Kolumne: Anders gesehen – Drücken wir das Abbild der Ewigkeit auf unser Leben![1]

Als hätte Friedrich Wilhelm es vorhergesehen, ist es den Menschen inzwischen geglückt, Materialien zu erfinden, welche sie 'ewige Chemikalien’ nennen (auf gut Deutsch: 'forever chemicals’) und auf unser Leben gedrückt haben – teilweise weil diese Ewigkeitschemikalien sehr nützlich sind, teilweise weil sie Profit bringen, und wohl teilweise, weil die Forscher nur eine geringe Weitsicht mitbrachten.

Strukturformel Tetrabrombisphenol AWas genau unter den Ewigkeitschemikalien zu verstehen ist, hängt vom juristischen Umfeld ab. So definiert die OECD (Organisation für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung) PFAS als “Moleküle, die mindestens eine vollständig fluorierte Methyl(CF3)- oder Methylen(CF2)-Gruppe ohne direkt gebundenes Wasserstoff- oder Halogenatom enthalten”.

Dahingegen sieht die Europäische Chemikalienagentur (ECHA) das leicht anders: “PFAS Moleküle sind jene, die mindestens ein vollständig fluoriertes Methyl(CF3)- oder Methylen(CF2)-Kohlenstoffatom enthalten, an das weder Wasserstoff noch andere Halogene (z. B. Chlor, Brom, Jod) direkt gebunden sind”.

Noch anders meint die EPA (die US-Umweltschutzbehörde), dass unter PFAS-Molekülen jene zu verstehen seien, “die vollständig gesättigte Kohlenstoffatome enthalten, die wiederum die R-(CF2)-CF(R')R“-Einheit[2] enthalten”.

Es sind erstaunliche Eigenschaften, welche die Verwendung der PFAS vorantreiben. Sie sind weitgehend robust, was chemische Zersetzung oder Reaktionen betrifft. Zudem weisen sie auch thermische Stabilität auf, und – wie man aus der Teflonpfanne weiß – ist ihre Oberflächenspannung äußerst gering. Verwandt damit ist die Gleitfähigkeit, was sie als Schmier- und Trennmittel geeignet erscheinen lässt. Bei Anwendungen für Elektrizität und bei der Elektronik wäre nicht zu übersehen, dass sie hervorragende Isolationseigenschaften besitzen.

Die Auflistung ließe sich noch um einiges erweitern, denn die Anzahl dieser Chemikalien ist beinahe unübersichtlich. Dementsprechend ist der Grund für diesen schönen Namen der PFAS (Perfluoroalkyl and polyfluoroalkyl substances = Per- und polyfluorierte Alkylsubstanzen) in ihrer Haltbarkeit zu finden, denn sie zerfallen in der Umwelt ausnehmend langsam, was in vielen Bereichen sehr faszinierende Anwendungen ermöglicht.

Der römische Gott Aion auf einem Bodenmosaik aus Sentinum, Umbrien. Aion stand in der spätantiken Philosophie und Religion für die Ewigkeit – ein altersschwacher Greis, der sich stetig verjüngt. Bei zu hoher PFAS-Belastung hätte aber wohl selbst Aion gesundheitliche Probleme bis in alle Ewigkeit.Da diese Ewigchemikalien obendrein viele dieser 'wünschenswerten’ Eigenschaften besitzen, wie etwa thermische Stabilität oder geringe chemische Reaktionsfreudigkeit, freut sich die Textilindustrie, weil sie damit ihre Stoffe öl- und wasserabweisend beschichten kann, was die Automobilbranche fleißig nutzt. Und in der Küche hat wohl jeder inzwischen eine damit präparierte Kaffeemaschine oder beschichtetes Antihaftkochgeschirr statt der Eisenwoks.

Medizinisches Gerät nutzt solche Eigenschaften ebenfalls, denn sie verhindern das Anhaften von Körperflüssigkeiten. Schutzkleidung macht davon auch Gebrauch, und selbst bei der Herstellung von Arzneimitteln spielen sie eine beachtliche Rolle.

Da ist die elektronische Industrie auch nicht auszulassen, denn die fettigen Finger der Kinder hinterließen sonst viel mehr eklige Abdrücke auf ihren Handys, sollten diese Bildschirme nicht ebenfalls damit präpariert werden.

Das ist das Äußere, aber im Innern der Spielzeuge und Geräte verstecken sich auch Ewigchemikalien. Die großartige 'Environmental Protection Agency’ der USA bemerkt so nebenbei, dass “über 90 % der FR-4-PCBs Epoxidharze [verwenden], die das reaktive Flammschutzmittel Tetrabrombisphenol A (TBBPA) enthalten, um den Flammbarkeitsstandards zu entsprechen” – und mit denen werden Leiterplatten gefertigt, wodurch sie eben auch eine dieser kostbaren nützlichen Chemikalien aufweisen.

Insbesondere findet man diese Zugaben in jenen Leiterplatten, die für Mikrowellenanwendungen eingesetzt werden, denn die PFAS-Polymere verringern Probleme mit Hitze und haben zudem Antihafteigenschaften.

Von der Leiterplatte zu den Bauteilen: Stellt man Halbleiter her, dann nutzt die Fotolithographie diese Chemikalien, um die Oberflächenspannung zu verringern und damit mögliche Defekte zu reduzieren. So nebenbei helfen sie, die Maschinen selbst zu schützen, weil sie mögliche Schäden verhindern.

In einer Datensammlung von SiliconExpert [3] werden mehr als 39.000 Bauteile als mit PFAS belastet aufgelistet, wobei schätzungsweise 74 % dieser Komponenten ihren Ursprung in den USA haben. Auch Drähte und Kabel werden mit PFAS verbessert. Bei näherem Hinsehen regt sich der Verdacht, dass selbst bei jenen Produkten, die letztendlich keine Ewigchemikalien enthalten, deren Herstellungsprozess dennoch impliziert ist, denn sehr wenige Mittel, die zum Beispiel für die Reinigung verwendet werden, kommen ohne solche Zusätze aus.

Auch bei den derzeit beliebten gepulsten Nanobeschichtungen spielen sie eine Rolle, und Schmiermittel basieren häufig auf PFAS. Selbst das Verpackungsmaterial trägt dazu bei, diese Stoffe unter die Menschheit zu bringen. Bei all der Nützlichkeit dieser Chemikalien wundert man sich jedoch, warum 3M über 10 Mrd. $ als Entschädigung zu zahlen bereit ist, denn ca. 300 Gemeinden fanden, dass ihr Trinkwasser mit 3Ms PFAS belastet sei [4]. Mehr als 11.000 öffentliche Wassersysteme erhalten diese Gelder über 13 Jahre, wie von Richter Richard M. Gergel am 29. März bestimmt wurde. Dahinter steckt die mangelnde Weitsicht oder der Profithunger, denn neben den nützlichen Eigenschaften haben PFAS auch negative medizinische Auswirkungen auf den Menschen und beeinträchtigen die Natur. Ihre Haltbarkeit und die damit verbundene Bioakkumulation führen zu langfristigen Expositionsrisiken. Es hat sich nämlich gezeigt, dass eine lange Reihe von Gesundheitsproblemen auf PFAS zurückzuführen ist:

• ein erhöhtes Risiko für Nieren- und Hodenkrebs
• erhöhter Cholesterinspiegel
• erhöhtes Risiko für Bluthochdruck bei schwangeren Frauen
• eine Störung der Leberenzymwerte
• Hemmung des Immunsystems
• Störung der endokrinen und metabolischen Funktion
• Störung der Fortpflanzungs- und Entwicklungsprozesse
• niedriges Geburtsgewicht des Säuglings und erhöhtes Risiko von Früh- und Fehlgeburten

Gesundheitliche Auswirkungen von PFAS

Wie bei dem kontaminierten Wasser der Gemeinden kommen viele dieser Chemikalien auf Umwegen zu Männlein, Fräulein & Co. In der Natur akkumulieren sie sich in den Böden, dem Wasser und selbst in der Luft. Nicht nur Wildtiere werden damit belastet wie etwa Meeressäugetiere und selbst Raubvögel – sie hangeln sich durch die Nahrungskette auch zum Menschen.

Die Europäische Umweltagentur (EUA) hat Daten aus 19 Mitgliedsländern zusammengestellt, wonach nur 37 % der europäischen Oberflächengewässer einen guten ökologischen Zustand haben. Zudem meint die EUA, dass Deutschland und die Niederlande einen besonders hohen Anteil an Gewässern mit schlechter Qualität aufweisen.

Speziell in den Gegenden Deutschlands, in denen PFAS-produzierende Fabriken stehen, soll das Verseuchungsrisiko besonders hoch sein. Dazu zählen etwa gewissen Untersuchungen zufolge: Bad Wimpfen, Frankfurt, Leverkusen und Gendorf bei Burgkirchen an der Alz in Bayern.

Etwas spät wie immer, nachdem das Kind in den Brunnen gefallen ist, aber immerhin, regt sich auch die Politik. Wie nicht anders zu erwarten gehen die einzelnen Regionen ihren eigenen Weg und die Rechtslage ist deswegen total unübersichtlich. Da man zumindest die Berater der Politiker nicht als beschränkt ansehen sollte, regt sich der Argwohn, dass dieses Kuddelmuddel nicht ganz unabsichtlich erzeugt wird, wie man eventuell am Ozonloch und dem Montrealer Protokoll demonstrieren könnte.

In den Vereinigten Staaten von Amerika z. B. geht jeder Staat seinen eigenen Weg, und in der EU haben Deutschland, die Niederlande, Dänemark, Schweden und Norwegen inzwischen einen Vorschlag [7] vorgelegt, der eventuell irgendwann Gesetz und wirksam werden könnte.

Chemiefabrik von Solvay in Wimpfen. Hier leitet der Chemiekonzern bis 31.12.2044 täglich bis zu 24 kg des PFAS-Abbauprodukts TFA (Trifluoressigsäure) in den Fluss Neckar ein – und das legal mit behördlicher Genehmigung. [5][6]

Referenzen

[1] Friedrich Wilhelm Nietzsche, deutscher Philosoph, (1844 – 1900), Nachgelassene Fragmente. Frühjahr – Herbst 1881.
[2] R-, R′- und R′-Gruppen beziehen sich auf alle Alkylgruppen außer Wasserstoffatomen.
[3] https://www.siliconexpert.com/blog/6-pfas-electronics-statistics/ (Abruf: 11.02.2025).
[4] https://investors.3m.com/news-events/press-releases/detail/1836/3m-settlement-with-public-water-suppliers-to-address-pfas (Abruf: 11.02.2025).
[5] Gunther Haug, ‚Verseucht in alle Ewigkeit', in: Kontext, Ausgabe 703, 18.9.2024, www.kontextwochenzeitung.de/wirtschaft/703/verseucht-in-alle-ewigkeit-9745.html (Abruf: 12.02.2025).
[6] Thomas Wagner, ,Konzern entsorgt giftige Chemikalie im Neckar’, Deutschlandfunk am 15.10.2024, www.deutschlandfunkkultur.de/umweltgifte-im-neckar-streit-um-chemieeinleitungen-dlf-kultur-0f09deea-100.html (Abruf: 12.02.2025).
[7] www.umweltbundesamt.de/themen/pfas-sollen-eu-weit-beschraenkt-werden (Abruf: 11.02.2025).

Literatur

Laura V. Garcia; Wo man PFAS in der Elektronik findet; Mai 16, 2024.
Joe Corbisiero; 6 PFAS Electronics Statistics on 'Forever Chemicals’ and How They Threaten the Industry; July 9th, 2024.
https://time.com/6289893/3m-forever-chemical-pfas-settlement/ (Abruf: 11.02.2025).
https://rockinst.org/blog/2023-state-pfas-legislation-and-laws/ (Abruf: 11.02.2025).
https://www.bundestag.de/dokumente/textarchiv/2024/kw17-pa-umwelt-alkylsubstanzen-996276 (Abruf: 11.02.2025).
https://chemtrust.org/de/wp-content/uploads/sites/2/2020/02/CHEM-Trust-PFAS_Briefing_German_final.pdf (Abruf: 11.02.2025).
Berrin Tansel; PFAS use in electronic products and exposure risks during handling and processing of e-waste: A review; Journal of Environmental Management; Volume 316, 15 August 2022 (Abruf: 11.02.2025).
Emerging PFAS Laws and the Electronics Industry: A Multinational Overview; ADEC Innovations | Aug 03, 2023.
https://sputnikglobe.com/20241015/eu-report-finds-just-one-third-of-water-quality-is-good-as-eu-misses-2015-goal-1120553169.html (Abruf: 11.02.2025).