Die Bedeutung des Wärmeübergangskoeffizienten – Simulation von Reflowlötprofilen: Möglichkeiten und Grenzen

Die Bedeutung des Wärmeübergangskoeffizienten – Simulation von Reflowlötprofilen: Möglichkeiten und Grenzen

Bei der Fertigung von elektronischen Baugruppen gehört das Messen von Temperaturprofilen immer noch zum Alltagsgeschäft. Obwohl stetig bessere Software der Messsysteme und der Reflowlötanlagen zur Verfügung steht, gelingt es noch nicht, den händischen Messaufwand vollständig durch eine Temperatursimulation zu verdrängen. Warum dies so ist, soll dieser Artikel ein klein wenig beleuchten.

Einleitung

Software-Tools nutzen heute sogenannte Confirmation-Runs, also reale Temperaturmessungen an der zu produzierenden Baugruppe, um die benötigten Daten für die Temperatursimulation abzugleichen. Zukunftsmusik bleibt die Nutzung von KI, die auf große Datenbanken zurückgreift, um Materialdaten, Verarbeitungsparameter usw. mit den thermodynamischen Algorithmen zu verknüpfen, um in Sekundenschnelle ein passgenaues neues Reflowlötprofil für die aktuelle Baugruppe zu erstellen. Einen ersten Schritt in diese Richtung haben Adam u. a. [i] gemacht, indem sie ein geometrisches Modell der Leiterplatte mit einer numerischen Beschreibung des Wärmeübertragungssystems verknüpfen (zwei Digitale Zwillinge). Dazu nutzt diese Software die aus Datenbanken bekannte 3D-Geometrie der Baugruppe (ODB++ Daten: Lagenaufbau und Layout, Bohrungen, Bestückung, SMD-Bauteilbeschreibung) sowie ein vorhandenes Tool zur Temperatursimulation von Reflowlötanlagen.

1. Die Thermodynamik oder die Wechselwirkung zwischen Reflowlötanlage und Baugruppe

Mit Hilfe der Thermodynamik (der Wärmelehre) können wir die Wechselwirkungen zwischen Reflowlötanlage und Baugruppe beschreiben. Aus der Physik ist bekannt, dass der Wärmetransport in der Richtung des negativen Temperaturgradienten über die Mechanismen

  • Wärmeleitung (innerhalb eines Materials)
  • Konvektion (Wärmeübergang von einem in ein anderes Material) und
  • Wärmestrahlung (elektromagnetische Wellen zwischen gegenüber liegenden Oberflächen)

erfolgt, und damit einen Temperaturausgleich anstrebt, bis hin zum thermischen Gleichgewicht. Die drei Mechanismen wirken stets gemeinsam (auch in der Reflowlötanlage), jede Vereinfachung muss als Kompromiss verstanden werden und bedarf guter Begründung, um die wahren Vorgänge hinreichend gut mit einer idealisierten Formel zu beschreiben.

Tab. 1: Verwendete Symbole

Symbol

Parameter

Einheit

Q

Wärmestrom

J/s = W

m

Masse

kg

c

Spezifische Wärmekapazität

J/kgK

ε

Emissionsgrad, Absorptionsgrad

Ohne

Tm

Mittlere Temperatur der Strahlungsumgebung

K (273,15 K = 0 °C)

s

Stefan-Boltzmann-Konstante

5,67*10-8 W / m2 K4

λ

Wärmeleitfähigkeit

W/mK

TU

Umgebungstemperatur, Heizzonentemperatur

K

TK, TK0

Baugruppentemperatur

K

TP

Maximale Temperatur an der Messstelle

K

A, AK, AL

Fläche, der Baugruppe, Querschnittsfläche

t

Zeit

s

τ

thermische Zeitkonstante

s

DLP

Dicke der Leiterplatte

m

d

Länge bzw. Distanz

m

PK

Materialdichte (gesamt)

kg/m³

h

Wärmeübergangskoeffizient, bzw. mittlerer W.

W/m²K

Dennoch wollen wir hier eine weitestgehend vereinfachte Betrachtung darstellen. Wie mit Hilfe einer Tabellenkalkulation das Temperaturprofil im Reflowlötprozess simuliert werden kann, ist im Anhang beschrieben.

Folgend sind einige Gleichungen und Algorithmen aufgeführt, die bei einer Simulation von Temperatur-Zeit-Profilen sowie bei der Optimierung der Lötparameter hilfreich sind.

Die Wechselwirkung der Reflowlötanlage als Lieferanten der Wärme mit der Baugruppe und ihrem Wärmebedarf kann mit Hilfe folgender Beziehungen beschrieben werden (1):

Wechselwirkung der Baugruppe mit der Reflowlötanlage


Darin sind:

(2) und (3)(2) und (3)

Der Temperaturunterschied dT in (2), hier als Ableitung nach der Zeit t betrachtet, ist die Differenz (TK – TK0) zwischen der Temperatur der Baugruppe nach der Erwärmung (z. B. Löttemperatur) und der Temperatur vor der Erwärmung. Dabei wird vorausgesetzt, dass innerhalb der thermischen Masse m⋅c ein vollständiger Temperaturausgleich stattgefunden hat. Diese Voraussetzung gilt als erfüllt, wenn die dimensionslose Biot-Zahl deutlich kleiner als 1 ist.

(4)

Die Biot-Zahl beschreibt das Verhältnis der Temperaturdifferenzen zwischen der Wärmeleitung λ im Volumen V und dem Wärmeübergang über die Oberfläche A. Das Verhältnis Volumen V zu Oberfläche A einer Leiterplatte ist näherungsweise die halbe Dicke (D/2). Für die Praxis erscheint Bi kleiner als ca. 0,1 ausreichend für eine weitgehend homogene Temperatur im Volumen. Dies ist für eine Leiterplattendicke von ca. 1,5 mm bei deren Wärmeleitfähigkeit von ca. 0,5 W/mK und für einen Wärmeübergangskoeffizienten von ca. 70 W/m²K (Reflow unter Konvektion) erfüllt. Somit kann die Wärmeleitung in vielen Fällen vernachlässigt werden.

(TU – TK) in (3) ist hingegen die Differenz zwischen der Umgebung, z. B. dem Heizgas der Reflowlötanlage und der Baugruppe. Hieraus geht hervor, dass ein Wärmeübergang auf die Baugruppe nur erfolgen kann, wenn der Temperaturunterschied (TU– TK) > 0 ist, allgemein eine treibende Temperaturdifferenz existiert. Setzt man die treibende Temperaturdifferenz ins Verhältnis zur übertragenen Wärme pro Flächeneinheit, so erhält man ein Maß für die Qualität des Wärmetransfers, welches als Wärmeübergangskoeffizient h bezeichnet wird; siehe hierzu Herwig [ii]. Anders gesagt beschreibt h die Fähigkeit / Effizienz der Reflowlötanlage Wärme zu übertragen.

Die Lösung der Differenzialgleichung (1) hat allgemein die Form (5):

(5)

Die thermische Zeitkonstante t fasst Geometrie und Materialdaten der thermischen Masse (Baugruppe) und die Wärmeübertragungscharakteristik (Lötanlage) in idealisierter Form zusammen. Sinngemäß errechnet sich mit (5) die Baugruppentemperatur TK am Ende eines Zeitraums t unter konstanten Bedingungen (Wärmeübergangskoeffizient h = konst., Umgebungstemperatur TU = konst.), beginnend mit TK0 (Anfangstemperatur der Baugruppe zu Beginn des Zeitraums t).

Zur Veranschaulichung der Exponentialfunktion (5) sind nach t = τ ca. 63 % der ursprünglichen Temperaturdifferenz abgebaut, ab t = 3⋅τ gilt das thermische Gleichgewicht zu ca. 95 % als praktisch erreicht. Durch Umstellen von (5) lässt sich die Temperatur der Umgebung (6) bestimmen, wenn unter den gegebenen Verhältnissen einer Reflowlötanlage eine Änderung des Temperaturprofils (t, TK) errechnet werden soll.

(6)

Typische Wärmeübergangskoeffizienten für verschiedene Lötverfahren hat Poech [iii] ermittelt. Für Konvektions-Reflowlötanlagen, die mittels Heizgas Wärme übertragen, kann h Werte im Bereich von 40 bis ca. 80 W/m²K annehmen, bei Kondensations-Reflowlötanlagen (Vapourphase) liegen die Werte um 300 W/m²K.

Rein rechnerisch lässt sich mit der Ableitung aus (5) ein mittlerer Wärmeübergangskoeffizient h bestimmen (7), siehe hierzu Moschallski [iv].

(7)

Dieser mittlere Wärmeübergangskoeffizient plus 2024 07 h oberstrich lässt sich einerseits als Mittelwert zwischen der beheizten Ober- und Unterseite der Baugruppe verstehen, andererseits als Mittelwert über die Zeit unter hinreichend gleichen Umgebungsbedingungen (Gasströmung, Temperatur). Insbesondere eine Konvektions-Reflowlötanlage ist kein Wärmeschrank mit nur einer Umgebungstemperatur, sie setzt sich aus mehreren Heiz- und Kühlzonen zusammen, die hintereinander angeordnet sind. Daraus ergeben sich zonenweise verschiedene Temperaturunterschiede (TU – TK)1…n. Die benötigte Wärme resultiert im Ergebnis aus der Summe der Wärmeströme aller Heizzonen, die pro Zeiteinheit auf die Fläche der Baugruppe einwirken, (8):

(8)

Der finale Temperaturverlauf der Baugruppe (t, TK)1…n entlang aller Zonen ergibt sich aus der mehrfachen Anwendung von (5), wobei die Baugruppen-Anfangstemperatur TK0(n) in der jeweiligen Zone der Endtemperatur TK(n-1) in der Vorgängerzone entspricht.

In einer Reflowlötanlage resultiert die von der Baugruppe aufgenommene Wärme nicht ausschließlich aus der primären Energiequelle; dies ist in Konvektions-Reflowlötanlagen die Konvektion (Strömung des Heizgases), in Vapourphase-Reflowlötanlagen die latente Wärme des Arbeitsmediums (z. B. Galden). Einen kleinen Strahlungsanteil gibt es in den Anlagen tatsächlich immer (9). Allerdings ist es schwierig, diesen Strahlungsanteil vom Wärmestrom zu trennen, der durch ‚natürliche Konvektion' auf die Baugruppe trifft. Unter ‚natürlicher Konvektion' wird hier der Zustand ruhender Lüftermotoren verstanden, also keine Zwangsbewegung des Heizgases. In diesem Zustand kann nach Poech [iii] ein Wärmeübergangskoeffizient h von 5 bis 10 W/m²K angenommen werden, dem ein Strahlungsanteil von ähnlicher Größenordnung hinzugerechnet werden muss, oder auch erheblich mehr, wenn eigens hierfür Strahler in der Anlage verbaut sind.

(9)

Werden die Beziehungen (3) und (9) miteinander kombiniert, kann ein von den Temperaturen abhängiger Wärmeübergangskoeffizient für den Strahlungsanteil hr definiert werden (10), siehe hierzu Poech [iii]. Der Emissionskoeffizient ε (hier ebenso für die Absorption verwendet) stellt für die Anwendung von (9, 10) noch eine Herausforderung dar, denn er kann zwischen ca. 0,1 für blanke Metalloberflächen und ca. 0,9 für keramische oder Polymeroberflächen variieren und ist zudem noch von den Wellenlängen abhängig.

(10)

Letztendlich wäre noch die Wärmeleitung der Baugruppe zu berücksichtigen (11). Der Wärmetransport erfolgt von der Oberfläche des Materials (Leiterplatte, Bauteile) in das Innere mittels Wärmeleitung. Allerdings kann der homogen auf die Baugruppenoberfläche auftreffende Wärmestrom inhomogen verteilt werden. Dies ist dem Design der Baugruppe geschuldet, z. B. deren Kupferverteilung, die meist inhomogen ist, sowie der Anordnung der Bauteile und deren thermischer Massen.

(11)

Wie bereits zu Beginn angemerkt kann die Wärmeleitung in vielen Fällen vernachlässigt werden, denn insbesondere bei kleinen Abmessungen strebt die Wärmeleitung den Temperaturausgleich an. Voneinander entfernte thermische Massen können näherungsweise als isoliert voneinander betrachtet werden, so dass die Vernachlässigung der Wärmeleitung gerechtfertigt ist. Zur Vereinfachung wollen wir deshalb in den folgenden Beispielen die Wärmeleitung vernachlässigen.

2. Beispiele zur Bestimmung des Wärmeübergangskoeffizienten

2.1. Die Fitting-Methode

Zunächst wird mit einer definierten thermischen Masse (Materialdaten und Oberflächenbeschaffenheit sind bekannt) deren Aufheiz- und Abkühlverhalten in der Reflowlötanlage gemessen und zusätzlich die Umgebungstemperatur bestimmt. Im 2. Schritt kann mit (5) die Temperatur der thermischen Masse pro Heizzone nochmals berechnet werden, indem ein Wärmeübergangskoeffizient in (5) händisch eingesetzt wird, bei dem die gemessenen und errechneten Temperaturen gleich sind.

Ein Beispiel hierzu: Anstelle einer Baugruppe verwenden wir für die Messung ein 34x34x2 mm³ geschwärztes Edelstahlblech in einer 6-Zonen-Reflowlötanlage. Das Blech hat die Vorteile, keine Topografie zu besitzen und dass alle Materialdaten bekannt sind und nicht wie bei einer Baugruppe teilweise geschätzt werden müssen. Für das Fitting wurden hier die real gemessenen Umgebungstemperaturen TU eingesetzt und nicht die eingestellten Heizzonen-Temperaturen (Settings).

Dies entspricht der Natur, da der Wärmeübergang aus der oberflächennahen Schicht hin zum Körper (der Baugruppe) erfolgt. Die Wechselwirkung der Baugruppe mit der Heizgasumgebung in der Reflowlötanlage führt zu einer geringen Abkühlung des Heizgases in einer kleinen Schicht um die Baugruppe. Mit dem Fitting erreicht man eine gute Übereinstimmung der simulierten Temperatur (rot) mit der gemessenen Temperatur (grau); Abbildung 1 und Tabelle 2. Für jede Heizzone wurde ein individuelles h ermittelt.

Sicherlich wäre es einfacher, einen fixen Wärmeübergangskoeffizienten für alle Heizzonen der Reflowlötanlage zu haben, jedoch lässt sich die Thermodynamik nicht überlisten. Rechnet man bei der Simulation unseres Beispiels mit nur einem durchschnittlichen Wärmeübergangskoeffizient von h = 76 W/m²K für alle Heizzonen, sind teilweise große Temperaturabweichungen zum gemessenen Wert hinzunehmen, siehe grüne Kurve.

Abb. 1: Temperaturprofile eines EdelstahlblechsAbb. 1: Temperaturprofile eines Edelstahlblechs

 

 Tab. 2: Simulierte Temperaturen im Vergleich

Zone

TU der
Anlage
in °C

h
nach Fitting
in W/m²K

Temperatur
simuliert
nach Fitting
in °C

Temperatur
simuliert bei
h konst. = 76
W/m²K

1

119

88

85

73

2

148

95

126

109

3

178

92

159

143

4

207

89

189

174

5

237

93

220

205

6

261

63

240

232

 

2.2. Die Umkehr-Rechnung

Die folgende Berechnung basiert auf einer 210x300x2,1 mm³ großen Baugruppe, deren Bestückung kleine Bauelemente, wie 0201-Chips und große massenreiche Bauelemente, wie eine 31 g schwere Drossel aufweist. Mischbestückungen, die zu großen Masseunterschieden auf der Baugruppe führen, sind mit der zunehmenden Leistungselektronik nicht selten. Auf Abbildung 2 sind die Temperaturverläufe für verschiedene Messstellen auf dieser Baugruppe zu sehen. Für die weitere Diskussion werden hier nur die Werte des 0201-Chips und der relativ schweren Drossel in Betracht gezogen.

Abb. 2: Temperaturprofile einer BaugruppeAbb. 2: Temperaturprofile einer Baugruppe

Eine Baugruppe ist aus verschiedenen Materialien inhomogen aufgebaut und ihre Topografie beeinflusst die Strömung, wodurch sich die einzelnen Messstellen (Lötstellen) sehr voneinander unterscheiden können. Infolgedessen werden auch verschiedene Temperaturprofile gemessen; auf unserer Beispiel-Baugruppe wurde an dem 0201-Chip eine maximale Temperatur TP = 259 °C gemessen und die Drossel erreichte TP = 232 °C, Bild 3.

Unweigerlich folgt daraus, dass es keine absolut einheitliche Systemgröße h gibt und der Wärmeübergangskoeffizient für jede Messstelle und Heizzone der Anlage einzeln bestimmt werden muss. Mit der Beziehung (7) lässt sich ein mittlerer Wärmeübergangskoeffizient plus 2024 07 h oberstrich für jedes Temperaturprofil pro Heizzone bestimmen. Für die Umgebungstemperaturen TU werden hier einfachhalber die Heizgastemperaturen (Settings) der genutzten Reflowlötanlage (mit sieben Heizzonen) eingesetzt. Es überrascht nicht, dass die so errechneten plus 2024 07 h oberstrich (siehe Tabelle 3) in Formel (5) eingesetzt, in guter Näherung die gemessenen Temperaturen abbilden, Abbildung 4.

 Tab. 3: Berechneter Wärmeübergangskoeffizient in W/m²K

Zonen

0201

Drossel

Z1

107,8

108,6

Z2

104,9

93,5

Z3

78,6

82,6

Z4

92,4

81,2

Z5

68,4

80,5

Z6

66,7

61,3

Z7

22,0

36,9

K1

54,3

44,8

K2

57,7

62,7

K3

62,9

59,4

 

Bild 3:Temperaturprofile Drossel (blau), 0201-Chip (orange)Bild 3: Temperaturprofile Drossel (blau), 0201-Chip (orange)

Abb. 4: Gemessene Temperaturprofile und simulierte, errechnete Temperaturen (Punkte)Abb. 4: Gemessene Temperaturprofile und simulierte, errechnete Temperaturen (Punkte)

Abb. 5: 0201-Chip, Original-Temperaturprofil vs. neues TemperaturprofilAbb. 5: 0201-Chip, Original-Temperaturprofil vs. neues Temperaturprofil

 

3. Temperatursimulation

Auf den ersten Blick vereinfachen diese mathematischen Überlegungen den Reflow-Alltag nicht, da eine notwendige Vielzahl von Wärmeübergangskoeffizienten für eine Reflowlötanlage eher verwirren. Für die Praxis im Fertigungsalltag lässt sich hieraus dennoch Nutzen ziehen. Die ermittelten h können für Simulationen von Temperaturprofilen von vergleichbaren thermischen Massen (Baugruppen) verwendet werden oder sie können für die Optimierung / Anpassung von Temperaturprofilen sehr hilfreich sein. Dies soll am Beispiel des 0201-Chips (die Drossel wird nicht betrachtet) gezeigt werden, wozu wir uns folgende Optimierungsaufgabe stellen (Beispiel A):

Die maximale Temperatur TP am 0201-Chip soll nicht größer als 245 °C werden, die Profilgeometrie an eine Sattelgeometrie angenähert werden. Wie sind die Reflowlötanlagen-Temperaturen (Settings) TU zu verändern, um dieses Ziel zu erreichen?

Für die Berechnung nutzen wir die Gleichung (5). Das neue Temperaturprofil mit dem ausgeprägten Sattel ist auf Abbildung 5 und Tabelle 4 zu sehen. Die moderne Software von Reflowlötanlagen kann die hier vorgestellten Rechenaufgaben übernehmen und hilft dem Mitarbeiter*in vor Ort so, die richtigen Anlagenparameter zeitnah zu bestimmen. In Tabelle 4 ist für die Zone P2 ein neues Setting von 389 °C errechnet worden. Ob die Reflowlötanlage technisch eine so hohe Setting-Temperatur realisieren oder solche Zonentemperaturunterschiede auch einhalten kann, muss natürlich abgeklärt werden; dies ist konstruktiv nicht immer gegeben.

 Tab. 4: Berechnete neue Reflowanlagen-Settings im Vergleich

Zone

Settings
Original
in °C

Settings
neues Profil
in °C

plus 2024 07 h oberstrich in
W/m²K

Z1

145

145

108

Z2

175

175

105

Z3

205

184

79

Z4

210

182

92

Z5

245

185

68

P1

275

213

67

P2

275

389

22

C1

116

112

54

C2

52

63

58

Beispiel B: Ein doppelseitig bestücktes ca. 500 g schweres FR4-Mainboard wurde bisher auf einer 10-Zonen-Konvektions-Reflowlötanlage erfolgreich gelötet, Abbildung 6. Nun soll die Produktion an einen anderen Standort verlagert werden. An diesem Standort steht ebenfalls eine 10-Zonen-Anlage zur Verfügung, jedoch von einem anderen Hersteller. Aufgabe: Welche Settings der anderen Anlage sind erforderlich, um ein möglichst gleiches Reflowlötprofil zu erzielen? Zur Lösung der Aufgabe werden im ersten Schritt die Wärmeübergangskoeffizienten h für jede Zone der anderen Anlage mit Hilfe von definierten Massen (geschwärzte Edelstahlplättchen) nach der Fitting-Methode ermittelt, Tabelle 5.

 Tab. 5: In der neuen Anlage ermittelte h

Heizzone

1

2

3

4

5

6

7

8

9

10

Setting

°C

100

110

130

150

170

190

210

230

250

270

Speed

mm/min

800

h

W/m²K

47

65

61

61

61

61

61

61

59

55

Im zweiten Schritt wurden die ermittelten h in die Formel (5) eingesetzt, wobei die Verweilzeit pro Zone der Transportgeschwindigkeit von v = 750 mm/min entsprach. Die Heizgastemperaturen TU wurden händisch angepasst; Abbildung 7 zeigt das Ergebnis.

Abb. 6: Reflowlötprofil des FR4-Mainboards, 10-Zonen-Reflowlötanlage, v = 750 mm/minAbb. 6: Reflowlötprofil des FR4-Mainboards, 10-Zonen-Reflowlötanlage, v = 750 mm/min

Abb. 7: Simulation des Baugruppen-Reflowlötprofils mit h-Werten aus Tab. 5Abb. 7: Simulation des Baugruppen-Reflowlötprofils mit h-Werten aus Tab. 5

 

TU °C

160

200

230

225

215

205

200

245

270

255

35

35

35

30

4. Strahlungseinfluss

Allgemeine Erfahrungen zeigen, dass ein kleiner Einfluss von Wärmestrahlung durchaus in Reflowlötanlagen gegeben ist. Allerdings lässt sich dieser Einfluss nicht von der natürlichen Konvektion (Strömung) trennen, welche immer in erwärmten Durchlauflötanlagen zu erwarten ist. Die nachfolgenden Versuchsergebnisse beschreiben diesen ‚natürlichen' Wärmeübergang. Ein Temperaturmessboard (PTP 250 mm breit) wurde zunächst bei üblichen Settings (Set, Tab. 6) durch die Reflowlötanlage gefahren. Vor einem zweiten Messdurchlauf wurden die Gebläse der einzelnen Heiz- und Kühlzonen ausgeschaltet, um die ‚natürliche' Wärmeübertragung der Anlage zu erfassen. Die zweite Messung (Gebläse AUS) erfolgte unmittelbar nach der ersten Messung, so dass die Anlage keine wesentlichen Temperaturverluste erlitten hat. Unter Zwangskonvektion (Gebläse AN) erreicht die große Masse eine maximale Temperatur von TP = 209 °C, hingegen bei ausgeschalteten Gebläsen TP = 136 °C. Der Wärmeübergangskoeffizient für den Strahlungsanteil lässt sich mit (10) abschätzen. Für Tr werden hier die Setting-Temperaturen der Anlage verwendet und ε auf 0,8 gesetzt. Obwohl die Heizkammer der Reflowlötanlage aus Edelstahl (mit ε ca. 0,4) gefertigt ist, kann dennoch angenommen werden, dass ε in diskutiertem Fall eines sehr kleinen Fächenverhältnisses Baugruppe zur Hohlraumfläche der Anlage sowie der nahezu geschlossenen Heizkammer eher gegen 1 strebt. Auf dem Abbildung 8 sind die simulierten Temperaturverläufe der beiden Massen zu sehen. Tabelle 6 zeigt die berechneten Wärmeübergangskoeffizienten für beide Zustände ‚AN und AUS' der Reflowlötanlage. Wie erwartet sind die Wärmeübergangskoeffizienten für den Zustand der Gebläse ‚AUS' wesentlich kleiner als die für den Normalzustand ‚AN'; sie entsprechen den in der Literatur zu findenden Werten für eine natürliche Konvektion (z. B. 16 W/m²K bei Herwig [ii], S. 35). Die in der Peak- und Kühlzone mit ‚*' gekennzeichneten Wärmeübergangskoeffizienten sind deutlich größer. Nur so lassen sich die steileren Anstiege in diesen Zonen simulieren, die auf den Einfluss einer in der Reflowlötanlage zusätzlichen Gasströmung zurückzuführen sind, die unabhängig von den Heizgebläsen zu Reinigungszwecken das Gas umwälzt. Diese Gasumwälzung erzeugt eine lokale Zwangskonvektion.

Abb. 8: Gemessene (Linie) und simulierte (Symbol) Temperaturverläufe der Massen (M.) im Vergleich: Gebläse AN und AUSAbb. 8: Gemessene (Linie) und simulierte (Symbol) Temperaturverläufe der Massen (M.) im Vergleich: Gebläse AN und AUS

Tab. 6: Gemessene und simulierte Temperaturen und Wärmeübergangskoeffizienten
Set = Temperaturen der Reflowlötanlage in °C
AN = Wärmeübergangskoeffizient Gebläse an in W/m²K
AUS = Wärmeübergangskoeffizient Gebläse aus in W/m²K

Set

135

145

155

170

185

200

215

265

255

250

110

40

35

30

AN

70

70

70

70

70

70

70

70

70

70

50

50

50

50

AUS

13,3

14,0

14,8

15,8

16,9

18,2

19,6

23,2

24,0

64,8*

23,8

21,0

18,2

54,7*

Die Abschätzung des möglichen Strahlungsanteils, besser gesagt des Anteils der natürlichen Wärmeübertragung scheint zunächst nur von akademischem Nutzen zu sein. Dennoch gibt sie eine zusätzliche Information über das Wärmeübertragungssystem der Reflowlötanlage und die Fähigkeit, Reflowlötprozesse zu steuern.

5. Fazit

Moschallski schreibt in [iv], dass der Wärmeübergangskoeffizient von der Körpergeometrie, der Art der Umströmung (Geschwindigkeit, Richtung, Strömungsform …) und den Eigenschaften des Heizgases nicht aber von den Materialeigenschaften des Körpers abhängt. Die Ober- und Unterseite der Baugruppen werden unterschiedlich mit Heizgas in Reflowlötanlagen beaufschlagt, vertikale und horizontale Strömungen variieren, zusätzlich sind die Materialdaten des Heizgases von der Temperatur abhängig. Den Einfluss der Strömung in Konvektions-Reflowlötanlagen auf den Wärmeübergangskoeffizient hat Illés ausführlich in [vi] beschrieben. Er berechnete erhebliche Unterschiede in der Größe von h sowohl in der Vertikalen über der Baugruppe als auch über ihre Breite von 15 – 25 %. Die in diesem Artikel vorgetragenen Betrachtungen zeigen zusätzlich wesentlich größere Unterschiede von Heizzone zu Heizzone. Weiterhin muss jeder Messstelle auch noch ein kleiner Anteil Temperaturausgleich durch Wärmeleitung innerhalb der Baugruppe zugerechnet werden.

Der Wärmeübergangskoeffizient ist leider keine Konstante der Reflowlötanlage. Dennoch sind die bekannten thermodynamischen Algorithmen geeignet, Temperaturprofile für die Fertigung elektronischer Baugruppen zu simulieren. Abweichungen vom wahren Temperaturwert sind zu tolerieren; sie können durch sogenannte Confirmation-Runs (reale Messungen) korrigiert werden. Allerdings muss auch darauf hingewiesen werden, dass eine Messung stets mit höchster Sorgfalt durchzuführen ist, um der wahren Temperatur möglichst nahe zu kommen. Adam [i] weist darauf hin, dass die Summe aller Toleranzen bei der Messung durchaus bei ± 5 K liegt, wodurch die Deckungsgleichheit zwischen Simulation und realer Messung ebenfalls beeinflusst wird.

Sicherlich wird zukünftig automatisiertes Lernen (KI) dabei helfen, Simulationen von Reflowlötprofilen komfortabler zu machen. Ob diese Technik dann verlässlich und bezahlbar ist, steht auf einem anderen Blatt.

Literatur

[i] Adam, J.; Reichhart,S.; Schill, J.; Wild, P.: Praktikable Reflow-Simulation von Leiterplattenbaugruppen - Zwei Digitale Zwillinge, EBL 2024 - 12. GMM/DVS-Tagung 04. – 06. März 2024 Fellbach.
[ii] Herwig, H.; Moschallski, A.: Wärmeübertragung, Vieweg Verlag, ISBN-10 3-8348-0060-0, S. 4 ff.
[iii] Poech, M.: Das Reflow-Lötprofil bei eingeschränktem Prozessfenster, FhG ISiT-Lötseminar, Itzehoe 17.09.2015.
[iv] Moschallski, A.; Rückert, J. Ph.; Herwig, H.: Praxisnahe Bestimmung von Wärmeübergangskoeffizienten an Körpern unterschiedlicher Geometrie, Chemie Ingenieur Technik, August (2011) und www. Researchgate.net, publication, 258218053.
[v] DIN EN ISO 13789 ISO 13789, 2018-04, Wärmetechnisches Verhalten von Gebäuden - Transmissions- und Lüftungswärmetransferkoeffizient – Berechnungsverfahren.
[vi] Illés, B.: Distribution of the heat transfer coefficient in convection reflow oven, Applied Thermal Engineering 30 (2010), pp. 1523 -1530.

Anhang

Die folgende Tabelle 7 zeigt, dass eine physikalisch basierte Berechnung der Temperaturen (Simulation) im Reflowlötprozess mit wenig Aufwand in einer Tabellenkalkulation (MS-Excel, LibreOfficeCalc) machbar ist.

 Tab. 7: Tabellenkalkulation für eine Temperatursimulation 

 

A

B

C

D

E

F

G

 

Eingabewerte
für Baugruppe + Reflowlötanlage

       

1

Dichte

kg/m³

2000,0

 

 

 

 

2

Wärmekapazität

J/kgK

1000,0

       

3

Dicke

mm

2,0

       

4

Transportge-schwindigkeit

mm/min

800,0

       
 
 

Mini Temperaturprofil-Simulation

   

Eingabewerte

Werte werden berechnet

   

Zonenlänge

Temperatur der Zone

Wärmeüber-gangskoeff. h

Zeit

Zeitkonstante
τ (Tau)

Temperatur

   

mm

°C

W/m²K

s

s

°C

5

Starttemperatur

         

28.0

6

 

400

120

80

30.0

25.0

92.3

7

 

400

150

70

30.0

28.6

129.8

8

 

400

180

65

30.0

30.8

161.1

9

 

400

230

60

30.0

33.3

202.0

10

 

400

250

70

30.0

28.6

233.2

11

 

800

50

80

60.0

25.0

66.6

 

Abb. 9: Simuliertes Temperaturprofil aus der TabellenkalkulationAbb. 9: Simuliertes Temperaturprofil aus der TabellenkalkulationNotwendige Eingaben (Werte bzw. Formeln, ohne schmückendes Beiwerk wie Zellbeschreibungen und Einheiten) in die Zellen (Spalte, Zeile) der Tabellenkalkulation sind für oben gezeigtes Beispiel:

  • C1: Dichte in kg/m³
  • C2: Spezifische Wärmekapazität in J/kgK
  • C3: Dicke in mm
  • C4: Transportgeschwindigkeit in mm/min (Einstellwert an der Reflowlötanlage)
  • G5: Anfangstemperatur in °C
  • B6 bis B11: Zonenlänge in mm (Abmessungen in der Reflowlötanlage)
  • C6 bis C11: Zonentemperatur in °C (Einstellwerte an der Reflowlötanlage)
  • D6 bis D11: Wärmeübergangskoeffizient in W/m²K (Eigenschaft der Anlage, beeinflusst durch Strömungsverhältnisse an der Baugruppenoberfläche)
  • E6 bis E11[*]: = 60*B6/C$4 (berechnete Verweilzeit t in der Zone in s)
  • F6 bis F11[*]: = C$1*C$2*C$3/2000/D6 (berechnete Zeitkonstante τ in der Zone in s)
  • G6 bis G11[*]: = G5+(C6-G5)*(1-EXP(-E6/F6)) (Simulation, berechnete Temperatur TK am Ende der Zone in °C)

Die Zonen können mit entsprechenden Werten z. B. als Einlauf-, Vorheiz-, Heiz-, Peak-, Übergangs-, Kühl- und Auslaufzonen über die gesamte Anlagenlänge definiert werden. Obiges Beispiel einer „virtuellen“ Anlage bezieht sich nicht auf einen realen Ofen; die Zahlenwerte sind auf den jeweils vorliegenden Fall (Lötanlage, Baugruppe) anzupassen bzw. zeilenweise zu erweitern oder zu kürzen.

[*] Die Zeilen 7 bis 11 (Spalten E bis G) sind automatisch auszufüllen bzw. copy&paste mit entsprechend angepassten Formeln zu belegen

  • Ausgabe: Juli
  • Jahr: 2024
  • Autoren: Hans Bell, Max Poech
Image

Eugen G. Leuze Verlag GmbH & Co. KG
Karlstraße 4
88348 Bad Saulgau

Tel.: 07581 4801-0
Fax: 07581 4801-10
E-Mail: info@leuze-verlag.de

 

Melden Sie sich jetzt an unserem Newsletter an: