‚Der Absturz der Basismaterialindustrie – Wie sicher ist die technologische Nahrungskette in Europa?' fragte der Autor dieser Kolumne bereits im Juni 2003. Gleichzeitig veröffentlichte er hier erstmals die Übersichtsgrafik ‚Konzentration der europäischen Basismaterial-Industrie'. Anlass war das Verkaufsangebot für die ISOLA durch die Muttergesellschaft Ruhrkohle AG (RAG). Den Zuschlag erhielten die Investoren Texas Pacific Group und Redfern Partners aus den USA im Jahre 2004. Anfang 2018 erfolgte der Weiterverkauf der ISOLA Group an eine weitere Investorengruppe angeführt von Cerberus Capital Management.
Was hat sich in den 22 Jahren verändert und wie gestaltet sich der Ausblick?
Panasonic, Enns: Time to say goodbye
1986 wurde das Laminatewerk von der Chemie Linz auf die grüne Wiese gesetzt, um Basismaterial für Leiterplatten und Multilayer unter dem Namen Multicon zu vermarkten (Abb. 1). 1990 wurde das Werk an einen italienischen Hersteller verkauft. Im Jahr 2000 erwarb dann Panasonic das Laminatewerk im österreichischen Enns. Mit der Begründung, es gebe in Europa keine ausreichende Anzahl an Kunden mehr, wird das Werk nun Ende 2025 geschlossen. Noch um die Jahrtausendwende hatte die europäische Leiterplattenproduktion mit über 600 Herstellern einen Anteil von 20 % an der globalen Produktion. Heute ist der europäische Anteil mit etwa 1,8 Mrd. € Umsatzanteil auf 2 % geschrumpft, während Chinas auf 60 % Weltmarktanteil gewachsen ist.
Gibt es 2030 nur noch 100 LP-Hersteller in Europa?
Betrachtet man die vielen Jahre von Michael Gasch für Europa erstellte Tabelle über die Anzahl der LP-Hersteller, so ist die Anzahl von rund 600 auf derzeit kleiner 150 in 25 Jahren gefallen. Dabei hat sich die Struktur nur minimal verändert (Abb. 2). Vor 25 Jahren gehörten 4 % zu den Großen mit >50 Mio. € Umsatz, 18 % zu den Mittleren mit 10 -50 Mio. Umsatz, 36 % zu den Kleinen mit 2 -10 Mio. Umsatz und 42 % zu den Kleinsten < 2 Mio. Umsatz. Heute ist hier die Anzahl der Firmen mit <2 Mio. Umsatz auf etwa 33 % geschrumpft und die Kleinen haben auf über 40 % zugelegt. Dagegen bleiben die Mittleren bei etwa 20 % Anteil relativ konstant, ebenso wie die Großen mit 3 %.
Tragisch ist die Drop Rate von etwa acht Firmen, die pro Jahr aufgegeben oder aufgekauft werden. Damit kommen die 100 LP-Hersteller bis 2030 in Sichtweite. Entsprechend schrumpft die Nahrungskette der Zulieferanten. Auch große Anlagenhersteller wie Schmoll, Atotech oder Schmid haben ihr Wachstum längst in Asien akquiriert. Ebenso holt so mancher LP-Hersteller sein Umsatzwachstum durch einen steigenden Anteil von Handelsware aus Asien.
Abb. 2: Anzahl Leiterplattenhersteller Europa 2005 -2025 P
Konzentration der europäischen Basismaterial-Hersteller
Vergleicht man die vom Autor erstmals im Juni 2003 veröffentlichte und jetzt geupdatete Tabelle, so wird schnell die Dramatik der Branche deutlich. Nach der Jahrtausendwende eskalierten die Werksstilllegungen. 2002 nahm Nelco das Werk Skelmersdale/UK aus dem Markt und 2004 dann Dieelektra in Köln, ebenso gab der italienische Hersteller PIAD das Werk in Ozzero auf. 2005 folgte die zur schwedischen Perstorp Chemical gehörende LTIS in Nantes/Frankreich und Honeywell in Egerpohl/D. 2006 bedeutete für das Isola Werk in Cumbernauld/UK das Aus. 2007 endete die Ära der Perstorp Chemical als LP-Basismaterial-Hersteller mit der Schließung des Hauptwerkes in Perstorp/Schweden. 2008 war das Ende der Panasonic-Tochter im italienischen Pisticci und 2009 war Nelco's Drouet im französichen Mirebeau an der Reihe, ebenso wie ISOLA MAS in Bottegone/Italien.
Mit der Panasonic Multicon in Enns/Österreich verabschiedet sich nun das vorletzte Basismaterialwerk zum Jahresende 2025. Übrig bleibt die ISOLA in Düren als produzierender Vollsortimenter und mit einigen Spezialitäten Aismalibar im spanischen Montcada.
Konzentration der europäischen Laminate-Industrie
* Einige Hersteller hatten sich bereits vor 1990 zusammengeschlossen.
Isola war Mitglied der Rütgers AG. Polyclad ist Mitglied der Cookson Group. Nelco ist Mitglied von Park Electrochemical. Piad ist ein unabhängiger, privater Hersteller.
Tabelle: Copyright Friedrichkeit
Auf den Punkt gebracht
Der Abstieg der europäischen Laminatindustrie beschleunigte sich zwischen 2000 und 2010 vorauslaufend zur Anzahl der Leiterplattenhersteller. Ein wesentlicher Grund mag auch das Investitionsvolumen für einen Laminathersteller zu sein, der einfach eine gewisse Menge m² Basismaterial benötigt, um rentabel zu arbeiten. Parallel dazu hatte die Anzahl der Distributoren von Basismaterial aus Asien wie z. B. Technolam in Troisdorf zugenommen, sodass der in Europa produzierte Anteil weiter schrumpfte.
Der Autor, seit 50 Jahren in dieser Branche tätig, hat bereits vor einigen Monaten Aktionen wie „Conni bestellt Leiterplatten nur noch aus Europa“ oder den schlauen Fuchs öffentlich als schöne Illusion und ungehörte Appelle bezeichnet. Die Lösung liegt nach seiner Überzeugung im permanenten Druck auf politische Entscheider, einen europäischen Herkunftsnachweis der Leiterplatten (proof of origin) für militärische Anwendungen und kritische Infrastruktur vorzuschreiben. Wir alle kennen das Huawei Desaster für das 5G-Telekommunikationsnetz und die Sorge vor einer chinesischen hybriden Kriegsführung durch eingebaute Störmöglichkeiten z. B. bei einer Taiwankrise. Ebenso lassen sich militärische Schaltungen durch die Analyse von Leiterplatten, Multilayern und Substraten nachvollziehen. Es ist an der Zeit, die höhere Sensibilität bei politischen Entscheiden auch in der EU zu nutzen.
Bleiben Sie uns gewogen
Es grüßt Sie herzlich
Hans-Joachim Friedrichkeit
Kontakt