Die nationale PCB-Industrie der USA steht vor großen Herausforderungen

Die nationale PCB-Industrie der USA steht vor großen Herausforderungen

Spätestens seit Corona-Beginn mehren sich die Stimmen in den USA, dass die Leistungsfähigkeit der einheimischen Leiterplattenindustrie schnell und deutlich gesteigert werden muss. Nur so kann sie den Forderungen von Regierung und Elektronikindustrie nach sicheren Lieferketten bzw. Unabhängigkeit besser entsprechen. Ein Blick in die NTI-100-Tabellen und in die amerikanische Fachpresse zeigt, dass Regierung und Kongress sich zu schwerfällig bewegen.

In der NTI-100-Liste 2021 befinden sich unter den insgesamt enthaltenen 146 Firmen fünf Leiterplattenhersteller aus den USA, die im vergangenen Jahr einen Umsatz von je mindestens 100 Mio. $ hatten. Es sind dies die in der Tabelle 1 aufgeführten Unternehmen. APCT war in der NTI-100-Liste für 2020 noch nicht enthalten. Amphenol und Sanmina haben beide Produktionsstätten in China und anderswo. Die Gesamtumsätze 2021 der Fünf gleichen, grob gesehen, etwa denen der fünf europäischen Hersteller, die Wachstumsrate ist mit 8,1 % nur etwa ein Drittel so hoch (23,58 %). Die USA haben am Gesamtumsatz der 146 Länder der NTI-100-Liste für 2021 nur einen Anteil von 3,4 % (Europa 3 %). Von 2019 zu 2020 gab es sogar ein Minuswachstum von 3,6 %, in Europa dagegen +10,3 %. Das durchschnittliche Wachstum der 146 Länder der NTI-100-Liste 2021 betrug 20,2 %, das Wachstum der globalen Leiterplattenindustrie 17,6 %.

Tab. 1: US-amerikanische Firmen in der NTI-Top-100-Liste 2021 (Mio. $) 

Firma

NTI-100-Rang

Umsatz (Mio. $)

Wachstum in %

Beispiele für Ferti-gungen in Asien

2020*

2021**

2020*

2021**

TTM Technology

5

7

2.110

2.249

6,8

Malaysia

Sanmina Corporation

64

66

300

330

10

China, Singapur

Summit Interconnect

99

94

145

180

24,1

 

Amphenol PCB

98

109

145

155

6,9

China

APCT

-

142

90

103

14,4

 

Gesamt

   

2.790

3.017

8,1

 

* Nach NTI-100 für 2020 ** Nach NTI-100 für 2021

Man kann daraus diese Schlussfolgerungen ziehen: Die US-amerikanische Leiterplattenindustrie schwächelt nicht nur, sondern sie ist krank. Sie hat den Anschluss insbesondere an den asiatischen Leiterplattenmarkt mengen- und teilweise auch qualitätsmäßig längst verloren. Die Steigerungsraten der Umsätze bleiben weit hinter dem global üblichen zurück. Der vom ehemaligen US-Präsidenten Trump geforderte und vom neuen Präsidenten Biden ebenfalls angestrebte Rückkehrprozess US-amerikanischer Boardfertigungen aus dem Ausland, insbesondere aus China, in die USA hat im gewünschten Maßstab offensichtlich bisher nicht stattgefunden.

Branchenverband IPC mahnt

plus 2022 10 0206

Immerhin liegen den Rückholwünschen ja vor allem nationale Sicherheitsaspekte zugrunde. Der IPC hatte in den letzten Jahren wiederholt an den US-Kongress appelliert, mehr zur Stärkung der einheimischen Leiterplattenindustrie zu tun. Wie ernst gegenwärtig die Situation wohl ist, kann man der jüngsten Aktion des IPC zu diesem Thema entnehmen. Am 13. Juli 2022 schickte eine Gruppe von mehr als 100 Top-Führungskräften, die Unternehmen der US-Elektronikindustrie vertreten, an den Kongress einen deutlichen Brief. Sie drängen ihn, kritische Mängel in der Leiterplattenindustrie und der gesamten US-Elektroniklieferkette zügig anzugehen.

Der Brief, der von IPC organisiert wurde, forderte alle Mitglieder des US-Repräsentantenhauses auf, H. R. 7677, den Supporting American Printed Circuit Boards Act von 2022, zu unterstützen. Dieser würde den Kauf von im Inland produzierten Leiterplatten sowie Industrieinvestitionen in bestehende als auch neue Fabriken fördern, darunter Ausstattung mit Ausrüstungen, Mitarbeiterschulung sowie Forschung und Entwicklung in diesem Sektor.

In dem Schreiben wurde betont, dass die von den Abgeordneten Anna Eshoo (D-CA) und Blake Moore (R-UT) eingeführte Gesetzgebung entscheidend für den Wiederaufbau eines stark erschöpften, aber immer noch kritischen US-Produktionssektors ist. Sie würde eine bereits angespannte US-Lieferkette entlasten und vor allem die nationale Sicherheit der USA stärken. PCBs sind laut Brief ein kritischer Bestandteil des Elektronik-Ökosystems und für die Elektronikfertigung ebenso wichtig wie Halbleiter. Tatsächlich können elektronische Systeme nicht ohne Leiterplatten funktionieren, und dennoch sind die Vereinigten Staaten überwiegend auf ausländische Bezugsquellen angewiesen und geraten bei hochmodernen Leiterplattentechnologien ins Hintertreffen.

„Die US-amerikanische Leiterplattenindustrie schwächelt nicht nur, sondern sie ist krank“

„Trotz der Bedeutung von Leiterplatten für elektronische Systeme sind sie für politische Entscheidungsträger seit Jahrzehnten ein nachträglicher Gedanke“, sagte IPC-Präsident und CEO John Mitchell. „Diese parteiübergreifende Gesetzgebung wird, wenn sie verabschiedet wird, wichtige Investitionen in die PCB-Forschung und -Herstellung in den Vereinigten Staaten anregen. Wir freuen uns, dass so viele Branchenführer zustimmen und sich uns anschließen, um die Unterstützung des Kongresses für dieses Gesetz zu fordern.“

Ein kürzlich erschienener IPC-Bericht stellte fest, dass die Vereinigten Staaten ihre historische Dominanz bei der Herstellung von Leiterplatten verloren haben. Seit 2000 ist der US-Anteil an der weltweiten Leiterplattenproduktion von über 30 % auf nur noch 4 % gesunken. Mittlerweile dominiert China den Sektor mit fast 60 % (gemäß NTI-100 2021). Der Bericht betonte auch, dass jeder Verlust des Zugangs zu PCB-Quellen außerhalb des Landes „katastrophal“ für die Fähigkeit der Vereinigten Staaten wäre, Elektronik für Waffensysteme, Kommunikationsausrüstung, medizinische Geräte, Energiesysteme und mehr herzustellen. Offensichtlich konzentriert sich die US-Regierung zu sehr auf den Chips Act for America, der 2021 konzipiert wurde, aber vom Senat noch immer nicht beschlossen ist.

Den vollständigen Brief und die Unterzeichner finden Interessenten unter [1]. Dort sind auch die Unterzeichner des Briefes aufgeführt. Darunter sind auch Niederlassungen deutscher Firmen in den USA wie Goepel Electronics und LPKF Laser & Electronics. Es bleiben allerdings einige Fragen offen. Beispielsweise haben den Brief auch alle in der obigen Tabelle enthaltenen großen US-Leiterplattenhersteller unterschrieben, obwohl fast alle Fertigungen in asiatischen Ländern haben bzw. einige in China.

Chips Act verzögert sich?

Zum Chips Act gibt es ebenfalls Ungereimtheiten. In einem Brief von Mitte Juli 2022 fordern Gouverneure und Bürgermeister der beiden großen US-Parteien sowie CEOs den Kongress zum Handeln auf, also das große ambitionierte Chipprogramm endlich zu beschließen, bevor die Chiphersteller gezwungen sind, ihre Investitionen für neue Fertigungen außerhalb der USA zu tätigen. Ist damit der geplante Bau der Chipfabrik in Magdeburg durch Intel dann doch noch nicht so sicher, wie man bei uns in Deutschland denkt? Es heißt in der Erklärung:

„Die Gouverneure wurden durch die parteiübergreifenden Bemühungen im Kongress ermutigt, einen Kompromissentwurf zu verabschieden, der die amerikanische Innovation und Wettbewerbsfähigkeit unterstützt. Wir fordern den Kongress auf, schnell zu einer Einigung über dieses wichtige Gesetz zu kommen. Auch wenn es noch Unterschiede zwischen den Gesetzesentwürfen des Repräsentantenhauses und des Senats gibt, sind sich die Gouverneure auf beiden Seiten einig, dass die 52 Mrd. Dollar an Bundesinvestitionen für die inländische Halbleiterforschung, -entwicklung und -herstellung, die im CHIPS-Gesetz vorgesehen sind, absolut entscheidend für unsere nationale Sicherheit sind und es uns ermöglichen werden, Lücken und Schwachstellen in der amerikanischen Lieferkette zu beseitigen“ [2].

Referenzen

[1] https://emails.ipc.org/Links/
71322ExecLeadershipSupportLetter-PCBAct.pdf

[2] www.evertiq.de/news/28935

  • Ausgabe: Oktober
  • Jahr: 2022
  • Autoren: Dr. Hartmut Poschmann
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