Forschungsinstitute und Technologieunternehmen in Dresden und ganz Sachsen bauen derzeit ihre Aktivitäten in den Quantentechnologien, Robotik und Künstlicher Intelligenz aus. Derweil gewinnt auch die Mainstream-Mikroelektronik im ‚Silicon Saxony' an Stärke – und wirkt indirekt auf Bildung und Infrastrukturen am Standort.
Die Mobilfunknetze der sechsten Generation (6G) sollen ab 2030 doch noch erreichen, was mit 5G eben doch nicht so richtig funktioniert hat: Denn erst wenn es gelingt, per Mobilfunk Dutzende, Hunderte oder sogar Tausende Autos, Roboter, Maschinen, Smartphones und andere Geräte nahezu in Echtzeit zu vernetzen, mit Latenzzeiten unter 1 ms, kann 6G zum großen ‚Gamechanger' in der Fabrikautomatisierung, bei der intelligenten Verkehrssteuerung oder in der Roboterchirurgie werden. Helfen sollen dabei Quantencomputer, wenn es nach den Konzepten des Exzellenzzentrums ‚CeTI' an der TU Dresden geht: Eine ‚Quarks'-Forschungsgruppe will in der sächsischen Landeshauptstadt bis 2027 das weltweit erste 6G-Testnetz aufbauen, das aufgebohrte klassische Mobilfunktechnologien mit Quantencomputern und ‚Künstlicher Intelligenz' (KI) koppelt.
Eigens dafür haben sich die Forscher nun drei Quantencomputer aus sächsischer Produktion angeschafft. Denn anders als Binärrechner können Quantencomputer zahlreiche Lösungswege komplexer Probleme gleichzeitig ‚ausprobieren' und sind insofern für Viel-Agenten-Systeme viel besser geeignet als heutige Digitaltechnik.
Die Idee dabei an einem Beispiel erklärt: Künftig werden immer mehr autonom gesteuerte Autos auf den Straßen unterwegs sein, die sich mittels Funknetzen über Vorfahrt, sinnvolles Tempo, mögliche Kollisionen oder andere Unfallgefahren abstimmen. 6G werden sie unter anderem brauchen, um blitzschnell komplexe Probleme, die der Bordcomputer allein nicht lösen kann, an eine leistungsstarke KI im nächsten Rechenzentrum weiter zu delegieren. All dies muss binnen Millisekunden geschehen – inklusive der Entscheidungszeit für die KI.
Um die Signallaufzeiten kurz zu halten, sollen in allen größeren Städten dezentrale Hochleistungsrechenzentren für den 6G-Funk entstehen. In dieser ‚Edge Cloud' sind dann klassische Digitaltechnik, Quantencomputer, grafikkarten-ähnliche KI-Beschleuniger und dergleichen vernetzt. „Wenn ein Problem auftaucht, muss es zunächst in Teilprobleme aufgeteilt und die dann dem jeweils besten System zugewiesen werden“, erklärt Quarks-Forscher Leon Röscher. „Für eine Optimierung oder kryptografische Aufgaben zum Beispiel eignet sich besser der Quantencomputer, für die Bildverarbeitung eher die Grafikkarte beziehungsweise KI.“ Ähnliche Lösungen bieten sich für den Robotereinsatz bei OPs, die Fabrikautomatisierung, für die Orientierung von Haushaltsrobotern in Wohnungen und andere Szenarien an, in denen blitzschnelle Reaktionen notwendig sind.
Neue Fördergelder beantragt
Generell will das CeTI Dresden künftig auch Quantentechnologie und Biologie nutzen, um seine fachübergreifende Forschung an neuartigen Schnittstellen zwischen Menschen und Maschinen auszubauen. Ziel sei es, menschliche Sinne auf die Robotik und das Metaversum zu übertragen.
Für diesen CeTI-Ausbau hat die TU Dresden nun neue Fördergelder im Zuge des Exzellenzprogramms von Bund und Ländern beantragt. „In der zweiten Phase werden neue Ansätze aus der Quantentechnologie und der Biologie integriert, um die Energieeffizienz und Vertrauenswürdigkeit in virtuellen Welten zu verbessern“, heißt es von der TU Dresden. „Ein wesentliches Ziel ist es, die Zugangshürden so weit wie möglich zu senken, damit möglichst viele Menschen von dieser Technologie profitieren können.“
Auch anderswo in Sachsen mehren sich die Projekte rund um Quantencomputer, -kommunikation und -sensoren. So entwickeln oder produzieren Infineon, Globalfoundries, das Fraunhofer-Zentrum Ceasax und andere Dresdner Unternehmen und Institute wichtige Quantenelektronikkomponenten. Technologiefirmen wie Xeedq und SaxonQ in Leipzig stellen Quantencomputer her. Das Fraunhofer-Teilinstitut EAS in Dresden baut Quantenkommunikationsverbindungen auf. Am ‚Max-Planck-Institut für chemische Physik fester Stoffe' (MPI-CPfS) forscht eine Arbeitsgruppe um Dr. Uri Vool an Quantensensoren – und die Reihe ließe sich fortsetzen.
Quantencomputer rechnen gegen den Welthunger an
Werner DobrautzSo wollen beispielsweise Simulationsexperten und Chemiker des Helmholtz-Forschungszentrums ‚Casus' in Görlitz mit Quantenrechnerhilfe den immensen Energiebedarf in der globalen Düngerproduktion dämpfen – und damit letztlich auch den Hunger einer stetig wachsenden Weltbevölkerung stillen. Dafür will Dr. Werner Dobrautz vom Görlitzer Helmholtz-Forschungszentrum ‚Casus' einen sparsamen Produktionspfad mit biologischen Katalysatoren errechnen – und dabei die besonderen Fähigkeiten moderner Quantencomputer mit klassischen Supercomputern kombinieren. Nun baut der Quantenchemiker eine eigene Nachwuchsforschergruppe in Görlitz auf und bekommt dafür 1,8 Mio. € Zuschuss aus dem Bundesprogramm ‚Quantum Futur'.
„Düngemittel auf Ammoniakbasis haben nach ihrer Einführung vor über 100 Jahren die landwirtschaftliche Produktivität auf ein völlig neues Niveau gehoben“, erklärt Dobrautz. „Doch ihre industrielle Herstellung erfordert einen enormen Energieaufwand. Ein technisches Verfahren, das auf der biologischen Stickstofffixierung durch das Enzym Nitrogenase und seinen Eisen-Molybdän-Cofaktor beruht, ist eine vielversprechende Alternative.“
Und dafür eignen sich heutige Quantenrechner, die oft nur wenige ‚Qubits' für Rechenoperationen haben, sogar besonders: Im Projekt ‚Quantengestütztes Hochleistungsrechnen für die grüne Energiewende' (qHPC-Green) muss ‚nur' das Zusammenspiel weniger Teilchen simuliert werden: „Wir haben es hier mit einem sogenannten kleinen Quantensystem zu tun, das typischerweise durch einige Atome oder Moleküle repräsentiert wird. Konkret geht es hier um weniger als 100 Elektronen und Atomkerne“, erklärt Dobrautz. „Außerdem ist das Verhalten der Elektronen in diesem System aufgrund ihrer gegenseitigen Abstoßung und quantenmechanischen Wechselwirkungen stark voneinander abhängig.“
Smart Systems Hub übernimmt Robotik-Tagungsveranstalter
Auch die Robotik gewinnt – nach einigen Rückschlägen – in Sachsen wieder an Fahrt. So hat nun der Dresdner ‚Smart Systems Hub' (SSH) den bisherigen Robotermesseveranstalter ‚Robot Valley Saxony' übernommen, um für neue Impulse zu sorgen. SSH-Chef Michael Kaiser sieht gute Chancen, die besondere Expertise des Dresdner Unternehmens ‚Robot Valley Saxony' an die Innovationsprojekte des Smart Systems Hub anzudocken. Daraus könne sich eine gewinnbringende Liaison aus dem Internet der Dinge (englisch: IoT), der Robotik, der Künstlichen Intelligenz und anderen Themen ergeben, die der ‚Hub' bereits mit Kundenunternehmen bearbeitet. „Damit entstehen Lösungen für heutige Fragen der Transformation und Automatisierung – mit Wirkung weit über die Grenzen Sachsens hinaus“, ist Kaiser überzeugt.
Zuletzt hatte die Branche im Freistaat unübersehbar etwas geschwächelt: Die Vorzeigefirma ‚Wandelbots' hat ihre zunächst vielgelobte Techniksparte für intuitive Roboterschulungen aufgelöst, angekündigte Robotikmessen in Dresden mussten abgesagt werden, mit Wirtschaftsförderer Robert Franke war ein wichtiger Unterstützer dieser Branche gen Sachsen-Anhalt abgewandert – in der Erwartung, dass Intel in Magdeburg seine Gigafabs baut - und die sächsisch-neuseeländische Firma ‚Poweron', die künstliche Muskeln für Roboter entwickelt hat, ist pleite gegangen.
Roboterwürmer fressen verstopfte Wasserrohre frei
Aber nun mehren sich eben wieder die positiven Signale. Dazu gehört auch eine Erfolgsgeschichte aus dem sächsischen ‚Untergrund', geboren unter der Erde, wo man eigentlich kaum Roboter erwarten würde. Die Rede ist von ‚IMS Robotics' aus Ottendorf-Okrilla bei Dresden: Das Unternehmen baut Roboter für die Unterwelt, genauer gesagt für die oft tief vergrabenen Abwasserrohre unter den Fußwegen und Straßen. Und diese Roboterwürmer sind darauf spezialisiert, überall dort, wo kein Mensch mehr durchpasst, verstopfte Wasserrohre freizufressen.
Und das Unternehmen hat eine bemerkenswert lange Wertschöpfungskette: „Wir entwerfen und bauen unsere Kanalsanierroboter von A bis Z selbst“, erzählt IMS-Mechatroniker Martin Kalfa. Aus den in der Gruppe hergestellten Stahlteilen, Steuerelektronik, Software und anderen Komponenten entstehen in Ottendorf-Okrilla Roboterwürmer, die sich mit ihrem Werkzeugkopf solange durch illegal entsorgten Bauschutt, hineingewachsene Wurzeln, unbedacht ins Erdreich getriebene Pfähle oder allerlei Abfall fräsen, bis das Wasser wieder fließen kann. Durch diese Art der robotergestützten Kanalsanierung spare sich die jeweilige Stadt oder Gemeinde viele Straßensperren, müsse verstopfte Rohre nicht erst ausgraben lassen, um sie wieder frei zu bekommen.
Mechatroniker Martin Kalfa zeigt einen Kanal-Sanierroboter (links) der IMS mit Fernsteuer- und Bildüberwachungseinheit (rechts)
„Wir bringen Robotern das Fummeln bei“
Professor Riccardo Bassoli von der TU Dresden neben einem der drei Quantencomputer seiner Quarks-ArbeitsgruppeEinen anderen Ansatz verfolgt das Labor für ‚Adaptive Robotik' im Dresdner Fraunhofer-Institutsteil für ‚Entwicklung Adaptiver Systeme' (EAS) in Sichtweite zum TU-Campus: Das Team um Ron Martin versucht Robotern beizubringen, auch mit unvorhersehbaren Problemen, verlegten Werkzeugen und ähnlichen Herausforderungen klar zu kommen, die sich mehren, wenn immer mehr Roboter direkt in der Nähe von Menschen arbeiten. In diesem Labor bringen die Ingenieure die Roboter zum Beispiel dazu, Stecker richtig einzustöpseln, Gummidichtungen einzupassen und andere Montagearbeiten zu erledigen – selbst dann, wenn das Bauteil mal an einem unerwarteten Platz liegt, sich verkantet oder andere Probleme auftauchen. Das sind teilweise Aufgaben, die für Menschen intuitiv und einfach sind und nur für Roboter schwierig. Teilweise handelt es sich aber auch um Arbeiten, die selbst einen erfahrenen menschlichen ‚Pfriemler' herausfordern. „Wir bringen den Robotern das Fummeln bei“, erklärt Ron Martin mit einem Augenzwinkern.
Als Alternative zu teurer Sensorik setzen die EAS-Experten dabei auf Standardtechnik, die sie mit raffinierten Simulationsprogrammen und KI aufrüsten. Denn viele neuere Roboterarme, die es ab etwa 10.000 € aufwärts gibt, haben schon von Werk aus einfache Sensoren eingebaut, erklärt EAS-Forscher Konstantin Wrede. Diese Sensoren verraten der Steuerelektronik, wenn der Roboter bei seiner Arbeit auf zu starken Widerstand stößt. Diese Absicherung gegen Selbstzerstörung ist nutzbar, um Robotern beizubringen, eine andere Lösung für das Problem auszuprobieren: die Kralle etwas drehen, etwas schütteln, es ein Stück weiter links oder rechts zu versuchen, erläutert EAS-Forscher Sebastian Zarnack: „Die Roboter lernen dadurch, sich wie ein Mensch an veränderte Situationen anzupassen.“
Solche Roboter werden in Zukunft besonders gefragt sein, ist das 13-köpfige Laborteam überzeugt: Dafür sorgt auf lange Sicht der Fachkräftemangel, der künftig auch immer mehr kleine Unternehmen, ja sogar Handwerker zwingen wird, mehr und mehr Routineaufgaben zu automatisieren. Das können dann durchaus billige chinesische Roboterarme sein, die mit KI-Technologien aus Sachsen aufgewertet werden. Und: „Adaptive Robotik wird zukünftig auch für Haushaltsroboter eine große Rolle spielen“, ist EAS-Forscher Konstantin Wrede überzeugt. Von daher ist der Gedanke naheliegend, die für kleine Industriebetriebe und Handwerker gefundenen Lösungen auf Roboter für den Privatgebrauch zu übertragen. Denn eines ist klar: Allein mit fest einprogrammierten Bewegungsabläufen wird kein künstlicher Dienstbote mit dem Chaos in einem Kinderzimmer oder wechselnden Geschirrbergen in einer Küche zurechtkommen.
Mikroroboter-Schwärme werden zum Formwandler
Eine besonders faszinierende Innovation, die ein wenig an Science-Fiction-Filme wie ‚Terminator 2' oder das TV-Raumschiff ‚Enterprise' erinnert, treiben derweil Robotik-Forscher der TU Dresden und der ‚University of California Santa Barbara' gemeinsam voran: Sie haben zusammen formwandelnde Miniroboterschwärme entwickelt. Sie nämlich können sich auf Befehl verflüssigen und dann wieder in neuen Formen verfestigen.
„Das könnte die Entwicklung von Robotermaterialien ermöglichen, die aus Tausenden von Einheiten bestehen, die unzählige Formen annehmen und ihre physikalischen Eigenschaften nach Belieben einstellen können, wodurch sich unser heutiges Konzept von Objekten ändern würde“, schwärmt Direktor Prof. Otger Campàs vom TUD-Exzellenzzentrum für die ‚Physik des Lebens' (PoL), das ähnliche Konzepte beim Wachstum komplexer Lebewesen erforscht. Die Kombination solcher Roboterschwärme mit Künstlicher Intelligenz (KI) könne aber auch ganz neue Möglichkeiten eröffnen, um aktive Materie in der Physik und kollektive Verhaltensweisen in der Biologie zu erforschen.
Realisiert haben die Forscher dies durch kleine scheibenförmige Roboter, die durch Magneten aneinanderhaften. Acht motorisierte Zahnräder entlang der runden Außenseite jedes Roboters können diese Verbünde wieder auflösen, gewissermaßen ‚verflüssigen' und in eine neue Form bringen. Die Befehle dafür tauschen die Miniroboter durch Licht aus, dessen Schwingungsrichtung sich drehen, also ‚polarisieren' lässt – in der Natur lösen Zellen diese Signalübertragung auf biochemischem Wege. Durch diese drei eingebauten Fähigkeiten konnten die Forscher Robotermaterialien schaffen, die nicht nur schwere Lasten tragen, sondern sich auch umformen, Objekte manipulieren und sogar selbst heilen können.
Internationale Schule baut wegen Chip-Boom in Dresden aus
Zum Schluss noch eine Nachricht, die zeigt, wie die schon immer sehr international ausgerichtete Halbleiterindustrie einen Standort auch in den ‚weichen Faktoren' peu à peu ändert: Wegen der Ansiedlung des taiwanesischen Chipriesen TSMC baut Dresden nicht nur Straßen, Tram-Linien, Energie- und Wasserversorgung stark aus, sondern all dies hat auch Folgen für den Bildungssektor:
So wird nun beispielsweise auch die ‚Dresden International School' (DIS) vergrößert. Ein rund sieben Mio. € teurer Neubau soll Platz für 90 bis 100 zusätzliche Schüler schaffen. In die Kosten wollen sich Sachsen und der DIS-Trägerverein hineinteilen. Zudem versucht DIS-Vizedirektor Christopher Boreham gerade, noch ein bis zwei Mandarin-Lehrer zu engagieren – weil im Zuge der TSMC-Chipfabrik auch viele taiwanesische Familien erwartet werden und dann womöglich die chinesische Hochsprache bald schon genauso wie Deutsch oder Englisch omnipräsent auf den Straßen sein wird.
Vizedirektor Chris Boreham in der Bibliothek der Dresden International School. Gleich nebenan soll der Erweiterungsbau entstehen
Quellen: Quarks, Ceti, TUD, Casus, IMS, Smart Systems Hub, DIS.