Im Gegenteil - Grenzen des Wachstums und Wachstum der Grenzen

Im Gegenteil - Grenzen des Wachstums und Wachstum der Grenzen

Die Grenzen des Wachstums“ – von diesem Buch des Club of Rome aus den frühen 1970er Jahren hat schon fast jeder gehört, da mit ihm die Idee eines nachhaltigen Wirtschaftens weite Verbreitung fand und die Millionen Leser (oder nur Käufer?) des Buches erstmals auf die Bedrohungen des Klimawandels durch den anthropogenen Ausstoß von Kohlendioxid aufmerksam gemacht werden konnten – wobei komisch ist, dass kaum jemand an dem letzten Satz zweifeln wird, obwohl gerade dieses Thema im Buch fast ausgespart geblieben ist.

Den Autoren ging es mehr um Grenzen beim Bevölkerungswachstum und dem Ressourcenabbau, was wörtlich zu nehmen ist, da die englischsprachige Originalausgabe von „Limits to Growth“ sprach. Auf jeden Fall haben die frühen 1970er Jahre dem ungebremsten Fortschrittsglauben der 1960er Jahre, als eine Fülle von Futurologen das Jahr 2000 vorhersagen wollte, einen empfindlichen Dämpfer verpasst, der immerhin dazu geführt hat, dass in diesen Tagen jemand den Mut findet, an „die unerschöpfliche Erfindungskraft der Menschen“ zu erinnern und zu prognostizieren, dass es weniger auf „Die Grenzen des Wachstums“ und mehr auf „Das Wachstum der Grenzen“ ankomme. So heißt das Buch des Physikers Simon Aegerter, das für das 22. Jahrhundert eine paradiesische Welt ankündigt. Nach Aegerters Einschätzung wird sich bis dahin die Zahl der Menschen bei elf Milliarden stabilisiert haben, die meisten von ihnen wohnen in Hochhäusern und pendeln mit dem Aufzug nach unten in die Welt der Arbeit. Medizin heilt alle Krankheiten und schafft das Altern ab. Treibhaus-Wolkenkratzer produzieren Gemüse, Salate und Früchte, und die für deren Wachstum benötigten Nährlösungen werden aus Abfällen gewonnen, was eine permanente Kreislaufwirtschaft ergibt. Da sich alles vollständig rezyklieren lässt, wird der Bergbau überflüssig, Fleisch aus Zellkulturen gewonnen.

Das klingt wie eine schöne neue Welt, aber Aegerter beschreibt eine Welt für andere Menschen als die, die heute leben. Zum Dasein der heutigen Sorte Mensch gehört die Sterblichkeit ebenso wie die Sorge um die Gesundheit, die keine technische Größe ist, um nur zwei Beispiele zu nennen. In einem sorgenfreien Paradies haben Menschen es noch nie ausgehalten, weshalb niemand dort sein will. Im Gegenteil! „Sesam öffne dich! Ich möchte hinaus!“, wie der polnische Aphoristiker Stanisław Jerzy Lec geschrieben hat. Allerdings sagt er nicht, wo er dann hin geht. Vielleicht nach Hause?

  • Ausgabe: Januar
  • Jahr: 2021
  • Autoren: Ernst Peter Fischer
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