lieferkette sorgen dafür, dass Organisationen mehr denn je digitalisieren sollten. Um weiterhin bestehen zu können, sind Anpassungsfähigkeit und das Streben nach Verbesserung gefragt. Dafür müssen Maßnahmen getroffen werden – eine davon ist die Digitalisierung.

Dass Digitalisierung kein Trend ist, der morgen weggeht und den man an sich vorbeiziehen lassen kann, ist ebenfalls klar. Jeder wird digitalisieren müssen, sonst ist die Zukunftsfähigkeit langfristig nicht gesichert. Unternehmen, die Jahre, teils Jahrzehnte am Markt agieren, sind nicht so weit gekommen, weil sie sich Veränderungen verwehrt haben, sondern weil sie sie zur richtigen Zeit gemeistert haben.

Digitalisierung hat mehrere Dimensionen

Digitalisierung kommt in Unternehmen auf unterschiedliche Arten zum Tragen. Je nach Flughöhe gibt es Unterschiede in Einfluss und Fristigkeit. Wenn man ganz praktisch mehr Digitalisierung im Unternehmen einführen möchte und die Mitarbeitenden fragt, geht es vorwiegend um die Modernisierung und Digitalisierung von Arbeitsprozessen und -mitteln. Die Einführung digitaler Tools auf dieser unteren Ebene ist eine „low hanging fruit“, sinngemäß also naheliegend und vergleichsweise einfach umzusetzen: Meist kosten solche Maßnahmen nicht die Welt, es gibt unzählige am Markt, sie erleichtern den Arbeitsalltag und man zeigt den Mitarbeitenden, dass sich etwas verändert.

Auf der mittleren, weniger kurzfristigen Ebene geht es um den digitalen Flickenteppich. Die Zusammenführung diverser Insellösungen (nach innen und außen). Verschiedenste Lösungen decken diverse Bedarfe ab, Informationen werden jedoch oft nicht übertragen und müssen händisch überführt werden – oder gehen einfach verloren. Das ist ineffizient und fehleranfällig.

Die drei Ebenen der Digitalisierung im UnternehmenDie drei Ebenen der Digitalisierung im Unternehmen

Eine durchgängige IT-Infrastruktur wird aufgebaut, um einen reibungslosen Informationsfluss zu gewährleisten. Das gilt auch für die Auftragsabwicklung und Lieferanten. Wenn lange Laufwege, ausgedruckte, eingescannte und abgelegte Papiere bei Ihnen auf der Tagesordnung stehen, ist das eines der klassischen Beispiele für Digitalisierungspotenzial. Hier finden Sie heraus, wie digital Sie sein sollten, wenn transparent wird, wo und wie durch Brüche in Systemen und Abläufen Effizienz verloren geht, wo Fehler und Missverständnisse entstehen und mit welchem digitalen Reifegrad sich Ihr Umfeld an Sie wendet. Per Fax? Über ein Bestellportal?

Die oberste und komplexeste Ebene braucht die längste Zeit. Es ist die strategische, hier gilt es, die Maßnahmen abzustimmen und zu evaluieren, wie mit Hilfe von Digitalisierung die Wettbewerbsfähigkeit gesichert werden kann. Dabei geht es nicht nur um die Einführung neuer Software oder Anlagen, sondern um den Aufbau und die Prozesse einer Organisation – denn digitaler muss man nicht nur für die Wettbewerbsfähigkeit gegenüber anderen Anbietern werden, sondern auch um ein attraktiver Arbeitgeber zu sein. Hier – bei Themen wie Unternehmenskultur, Innovationsmanagement und digitalen Arbeitsweisen – ist ein strategischer und langfristiger Wandel einzuleiten. Der kann von allen Ebenen am unbequemsten sein, da er die Grundpfeiler einer Organisation auf den Prüfstand stellt. Dennoch – oder viel mehr genau deshalb – ist er so essentiell.

Wie digital muss mein Unternehmen sein?

Mit den verschiedenen Dimensionen im Hinterkopf stellt sich die Frage – wie findet man heraus, wie digital man sein muss? Zunächst bietet Digitalisierung ja nahezu unendlich viele Möglichkeiten, doch nicht alle liefern den nötigen Mehrwert. Klar ist, man braucht mehr als keine Digitalisierung und weniger als 100 %. Deshalb hilft es, sich ein paar Fragen ins Gedächtnis zu rufen: welche Digitalisierungsmöglichkeit bietet sich wo? Welchen Mehrwert bringt das, welche Schmerzen, Probleme und Aufwände werden behoben? Gibt es an diesen Stellen überhaupt ein Problem, das durch Digitalisierung gelöst werden kann – und sollte? Diese Leitfragen helfen, Lösungen für die untere und mittlere Ebene zu finden und geben außerdem Aufschluss darüber, wie viel Digitalisierung notwendig ist.

Darüber hinaus lohnt sich der Blick nach vorn und zurück – zu den Kunden und Lieferanten. Gibt es dort spezielle Anforderungen an Software? Wie kann Digitalisierung helfen, die Kundenzufriedenheit zu erhöhen? Eine wichtige Leitfrage, die in die Strategiefindung einbezogen werden sollte.

Die Digitalisierung erfolgt in den beiden Strängen Administration  und ProduktionDie Digitalisierung erfolgt in den beiden Strängen Administration und Produktion

Sei es durch Effizienzsteigerungen, papierlose Verwaltungsabläufe oder Transparenz, wenn Kunden eine Übersicht über ihre Aufträge bereitgestellt wird. Wie weit ist Ihr Wettbewerb?

Es ist naheliegend zu schauen, was Wettbewerber machen, doch die eigenen Strukturen bezogen auf Prozesse und Fertigungsverfahren, die Belegschaft, die Lieferkette, die Kundenanforderungen und die Ausstattung des Unternehmens können ganz unterschiedlich sein. Unternehmen kennen ihre Ziele und ihre Organisation am besten und was andere heute tun, muss nicht die eigene Lösung von morgen sein. Hilfreich ist es, sich das Potenzial von Rahmenbedingungen anzuschauen und dann hängt das Level an Digitalisierung natürlich auch davon ab, wie weit vorn am Markt ein Unternehmen mitspielen will, welche Rolle Kosten- und Zeitdruck dabei spielen, der dazu führt, dass Prozesse optimiert und Arbeitsweisen digitalisiert werden müssen. Ein Mix aus sich ergänzenden kurz- und mittelfristig umsetzbaren Maßnahmen sorgt dafür, den Anschluss zu halten, während die strategischen Ansätze geformt werden. Beispiele sind das „Aufräumen“ von Kommunikationskanälen, nach dem Motto „weniger ist mehr“ oder auch die Durchführung von Wertstromanalysen, da sie Abhängigkeiten, Effizienzverluste durch Brüche in Systemen und Abläufen, aber auch Optimierungspotenziale aufzeigen. Ist ein übergeordnetes Ziel beispielsweise die papierlose Produktion, kann man das Papier nicht einfach verbannen. Es gilt, vorher zu evaluieren: Wieso wird hier Papier genutzt? Ist es, weil das schon immer so war? Oder weil es keine digitale Lösung gibt? Oder aus Gründen der Kontrolle und der Sicherheit, weil etwas schwarz auf weiß steht? Das ist übrigens der häufigste Grund.

Eine weitere schnell umsetzbare Maßnahme ist die Erfassung von Maschinendaten. So können Kennzahlen wie die Gesamtanlageneffektivität (GAE) generiert und Verbesserungen abgeleitet werden. Dabei gilt: die Schlussfolgerungen und abgeleiteten Maßnahmen sind nur so hilfreich, wie die Datenqualität gut ist. Mit Blick auf Impulse von anderen Unternehmen und Branchen – und weil man selbst vor Betriebsblindheit nicht gefeit ist – kann auch die Unterstützung von Externen, im Verbandskontext oder durch beratende Unternehmen, helfen. Reifegradanalysen, die extern begleitet werden, sind ein gängiger Ansatz, da man daraus weit mehr gewinnt als bei selbstausgefüllten Fragebögen.

Wichtig ist, ein konkretes Ziel zu verfolgen, das zu kommunizieren und nicht mit blindem Aktionismus in viele verschiedene Richtungen zu laufen, da das nur zu weiteren Insellösungen führt.

Zwei Stränge bieten Digitalisierungspotenzial

Dabei gibt es in jedem Unternehmen zwei Stränge, die Digitalisierungspotenzial bergen: die Administration und die Produktion. Ganz egal, ob dabei Dienstleistungen erbracht oder eigene Produkte gefertigt werden. Administration und Produktion machen mit ihren Wechselwirkungen die Gesamtheit einer Organisation aus. Sie funktioniert nur, wenn Prozesse robust sind, ganz egal, ob sie direkt oder indirekt zur Wertschöpfung beitragen.

Insellösungen oder einzelne durchdigitalisierte Bereiche schaffen im Zweifel zusätzliche Brüche in Systemen und Abläufen, deshalb sind die ganzheitliche Betrachtung und das Bewusstsein für Wechselwirkungen essenziell. Zunächst sollte man genau analysieren, was der Ursprung dessen ist, was digitalisiert werden soll. In sehr vielen Fällen ist es ein prozessuales Problem – gewachsene Strukturen, lückenhafte Informationsflüsse oder starre Kommunikationskanäle sorgen für Reibungsverluste entlang der Abläufe. Auch fehlende Standardisierungen in Prozessen sind ein verbreitetes Problem, genauso wie ungeschriebene Regeln, die Prozesse ebenfalls ausbremsen können. Wenn man aber im Zuge von Prozessanalysen Veränderungen vornimmt und alte, objektiv betrachtet nicht mehr ausreichend effiziente Abläufe optimiert, kann sich der Bedarf an einzelnen Digitalisierungsmaßnahmen bereits erübrigen – oder mindern. Das gilt natürlich nicht für alle Probleme.

Ist erkannt, dass ein Problem mit Digitalisierung gelöst werden kann, sollte man sich einige Leitfragen stellen. Wo ist der Schmerz, bzw. das Problem am größten, wo sind die Auswirkungen am stärksten? Das ist nicht immer dort, wo am lautesten „geschrien“ wird. Wo kann Digitalisierung den größten Effekt erzielen? Gibt es Lösungen, die gleich mehreren Bereichen dienen?

Das hat mehrere Vorteile: zum einen gibt es in der Regel einen Zeitfaktor und ein Budget, das begrenzt ist, sodass der größtmögliche Mehrwert generiert werden sollte. Und zum anderen mindert das Insellösungen, die den digitalen Flickenteppich nur bunter und größer werden lassen. Das wiederum verursacht Ineffizienzen durch Brüche in Systemen und Abläufen.

Zwischenfazit:

  • Es gibt drei Ebenen, im Unternehmen Digitalisierung anzugehen (die untere, mittlere und obere – siehe Kapitel „Digitalisierung hat mehrere Dimensionen“)
  • Alle sind notwendig, unterscheiden sich aber nach Einfluss und Fristigkeit
  • Es gilt, diese Ebenen jeweils für die Produktion und die Administration zu berücksichtigen
  • Orientieren kann man sich am Wettbewerb, in erster Linie sind jedoch die Kundenzufriedenheit und die Effizienz nach innen und entlang der Lieferkette wichtig
  • Bei den ergriffenen Maßnahmen sollten die Wechselwirkungen im Blick behalten und der digitale Flickenteppich verkleinert, nicht vergrößert werden
  • Manchmal werden die Probleme durch Digitalisierung nicht behoben, weil sie ihren Ursprung in gewachsenen Prozessen haben
  • Löst man diese Prozessschwierigkeiten nicht, hat man im Zweifel einen digitalen, aber immer noch ineffizienten Prozess und durch Digitalisierung wenig gewonnen.

Der Faktor Mensch

Ein Faktor, der in jedem Unternehmen und auch bei allen Digitalisierungsmaßnahmen eine Rolle spielt, ist der Mensch. Digitalisierung und jede Initiative, die ergriffen wird, beeinflussen den gewohnten Arbeitsalltag von Menschen – auch hier ist das unabhängig von der Art der Tätigkeit, ob nun in der Produktion oder bei administrativen Abläufen. Nicht selten, ob es so kommuniziert wird oder nicht, führt das zu Unsicherheit, die auch schnell als Ablehnung wahrgenommen werden kann. Menschen sind Gewohnheitstiere – wir hängen an unserer Routine und die zu verändern ist mühsam. Das wird allen, die schon mal Neujahrsvorsätze hatten, sicher schmerzlich bewusst sein, wenn man versucht, sich gesünder zu ernähren, mehr Sport zu treiben oder mit dem Rauchen aufzuhören. Zudem verbinden viele mit Automatisierung und Digitalisierung die Wegrationalisierung von Arbeitsplätzen. Mit Blick auf den Arbeitskräftemangel in allen Bereichen der Unternehmen ist das inzwischen oft gar nicht das Ziel, dennoch sollte man in der Kommunikation vorsichtig sein.

Frühzeitig, wenn Maßnahmen der unteren und mittleren Ebene angeschoben werden, die Mitarbeitenden einzubeziehen, erhöht die Akzeptanz. Transparenz vermeidet hier Konflikte und Widerstände, insbesondere bei wenig veränderungsaffinen Mitarbeitenden. Zudem kennen die Mitarbeitenden ihre Arbeitsmittel und -Prozesse am besten, es ist ihr Arbeitsalltag. Es erleichtert Verantwortlichen vieles, sie mitzunehmen und mitwirken zu lassen, um die Veränderungen umzusetzen. Der Faktor Mensch und die Prozesse, die die Grundlage für Digitalisierung bilden, machen schon deutlich: Digitalisierung ist weit mehr als die Einführung einer neuen Software.

Bevor digitalisiert wird, müssen die Prozesse glattgezogen werden, damit die Maßnahmen ihre Wirkung entfalten können – das gilt im Übrigen auch für Automatisierung. Digitalisierung hat das Potenzial, Engpässe abzufedern, den Arbeitsalltag zu erleichtern und die Zukunftsfähigkeit zu gewährleisten

Ein paar Hinweise zum Schluss:

Binden Sie Ihre Mitarbeitenden früh ein, Digitalisierung lässt sich nicht top down und auch nicht im Alleingang implementieren. Wichtig ist außerdem, dass es um die Zukunft, nicht um die Vergangenheit geht. Bei Digitalisierungsmaßnahmen wird nicht gewertet, ob und wie gut vergangene Initiativen waren, es geht nur darum, dass auch die Zukunft erfolgreich wird.

Hinterfragen Sie regelmäßig, ob die ergriffenen Maßnahmen ausreichen – beispielsweise anhand der Leitfragen und dem Blick auf das eigene Umfeld. Vergessen Sie bei aller Wichtigkeit der Digitalisierung nicht, dass nicht jedes Unternehmen eine völlig durchdigitalisierte Organisation sein muss. Im agilen Kontext spricht man von agile fluency, quasi dem Sprachlevel, auf dem man sich bewegt. Man kauft ja auch keinen Sportwagen, um in 30er Zonen zu fahren.

Der Artikel geht auf einen Vortrag auf den Oberflächentagen in Leipzig im vergangenen September zurück

 

  • Ausgabe: Mai
  • Jahr: 2023
  • Autoren: Carolin Genschmer
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