Wer die Frage stellt, was die Spezies Homo sapiens so erfolgreich gemacht hat, bekommt als eine mögliche Antwort, dass es den Menschen gelungen ist, der realen Welt mit ihren Bäumen und Bergen eine fiktive Ausgabe erst an die Seite zu stellen und diese ausgedachte Sphäre anschließend wichtiger als die Wirklichkeit werden zu lassen. Beispiele für solche Fiktionen sind Staaten, Menschenrechte, Geld, Unternehmen und vieles mehr, was nur in Gedanken existiert.
Natürlich gibt es Münzen, aber das meiste Geld findet sich nur als Zahl in irgendwelchen Büchern, und wie damit eine Volkswirtschaft zustande kommt, setzt eine Menge Theorie – eine Geldtheorie – und noch manche andere Fiktion voraus. Und ein Anatom, der einen Menschen seziert, wird in seinem Körper keine Rechte finden. Wer sich die Frage stellt, was die Wissenschaft von der Physik so erfolgreich macht, wird eine ähnliche Antwort bekommen. Ihr ist es gelungen, den klassischen Gleichungen mit realen Größen – Kraft ist gleich Masse mal Beschleunigung – im 20. Jahrhundert Gleichungen mit fiktiven – imaginären – Größen an die Seite zu stellen.
Gemeint ist zum Beispiel die Quantenmechanik, die Ort und Impuls eines Elektrons nur mit Hilfe einer imaginären Einheit berechnen kann, die als i in den Lehrbüchern steht. Diese Zahl gibt es in der Wirklichkeit der realen oder reellen Zahlen nicht – so wenig wie es Menschenrechte oder Unternehmen in der Welt des realen Alltags gibt. Sie existieren nur als Fiktionen, an die aber fast alle Menschen glauben. Der Erfolg von Homo sapiens verdankt sich einer Verdopplung der Realität. Der Erfolg der Physik verdankt sich einer zweiten Zahlendimension, wobei die imaginäre Einheit in der numerischen Ebene durch wiederholtes Malnehmen von i mit sich selbst einen Ring bilden kann, der durch seine geschlossene Form ein Innen von einem Außen unterscheiden lässt.
Die Dualität der Welt offenbart sich im gegensätzlichen Spiel von innen und außen, und so konkret die Physik sich im Alltag über ihre technischen Anwendungen bemerkbar macht, erst durch eine fiktive Größe wird sie erfolgreich. Wenn jetzt jemand wissen will, ob es für diese Verdopplung ein Vorbild gibt, kann man ihm sagen, dass diese Einsicht zur Epoche der Romantik gehört. Ihre Vertreter haben gewusst, dass Menschen zwei Augenpaare brauchen, um den Dingen auf den Grund zu sehen. Mit den Augen im Kopf sehen sie nur die Oberfläche. Mit den Augen im Herzen öffnet sich ihnen die andere Wirklichkeit, mit deren Hilfe das Erkennen beginnt.