Ein Material aus dem Mittelalter avancierte anfangs des 20. Jahrhunderts zu einem wichtigen Bestandteil der damals ihre Blütezeit erlebenden Zeppeline – die sogenannte „Goldschlägerhaut“.
Die Ära der Luftschifffahrt begann im 19. Jahrhundert und erreichte ihren Höhepunkt in der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts. Luftschiffe waren die Pioniere der zivilen Luftfahrt. Sie waren die Verkehrsmittel der ersten Luftfahrtgesellschaft und auch die ersten Luftfahrzeuge, die Passagiere im Liniendienst ohne Zwischenstopp über den Atlantik beförderten.
Das erste Starrluftschiff wurde 1895/1896 von David Schwarz in Berlin entwickelt. Es bestand aus einem Aluminium-Gerüst mit Aluminiumbeplankung. Schwarz verstarb noch vor der ersten Testfahrt. Diese fand auf dem Tempelhofer Feld in Berlin statt. Das Gefährt wurde bei der Landung irreparabel beschädigt und anschließend verschrottet [1]. Graf Ferdinand von Zeppelin war damals Augenzeuge, kaufte die Patente und Entwürfe auf und ließ sich 1898 einen Entwurf für einen „Lenkbaren Luftfahrzug“ patentieren [2].
Seit Zeppelin im Jahr 1890 mit 52 Jahren aus dem Militärdienst ausgeschieden war, wollte er nur eines: Luftschiffe bauen. Obgleich schon einige Erfinder vor ihm gasgefüllte Ballons in den Himmel steigen ließen, stand die Entwicklung der Flieger noch am Anfang. Zeppelin wollte es besser machen. Er opfert das Vermögen seiner Frau, sammelt Spenden, heuert Ingenieure an [3].
Zeppelin entschied, ein starres Luftschiff zu bauen, mit einem Skelett aus Duraluminium, einem damals erst seit kurzer Zeit zur Verfügung stehenden neuen Aluminiumwerkstoff als Stütze im Inneren. Das „Luftschiff Zeppelin 1“, kurz LZ 1, maß 128 Meter bei einem Durchmesser von 11,25 Metern und erinnerte an eine gigantische Zigarre. Zeppelin füllte die Luftkammern im Inneren mit Wasserstoff, einem Gas, das viel leichter ist als Luft – und gefährlich gut brennbar. An der Unterseite waren zwei Gondeln befestigt für Piloten, Passagiere und Motoren. Um vorwärtszukommen, besaß Zeppelins Luftschiff mehrere motorbetriebene Propeller. Am 2. Juli 1900 startete das Luftschiff zum ersten Mal. Tausende Neugierige säumten das Ufer des Bodensees, als es mit Zeppelin und vier weiteren Personen an Bord aufstieg. Es flog, allerdings nur 18 Minuten lang, dann musste es notlanden. Die Meinung der Experten: Das Luftschiff sei weder für militärische noch für andere Zwecke zu gebrauchen [3] .
Doch Zeppelin gab nicht auf. Fünf Jahre später hob LZ 2 ab, musste aber beim zweiten Probeflug ebenfalls notlanden. Baumkronen hatten die Hülle aufgeritzt, ein Sturm hatte ihm den Rest gegeben. LZ 3 stieg kaum zehn Monate später in die Luft. Stolze zwei Stunden blieb das Luftschiff oben. Die Leute waren begeistert, die Regierung in Berlin bewilligte Geld für den Bau eines weiteren Modells mit der Forderung, dass das Luftschiff dann einen ganzen Tag in der Luft bleiben sollte. Am 1. Juli 1908 flog Zeppelin mit LZ 4 zwölf Stunden am Stück. Die Zeitungen berichteten landauf, landab. Bald erhielt der Gigant seinen Namen: „Zeppelin“. Drei Tage später flog Zeppelin eine weitere Tour über Basel, Straßburg, Worms und Mainz, schließlich bis nach Echterdingen. Doch hier endete der Höhenflug. LZ 4, mit Seilen am Boden befestigt, wurde durch einen aufziehenden Sturm aus der Verankerung gerissen. Der Wasserstoff entzündete sich. Das Luftschiff explodierte und brannte völlig aus. Eine Katastrophe! [3] .
Und doch, völlig unerwartet, führte der Absturz des „Zeppelins LZ 4“ bei Echterdingen aufgrund der nationalen Zeppelin-Begeisterung zur größten freiwilligen Spendenaktion im Kaiserreich, der „Zeppelinspende des deutschen Volkes“. Rund 6,3 Millionen Goldmark (nach heutigem Geldwert ca. 100 Mio. Euro) kamen an Spendengeldern zusammen von Menschen, die an ihn und seine Erfindung glaubten. Ein unverhofftes Geschenk angesichts des Unglücks, das, wie sich zeigen sollte, Auslöser für ein ganzes Firmenimperium war, das über die Zeppelin-Stiftung in Teilen noch bis heute in bekannten Unternehmen erhalten geblieben ist. Man kann sicher zu Recht behaupten, dass mit dieser Zeppelin-Spende eine Art deutsches „Moonshot“-Projekt gezündet wurde, das eine Technologieentwicklung auf breiter Basis ausgelöst hat.
Ein Größenvergleich des Zeppelins LZ 129 Hindenburg mit Trägerraketen für Satelliten für die Raumfahrt, zeigt die gewaltigen Ausmaße des Luftschiffes und gibt einen kleinen Eindruck von den Herausforderungen, die bei diesem „Moonshot“-Projekt zu bewältigen waren.
Der neben Zeppelin entscheidende Architekt für die Entwicklung des Zeppelin-Konzerns war Alfred Colsman, der bereits über seinen Schwiegervater, Carl Berg und dessen Aluminium produzierenden Unternehmen, Kontakt zu Zeppelin hatte [4].
Gleich nach der Luftschiffkatastrophe von Echterdingen rief Zeppelin Colsman nach Friedrichshafen und gewann ihn zum kaufmännischen Direktor, später Generaldirektor seines Werkes (bis 1938), das auf Grund des Erfolges der damaligen Zeppelin-Volksspende zur „Luftschiffbau-Zeppelin-GmbH“ umgeformt wurde. Unter Colsmans Führung wuchs die Zeppelinwerft in Friedrichshafen zu einem der größten Konzerne im deutschen Südwesten, mit 17 000 Mitarbeitern. Zulieferer und Komponentenentwickler, von denen einige später zu Weltfirmen werden sollten, entstanden wie die Maybach-Motorenbau, Maybach-Zahnradfabrik-AG Friedrichshafen, der Ballonhüllen-Gesellschaft (Staaken), Zeppelin Wasserstoff- und Sauerstoff-AG (ZEWAS) und die Dornier-Flugzeugwerke. Damit wurde Alfred Colsman zum Architekten des Zeppelin-Konzerns und Wegbereiter der industriellen Entwicklung der Bodenseeregion [4].
Daneben gründete Colsman auch die „Zeppelin-Wohlfahrt-GmbH“ (1913), welche das „Zeppelindorf“ für Belegschaftsmitglieder des Konzerns erbaute sowie die „Gesellschaft Oberland Milchverwertung“ in Ravensburg [4].
Gewicht einzusparen war ein wichtiges und beständiges Thema auch bei der Entwicklung der Zeppeline.
Die LZ 129 Hindenburg besaß 16 mit Wasserstoff gefüllte Gaszellen aus Film- bzw. Stoffhaut. Sie hatten eine spezielle Faltenführung, damit sie sich beim Auffüllen von selbst richtig legten sowie zu dem Zweck, dass im unprallen Zustand keine unerwünschten Bewegungen auftreten konnten. Das maximale Gesamtvolumen betrug 200 000 m3. Trotz der gewichtssparenden Stoffe kamen die Gaszellen aufgrund der enormen Größe auf ein Gesamtgewicht von 11 546 kg [5].
In den sogenannten Tafelrunden Zeppelins, „… in denen fast jede früher oder später auf dem Gebiet der Luftschifffahrt versuchte oder zur Ausführung gelangte Neuerung … besprochen wurde …“ [4], war frühzeitig auch von einer Goldschlägerhaut gesprochen worden, von der man sich eine überaus wichtige Gewichtsersparnis beim Zellenbau für die Z-Luftschiffe versprach, die aber zu dieser Zeit keiner industriell herstellen konnte [4].
Der Name „Goldschlägerhaut“ rührt daher, dass Goldschlägerhaut bereits zuvor in der Herstellung von Blattgold eingesetzt wurde, dem sog. Goldschlagen. Erste Goldschläger traten in Deutschland bereits um 1400 als selbständige Handwerker auf. Mit der Zeit konzentrierte sich die Blattgoldherstellung auf die Städte Nürnberg, Fürth und Schwabach. Im 19. Jahrhundert arbeiteten in Schwabach 70 % der Bevölkerung in diesem Handwerk und so wurde Schwabach zur „Goldschlägerstadt“. 1996 konnte der DGO-Fachausschuss Edelmetalle bei seinem Besuch in der seit 1876 in Schwabach bestehenden Firma Noris einen Eindruck von der komplizierten und sehr viel Prozess-know-how erfordernden Blattgold-Herstellung bekommen.
Die Entwicklung zur Herstellung der Goldschlägerhäute in den benötigten Mengen und Qualitäten wurde durch den Verlust des bisher sehr zuverlässigen Luftschiffes „Schwaben“ auf das Höchste gesteigert. „Die ‚Schwaben' hatte auf dem Düsseldorfer Platz im Gewittersturm verankert gelegen und war mit dem vorderen Gestänge stark auf den Boden gestoßen, wobei einige Streben gebrochen und eine der Gummizellen verletzt wurde.“ Die sofort durchgeführte Ursachensuche ergab sehr schnell, dass durch das Aufeinanderreiben der Zellenflächen fingerlange Funken entstanden, die den ausströmenden Wasserstoff entzündet hatten. Damit war auch die Ursache für frühere Brandschäden an ihren Luftschiffen gefunden [4]. Als Lösung bot sich jetzt die Goldschlägerhaut an, mit der man bereits erste Versuche durchgeführt hatte.
Unter Aufwendung aller Kräfte gelang die Fertigstellung brauchbarer Goldschlägerhautzellen. Die Zellen waren besonders leicht, reißfest und gasdicht. Goldschlägerhaut wurde aus der äußersten Hautschicht von Schafs-, Schweine- oder Rinderblinddärmen hergestellt. In überwiegender Zahl kamen Rinderblinddarmhäute zum Einsatz. Die Därme wurden gewaschen und die oberste Hautschicht abgezogen. Die Häutchen wurden danach über eine Form gespannt, getrocknet, mit Alaunwasser gewaschen und schließlich mit Eiweiß überzogen, welches als Kleber diente. Anfangs wurden rund sieben oder mehr Schichten übereinander geklebt, später konnte die Anzahl der Schichten auf rund vier gesenkt werden. Nachdem mit reinen Goldschlägerhäuten experimentiert wurde, setzte sich schnell eine Kombination aus Goldschlägerhaut und Gaze (Mull) durch. Jeweils eine Schicht aus Gaze und Goldschlägerhaut wechselten sich ab. Diese wurden auch als Stoffhaut bezeichnet. Eine Herstellung in Maschinenfertigung war nicht möglich, es war sehr viel Handarbeit erforderlich. Auch deshalb war die Produktion sehr teuer, darüber hinaus mussten viele der Häute aus Versorgungs- und Qualitätsgründen importiert werden. Für eine einzige Gaszelle wurden die Blinddarmoberhäute von rund 50 000 Tieren benötigt, für ein komplettes Luftschiff waren es sogar rund 700 000 Häute. Die Gesamtoberfläche der Gaszellen in einem Luftschiff wie die LZ 127 betrug stattliche 56 878 m² [4, 5].
1910 wurden bei der Luftschiffbau Zeppelin GmbH erste Gaszellen aus Goldschlägerhaut erprobt. Nach anfänglichen Qualitätsproblemen wurden schnell gute Ergebnisse erzielt. 1913 wurde das erste Luftschiff (LZ 18) fertig gestellt, dessen Gaszellen komplett aus Goldschlägerhaut gefertigt waren.
1915 gründete die Luftschiffbau Zeppelin GmbH zur Fabrikation der Goldschlägerhaut die Ballonhüllen-Gesellschaft mbH in Berlin-Tempelhof, um die benötigten Mengen an Goldschlägerhäuten herstellen zu können. Gaszellen aus Goldschlägerhaut wurden bis LZ 127 „Graf Zeppelin“ eingesetzt.
Die größten Luftschiffe überhaupt waren das LZ 129 „Hindenburg“ und sein Schwesterschiff LZ 130 „Graf Zeppelin II“ mit 245 Metern Länge, einem Rumpfdurchmesser von über 40 Metern und einem Fassungsvermögen von rund 200 000 Kubikmetern Wasserstoff-Traggas. Die „Hindenburg“ konnte 50–70 Passagiere über eine Strecke von 17 500 Kilometern befördern.
Am 6. Mai 1937 ging die „Hindenburg“ bei der Landung in Lakehurst/USA in Flammen auf, 36 Menschen starben. Dieses Unglück war zwar nicht das schwerste der Luftschifffahrt, die „Hindenburg-Katastrophe“ ging jedoch als eines der großen Technikunglücke in die Geschichte ein. Es war auch der letzte Unfall eines Starrluftschiffs. Der sich anbahnende Zweite Weltkrieg beendete die Ära der Starrluftschifffahrt.
Seitdem dominieren Verkehrsflugzeuge den Luftverkehr, deren Technik in den 1930ern und 1940ern große Fortschritte gemacht hatte. Zeppelin hat sich in seinen letzten Lebensjahren zusammen mit Gustav Klein, einem ehemaligen Konstrukteur von Bosch, und Claude Dornier intensiv mit dem Bau von Flugzeugen beschäftigt, sogar mit Flugbooten, weil er in den Flugzeugen die Zukunft sah. Somit war Graf Zeppelin auch auf diesem Gebiet ein Pionier.
Die Goldschlägerhäute werden heute noch aufgrund der guten Dehnbarkeit von Oboisten zum Abdichten ihrer Mundstücke benutzt, damit keine Luft zwischen den beiden Blättern des Mundstücks entweicht. Umgangssprachlich bezeichnen die Oboisten die Goldschlägerhaut auch als Fischhaut [6]. -Uwe Landau-
Literatur
[1] Wikipedia: Starrluftschiff
[2] Wikipedia: Zeppelin
[3] Verena Linde: Zeppeline: Giganten des Himmels, Geolino Nr. 08/14
[4] Alfred Colsman: Luftschiff voraus! Arbeit und Erleben am Werke Zeppelins, Deutsche Verlagsanstalt (1933)
[5] https://www.hi.uni-stuttgart.de: Gaszellen-Materialgeschichte des Zeppelin: 220 Tonnen – Leichter als Luft;
[6] Wikipedia: Goldschlägerhaut
[7] Maiken Nielsen: Wie ein Sylter den Absturz der Hindenburg überlebte, Sylter Rundschau, Lesung auf Sylt, 26. Oktober 2016