Die Schweiz & die Seefahrt

Die Schweiz & die Seefahrt

Denkt man an die großen Seefahrernationen dieser Erde, dann fallen einem England ein, Spanien, Portugal. Vielleicht noch die Niederländer. Ein Land ist ganz sicher nicht dabei: Die Schweiz. Stimmt das wirklich?

Jacques Piccard, Sohn von Auguste und Vater von Bertrand,  macht Vorschläge zur RestaurierungJacques Piccard, Sohn von Auguste und Vater von Bertrand, macht Vorschläge zur RestaurierungViele Persönlichkeiten aus der Schweiz haben hervorragendes für die Seefahrt geleistet. Der prominenteste Vertreter ist sicherlich Jacques Piccard, der Ozeanograph, der 1960 mit der „Trieste“, einem so genannten Bathyscaphen, auf den Grund des Marianengrabens, mithin der tiefsten Stelle der Erde, hinabtauchte. Knapp 11 000 Meter, was einem Druck von rund 1100 bar entspricht, hielt das U-Boot dabei aus. Piccard, respektive der Piccard-Dynastie, werden wir im Verlauf der Geschichte wieder begegnen.

Eine weitere Seefahrerpersönlichkeit war der aus dem Kanton Glarus stammende Kapitän Henri Tschudi. Der lernte Ende des 19. Jahrhunderts einen gewissen Camillo Eitzen, ebenfalls Kapitän, kennen und zusammen gründeten sie in Norwegen das Reedereiunternehmen Tschudi & Eitzen. Ihre Schiffe hießen „Eiger“, „Titlis“ oder „Rigi“. Auch über den Namen „Rigi“ werden wir später wieder stolpern, wenn auch einer anderen, älteren, „Rigi“.

Die Reihe lässt sich fortsetzen: Gottfried Schenker aus Solothurn gründete noch zu K.u.K.-Zeiten in Wien die Adria Steamship Company mit den Schiffen „Martha Washington“ und „Kaiser Franz Joseph I“. Österreich, heute wie die Schweiz ein Binnenland, hatte damals Nordost-Italien besetzt und über Triest Zugang zum Mittelmeer. Oder der St. Gallener Daniel Steinmann, der in Antwerpen die White Cross Line gründete und als erster Schweizer auf Schiffen das Schweizerkreuz als Markenzeichen führte. Weshalb sein Flaggschiff, ein Segler noch, den Namen „Helvetia“ über die Weltmeere trug.

Aus den Tiefen der Jahrhunderte zurück ins 21., von den Weltmeeren zurück ins Alpenland Schweiz. Im Luzerner Verkehrsmuseum stehen heute zwei schiffbautechnische Pretiosen, die Geschichte geschrieben haben. Und die beide, nicht zuletzt dank Oberflächentechnik, zu Schmuckstücken der Ausstellung geworden sind.

Schweizerische Ingenieurskunst

Eines der wichtigsten technischen Kulturgüter der Schweiz aus der Nachkriegszeit konnte dem Verrottungsprozess entrissen werden. Das U-Boot „Auguste Piccard“ (Mésoscaphe PX-8) ist eine Ikone der Schweizer Industriegeschichte.

Zum Verständnis: Als Mesoscaph bezeichnen U-Boot- Konstrukteure Boote, die sich im oberen bis mittleren Tauchbereich bewegen. Bathyscaphen hingegen sind Boote, die besonders tief tauchen können. Vor 50 Jahren tauchte die „Auguste Piccard“ an der Expo 64 in Lausanne zum letzten Mal im Genfersee.

ZUR INFO

Der Mesoscaph PX-8: Ein Boot der Rekorde

Die „Auguste Piccard“ ist ein sogenannter Mesoscaph (spez. U-Boot-Typ). Der Ozeanograph Jacques Piccard ließ das Boot anlässlich der Expo 64 1964 in Lausanne bauen und benannte es nach seinem Vater Auguste Piccard. Es war das erste und bis heute größte für touristische und wissenschaftlich Zwecke gebaute U-Boot sowie das größte nicht-militärische Unterwasserfahrzeug.

Eckpunkte:

  • 28,5 m lang und 165 t schwer
  • 3,1 m Innendurchmesser
  • Max. Tauchtiefe: 750 m
  • E-Motor mit 58,8 kW
  • Höchstgeschwindigkeit: 6 Knoten (11 km/h)
  • Atemluft für 48 h

Historie:

  • Ausflugsfahrten im Genfersee 1964 mit bis zu 40 Passagieren in Tiefen bis 150 Meter.
  • 1966 bis 1969 touristische Nutzung in Marseilles.
  • Umrüstung zum Forschungsboot in Kanada.
  • 1984 Stilllegung in Texas.
  • 1999 kaufte ein schweizerischer Geschäftsmann das Boot und holte es ins Land zurück.

Die Erfahrungen der Forschungstauchgänge flossen auch in die Raumfahrt ein. Der „Vater der Mondlandung“, Wernher von Braun, besuchte Jacques Piccard mehrfach zum Meinungsaustausch.

Das Schaubild verdeutlicht die enorme Leistung eines Touristen-U-Bootes: Der Mesoscaph PX-8 kann mit knapp 1500 Metern tiefer tauchen als ein militärisches U-Boot. Noch tiefer schaffen  es Seeelefanten und Pottwale. Piccards Bathyscaph „Trieste“ erreichte den tiefsten Punkt der Meere, den Marianengraben, schon 1960Das Schaubild verdeutlicht die enorme Leistung eines Touristen-U-Bootes: Der Mesoscaph PX-8 kann mit knapp 1500 Metern tiefer tauchen als ein militärisches U-Boot. Noch tiefer schaffen es Seeelefanten und Pottwale. Piccards Bathyscaph „Trieste“ erreichte den tiefsten Punkt der Meere, den Marianengraben, schon 1960

Rund 28000 Arbeitsstunden stecken in der Renovierung des MesoscaphenRund 28000 Arbeitsstunden stecken in der Renovierung des MesoscaphenAugustes Sohn Jacques Piccard, der mit dem U-Boot „Trieste“ auf 10 916 Metern am tiefsten Punkt dieser Erde war, konstruierte für die Expo Lausanne von 1964 das größte, zivile U-Boot der Welt. Bei der Abnahme der Betriebsfähigkeit kam es zum Eklat, da die Schweiz nicht über die entsprechende Erfahrung mit Tauchbooten verfügte. Den Argumenten von Piccard wurde kein Vertrauen geschenkt und so wurde er vom Projekt ausgeschlossen. Trotzdem wurde die Fahrt mit einem Unterwasserboot zum Höhepunkt der Expo 64. Mehr als 33.000 Passagiere nutzten die Chance für damalige 40 Franken, sich auf eine 25-minütige Fahrt 150 Meter unter den Seespiegel zu begeben. Heute muss man sich das so vorstellen, wie auf einem Businessclass-Flug: Es gab Stewardessen, die den Gästen während des Tauchgangs edle Getränke servierten.

Nach dem Einsatz an der Landesausstellung wurde das U-Boot nach Kanada verkauft, um dort 1976 Küstenvermessungsarbeiten für eine amerikanische Offshore-Erdölfirma durchzuführen. Später tauchte es vor San Diego für ein geologisches Institut und die Navy. Durch den Panamakanal gelangte die PX-8 nach Mobile, Alabama. Von dort aus begab sich das U-Boot auf Schatzsuche in karibische Gewässer. Höhepunkt war 1981 der Fund der spanische Galeone San José, die 1708 von der britischen Flotte vor der Küste Kolumbiens versenkt wurde. An Bord sollen sich tonnenweise Gold, Silber und Edelsteine befinden, weshalb die kolumbianische Regierung das Bergungsrecht verweigerte. Später beschädigte ein Wirbelsturm in Texas das an Land eingelagerte U-Boot so schwer, dass es nicht mehr betriebsfähig war.

1999 repatriiert, lagerte das U-Boot in Le Bouveret am Genfersee. An der Landesausstellung 2002 in Murten wird es nochmals der Öffentlichkeit präsentiert. Tage vor der Verschrottung übernimmt das Verkehrshaus das schwer verrostete U-Boot, um es der Nachwelt zu erhalten.

„Sicher war damals nur eines“, sagt Daniel Geissmann, „wir hatten absolut kein Geld für eine Restaurierung und auch keine Idee, wir wir das auftreiben sollten. Geissmann war damals der Hauptinitiator und Koordinator rund um die Wiederherstellung der „Auguste Piccard“. Zunächst war er freiberuflich tätig, dann stellte ihn das Verkehrshaus fest an. Geissmann gelang es, Unternehmen für das Restaurierungsprojekt als Sponsoren zu gewinnen.

Acht Tonnen Mennige

Fünf bis sechs Freiwillige arbeiteten ab sofort, wann immer möglich, am Mesoscaphen. Auch in der Schweiz gelten für die Instandsetzung von Kulturgütern enge Vorschriften und so galt es für das Team um Geissmann zunächst, pragmatische Entscheidungen zu treffen. „Was bewahren wir von der Konstruktion, wovon trennen wir uns, fragten wir uns bei nahezu jedem Arbeitseinsatz. Erleichtert wurde uns die Entscheidungsfindung durch die Tatsache, dass wir schließlich wussten, dass die PX-8 nie wieder tauchen würde und nur für die Ausstellung eine gute Figur würde machen müssen.“

Design des 19. Jahrhunderts: Eine schnittige Rumpf-Silhouette sorgte beim Dampfschiff Rigi für wenig Wasserwiderstand (Foto: Verkehrshaus Luzern)Design des 19. Jahrhunderts: Eine schnittige Rumpf-Silhouette sorgte beim Dampfschiff Rigi für wenig Wasserwiderstand (Foto: Verkehrshaus Luzern)

Schließlich wurde der innenliegende Bugrahmen entfernt, er liegt heute, nahezu unbearbeitet und ziemlich lädiert, direkt neben dem U-Boot. Behalten jedoch wurde der äußere Bug, die sogenannte Kugel aus zwei Zentimeter dickem Stahl. Erneuert wurden das Heckteil und der Aufbau, der „Kiosk“. Geissmann: „Im Fall des Hecks war das relativ leicht zu bewerkstelligen, da dieser Teil nur angeflanscht ist und beim Tauchgang geflutet wird.“

Zusammengefasst: Seit 2005 leistete das Verkehrshaus der Schweiz zusammen mit Freiwilligen über 28.000 Arbeitsstunden. Das Boot wurde mit minimalen finanziellen und personellen Mitteln sowie zahlreichen Projektpartnern restauriert. Anhand von Originalplänen aus dem Musée du Léman konnten frühere Umbauten rückgängig gemacht und das äußere Erscheinungsbild des U-Boots, Stand Expo 64, wieder hergestellt werden. Den Einstiegsturm bauten die Azubis der Ruag nach, während der Kiel von den Azubis der Firma Schindler neu erstellt wurde. Für den Nachbau der Antriebs- und Steuereinheit (Heckpartie) waren die Ateliers des Verkehrshauses verantwortlich.

Bleibt die Beschreibung der Oberflächenbehandlung nachzuerzählen und da stehen vor allem acht Tonnen Mennige im Mittelpunkt. Daniel Geissmann: „Nach langen Diskussionen entschieden wir uns für eine konventionelle Beschichtung. Das heißt, wir wählten eine Standardgrundierung, worauf eine dünne, weiße Lackschicht aufgetragen wurde.“ Diese Oberfläche, berichtet Geissmann, hätte vor allem den Vorteil, dass kleinere Schäden durch den Ausstellungsbetrieb günstig und mit Hausmitteln würden ausgebessert werden können. Dumm war nur, dass im Verkehrshaus bereits acht Tonnen Mennige vorhanden waren, die durch diese Entscheidung nicht mehr gebraucht wurden und fachgerecht entsorgt werden mussten.

Rotterdam – Genua und zurück

Daniel Geissmann war die treibende Kraft um die Instandsetzung  der „Auguste Piccard“ (Foto: Heinz Käsinger)Daniel Geissmann war die treibende Kraft um die Instandsetzung der „Auguste Piccard“ (Foto: Heinz Käsinger)Ein weiterer Blickfang in der Ausstellung auf dem Luzerner Freigelände ist das Dampfschiff „Rigi“. Wie die „Auguste Piccard“ ist der Dampfer weitgehend entkernt und nicht mehr einsatzbereit. Auf dem Museumsgelände hat die „Rigi“ einen Betonkiel erhalten und ihre Aufbauten sind weitgehend entfernt. Nur die historisch bedeutsamen Elemente wie der Schornstein, die Schaufelräder und das heckseitig angebrachte Rettungsboot sind belassen.

Die „Rigi“ wurde in London gebaut und mit Pferdefuhrwerken quer durch Westeuropa in Einzelteilen nach Luzern gebracht. Dort wurde sie endmontiert und lief 1848 vom Stapel. Ihre Besonderheit war ein so genanntes Glattdeck, auf dem sowohl Passagiere als auch Vieh transportiert werden konnten.

Mit dieser Bauart war das Dampfschiff ein wichtiger Faktor im Nord-Süd-Nord-Verkehr Europas im 19. Jahrhundert. Züge und Postkutschen aus dem Norden rollten nämlich zunächst nur bis Luzern, dort wurde auf ein Schiff umgestiegen und Mensch und Ware nach Flüelen am Südende über den Vierwaldstättersee transportiert. Über den Gotthard ging es dann wieder per Pferdewagen.

Gegen Ende des 19. Jahrhunderts war das Eisenbahnnetz Europas dichter geworden und die „Rigi“ wurde vom Warentransporter zum Salonschiff – Touristen hatten jetzt das Kommando übernommen. Der Dampfer bekam einen 7,5 Meter langen Glasaufbau, der als Salon für die Passagiere der ersten Klasse diente.

Nach 105 Dienstjahren und 1,6 Millionen (!) absolvierter Kilometer wurde das Dampfschiff 1952 aus dem Verkehr gezogen und in den Ruhestand versetzt. Das Dampfschiff stand damals kurz vor seiner Verschrottung. Der erste Direktor des Verkehrshauses, Alfred Waldis, setzte sich aber persönlich für seine Rettung ein. Als ältestes noch erhaltenes maschinengetriebenes Verkehrsmittel der Schweiz war es zu einem Kulturgut geworden. In einer spektakulären Aktion wurde das Schiff an Weihnachten 1958 ins Verkehrshaus transportiert.

Nicht nur Schiffsliebhaber lässt die schnittige Form des Rumpfs auch noch heute mit der Zunge schnalzen. Der schlanke Bootskörper mündet in die Bugzier aus Holz, die das Schweizerkreuz zeigt und dessen umgebende, geschnitzte Ornamentik mit Blattgold beschichtet wurde.

Der Rumpf selbst besteht aus Metall und seine Bauteile sind geschweißt und genietet. Die Farbgebung entspricht dem Original, wie es im 19. Jahrhundert ausgeliefert wurde (zwischenzeitlich war das Schiff weiß lackiert gewesen), das heißt unten schwarz und oben dunkelrot. Das Rumpfmetall wurde zuerst geschliffen, dann grundiert. Die Deckschicht besteht aus Ölfarbe, die nicht aufgesprüht, sondern gestrichen wurde, um größtmögliche Authentizität zu gewährleisten.

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Moderne Beschichtungen von U-Booten des Militärs

Während touristisch genutzte U-Boote oder Forschungs-U-Boote sich mit antikorrosiven Lackschichten begnügen, fordert das Militär für seine Unterwasserfahrzeuge viel speziellere Schichten. Bereits im Zweiten Weltkrieg entwickelten deutsche Bootsbauer unter dem bezeichnenden Namen Alberich eine gummiartige Beschichtung für U-Boot-Körper, die die Schallwellen der Echolote zerstreuen konnten. Solche Gummierungen werden noch heute verwendet.

Was bei Flugzeugen und Überwasserschiffen schon seit vielen Jahren eingesetzt wird, wird jetzt auch an U-Booten probiert: Die Verkleidung gewisser Stellen mit Folien, die Haifischhaut imitieren. Grundlage war die Beobachtung, dass sich Haie scheinbar widerstandslos in Strömungen bewegen. An Flugzeugen konnte man mit derartigen Folien Kerosineinsparungen von bis zu 5 % erreichen.

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  • Ausgabe: April
  • Jahr: 2022
  • Autoren: Heinz Käsinger
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