Kolumne: Anders gesehen – Hat es bei Ihnen mal wieder gefunkt?

Nur ein Gerücht? Angeblich kann Nylonunterwäsche elektrische Ladungen verursachen und Elektronik zum Glühen bringen

Liebe geht nicht nur durch den Magen, sondern scheint sich auch elektrisch entladen zu können. Immerhin hält sich in einschlägigen Kreisen das Gerücht, dass sich ein (älterer) Rechner – wie sagt man doch: alte Scheunen brennen gut – vor Jahren in eine wohlgeformte junge Dame verknallt hatte. Jedes Mal, wenn sie durch den Raum schritt, fingen alle Lampen an zu blinken und zu flimmern. Wie es sich jedoch herausstellte, war es nicht die Dame selbst, sondern ihre Nylonunterwäsche, die dem Computer zu schaffen machte – wie das herausgefunden wurde, wollen wir mal beiseitelassen.

Wahr oder nicht wahr, sollte diese Anekdote zumindest etwas Stoff zur Diskussion unter Feministinnen geben. In der elektronischen Fertigung geht es wohl weniger um ‚Liebe' als um Schäden an Bauteilen und Baugruppen und seit Kurzem auch um dadurch verursachte Defekte am fertigen Gerät. Da können einem schon gelegentlich die Haare zu Berge stehen, wie es auch tatsächlich beim Besuch in einem der vielen Wissenschaftsmuseen möglich ist. Dabei muss man aber auf einer gut isolierenden Unterlage stehen und sich auf keinen Fall zu frühzeitig davon wegbewegen.

Was im Museum als Spaß erfahren wird, ist am Produktionsband bitterer Ernst und zu Hause auf dem Sofa ein wirkliches Ärgernis. Überall dort, wo der ESD-Schutz vernachlässigt oder übersehen wurde, kann es zum berüchtigten Funken kommen oder aber auch zu einer unbemerkten Entladung, die dann das Produkt vorschädigen kann.

Um Schäden an den empfindlichsten Bauteilen zu verursachen, ist nicht viel nötig. Während Menschen erst ab etwa einigen Tausend Volt die Entladung spüren, können Bauteile und Geräte durch weit weniger geschädigt werden. Die Entladung ist typischerweise sehr schnell, nur einige Nanosekunden lang und gerade das ist eines der Probleme. Denn die kurze Zeit sorgt dafür, dass die Stromstärke kurzfristig sehr hoch ist und dadurch plötzlich lokal viel Wärme erzeugt wird.

Aber inzwischen macht man sich nicht nur Sorgen in der Produktion. Das Internet ist voll mit Anfragen, ob man z. B. ein Mobiltelefon durch ESD schädigen kann. Wie steht es mit der berührungsempfindlichen Schaltfläche oder dem Bildschirm?

Um den ganzen Vorgang etwas besser zu verstehen, gehen wir mal in der Geschichte zurück. Im Jahre 1671 schickte Otto von Guericke [1] eine Schwefelkugel, mit der er experimentiert hatte, an Gottfried Wilhelm Leibniz [2]. Mit ihr erzeugte Herr Leibniz den ersten künstlich erzeugten elektrischen Funken und gab damit den Startschuss für die weitere Erforschung der Elektrizität. (Ob die Ägypter und Griechen das mit Bernstein schon schafften, ist nicht überliefert.) Aus dieser Kugel entwickelten sich zwei kleine Geräte: die Influenzmaschine und der ‚Van-de-Graaff-Generator', mit denen man im Physikunterricht ausgiebig spielen konnte.

Abb. 2.: Ein Mädchen hält seine Hand an einen Van de Graaff in der Science City von Dhapa, Kolkata.
So wird sie mit hoher Spannung aufgeladen, und da Ladung sich in ihren Haaren gegenseitig abstößt, stehen sie ihr ‚zu Berge‘

Abb. 3: Van-de-Graaff-Generator aus dem Jahr 2013 für den Schulunterricht

Abb. 4: Diagramm eines einfachen Van-de-Graaff-GeneratorsAbb. 4: Diagramm eines einfachen Van-de-Graaff-Generators

Abb. 5: Unter dem Einfluss eines geladenen Körpers erfolgt auf einem neutralen Körper eine Ladungstrennung: InfluenzAbb. 5: Unter dem Einfluss eines geladenen Körpers erfolgt auf einem neutralen Körper eine Ladungstrennung: InfluenzWährend der Van de Graaff den triboelektrischen Effekt ausnutzt, verlassen sich Influenzmaschinen auf die räumliche Verschiebung elektrischer Ladungen durch die Einwirkung eines elektrischen Feldes.

Beide gehen jedoch in ihrer Anwendung auf das Prinzip der Reibungselektrizität zurück, nach dem bei der Trennung gewisser Stoffe (z. B. Schwefel, Glas, Holz und Gummi) der eine sich negativ, der andere sich positiv auflädt.

Obgleich sich die Industrie ausgiebig mit dem Problem der elektrischen Entladung bei der Herstellung beschäftigt hat, muss sich langsam auch die Einstellung beim Entwurf der Geräte ändern, denn schließlich wird es bekannt, dass der Konsument die größte Gefahr für sein so heiß geliebtes ‚Handy' darstellt [3]. Da derartige Instrumente – und nicht nur das Mobiltelefon – ESD-empfindliche Bauteile enthalten, kann schon alleine durch eine Berührung das Gerät ausfallen, wie die sich im Internet inzwischen häufenden Berichte demonstrieren.

Mehr und mehr Leute wundern sich, dass plötzlich einige der Knöpfe oder Buchsen ihres Geräts den Geist aufgegeben haben. Es ist nicht unwahrscheinlich, dass wie es der Teufel nun einmal will, eine Entladung die Schutzschaltung umgangen hat, falls die überhaupt noch vorhanden ist. Statistische Erhebungen deuten darauf hin, dass typischerweise etwa ein Drittel aller Ausfälle beim Verbraucher auf einen ESD-Schaden zurückzuführen sei [4]. Der Nachweis ist jedoch sehr aufwendig und deswegen auch teuer. Bei normaler Vergrößerung ist meist nichts zu erkennen. Mikroskope mit einer 1000× oder 1500× Vergrößerung mögen etwas sichtbar machen, aber oft müssen Lagen erst beseitigt und Ätzungen durchgeführt werden, bevor der Fehler als ESD-Schaden diagnostiziert werden kann [5].

Der normale Verbraucher ist sich oft nicht bewusst, was geschieht. Geht er über einen Kunststoffteppich oder räkelt er sich auf einem Sofa, so kann er sich wegen der Reibung aufladen, was von mehreren Faktoren begünstigt werden kann. Geringe Luftfeuchtigkeit und das Material können den Effekt verstärken und seine Kleidung kann sich auf mehrere Tausend Volt aufladen.

 Tabelle 1: Elektrostatische Aufladung
Tätigkeit
0-10 % relative Luftfeuchtigkeit
65-90 % relative Luftfeuchtigkeit
auf dem Teppich gehen
35.000 V
1.500 V
auf Vinylfußboden gehen
12.000 V
250 V
am Tisch arbeiten
6.000 V
100 V
Polyesterbeutel vom Tisch nehmen
20.000 V
1.200 V
auf Stuhl mit Urethanschaum sitzen
18.000 V
1.500 V

Das Problem hat mit den stetig kleiner werdenden Produkten und den immer geringeren Strukturen in den Prozessoren zu tun, denn das hat die Hersteller dazu veranlasst, die früher eingeplanten Schutzkreisläufe in den Chips aus Platzgründen einzusparen. Die anfallenden Kosten wie auch der Platz auf den Silikonchips können schwerlich durch andere Maßnahmen kompensiert werden.

Da die Geräte dann beim Anwender höheren ESD-Vorfällen ausgesetzt werden als in der weitgehend kontrollierten Produktion, hat sich das als Manko gezeigt.

Die meisten IC-Hersteller testen ihre Produkte nach dem MIL-STD-883, Method 3015: Human Body Model (HBM), da sich diese Testmethode direkt auf die Herstellung bezieht, und so werden eben 500 V beim Test angesetzt. Man könnte natürlich auch ein schärferes Protokoll verwenden, wie es etwa von der International Electrotechnical Commission (IEC), IEC 61000-4-2 empfohlen wird. Danach kann man mit mindestens 8.000 V zur Sache gehen.

Ein IC, das den MIL-STD besteht, kann durchaus beim IEC versagen, sollte nicht zusätzlich noch ESD-Schutz mit eingeplant werden, wobei der Trend für die Testspannung langsam nach oben korrigiert wird: 20 000 V oder gar 30 000 V?

Da das eine immer brenzligere Situation wird, welche den Ruf der großen Markennamen schädigen kann, müssen sich die Designer schnell etwas einfallen lassen. Es gibt zwar bekannte Maßnahmen, aber neue müssen angedacht werden [6], insbesondere da der Designer das Gerät sowohl gegen negative wie auch positive ESD Ereignisse schützen muss.

Die Details überlassen wir mal dem Designer [7], aber der Gedanke, das ganze Gerät in einen Faradaykäfig zu sperren, wäre realisierbar, wobei modernes Gerät meist nicht mit Metall umhüllt wird. Wie wirksam so ein Käfig ist, demonstrieren Flugzeuge, die von Blitzen getroffen werden.

Schlägt ein Blitz in ein Flugzeug ein, bleiben Personen im Innenraum ungefährdet, weil die elektrische Feldstärke wegen der Metallhülle im Innenraum erheblich geringer ist als im Außenraum. In der Nähe von Öffnungen in der Metallhülle dringt jedoch ein äußeres Feld in den geschirmten Raum ein.

Abb. 6: Weltweit größter elektrostatischer Generator im Teylers-Museum Haarlem, NiederlandeAbb. 6: Weltweit größter elektrostatischer Generator im Teylers-Museum Haarlem, Niederlande

Abb. 7: Reibungselektrisiermaschine mit GlaskugelAbb. 7: Reibungselektrisiermaschine mit Glaskugel

Referenzen

[1] 1602 – 1686.
[2] 1646 – 1716.
[3] Phillip Havens, Chad Marak; 2. Mai 2014.
[4] Sanjay Agarwal; 6. Februar 2014.
[5] http://slideplayer.com/slide/5807601/ (Abruf: 20.3.2025).
[6] Jerry Twomey; Protect Your Fortress From ESD; 9. August, 2012.
[7] Ken Michaels; Electrostatic Discharge: Causes, Effects, and Solutions; 1. September 1999.

  • Titelbild: Nur ein Gerücht? Angeblich kann Nylonunterwäsche elektrische Ladungen verursachen und Elektronik zum Glühen bringen
  • Ausgabe: April
  • Jahr: 2025
  • Autoren: Prof. Armin Rahn
Image

Eugen G. Leuze Verlag GmbH & Co. KG
Karlstraße 4
88348 Bad Saulgau

Tel.: 07581 4801-0
Fax: 07581 4801-10
E-Mail: info@leuze-verlag.de

 

Melden Sie sich jetzt an unserem Newsletter an: