Hochpräzise Sensoren, Fertigungstechnologien für Mikrosysteme, aber auch Nachhaltigkeit und neue Wege für die Fachkräfte-Akquise gehörten zu den Schwerpunkten beim ‚Mikrosystemtechnik-Kongress 2023' vom 23. bis 25. Oktober 2023 in Dresden.
Das Themenspektrum war breit gefächert: Rund 500 Experten aus Wissenschaft und Wirtschaft debattierten im Herzen des Halbleiter-Clusters Sachsen über Nanostrukturierung, den Ruf des Ingenieurs bei der Generation Z, ja sogar über den Geruchssinn der Aale – und kommende Förderprogramme für die Elektronikbranche.
So gab Dr. Stefan Mengel vom Bundesforschungsministerium erste Ausblicke, in welche Richtung sich die Förderpolitik in Berlin demnächst bewegt. Beispielsweise wird der Bund im Zuge des Europäischen Chipgesetzes stärker als bisher auch Pilotlinien für innovative Mikroelektronik und Mikrosystemtechnik sowie neue Chipdesign-Exzellenzzentren fördern. „Die ersten Calls für Bewerbungen starten Ende des Jahres“, kündigte der Elektronik-Referatsleiter an. Mitzumachen werde sich lohnen: „Da geht es um mehrere Hundert Mio. €.“
Neues Rahmenprogramm für Mikroelektronik-Forschung
Auch unterstützt der Bund weiter die Bemühungen, eigene deutsche Kapazitäten für Prozessordesign auf Open-Source-Basis aufzubauen und zu erweitern. Im Fokus dürften dabei die bisherigen Zuse-Projekte und speziell auch RISC-V-Prozessorarchitekturen stehen.
Zudem arbeite der Bund an einem neuen Rahmenprogramm für die Mikroelektronik-Forschung, da das alte 2024 ausläuft. Dabei zeichnet sich ab, dass die Berliner Ministerien mehr auf Jahres-Fokusthemen wie den KI-Einsatz für ausgewählte Applikationen, Quantentechnologien oder neuronale Designs setzen wollen.
Sensorik, Mikrosystemtechnik und Mikroelektronik dürften ohnehin in den kommenden Jahren kommerziell wie auch forschungsseitig eine noch größere Rolle spielen, das hat sich während des MST-Kongresses deutlich gezeigt. So wird in den nächsten Jahren die Sensor- und Mikrosystem-Dichte sowohl in der Industrie wie auch im Verkehrssektor und im Alltag nahezu jedes Endverbrauchers noch einmal deutlich steigen, prognostizierte Bosch-Sensortech-Chef Dr. Stefan Finkbeiner.
Unter anderem arbeiten die Bosch-Labore an stark verbesserten Magnetfeld-, Druck- und Gassensoren, die bald ähnliche Empfindlichkeiten erreichen sollen wie es natürliche Sinne vermögen – nur eben zuverlässiger. Als Beispiele nannte Finkbeiner die Magnetfeld-Navigation von Bienen oder eben die Fähigkeit von Aalen, wenige Moleküle einer chemischen Substanz aufzuspüren: Theoretisch wären sie imstande, wenige Tropfen Parfüm in einem ganzen See zu riechen. Ähnliche Präzision versuchen die Bosch-Ingenieure etwa durch neue kapazitive Membran-Drucksensoren zu erreichen, die so genau sind, dass sie den Luftdruckunterschied zwischen zwei Treppenstufen messen können. Als Anwendungsmöglichkeiten sieht Finkbeiner unter anderem Kalorienzähler in Sportkleidung oder die dreidimensionale Ortung und Navigation in Innenräumen: So könnten zum Beispiel in Einkaufszentren, in denen kein GPS funktioniert, die neuen Drucksensoren für Orientierung sorgen.
Automatische Waldbrandwarner und Fahrrad-Navi in der Brille
Auch arbeiten die Bosch-Sensortech-Ingenieure gemeinsam mit einer Berliner Firma an Gassensoren, die künftig an Bäume geheftet werden sollen, um – gekoppelt mit einer KI in der Edge-Cloud – bei entstehenden Waldbränden beizeiten die Feuerwehr zu alarmieren. Ein weiteres Entwicklungsprojekt im Elektronikkonzern zielt auf „Augmented Reality“-Displays in Brillen, wie sie bisher eher Profi-Anwendern vorbehalten waren. Diese Mikro-Bildschirme sollen beispielsweise Radfahrern Navigationshilfen während der Fahrt in die Brillen einspiegeln.
Außerdem hat Bosch Sensortech kürzlich die Dresdner Fraunhofer-Ausgründung „Arioso“ übernommen, der es als weltweit ersten gelungen war, elektrostatische Lautsprecher in siliziumbasierte ‚Mikroelektromechanische Systeme' (Mems) zu integrieren. Das Unternehmen will diese Mikro-Lautsprecher nun zur Großserienreife führen und rechnet mit erheblichem Marktpotenzial – für Smartphone-Ohrhörer, Hörgeräte, Sprachausgabe und viele andere Applikationen.
Die Chancen für einen Markterfolg dieser neuen Mikrosysteme stehen recht gut: Zwar ist Bosch in Deutschland vor allem als Automobilzulieferer bekannt. Doch weltweit stecken Mems und Sensoren der Konzerntochter Sensortech vor allem auch in unzähligen Smartphones, Haustechnik-Geräten und anderen Endkonsumenten-Produkten. Bosch Sensortech sei insofern ein ganz besonderer Champion, meint Kongress-Mitorganisator Prof. Hubert Lakner vom Fraunhofer-Photonikinstitut IPMS: „In diesem Segment ist Deutschland ganz vorn mit dabei.“
Und dies gilt ganz generell für die Fortschritte der Mikrosystem-Technik, wie sie sich auf der Konferenz spiegelten: Seien es nun Präzisionslaser für Augen-Operationen, Laborchips, die binnen Sekunden verdächtige Krebszellen im Blut eines Patienten erkennen, Quanten-Technologien für planetare Erkundungen oder die Sensorik und Aktorik hoch automatisierter Gewächshäuser für eine ökologischere Essensversorgung in Großstädten: Die neuesten Fortschritte in Mikroelektronik und Mikrosystem-Technik sorgen derzeit für Innovationsschübe in Medizin, Verkehr, Industrie und urbaner Landwirtschaft – und ebnen den Weg hin zu einer nachhaltigen Kreislaufwirtschaft.
Bei der Gen Z gilt der Ingenieur als Befehlsempfänger
Gleichzeitig aber verliert das Ideal des schöpferischen Erfinders an Strahlkraft, wollen immer weniger junge Menschen beispielsweise Elektroingenieure werden. So stellte der ‚Verband der Elektrotechnik, Elektronik und Informationstechnik' (VDE) eine Studie über den Ruf des Elektroingenieurs unter der Jugend vor. Dafür hatte der Verband gemeinsam mit Partnern über 1.000 Studenten und Schüler befragt, wo die Probleme liegen. Dabei stellte sich heraus, dass bei der Suche nach einem Studium die Elektrotechnik kaum aufscheint, „weil das Bild vom Blaumann oder Anweisungsempfänger vorherrscht“.
Daher war auch der Nachwuchs-Gewinnung ein ganzer Abschnitt im Programm gewidmet. „Um einen Nachwuchs zu begeistern, der sich für Umwelt- und Klimaschutz einsetzt, sollten wir viel mehr darüber sprechen, dass Elektrotechnik im Kontext der Nachhaltigkeit steht“, erklärte VDE-Präsident Alf Henryk Wulf. „Solarpanels oder Heizungen, die smart gesteuert werden, optimierte Akku-Ladezyklen und autonom fahrende Autos gibt es nur mit Mikroelektronik – und dafür brauchen wir kluge Köpfe.“
Zudem rücken laut IPMS-Chef Lakner durch die weltweit fortschreitende Digitalisierung neben der reinen Verfügbarkeit von Halbleitern weitere Themen in den Vordergrund: Technologische Souveränität und Vertrauenswürdigkeit in der Mikroelektronik, also ,Trusted Electronics’, Nachhaltigkeitsaspekte wie ,Green ICT’ sowie ‚Next Generation Computing'.
Mit Blick darauf verliehen die Kongress-Veranstalter drei ‚Green ICT Awards' für Studienabschlussarbeiten, die auf nachhaltige Elektroniklösungen zielen. Den ersten Platz belegte Kareem Mansour von der Albert-Ludwigs-Universität Freiburg mit seiner Masterarbeit über hocheffiziente bidirectionale DC-DC-Konverter, gefolgt von Alexander Maximilian Busch von der Hochschule für Angewandte Wissenschaften Hamburg für dessen Bachelorarbeit über Energieverbrauchsmodelle in der drahtlosen Kommunikation und Tuğana Ceren Aslan von der TU Berlin, deren Masterarbeit sich klimaneutralen Rechenzentren gewidmet hatte.
Quellen
Referate Mikrosystemtechnik-Kongress 2023, VDE, Fraunhofer-IPMS, oiger.de