2019 nahm die Strähle Galvanik in Zaisenhausen als erstes Unternehmen in Baden Württemberg am Projekt WIN4Climate teil, bei dem es um Verfahren und Lösungen für die Dekarbonisierung und Flexibilisierung der Wärmeversorgung in der Industrie geht. Begleitet wurde das Projekt von der FH Karlsruhe. Damals wurde die erste flexible Steuerung zur strompreisgeführten Regelung in der Praxis in einem Industrieunternehmen installiert.
Zaisenhausens Bürgermeisterin kam 2018 auf Strähle-CEO Sven Reimold zu und erklärte, dass der Landkreis Karlsruhe mit der Umwelt und Energie Agentur Karlsruhe (UEA) ein Vorhaben anstrebt. Die UEA wolle ein zentrales Industriegebiet nutzen, um Abwärme und überschüssigen Strom unter den Unternehmen zu verschieben, hieß es. Sprich, ein Unternehmen produziert zu viel Abwärme und Strom als es selber braucht, eine Nachbarfirma benötigt beides und nimmt es ab. Sven Reimold erklärte sich sofort bereit, an dem Projekt teilzunehmen.
Die Crux: Vorschriften und Bürokratie. Denn, wer Strom an Dritte verkauft, muss wissen, dass dabei der Zoll ins Spiel kommt. Der sagt wie, was und wer das Stromgeschäft zu welchen Bedingungen umsetzen kann. Es ging um die Stromsteuer, geeichte Stromzähler oder gar Verträge mit der Netzagentur, hat allerdings zunächst nichts mit Einspeiseverträgen für Photovoltaik-Anlagen zu tun. Hierfür wird es ein extra Kapitel geben. Schnell war klar – so geht das nicht. Von der Umwelt und Energie Agentur Karlsruhe kamen wir über die Karlsruher Energie und Klimaagentur schließlich zum Karlsruher Institute of Technology.
Dort hatten es sich drei clevere junge Ingenieure 2019 zum Ziel gesetzt, die Stromnetze bei Stromüberschuss zu entlasten und bei Strombedarf einzuspeisen. Gesucht wurden Unternehmen, die sich schon relativ intensiv mit der Materie befasst hatten. Die Firma Strähle war 2019 bereits auf dem gewünschten Stand. Sie war in den Spot-Strommarkt eingebunden und nutzte Photovoltaik sowie Blockheizkraftwerke. Zusätzlich zur Software mussten jedoch noch einige Anpassungen vorgenommen werden. Es war z. B. mehr Pufferspeicher für Warmwasser erforderlich. Aufgabe der Software war in erster Linie die Produktion von Strom und Wärme für den Betrieb. Bei einem Stromüberschuss sollten über einen Strompreis im negativen Bereich die Netze entlastet werden. Vorteil: Industriebetriebe mit Stromüberschuss erhalten günstigen Strom oder bekommen den bezogenen Strom sogar bezahlt. Die Einstellung der Steuerung zeigt die Tabelle. Unterschieden wird zwischen Wärmegeführt, Stromgeführt, Stromabgabengeführt und Leistungsspitzengeführt. Insgesamt können 19 Modis zur Regelung anstehen.
Modus |
Name |
Funktion |
0 |
Wärmegeführte Regelung |
Wärmeführung – Startwert der Regelung beim Neustart |
10 |
Wärmegeführte Regelung S |
Wärmeführung – mit Potential die kleinen BHKWs |
11 |
Wärmegeführte Regelung S+ |
Wärmeführung – mit Potential alle BHKWs auszuschalten |
12 |
Strompreisgeführte Regelung reduziert |
Strompreisgeführte Regelung – nachdem zuvor Modus 10 |
13 |
Strompreisgeführte Regelung voll |
Strompreisgeführte Regelung – nachdem zuvor Modus 11 |
25 |
Stromabgabegeführte Regelung Stufe 1 |
Es wird ins das Netz eingespeist – ein kleines BHKW |
26 |
Stromabgabegeführte Regelung Stufe 2 |
Es wird ins das Netz eingespeist – zwei kleine BHKWs |
27 |
Stromabgabegeführte Regelung Stufe 3 |
Es wird ins das Netz eingespeist – die drei kleinen BHKWs werden (falls möglich) gedrosselt |
28 |
Stromabgabegeführte Regelung Stufe 4 |
Es wird ins das Netz eingespeist – die drei kleinen BHKWs. |
29 |
Stromabgabegeführte Regelung Stufe 5 |
Es wird ins das Netz eingespeist – die drei kleinen BHKWs und das große BHKW (zu 100 %) werden (falls möglich) gedrosselt |
20 |
Stromabgabegeführte Regelung Stufe 4 |
Es wird im Modus 29 wieder Strom bezogen – |
21 |
Stromabgabegeführte Regelung Stufe 3 |
Es wird im Modus 28 wieder Strom bezogen – |
22 |
Stromabgabegeführte Regelung Stufe 2 |
Es wird im Modus 27 wieder Strom bezogen – |
23 |
Stromabgabegeführte Regelung Stufe 1 |
Es wird im Modus 26 wieder Strom bezogen – |
24 |
Stromabgabegeführte Regelung aus |
Wir beenden die Stromabgabegeführte Regelung |
30 |
Zeitgeführte Regelung |
Zeitlich gesteuerte Anhebung der BHKW-Leistung |
35 |
Strompreisgeführte Regelung |
Anhebung der BHKW Leistung aufgrund von |
40 |
Lastspitzengeführte Regelung |
Lastspitze – Steuerung der kleinen BHKWs |
41 |
Lastspitzengeführte Regelung voll |
Lastspitze – Steuerung aller BHKWs |
Energiemanagement mit Galvanosoftware
Gemeinsam mit dem langjährigen Partner Hehl Galvanotronik wurden einige energiesparende Module in die Galvanosteuerung einprogrammiert. Es gibt den Button Feierabend. Bei dieser Funktion werden z. B alle Pumpen, Aggregate und Ventile für Luft geschlossen und abgeschaltet, die nicht benötigt werden. Weiter gibt es eine Zeitsteuerung für Feiertage und Wochenende, wo explizit Heizungen und Absaugung zeitlich gedrosselt oder abgeschaltet werden können. Gerade bei Absaugungen ist es nicht nötig, diese am Wochenende mit maximaler Leistung zu betreiben. Hier kann durch Frequenzumrichter ein gutes Mittelmaß gefunden werden, wo ein Motor mit 7 KW auf 5 oder 4 KW gedrosselt werden kann.
3 KW x 48h = 144kwh x 48 Wochenenden x 13 cent = 898 Euro, die im Jahr bei der Absaugung eingespart werden (Beispielrechnung, jeder muss seine Motorleistung und örtliche Gegebenheiten / Strompreise selbst berechnen).
Intelligente Strom und Heizungssteuerung
Mit der Heizungssteuerung hat die Fa. Strähle nicht nur die intelligenten und extrem stromsparenden Pumpen integriert, sondern auch eine Verbindung zwischen Bäderheizung der Anlagen, Stromsteuerung und Galvanosoftware geschaffen. Im Zusammenspiel wird ständig abgefragt, an welcher Anlage gerade wieviel Wärme und Strom benötigt wird.
Folgerichtig kann dann die Steuerung entscheiden, ob beheizt wird, die Spitzenlast gedrosselt oder BHKWs ein- oder abgeschaltet werden.
Somit konnte auch die Trommelanlage einigermaßen wirtschaftlich weiterbetrieben werden.
(Erste Schritte zur Energieeffizienz, Energiesparserie Nr. 1 in Galvanotechnik 8/2023). Allein durch diese Maßnahmen konnten die Stromkosten extrem gesenkt werden.
Das Energieversorgungsunternehmen verrechnet für hohe Lasten (Lastspitzen) bis zu 180 Euro je KW, je nach dem in welchen Leistungspreisfaktor man fällt. Da die Fa. Strähle die Produktion nur im Zweischichtbetrieb fährt, liegt die Benutzungsdauer unter 2500 Stunden im Jahr. Auf diese Weise zahlt der Unternehmen lediglich 54 Euro je KW.
Unter 2500 Benutzungsstunden
Jahr 2012: 550 KW x 54 Euro = 29.700 Euro Leistungspreis
Jahr 2012: 2.000.000 kwh x 4,4 Cent = 88.000 Euro Netznutzung.
Gesamtkosten: 117.700 Euro
Über 2500 Benutzungsstunden
Jahr 2012: 550 KW x 180 Euro = 99.000 Euro Leistungspreis
Jahr 2012: 2.000.000 kwh x 1,2 Cent = 24.000 Euro Netznutzung.
Gesamt: 123.000 Euro
Unter 2500 Benutzungsstunden
Jahr 2022: 260 KW x 54 Euro = 14.040 Euro Leistungspreis
Jahr 2022: 540.000 Kwh x 4,4 Cent = 23.760 Euro Netznutzung.
Gesamt: 37.800 Euro
Gerade an diesem Beispiel sieht man: Stromsparen lohnt sich! Sonst würde die Fa. Strähle heute mindestens 80.000 Euro mehr bezahlen (Beispielrechnung, jedes Unternehmen hat andere Konditionen und muss diese selbst berechnen).
Allerdings fehlt hier noch der Netzbetreiber. Denn der berechnet die Leistung mittlerweile mit dem Verbrauch. Die Netzentgelte pro Kwh (Stromnetzentgeldverordnung) werden jährlich schleichend erhöht. 2013 waren es noch 6,52 Cent je Kwh, 2022 schon 8,12 Cent.
Peak Shaving durch Laststeuerung
Peak Shaving heißt auf Deutsch Spitzen glätten. Bei Strähle wird das Lastmanagement oder Spitzenlastmanagement nicht durch den Verzicht auf einen Verbraucher erreicht und auch nicht durch Lastverschiebung, wie von vielen Energieversorgungsunternehmen vorgeschlagen wird. Das Unternehmen geht – wie eingangs erläutert – den Weg der Mehrproduktion an Strom mit der Steuerung der strompreisgeführten Regelung, die z. B. bei hohen Verbräuchen an der Trommelanlage Aggregate runterfährt, aber nicht ganz ausschaltet.
Die Galvanik hat sich dazu verpflichtet, die Emissionen weiter zu reduzieren. In Zusammenarbeit mit dem KIT Karlsruhe ist 2022 das Projekt PATHTOZERO gestartet worden. Mit der Software PATHTOZERO soll bestimmt werden, mit welchen Aggregaten sich die Fa. Strähle zukunftsfähig aufstellen kann und welches Potential langfristige Beschaffungsverträge für grüne Energie wie Power Purchase Agreements (PPAs) für die beiden Standorte des Unternehmens haben. Auch Investitionen und Beteiligungen an erneuerbaren Energieanlagen abseits der Standorte können dabei Teil der Lösung sein.
In der nächsten Ausgabe: PV Anlagen integrieren, Eigenstrom durch BHKW richtig nutzen.