Jährlich erkranken in Europa rund vier Millionen Menschen an Infektionen, hervorgerufen durch Krankenhauskeime [1]. Krankheitserreger verteilen sich über Oberflächen wie Handläufe, Klinken oder Touchscreens. Im EU-geförderten Gemeinschaftsprojekt SanFlex wird an einer photokatalytischen Beschichtung geforscht, die (zusätzlich) mit supersauren Oberflächeneigenschaften versehen ist.
Die neuartige Beschichtung verhindert das Anhaften von Krankheitserregern und tötet zudem auch Mikroorganismen ab. Konkretes Ziel des SanFlex-Forschungsprojekts ist es, geeignete Beschichtungstechnologien zur kostengünstigen Herstellung antipathogener Schutzfolien für Touchscreens zu entwickeln.
Oberflächen bremsen Erreger
Mit Beginn der kälteren Jahreszeit nehmen Infektionskrankheiten und Grippewellen wieder zu. Oberflächen wie Handläufe, Griffe und Touchscreens sowie andere stark frequentierte Flächen bergen das Risiko der Übertragung von Krankheitserregern. Besonders gravierend ist dies in Einrichtungen des Gesundheitswesens, wo eine große Zahl infizierter Personen zusammenkommt. In Europa werden jährlich rund 4 Millionen Infektionen, davon 600.000 allein in Deutschland, durch Krankenhauskeime verzeichnet [1,2]. Um die Ausbreitung dieser Keime zu reduzieren, können Oberflächen mit antimikrobiellen Eigenschaften einen wesentlichen Beitrag zur Eindämmung der Erregerübertragung leisten.
Wunderschicht Titanoxid
Beispiel einer mikrobiell verunreinigten Oberfläche (Foto: Fraunhofer FEP, Daniel Mählich)Titanoxidschichten, insbesondere kristallines Titandioxid (TiO2), sind für ihre antimikrobiellen und selbstreinigenden Oberflächeneigenschaften bekannt. Das Fraunhofer FEP in Dresden erforscht und realisiert seit vielen Jahren Schichtsysteme und die dazugehörigen Beschichtungsprozesse für den Transfer in die industrielle Fertigung. Neben Beschichtungen auf starren Substraten wie Glas entwickeln die Wissenschaftler und Wissenschaftlerinnen des Institutes auch Oberflächenbeschichtungen und deren Funktionalisierung für flexible Materialien wie Folien und Ultradünnglas. Im Rahmen des EU-Forschungsprojekts SanFlex arbeitet jetzt ein schwedisch-deutsches Konsortium an neuen Beschichtungstechnologien, um Krankheitserreger auf Oberflächen wirksam zu reduzieren. Dazu entwickelt das Team eine neue Art von Titanoxidschichten, die so modifiziert sind, dass sie supersaure Oberflächen bilden. Die Förderung für das Projekt erfolgt im Rahmen des Horizon 2020 Forschungs- und Innovationsprogramms der Europäischen Union. Auch Sachsen unterstützt das Forschungsprojekt finanziell.
Doppelt wirksame antipathogene Beschichtung
Die supersauren Oberflächeneigenschaften werden durch einen Photofixierungsprozess erzeugt, während dabei die photokatalytischen Eigenschaften der Titanoxidschichten unbeeinträchtigt bleiben. Diese supersaure Beschichtung hat oleophobe und katalytische Eigenschaften, die verhindern, dass sich Fett und Krankheitserreger auf der Oberfläche festsetzen. Die Beschichtung wirkt als antipathogener Schutz, der zwei Eigenschaften in einem Produkt vereint: Die Anhaftung von Krankheitserregern wird zunächst verhindert und gleichzeitig werden Mikroorganismen auf der Oberfläche abgetötet.
Forschende verfolgen zwei Ansätze
Um die anorganischen Säuregruppen an die Titanoxidschichten zu binden, sind nanokristalline Strukturen erforderlich. Die Bildung solcher kristallinen Strukturen in Titanoxidschichten erfordert in der Regel Prozesstemperaturen von mindestens 250 °C, die für flexible Materialien wie Polymerfolien problematisch sind. Im Rahmen des Projekts werden daher verschiedene Verfahrensansätze untersucht, die die Herstellung kristalliner Schichten bei niedrigeren Substrattemperaturen ermöglichen. An der Universität Uppsala in Schweden wird unter anderem das Hochleistungsimpuls-Magnetronsputtern (HiPIMS) eingesetzt, um die gewünschte Kristallinität der Schichten zu erreichen.
Mittels FLA kristallisierte Titandioxid-Dünnschicht auf temperaturstabilem Polymer. Die Grafik stellt die XRD-Messung der Anatas-Phase dar (Foto: Fraunhofer FEP)Am Fraunhofer FEP wird ein weiterer Ansatz verfolgt, wie Projektleiter Dr. Matthias Fahland erläutert: „Wir nutzen als weitere Methode zur Herstellung der kristallinen Struktur der vorher bei Raumtemperatur gesputterten – noch amorphen – TiO2-Schichten das Blitzlampen-Tempern (flash lamp annealing, FLA). Die grundlegende Herstellung der kristallinen Schichten durch diese Methode konnten wir bereits auf starren Substraten wie Glas und auch auf flexiblem Ultradünnglas nachweisen. Mit unseren Labor- und Pilotanlagen sind wir in der Lage, diese Schichten reproduzierbar herzustellen und zu skalieren. Diese ersten Erfolge bringen uns nicht nur in der Gebäudeausstattung weiter, sondern können künftig eine verbesserte Hygiene in öffentlichen und medizinischen Einrichtungen ermöglichen.“
Effiziente und ökonomische Fertigung möglich
Die Ergebnisse wurden auf Glassubstraten einer Fläche von mindestens 50 × 50 mm2 in Laboranlagen und in der Pilotfertigungsanlage ILA 900 am Fraunhofer FEP erzielt. Letztere kann Beschichtungen im industriellen Maßstab prozessieren und verfügt über zusätzliches Equipment, um nicht nur starre Glassubstrate zu behandeln, sondern ebenfalls abschattungsfrei flexibles Dünnglas in Substratgrößen bis zu 600 × 1200 mm2 zu prozessieren. Auch der Nachbehandlungsprozess des FLA ist auf diese Behandlungsfläche skalierbar. Ein zentrales Ziel des Projekts SanFlex ist es, die Verfahren zur Beschichtung flexibler Substrate für die Herstellung prototypischer antipathogener Displayfolien anzupassen und die Effektivität der Schichten in realen Krankenhausumgebungen zu demonstrieren. Thomas Preußner, technischer Projektleiter am Fraunhofer FEP, beschreibt den aktuellen Stand: „Unsere ersten Versuche zur Übertragung auf flexible Folien zeigen bereits kristalline Strukturen auf den Substraten. Derzeit arbeiten wir an der Stabilität der erzeugten Schichten. Um den Transfer auf flexible Folien zum Erfolg zu bringen, nutzen wir unser vorhandenes Prozess-Know-how und betrachten den gesamten Schichtherstellungsprozess, beginnend von der Schichtabscheidung durch großflächiges Magnetronsputtern über das Kristallisieren der Schichten mittels Inline-FLA bis zum Anlagerungsprozess der anorganischen Säuregruppen.“ Gelingt die Erzeugung der doppelt wirksamen, antipathogenen Schichten auf Foliensubstraten, können die Projektpartner mit Rolle-zu-Rolle-Prozessen künftig sehr effiziente und ökonomische Beschichtungsverfahren bereitstellen, die den Transfer in die industrielle Fertigung unterstützen. Der schwedische Partner ChromoGenics wird hierzu seine Kompetenzen in der Herstellung funktionaler Folien einbringen und arbeitet an Rolle-zu-Rolle-Prozessen innerhalb des Projektes. Um die spätere Einführung solcher Produkte in reale Umgebungen von vornherein erfolgreich zu gestalten, begleitet der Projektpartner Fraunhofer ISI die Forschungsarbeiten und beurteilt deren ökologische, ökonomische und soziale Aspekte und Auswirkungen. Der schwedische Partner Nanoform Science AB steht außerdem zur späteren Vermarktung der Ergebnisse bereit.
Neue Perspektiven für Innenraumlösungen
Der Einsatz derartiger Beschichtungen im Bau- und Gebäudebereich, insbesondere für Oberflächen, die regelmäßig mit Menschen in Berührung kommen, eröffnet neue Perspektiven für hygienische Innenraumlösungen, die eine signifikante Verbesserung der Gesundheitssicherheit mit sich bringen. Gelingt die Skalierung in kostengünstige Rolle-zu-Rolle-Fertigungsprozesse, sind neben dem Einsatz im Gebäudesektor auch weitere Anwendungen, z. B. im Fahrzeugbau oder in der Displayanwendung, denkbar.
Literatur
[1] C. Suetens et al., “Prevalence of healthcare-associated infections, estimated incidence and composite antimicrobial resistance index in acute care hospitals and long-term care facilities: results from two European point prevalence surveys, 2016 to 2017”, Eurosurveillance, 2018, vol. 23/46.
[2] Deutscher Bundestag, https://www.bundestag.de/presse/hib/kurzmeldungen-973282