Electronics goes green

Verleihung eines Best-Paper Awards an Liisa Hakola durch Nils F. Nissen

Die internationale Konferenz ‚Electronics goes green' (e.g.g.) findet nur alle vier Jahre statt. 2024 war es wieder soweit: In Berlin wurde auf der Ausnahmeveranstaltung diskutiert, wie der Shift zu einer grünen Elektronik tatsächlich gelingen kann.

Ein Blick ins Auditorium zeigte auffallend viele junge GesichterEin Blick ins Auditorium zeigte auffallend viele junge Gesichter‚Grüne Elektronik' – es vergeht heute fast keine Konferenz, keine Messe, kein Technologietag, wo nicht die verbesserte Ökobilanz elektronischer Fertigung gefeiert oder aber angemahnt wird. Zwischen den ernsthaften Bemühungen der Industrie (oft auch infolge regulatorischer Verschärfungen) und den Warnungen vor ‚Greenwashing' mäandert diese Trope der grünen Elektronik hin und her. Vergessen wird aber oft, dass schon seit vielen Jahren Konzepte angedacht, entwickelt, diskutiert und in Verbindung von Wissenschaft und Industrie auch umgesetzt werden. Hier sticht die Veranstaltung ‚electronics goes green’, liebevoll abgekürzt als e.g.g., als Leuchtturm aus der Masse hervor. Im Jahr 2000 fand der internationale Kongress erstmals statt – alle vier Jahre in Berlin und organisiert vom Fraunhofer-Institut für Zuverlässigkeit und Mikrointegration (IZM). Die PLUS schrieb anlässlich der ersten e.g.g. (Ausgabe 8/2000, S.1178): „Das rasante weltweite Wirtschaftswachstum lässt den Schutz der Umwelt zu einem immer größeren Problem werden. Die elektronische Industrie ist in diesem Zusammenhang sowohl Verursacher als auch Problemlöser. In jedem Fall muss bei der Entwicklung zukünftiger Elektronik-Produkte und Prozesstechnologien dem Umweltschutz Priorität eingeräumt werden.“

Soweit der Befund vor der ersten e.g.g. 2000. An der Problemlage und Dringlichkeit hat sich wenig geändert. Wie aber heute darüber gedacht wird, welche aktuellen Konzepte, wissenschaftlichen Ansätze und technologischen Weiterentwicklungen existieren, ließ sich auf der e.g.g. 2024 nachverfolgen. Die Ausnahmekonferenz tagte erneut in Berlin (18.-30. Juni), diesmal im H4-Hotel am Alexanderplatz. Wieder wurde sie auf hohem Niveau vom Fraunhofer IZM organisiert; als Sponsoren traten das VDI-Institut und der amerikanische Verband IPC in Erscheinung. Eröffnet wurde die e.g.g. von Prof. Dr.-Ing. Martin Schneider-Ramelow, der zusammen mit Prof. Ulrike Ganesh das Fraunhofer-Institut IZM leitet. Er verwies auf die lange Tradition der e.g.g., die nur alle vier Jahre stattfindet und ihre Leuchtturmstellung für ‚grüne Elektronik' behauptet (allen Nachahmungen zum Trotz). Prof. Dr.-Ing. Martin Schneider-Ramelow übergab aber recht schnell das Wort an den eigentlichen ‚Mastermind' der e.g.g.: Dr. Nils F. Nissen, Fraunhofer IZM. Mit seiner Eingangsrede prägte Nils Nissen von der ersten Sekunde an den Tonfall der Konferenz: das hohe wissenschaftliche Niveau der handverlesenen Vorträge – dem wichtigen Thema angemessen – traf auf eine gewisse Verschmitztheit, die bei allem Ernst eben nicht fehlen darf. Statt Negativität angesichts der bedenklichen ökologischen Lage durfte die Heiterkeit nicht fehlen, denn sie soll Forschung und Industrie beflügeln, in ihren Anstrengungen nicht nachzulassen. Dies sollte sich bei dem vielerwarteten ‚Provoquium' am letzten Konferenztag bewahrheiten … aber dazu später.

Zunächst waren zwei Keynotes angesetzt. Todd Brady, Chief Sustainability Officer at Intel Corporation von Intel, machte in seiner Rede deutlich, dass das Mooresche Gesetz (‚Moore's law') nach wie vor Gültigkeit besitzt: „Moore’s Law is alive and well.“ Die Produktion von Chips werde weiter zunehmen und sei sogar noch von wachsender Bedeutung. Dies bedeute aber auch, dass die Industrie sich weiter ändern muss. Für Brady stehe vor allem eines fest: „We need to eliminate PFAS“ – es müsse aus der Elektronikfertigung eliminiert werden.[*] Nur eines ließ Todd Brady offen: Wie kann der Verzicht auf PFAS erreicht werden? Durch welche Stoffe ließen sich PFAS ersetzen? Und wären Stoffe mit ähnlichen Eigenschaften dann nicht ebenso problematisch für die Umwelt? Ohne Antworten auf diese Fragen bringt auch die schillerndste Keynote wenig.

Ähnliches ließe sich über die zweite Keynote von Mads Kogsgaard Hansen, Director und Head of Product Circularity & Portfolio Planning des Unternehmens Bang & Olufsen, sagen. In seiner Rede mahnte er für die Produktion elektronischer Geräte geschlossene Rohstoffkreisläufe (Cradle-to-Cradle), Repairability (Reparierbarkeit), Modularity (Baukastenprinzip), Serviceability (Wartungsfreundlichkeit) und Obsoleszenzmanagement an. Quasi als ‚Mission' gab Mads Kogsgaard Hansen aus: „Erasing the divicence between new and old.” (Beseitigung der Kluft zwischen Neu und Alt, d. h. zwischen Neuproduziertem und Gebrauchtem, den Shift zur Wiederverwertung und Aufbereitung von Rohstoffen). Mit seiner Unterhaltungselektronik sei Bang & Olufsen hier auf einem guten Weg. Aber auch hier fehlte ein wirklicher Wegweiser, wie man den (seit der ersten e.g.g. 2000!) zu zögerlich beschrittenen Pfad einschlagen kann. Natürlich kann man argumentieren, dass Keynotes eben genau solche glühenden Appelle bieten sollen. Aber wie wirken Sie auf die Jugend, die vor Kurzem im ‚Fridays for Future'-Fieber ihre Zukunftssorgen geäußert haben? Wenn auch oft exaltiert, wie in seiner Kolumne ‚Anders gesehen' Prof. Armin Rahn belächelt ... [**]

Prof. Dr.-Ing. Martin Schneider-RamelowProf. Dr.-Ing. Martin Schneider-Ramelow

Zahra FazlaliZahra Fazlali

Prof. Bong Sup ShimProf. Bong Sup Shim

Der Nachwuchs am Redepult

Was den Nachwuchs angeht, war die e.g.g. übrigens ebenfalls aufschlussreich. Beim Blick auf das Auditorium und durchweg bei den Beiträgen dieser außergewöhnlichen Konferenz kam man ins Grübeln: Wird nicht häufig der Nachwuchsmangel in der Elektronikindustrie und auch -forschung beklagt? Auch in dieser Zeitschrift, die entsprechende Klagen und Warnungen des PLUS-Beirats erreichen? Auf der e.g.g. war davon wenig zu spüren. Viele der Vortragenden waren jung, stehen noch am Beginn ihrer Karriere oder gar kurz vor ihrem wissenschaftlichen Abschluss. Und wo Forschungsteams ihre gemeinsam erarbeiteten Ergebnisse präsentierten, ließen oft die hochdekorierten Forschungsleiter dem Nachwuchs den Vortritt. Ein Beispiel war der Beitrag ‚Unlocking Consumer Adoption: Exploring Factors Influencing Preferences for Refurbished Smartphones across Japan, Germany, and Thailand', entstanden in Zusammenarbeit des ‚National Institute of Advanced Industrial Science and Technology' (AIST), der Universität Tokyo, der Waseda-Universät (alle Japan), der California State University in Sacramento (USA) und Chulalongkorn-Universität Bangkok (Thailand). Hier überließ der Forschungsleiter Ph.D. Mitsutaka Matsumoto, AIST, Teile seines Vortrags der Studentin Ai Chinen (Waseda University), die über die Datenlage bezüglich der Akzeptanz von refurbished Smartphones (generalüberholten Mobiltelefonen) sprach und dabei souverän die Datenlage in Japan, Deutschland und Thailand verglich. An dieser Stelle kam auch die erwähnte Heiterkeit wieder ins Spiel, als die moderierende Chairwoman Kirsten Remmen, Empa, sich rühmte, ein ‚refurbished' zu besitzen. Zumal Vertreter der ‚Generation Instagram', die ökologisch und preisbewusst denken, sich immer öfter für refurbished Smartphones entscheiden (und diese sogar stolz herumzeigen).

Die Vorträge waren insgesamt auf einem sehr hohen Niveau und umfassten alle denkbaren Aspekte der ‚grünen' Elektronik. Die Themen PFAS und 4RE (REuse, REpair, REcycling, REmanufacturing and REcovery) waren allgegenwärtig. Ich besuchte vor allem Vorträge, die um Leiterplatten kreisten. Aber auch zwei Sessions über biobasierte Materialien gaben wertvolle Denkanstöße. So referierte Zahra Fazlali, Centre for Microsystems Technology (CMST), imec und Universität Gent, Belgien, über umweltfreundliche In-Mold-Elektronik auf Polymilchsäurebasis (PLA). Jesper Edberg, ri.se-Institut Schweden, lieferte nach, was die Keynote von Todd Brady vermissen ließ: Er beschäftigte sich mit biobasierten Lösungen für nachhaltige Elektronik in einer Zeit nach PFAS. Hier könnten etwa Lignine eine wesentliche Rolle spielen, die aus Kiefernholz extrahiert werden können. Die ungaublich festen Biopolymere werden in der pflanzlichen Zellwand eingelagert und bewirken die Lignifizierung (Verholzung) dieser Zelle. Sie könnten auch stabile Elektronik ermöglichen – ein Hoffnungsschimmer.

Liisa HakolaLiisa Hakola

Nils F. Nissen beim ‚Provoquium‘Nils F. Nissen beim ‚Provoquium‘

Dr.-Ing. Ottmar Deubzer moderierte das ‚Provoquium‘Dr.-Ing. Ottmar Deubzer moderierte das ‚Provoquium‘

Provoquium war sehr beliebt

Besonders spannend war ein Vortrag von Prof. Bong Sup Shim, Inha-Universiät (Südkorea). Er präsentiert Forschungsergebnisse zu multifunktionalen Nanokomposite aus natürlich gewonnenen Materialien, wobei er etwa die Funktionalitäten von leitfähigem Melanin und kristalliner Nanozellulose untersucht hatte - bis auf die molekulare Ebene von Sepiatinte von Tintenfischen. Auch auf Tongemische (clay composites) ging Prof. Bong Sup Shim ein und eröffnete mit ungeheuerlicher Detailtiefe die Möglichkeiten biobasieter Materialien für eine kommende, umweltfreundlichere Elektronik. Die obigen Vorträge seien nur beispielhaft für die Fülle an Anregungen und Diskussionen auf der e.g.g. genannt. Fehlen darf aber nicht, das ‚Provoquium' zu erwähnen – moderiert von Otmar Deubzer, Fraunhofer IZM. Das Format war nicht nur heiß erwartet, sondern auch bestens besucht – es bestand aus Kurzvorträgen, die mit der Maßgabe gehalten wurden, das Auditorium, die Industrie und die Wissenschaft selbst zu provozieren. Nicht ganz ernst gemeint, aber irgendwie dann doch – der scherzhaft erhobene ‚moralische Zeigefinger' zeigte dabei auch oft auf sich selbst, wenn über Beewashing, die Flugananas und ‚green claims' gescherzt wurde (also grüne Behauptungen, die sich bei näherem Hinsehen eher als Ente denn als Flugananas erweisen). Die Heiterkeit war groß, denn mit Selbstkritik wurde nicht gegeizt. Ob zum Beispiel, wie provokant erörtert, in schon zehn Jahren die Solaranlagen der Industrie wieder abgebaut werden müssen, da längst effizientere zur Verfügung stehen, sorgte schon für bitteres Schmunzeln und Nicken. Und was die ‚green claims' angeht, musste man unweigerlich wieder an die beiden Keynotes denken …

Das Provoquium war nur der Höhepunkt einer insgesamt bestens besuchten und durchweg außergewöhnlichen Konferenz. Die e.g.g. 2024 hat unter Beweis gestellt, welch hohen Stellenwert sie besitzt. Hier werden tatsächlich Fragen aufgeworfen, die in die Zukunft weisen; und die Forschungsansätze und Denkanstöße geben Hoffnung, dass eines Tages ‚grüne Elekronik' tatsächlich umsetzbar, wirtschaftlich und selbstverständlich sein wird. In vier Jahren wird man mehr erfahren: die nächste e.g.g. findet 2028 wieder in Berlin statt. Sicher wird die PLUS dann wieder berichten.

https://electronicsgoesgreen.org, www.ipc.org, www.vdivde-it.de/de/institut-fuer-innovation-und-technik, www.izm.fraunhofer.de, www.tu.berlin

Referenzen

[*] Vgl. hierzu den Technologiebeitrag über PFAS auf S. 1111.
[**] Vgl. hierzu die Kolumne ‚Zwei Fliegen mit einer Klappe schlagen' auf S. 1141.

  • Titelbild: Verleihung eines Best-Paper Awards an Liisa Hakola durch Nils F. Nissen
  • Ausgabe: September
  • Jahr: 2024
  • Autoren: Markolf Hoffmann
  • Link: https://electronicsgoesgreen.org
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