Eine flüchtige Durchsicht einschlägiger Artikel gewisser Experten scheint diese Aussage zu bestätigen. Sie machen sich Gedanken, wie die Umwelt Maschinen und Produkte beeinflussen kann, ohne auch nur ein Wort über die Arbeiter und Arbeiterinnen zu verlieren, die unter diesen Bedingungen am Band stehen.
Aber vielleicht ist das gar nicht mal so ungewöhnlich. Denn obgleich die Gewerkschaften auf einer geräuscharmen Umwelt bestehen – für Arbeiten bei Lärm von mehr als 95 dB sind Ohrenschützer gesetzlich vorgeschrieben – gehen ihre Mitglieder am Wochenende zum ‚Heavy Metal'-Konzert, stehen zwei Meter vor den übergroßen Lautsprechern und lassen sich mit 110 dB(A) beschallen, was eigentlich bereits als Körperverletzung geahndet werden könnte [2].
Da Schall kaum einen Einfluss auf das Drucken von Lotpaste hat, beschäftigen sich in der elektronischen Industrie die Fachleute lieber mit anderen Aspekten der Produktionsräumlichkeiten. Temperatur und Luftfeuchtigkeit stehen da an oberster Stelle, während Luftverunreinigungen recht selten erwähnt werden. Immerhin haben Firmen extra Raucherecken eingerichtet oder man sieht die Damen und Herren mit ihren Tabakröhrchen fröstelnd vor der Tür stehen.
Wissenschaftler und natürlich Hersteller von Klimaanlagen und Heizungen haben sich eingehend mit dem Wohlfühlbegriff und den äußerlichen Umständen beschäftigt, die angeben, bei welchen Konditionen sich ein Mensch komfortabel schätzt. Der ANSI/ASHRAE Standard 55[3] (Thermal Environmental Conditions for Human Occupancy – Thermische Umgebungsbedingungen für den menschlichen Gebrauch) wurde erarbeitet, und definiert in gewisser Weise jene Zustände, die für ein angenehmes Innenraumklima gelten sollten. Die American Society of Heating, Refrigerating and Air-Conditioning Engineers (Amerikanische Gesellschaft der Ingenieure für Heizungs-, Kälte- und Klimatechnik) hatten die erste Version 1966 erlassen und seit 2004 immer wieder auf den neuesten Stand gebracht. Die letzte Auflage datiert derzeit aus dem Jahr 2017.
Solche natürlich auch kommerziellen Vorgaben scheinen sich kaum in die Standards etwa der IPC verirrt zu haben. Deren gibt es einige, die sich mit Temperatur und Luftfeuchtigkeit beschäftigen, jeweils ganz auf die verschiedenen Prozesse der Herstellung ausgerichtet – von Lagerung über die Verpackung bis hin zum Transport und der allgemeinen Herstellung. Dabei wird vorsichtigerweise zwischen dem unfertigen Produkt und den Einzelteilen sowie dem Fertigprodukt unterschieden, denn die weisen ihre eigenen Empfindlichkeiten auf.
Der J-STD-001F (Requirements for Soldered Electrical and Electronic Assemblies – Anforderungen für gelötete elektrische und elektronische Baugruppen) besagt im § 4.2.1 unter 'Environmental Controls’: Die Lötanlagehalle sollte geschlossen, temperatur- und feuchtigkeitsüberwacht und unter Überdruck stehen. Im § 4.2.2 wird man noch deutlicher: Die Luftfeuchtigkeit sollte zwischen 30 und 70 % rel. Luftfeuchtigkeit, die Temperatur zwischen 18 und 30 °C gehalten werden.
Ein kurzer Blick auf die Abb. 1 lässt erkennen, dass die Arbeiter wohl bei 70 % rel. LF und 30 °C öfter mal die Kleidung wechseln wollten. Die Begründung für solche Werte leitet sich direkt vom Produkt ab, das außerhalb dieser Bereiche einer erhöhten Anfälligkeit für elektrostatische Entladung ausgesetzt wird. IPC-A-610 F (Acceptability of Electronic Assemblies – Akzeptanz von elektronischen Baugruppen) haut mehr oder minder in die gleiche Kerbe. Aber ESD (Electrostatic Discharge – elektrostatische Entladung) ist nicht die einzige Sorge der Komiteemitglieder dieser Gremien. Sie machen sich Gedanken über die Herstellung der Bauteile und Leiterplatten bis hin zur endgültigen Verpackung, denn bei der Produktion der Leiterplatte ist Temperatur und Luftfeuchtigkeit ebenfalls ein Problem, das besprochen werden muss. So sollen etwa Prepregs [4] flach und kühl und trocken lagern <23 °C, <50 % RH, was ja noch akzeptabel ist. Denn das ist sicherlich in einem Schrank, in den sich kaum Arbeiter verirren werden.
Die größte Sorge bereitet jedoch das Zusammenspiel zwischen Pasten und ESD, was etwas überrascht. Aber bei etwas Nachdenken erkennt man schnell, dass das,was gut für Pasten ist, meist schlecht für die statische Aufladung ist und somit ein Kompromiss gefunden werden sollte, welches Klima nun in der Betriebshalle eingehalten werden kann. Wie wichtig solche Entscheidungen sind, kann man mit Dollars und Cents belegen. Was die Firmen für den Schutz gegen ESD-Schaden[5] ausgeben, reflektiert die Kosten, die erwartet würden, sollte solch ein Schaden tatsächlich eintreten. Schätzungen für eintretende Schäden liegen bei etwa 5 Mrd. $. Ausgaben für Vorkehrungen, die in Firmen getroffen werden, liegen in einem ähnlichen Bereich.
Referenzen
[1] ‚Zuerst kommt die Produktion, dann der Mensch', Kurzdokumentarfilm, BRD 1972/1972, BRD1971/1972Kurz-Dokumentarfilm, Regie: Günter Hörmann.
[2] www.welt.de/print-welt/article334313/Vom-Ticken-der-Uhr-bis-zum-Presslufthammer.html (Abruf: 16.12.2024).
[3] en.wikipedia.org/wiki/ASHRAE_55 (Abruf: 16.12.2024).
[4] preimpregnated fibres - vorimprägnierte Fasern
[5] Bericht ‚Circuit Protection Market' aus dem Jahr 2022: www.marketsandmarkets.com/Market-Reports/circuit-protection-market-156298269.html (Abruf: 16.12.2024).