Dresden. Dehnbare oder auch teilweise umformbare Schaltungsträger, Miniaturisierung, hohe Packungsdichte, zunehmend aber auch dreidimensional bestückte Schaltungsträger im ‚3D-MID'-Verfahren sowie ein besseres Thermomanagement der dicht gepackten Systeme gehören derzeit zu den großen Trendthemen in der Leiterplattenindustrie. Das haben Branchenvertreter und Forscher während der Fachtagung ‚Techvision 2024' im Fraunhofer-Institut für Keramische Technologien und Systeme (IKTS) in Dresden eingeschätzt. „Leiterplatten sind heute eben keine bloßen Bestückungsträger mehr, sondern Systemträger“, betonte Technikchef Christian Ranzinger von Berliner Contag, die das Symposium mitorganisiert hatte. Treiber dieser Entwicklungen ist natürlich der Wunsch der Kunden aus Automobilfabriken, Maschinenbau, Medizintechnik, Luftfahrt und weiteren Branchen nach mehr Funktionsdichte auf kleinstem Raum. Ähnlich wie die Halbleiterhersteller mit allerlei 3D Tricks versuchen, ‚Moores Law' der stetig zunehmenden Integrationstiefe unter der Devise ‚More than Moore' doch noch irgendwie weiterzuführen, ist auch in den Leiterplattenwerken und von den Integratoren viel Kreativität gefragt, um jeden Kubikzentimeter Leerraum im Fahrzeug, Flugzeug oder Gerät mit der zusätzlichen gewünschten Elektronik, Sensorik oder Aktuatoren auszufüllen. Gleichzeitig gilt es dabei aber eben auch, ein hohes Qualitätsniveau zu halten, die thermischen Grenzen nicht zu sprengen und die Schaltkreise vor einem Hitzetod zu bewahren – ein Spagat, der innovative Lösungen erfordert. Auch das Thermalmikromanagement für die Schaltungsträger wird von daher immer mehr zu seinem Schwerpunktthema. Ein Pfad, der ohne kompletten Anlagenaustausch auskommt, ist dabei die hybride Leiterplatte, die teils klassisch starr, teils biegsam oder gar wickelbar ist. Wo früher zwei verschiedene abgewinkelte Module durch Kabel verbunden werden mussten, die letztlich zusätzliche Kosten, potenzielle Fehlerquellen und Montagezeiten erforderten, schmiegen sich solche Hybriden samt durchgängigen Schaltungen an die jeweilige Bauform im Gerät oder Fahrzeug an.
3D MID: Das Bauteil selbst ist die Leiterplatte
Deutlich weiter gehen da die ‚3D Molded Interconnect Devices' (3D MID): Hier werden die Leiterbahnen direkt in dreidimensional geformte und meist per Spritzguss erzeugte Funktionsbauteile integriert, beispielsweise versenkt in der Oberfläche oder senkrecht durchkontaktiert und dann bestückt. Dafür müssen die Hersteller meist mehrere Fertigungstechnologien kombinieren, die früher nicht zum Repertoire eines klassischen Leiterplattenbetriebes gehörten: Kunststoffspritzguss, 3D-Druck, Laserbohren und -strukturieren und dergleichen mehr. Vor allem im Automobilbau bieten 3D-MID-Systeme neue Perspektiven für die elektronische Integration, aber auch in medizinischen Geräten, Messtechnik und im Flugzeugbau – überall dort eben, wo der Bauraum knapp und die Digitalisierung auf dem Vormarsch ist. Parallel dazu gewinnt auch die Kombination aus ‚High Density Interconnect' (HDI) und ‚Sequential Build Up' (SBU) in der Leiterplattentechnologie an Gewicht, wenn man zu hochverdichteten Schaltungen kommen will – so ein Tenor auf der ‚Techvision', die in diesem Jahr unter dem Motto ‚Elektronik der Zukunft - PCBs and beyond' stand. Dabei werden mehrlagige Leiterplatten in zwei oder noch mehr sequenziellen Pressschritten, Bohrungen und Metallisierungen realisiert. Die Bohrvorgänge, die Erzeugung vergrabener Kontaktierungen und die Kupfer- beziehungsweise Harzfüllungen sind dabei zentrale Prozessschritte und stellen auch die höchsten Anforderungen an ein hochpräzises Fertigungsregime. Als Bohrer lösen Laser mehr und mehr die mechanischen Werkzeuge ab, da sie kleinere Strukturgrößen von nur noch einigen Dutzend Mikrometern erlauben. Neben mehr Packungsdichte spielen zudem höhere Zuverlässigkeits-Anforderungen eine wachsende Rolle für die Branche: Bord-Elektronik etwa, die extreme Schwankungen zwischen sehr niedrigen und der hohen Temperatur oder andere harsche Umweltbedingungen über Jahre und Jahrzehnte hinweg aushalten muss. Das gilt sowohl für Radarsensoren in Automobilen wie auch für Hochfrequenz-Technik in Satelliten wie auch Füllstandmesser und andere Sensoren in diversen ‚Industrie 4.0'-Szenarien. Hier stoßen klassische Polymerleiterplatten rasch an ihre Grenzen, sowohl durch die bekannte Kunststoffalterung wie auch durch generelle Stabilitätslimits. Keramische Schaltungsträger können hier nach Ansicht von Dr. Steffen Ziesche vom IKTS Dresden Abhilfe schaffen: Niedrig- und Hochtemperatur-Einbrand-Keramiken (LTCC bzw. HTCC) ermöglichen demnach hochzuverlässige und auf Wunsch auch wirklich hermetische Einhausungen, auch sind sie besonders robust gegen mechanische wie thermische Belastungen, betont der Forschungsgruppenleiter.
‚Kühl' gesinterte Keramiken eröffnen neue Materialoptionen
Vielversprechend sind speziell mehrlagige ‚Ultra Low Temperature Co-fired Ceramics' (ULTCC), die bei Temperaturen von ‚nur' 400 bis 700 °C gesintert werden. Dadurch sinkt der Energieaufwand für die Herstellung. Vor allem aber lassen sich durch die relativ niedrigen Sinter-Temperaturen weit mehr Funktionsmaterialien verwenden als in klassischen Keramiksystemen. „ULTCC-Komponenten sind hervorragend geeignet als Umverdrahtungsträger elektronischer Bauelemente, für die Gehäuse- und Verkapselungstechnologie oder als Substrat für Anwendungen der Hochfrequenztechnik wie Antennen, Filter und Zirkulatoren“, heißt es vom IKTS. Ein weiterer Vorteil der Keramikschaltungstechnologien: Ihr Einsatz kann Unternehmen helfen, die Vorgaben aus neueren Umweltrichtlinien einzuhalten, indem beispielsweise nur REACH-konforme Materialien zum Einsatz kommen. Den Einsatz neuartiger Packaging-Konzepte (PCB) für die Entwicklung hochauflösender und kompakter Radarmodule beleuchtete Dr. Christian Tschoban vom Fraunhofer-Institut für Zuverlässigkeit und Mikrointegration (IZM) aus Berlin während der ‚Techvision'. Ein Ziel ist dabei, die nötigen Antennen zu minimieren beziehungsweise besonders eng zu packen. Das IZM verfolgt dabei mehrere Pfade. Zum Beispiel lässt sich die Antennentechnik als monolithischer Mikrowellen-Schaltkreis (mmIC) im gegossenen ‚Wafer-Level-Packaging'-Gehäuse (WLP), als Planar-Antenne auf Glas oder als 3D-Antenne im Formpressverfahren realisieren. Besonders viel Platz lässt sich sparen, wenn man Antennen und Chips von Anfang an dreidimensional stapelt. Neben solchen konkreten Anwendungsszenarien für fortgeschrittene Leiterplattentechnologien richtete sich der Fokus der Tagung auch auf die Phase zwischen Konzept und Serienproduktion. So skizzierte Contag-Prokurist Dr. Frank Raspel schnelle Wege zu Prototypen beziehungsweise Expressleiterplatten – eine besondere Spezialität des 1981 in Berlin-Spandau gegründeten Mittelständlers. Dabei konkurrieren im Express-Sektor weiter verschiedene Verfahrenswege. In jüngerer Zeit spielen hier allerdings Lasertechnik und additive Fertigung eine wachsende Rolle.
Größtes Keramikinstitut Europas als Gastgeber
Im Anschluss an die Referate konnten die Fachbesucher bei einer Instituts-Tour ausgewählte Labore, Prototypen-Werkstätten und Fertigungsanlagen der Forschungseinrichtung besichtigen. Mit 40.000 m2 Nutzfläche, drei Standorten in Dresden und Hermsdorf und über 800 Beschäftigten ist das IKTS das größte Keramikinstitut in Europa. Neben Elektronik und Mikrosysteme beschäftigen sich die Ingenieure, Chemiker, Physiker und weitere Fachleute dort unter anderem mit neuen Werkstoffen, Hochtemperatur-Brennstoffzellen, Keramik-3D-Druck, transparenter und gepanzerter Keramik, innovativer Umwelttechnik und weiteren Forschungsschwerpunkten. Für die Wirtschaftsvertreter war die Wahl des Keramikinstituts als Austragungsort eine sinnvolle Kombination zweier Technologiestränge mit Blick auf aktuelle Herausforderungen in der Elektronikindustrie. Die hochkarätige Veranstaltung habe ganz verschiedene Experten für „zukunftsweisende Themen wie Hochfrequenzübertragung, neuartige Leiterplattentechnologien und keramische Schaltungsträger“ zusammengeführt, schätzte Contag-Verkaufschef Torsten Malsch ein. Dies habe eine „Plattform für intensives Networking und den Austausch zwischen Forschung und Industrie“ ermöglicht. Generell ist festzuhalten, dass die hiesige Leiterplattenindustrie eine wichtige Rolle in der deutschen und europäischen Wirtschaft spielt. Sie realisiert an die 2,5 Mrd. Jahresumsatz, gilt als Rückgrat der Elektronikindustrie und als wichtiger Zulieferer für zahlreiche andere Zweige. Die Branche ist geprägt von kleinen und mittelständischen Unternehmen, die teils auf Nischenmärkte und hochkomplexen Produkten spezialisiert sind. Im internationalen Vergleich genießt die Leiterplattenindustrie in der Bundesrepublik vor unter technologischen Gesichtspunkten hohes Ansehen. Deutsche Unternehmen sind insbesondere in der Hochfrequenztechnik, bei High-Speed-Leiterplatten und speziellen Materialien stark. Allerdings stehen die hiesigen Unternehmen unter hohem Konkurrenz- und Kostendruck der weit größeren Leiterplattenindustrien aus Asien und vor allem aus China. Von daher dürften innovative Technologieansätze wie die auf der ‚Techvision' diskutierten Ansätze – wie eben 3D-MID und andere Hochintegrationstechniken sowie keramische Schaltungsträger – in den nächsten Jahren noch größeres Gewicht gewinnen, um Alleinstellungsmerkmale gegenüber der Konkurrenz aus dem Reich der Mitte auf- und auszubauen.
Gastgeber für die Techvision 2024 war das Fraunhofer-Keramikinstitut IKTS in Dresden
Quellen:
Techvision, Contag, IKTS, IZM