Erster von zwei Teilen: Dresdner Elbbrücken, Tragwerk sowie Bauausführung
Der Einsturz der Carola-Brücke am 11. September 2024 ist sicherlich der bedeutendste Fall für korrosionsbedingtes Materialversagen der letzten Zeit und dient zugleich als prominentes Beispiel für die marode Infrastruktur im Land. Der Teileinsturz der Spannbetonbrücke in Dresden erfolgte ohne Vorankündigung. Ursprünglich galt die Dresdner Carolabrücke als Ikone der Ingenieurbaukunst ihrer Zeit. Sie war ein sehr ästhetisches und schlankes Bauwerk. Konstruktion und Bau wären auch heute noch eine Heraus-forderung. Die vorhandenen Unterlagen zeugen von einer hohen Entwurfsqualität und einer sehr sorgsamen Bauausführung. Im ersten Teil des Artikels werden die Entstehungsgeschichte, die Konstruktion und der Bau der Brücke vorgestellt. Im zweiten Teil in der Juni-Ausgabe geht es um den Einsturz, den Versuch einer Rekonstruktion sowie die Suche nach der Einsturzursache.
Die Elbbrücken in der Dresdner Innenstadt
Wann genau die älteste Brücke über die Elbe in Dresden erbaut wurde, ist bis heute nicht sicher bekannt. Die Ersterwähnung wird auf den Zeitraum zwischen 1228 und 1234 datiert, wobei in der zugehörigen Quelle konkret von einer Reparatur, aber nicht von einem (Neu-)Bau die Rede ist. Diese erste Steinbrücke war etwa 560 m lang und 8,5 m breit. Die 24 Bögen bestanden im Innern aus in Kalkmörtel eingebetteten Bruchsteinen, die außen mit Sandsteinquadern verkleidet waren. Für viele Jahrhunderte galt das Bauwerk als eine der monumentalsten und längsten Steinbrücken des Mittelalters [1].
Vor dem Zweiten Weltkrieg verbanden vier Bogenbrücken für den Straßenverkehr die Neustädter und die Altstädter Seite Dresdens.
In Fließrichtung der Elbe (von Ost nach West) waren dies die König-Albert-Brücke (1877, heute Albertbrücke), die Königin Carola-Brücke (1895), die Augustusbrücke und die Marienbrücke (Straßenbrücke von 1852, parallel dazu besteht seit 1901 eine Eisenbahnbrücke), s. z. B. diverse Beiträge in [2] und [3]. All diese Brücken wurden in den letzten Tagen des Zweiten Weltkriegs im Mai 1945 von deutschen Soldaten teilweise gesprengt und somit unpassierbar gemacht.
Die Wiederherstellung von drei der vier Straßenbrücken in ihrer Vorkriegsform und damit der Verbindung zwischen Alt- und Neustadt wurde 1949 abgeschlossen. Nur die über dem Fluss komplett zerstörte Carola-Brücke wurde zunächst nicht wiederaufgebaut. Am 7. März 1952 erfolgte die Sprengung des letzten noch verbliebenen Stahlträgers über die Elbe (Abb. 1, [4]).
Abb. 1: Sprengung des letzten verbliebenen Stahlträgers der Carola-Brücke am 7. März 1952 (Filmsequenzen aus [4]) - Foto: SLUB Dresden, Filmverband Sachsen (Dresden), Hirsch Film (Dresden)
Das stetig zunehmende Verkehrsaufkommen rückte den Standort Carola-Brücke wieder in den Fokus und sie wurde Teil der Planungen für die Umgestaltung und verkehrstechnische Erschließung des Dresdner Stadtzentrums nach dem Zweiten Weltkrieg [5]. Geplant wurde eine knapp 2,8 km lange Nord-Süd-Verbindung vom Platz der Einheit (heute Albertplatz) in der Dresdner Neustadt über die Elbe bis zum Wiener Platz am Hauptbahnhof. Mit der intensiven Ausarbeitung von Studien wurde 1962 begonnen. Die Vorzugsvariante sah zwei durch einen Grünstreifen getrennte Richtungsfahrbahnen vor. Die Straßenbahngleise sollten in Seitenlage in Richtung Stadtzentrum platziert werden [6]. Interessant ist, dass es bereits während des Nationalsozialismus 1938/39 und auch zu Anfang der 1950er-Jahre ähnliche weiträumige Umgestaltungspläne für das Dresdner Stadtzentrum gegeben hatte, die allerdings in der Folgezeit wenig thematisiert wurden [7, 8].
Entwurfswettbewerb für eine neue Elbequerung [5]
Für den Brückenneubau bestanden gestalterisch hohe Anforderungen, v. a. wegen der unmittelbaren Nähe zur barocken Architektur auf der Altstädter Seite und zu den Ende des 19./Anfang des 20. Jh. erbauten monumentalen Regierungsgebäuden im Neorenaissance- bzw. Neobarockstil auf der Neustädter Seite [9], die die Stadtsilhouette am Brückenstandort prägen. Ein Novum für die DDR war die Auslobung eines Wettbewerbs für den Brückenentwurf. Der Hauptgrund war, dass man sich außerstande sah, mehrere Projektierungsbetriebe parallel mit der Ausarbeitung von Entwürfen zu beauftragen. Stattdessen sollten mehrere Kollektive freiwillig und in ihrer Freizeit Brückenentwürfe erarbeiten.
Insgesamt beteiligten sich elf Teams und entwarfen neun Spannbeton- und vier Stahllösungen mit Hauptspannweiten bis 180 m. Entsprechend der Ausschreibung waren es ausschließlich Balkenbrücken. Obenliegende Tragwerke waren zwar im Vorfeld diskutiert, aufgrund der städtebaulichen Situation aber verworfen worden. Es gab zwei Varianten mit parallelgurtigen Überbauten. Alle anderen besaßen eine oder zwei Vouten über den Pfeilern der Stromöffnung.
Zu den Hauptbewertungskriterien zählten die äußere Form (u. a. Harmonie bei der Feldaufteilung, Voutenhöhe, Durchblick zur Brühlschen Terrasse auf der Altstädter Seite), die Kosten und der Materialverbrauch. Der Siegerentwurf stammte vom Dresdner Kollektiv Thürmer, Spoelgen (Abb. 2). Dieses war auch das einzige Kollektiv, welches mehrere – nämlich insgesamt drei – Varianten eingereicht hatte. In [5] wird wie folgt aus dem Gutachten zitiert: „Der Gedanke, den Elbstrom mit einer Brücke zu überspannen, die auf dem Neustädter Strompfeiler eine starke Vergrößerung der Bauhöhe erfährt und die sich dann nach beiden Ufern mit einer geschwungenen Unterkante entsprechend verkleinert, ist besonders anzuerkennen. Dadurch wird der Brücke ein eigner Charakter verliehen, der im Einklang steht mit dem Stadtbild und der Krümmung des Stromes. Die dadurch entstehende asymmetrische Lösung entspricht den unterschiedlichen Proportionen der beiden Ufer.“
Abb. 2: Auszug aus den eingereichten Wettbewerbsunterlagen des späteren Siegerentwurfs, die Bestandsgründungen sind gestrichelt eingezeichnet - Zeichnung: aus [5]
Das Tragwerk [10] Überblick
Basierend auf dem Wettbewerbsentwurf wurde die neue Brücke über die Elbe vom VEB Entwurfs- und Ingenieurbüro des Straßenwesens (EIBS), Betriebsteil Dresden, unter Federführung von Eckhart Thürmer projektiert. Mit einer Hauptspannweite von 120 m war die am 10.06.1971 fertiggestellte und am 3. Juli desselben Jahres für den Verkehr freigegebene Dr.-Rudolf-Friedrichs-Brücke die am weitesten spannende Spannbetonbrücke der DDR [11]. Sie wurde 1992 in Carolabrücke umbenannt (u. a. [12, 2]). Dieser Name wird auch im Folgenden verwendet.
Abb. 3: Längsschnitt und Grundriss der Carolabrücke - Zeichnung: aus [10]
Das aus fünf Feldern bestehende Bauwerk mit sehr unterschiedlichen Einzelstützweiten zwischen 44 und 120 m ist ca. 400 m lang, 32 m breit und besitzt drei einzelne, unabhängige Überbauten in Form von einzelligen vorgespannten Hohlkästen (Abb. 3), die als Brückenzüge a bis c bezeichnet werden. Mit der gewählten einvoutigen Geometrie gelang es, die strengen Anforderungen an die maximal gewünschte Gradientenhöhe und die erforderliche lichte Höhe im Bereich der Schifffahrtsöffnung zu erfüllen. Zugleich passt sich die Brücke sehr gut an die asymmetrische Topologie am Brückenstandort und an die dominante Bebauung an beiden Ufern an. Der Festpunkt befindet sich am Pfeiler in Achse D, wo der Überbau mit 5,2 m auch die maximale Bauhöhe aufweist. Zu den Widerlagern hin verjüngt er sich auf 1,6 bzw. 1,8 m. Die statische Berechnung hatte stark wechselnde Momente bei einer Durchlauflösung ergeben, weshalb der Überbau mit insgesamt drei Gelenken untergliedert wurde, um die geplante Geometrie realisieren zu können. Damit ergab sich in den Achsen A–C ein Zweifeldträger mit einem 12 m langen Kragarm in Richtung Elbe (Gelenk I). Auf den Stützen D und E liegt ein Einfeldträger mit zwei Kragarmen (44 m lang in Richtung Elbe (Gelenk II) und 10 m lang in Richtung Neustadt (Gelenk III)). Zwischen beiden Kragträgern spannt der 64 m lange Strom-Einhängeträger. Ein weiterer, 48 m langer Einhängeträger wurde im Randfeld auf der Neustädter Seite konzipiert.
Das Bauwerk wurde für die Brückenklasse 60 bemessen [5]. Die Züge a und b überführten jeweils zweispurige Richtungsfahrbahnen, Zug c eine zweigleisige Straßenbahntrasse. Die Züge a und c erhielten an ihren Außenseiten eine jeweils 3,2 m breite Gehbahn für Fußgänger und Radfahrer [13]. In den Hohlkästen wurden zudem Leitungen für Fernwärme, Gas, Strom und Wasser untergebracht.
Überbau in Längsrichtung
Abb. 4: Neustädter Kragträger Zug b; Momentenverlauf für verschiedene Lastsituationen (oben), Summenlinien der Bündelspannglieder BSG 100 (Mitte) und Anzahl Stegspannglieder (unten) - Zeichnung: aus [10], mod.Die statischen Berechnungen wurden teilweise manuell und teilweise auf damals bereits vorhandenen elektronischen Rechenanlagen durchgeführt. Dies erleichterte v. a. die Berücksichtigung der sich stetig ändernden Querschnittswerte sowie von Einflüssen aus Kriechen, Schwinden und wechselnden Temperaturen. Für Spezialprobleme wurden Vergleichsrechnungen z. B. am Institut für Leichtbau Dresden oder an der TU Dresden durchgeführt.
Das Finden einer sinnvollen Spanngliedführung gestaltete sich schwierig. Einen Eindruck vermittelt Abbildung 4. Hier sind die Momentenverläufe für verschiedene Tragwerkzustände dargestellt. Im Bauzustand ohne Einhängeträger herrschen in 70 % des Feldes D–E bspw. positive Biegemomente, wohingegen im Endzustand klar die negativen Momente überwiegen. Erschwerend kamen nicht unerhebliche Kriech- und Schwindverformungen bereits während der Bauzeit hinzu. Um diese Problematik zu lösen, wurden drei verschiedene Arten Spannglieder eingesetzt: ständige Spannglieder für das Eigengewicht, Montagespannglieder für den Bauzustand und nachträgliche Spannglieder, die für den Endzustand aktiviert wurden. Im Bauzustand wurde bei dem zuerst hergestellten Zug c der stromseitige Kragarm (Gelenk II) mittels Splitt ballastiert, der in den Hohlkasten eingefüllt wurde. Dieses sehr aufwendige Vorgehen wurde dann später für die beiden weiteren Züge a und b durch die Verwendung von Montageabspannungen ersetzt. Mit der Ballastierung bzw. dem Abspannen wurde bewusst die Bewegung des Kragarmendes beeinflusst. Die statischen Berechnungen hatten für die verschiedenen Bauzustände Vertikalbewegungen am Kragarmende zwischen 24,9 cm nach oben bzw. 32,5 cm nach unten ergeben. Für den Endzustand wurden immer noch Bewegungen zwischen 14,5 cm nach oben bzw. 23,3 cm nach unten prognostiziert.
Abb. 5: Anordnung von Spanngliedern und schlaffer Druckbewehrung (links) und Spannungsverteilung infolge verschiedener Lastkombinationen (rechts) im Stützquerschnitt Achse D, Zug b - Zeichnung: aus [10], mod.
Die außerordentlich dichte Längsbewehrung im Stützquerschnitt Achse D – im oberen Teil die Spann- und im unteren die schlaffe Bewehrung – ist in Abb. 5, links exemplarisch für Zug b abgebildet. Rechts ist der Spannungsverlauf über die Querschnittshöhe für verschiedene Lastfälle zu sehen. Unter Eigenlast, Vorspannung (inkl. Kriechen und Schwinden) und Verkehr werden an der Querschnittsoberseite in geringem Maße Zugspannungen zugelassen, was einer beschränkten Vorspannung entspricht. Insgesamt wurden im Stützquerschnitt D in Zug b 140 Bündelspannglieder (BSG) 100 verbaut, in den benachbarten Zügen a und c sogar noch 40 bis 50 Spannglieder derselben Größenordnung mehr. Die 100 stehen für die Nennspannkraft je Bündelspannglied in Mp, was ca. 1 MN entspricht. Die Spanngliedlängen waren an den Momentenverlauf angepasst. Spannglieder, die nicht über die ganze Länge gingen, wurden in Konsolen in den Stegen sowie Boden- und Fahrbahnplatte verankert (Abb. 4 unten und Abb. 6).
In der Bodenplatte des Stützbereiches Achse D wurde massiv schlaffe Druckbewehrung in zehn Lagen eingebaut, um die Tragfähigkeit in der Druckzone des Querschnitts sicherzustellen. Der Bewehrungsgrad betrug hier 4 % und erreicht damit jenen von Stahlbetonstützen. Bügel dienten als Sicherung gegen Ausknicken.
Überbau in Querrichtung
In Querrichtung waren die Hohlkästen nur schlaff bewehrt. Den Schnittgrößen, die aus wechselnden Temperaturen entstanden, wurde besondere Aufmerksamkeit geschenkt. Temperaturunterschiede rührten zum einen aus hohen Tages- und tiefen Nachttemperaturen her, zum anderen aber auch aus dem Betrieb der Fernwärmeleitungen, die im Innern der Brücke schlecht wärmeisoliert geführt wurden. Schnittgrößen im Querschnitt resultierten dann wiederum aus Zwang infolge behinderter Verformung des Kastens.
Über den Auflagern wurden jeweils Querscheiben angeordnet. Diese waren von diversen Öffnungen für den Durchstieg und die Leitungsführung durchbrochen (Abb. 7). Für ihre Berechnung wurden Fachwerk- und Rahmenmodelle genutzt.
Gerbergelenke aus Stahlguss
Die jeweils drei Gelenke in den Überbauten sind Unikate. Üblicherweise wurden Gerbergelenke als Betonkonsolen mit Elastomerlagern ausgeführt. Für die Dresdner Brücke wurde ein Sondervorschlag (sog. Neuerervorschlag) zu „Stahlgelenken für Massivbrücken“ [14] eingereicht, nach dem die Gelenke dann auch ausgeführt wurden. Die Stahlgussteile wurden an den Stirnseiten der Stege von Kragarmende und Einhängeträger nach dem Vorspannen der durchgehenden Stegspannglieder angebracht und mit mehreren Koppelbolzen an die verankerten Spannglieder gespannt (Abb. 8).
In [14] wurde neben Konstruktion und Spannvorgang auch eine Messanordnung zur Überprüfung der eingetragenen Kräfte in den Grundzügen beschrieben. Im Endzustand waren die Gelenke von außen nicht sichtbar, sondern wurden durch sogenannte „Betonschürzen“ abge-deckt, die nachträglich anbetoniert wurden.
Abb. 8: Gerbergelenke der Carolabrücke, links: Draufsicht und Ansicht, rechts oben: Detail der Verbindung Stahlgussteil–Steg, rechts unten: Teil des Gelenks I, Zug c, während des Abbruches - Zeichnungen: aus [10], mod.; Foto: Silke Scheerer
Querverbindung
Abb. 9: Querverbindung zwischen den Zügen a und b - Foto: Silke ScheererIn Höhe des Gelenks II sind die drei Einzelüberbauten durch einen Querriegel miteinander verbunden (Abb. 9). Die konstruktive Durchbildung als Quergelenk ermöglicht neben Verdrehungen auch Längs- und Querbewegungen der Überbauten. Im Bauzustand ergab sich durch die Querverbindung die Möglichkeit, Höhenunterschiede zwischen den nacheinander hergestellten Überbauten mittels vertikaler Spannpressen auszugleichen. Im Endzustand war es Aufgabe der Querverbindung, Durchbiegungsunterschiede der drei sehr schlanken, separaten Hohlkästen infolge von Schwinden und Kriechen, Temperatur und Verkehr auszugleichen sowie Lasten quer zu verteilen und so die Mitwirkung der Nachbarüberbauten am Lastabtrag zu erzwingen.
Bauausführung [15] Bauablauf
1966 begann man mit der Beseitigung von 15.000 m3 Trümmermasse und von Restteilen der alten Carola-Brücke. Die Elbe teilte die Brückenbaustelle in zwei Teile, wobei der Großteil der Baustelleneinrichtung auf der Altstädter Seite platziert wurde. Personen wurden zunächst per Motorboot transportiert.
Bei der Errichtung der Widerlager und Pfeiler bzw. Stützen wurden, soweit möglich, die bestehenden Gründungen genutzt. Begonnen wurde mit dem Abschnitt zwischen den Achsen A bis C auf der Altstädter Seite. Nach der Herstellung der Unterbauten wurde hier ein Lehrgerüst errichtet und der erste Teil des Überbaus hergestellt. Parallel dazu wurde der alte Pfeiler 3 im Strom abgetragen. Von Augenzeugen war bekannt, dass 1945 zwei Fliegerbomben im Bereich des geplanten Brückenneubaus in die Elbe abgeworfen worden waren [16]. Beim Abbruch des Pfeilers wurde im Mai 1967 eine dieser Bomben gefunden und geborgen. Die zweite Bombe wurde nun erst im Januar 2025 im Zuge der Abbrucharbeiten des eingestürzten Brückenzuges c entdeckt und entschärft [17]. Zwei weitere Blindgänger wurden am 27. und 28.01.2025 sichergestellt.
Anschließend wurden die Unterbauten in den verbliebenen Achsen erstellt und das Gerüst für den Neustädter Kragträger aufgebaut. Zwischen den beiden ersten Bauabschnitten errichtete man eine leichte Seilkonstruktion als Behelfsbrücke [18]. Diese diente dem Transport von Personen und der auf der Altstädter Seite hergestellten Bündelspannglieder. Außerdem wurden die Druckleitungen für den linkselbisch produzierten Frischbeton getragen. Die Einhängeträger bildeten den 3. und 4. Bauabschnitt.
Die Lehrgerüste wurden querverschieblich ausgebildet, um eine Mehrfachverwendung zu ermöglichen. Die unterschiedliche Krümmung der drei Überbauten im Grundriss war eine große Herausforderung. Im Flussbereich wurde das Lehrgerüst von Rammschuten aus erbaut, wobei eine auch einen Turmdrehkran trug (Abb. 10). Die Einhängeträger wurden 20 cm über Solllage hergestellt. Nach dem Vorspannen der Einhängeträger wurden die Stahlgussbauteile der Gerbergelenke an den jeweiligen Stirnflächen angespannt. Die Spannkraft wurde in ausgewählten Bolzen mit einer Mikrometermessuhr ermittelt. Abschließend wurden die Einhängeträger mithilfe von Pressen in ihre endgültige Position abgesenkt.
Abb. 10: Montage des Lehrgerüsts über der Elbe - Foto: entnommen aus [15]
Umgang mit dem Spannstahl
Als Spannbewehrung kamen ölschlussvergütete Spanndrähte St 140/160 aus Hennigsdorfer Produktion zum Einsatz [19, 20]. Die Nennfläche betrug 50 mm2. Im Zuge der Probennahme nach dem Einsturz von Zug c wurden darüber hinaus bei Zug b auch Drähte mit 40 mm2 vorgefunden.
Die Bündelspannglieder (BSG) wurden vor Ort vorgefertigt. Das Stahllager war in Massivbauweise ausgeführt, um den normativen Bestimmungen an den Korrosionsschutz gemäß [21] Rechnung zu tragen. Das Lager war beheizbar. Die Luftfeuchtigkeit wurde messtechnisch überwacht.
Je BSG 100 wurden zuerst 24 Einzeldrähte abgelängt. Auf das Stahlbündel wurde dann das Hüllrohr mittels Winden aufgezogen. Bei Längen über 50 m geschah dies abschnittsweise, und die Hüllrohre wurden entsprechend überlappt. Die längsten Spannglieder maßen immerhin 147 m (Kragträger auf der Neustädter Seite). Die Komplettierung mit den Verankerungsbauteilen (Konus, Manschette, Hüllrohrerweiterung) erfolgte entweder ebenfalls im Spannschuppen oder vor Ort an der Einbaustelle.
Um den Korrosionsschutz bestmöglich zu gewährleisten, bediente man sich verschiedener Maßnahmen von der Vorfertigung der BSG bis zum Verpressen der Bündel. Neben der bereits angesprochenen Temperierung und Feuchteüberwachung des Spannschuppens wurden die BSG im Zeitraum zwischen Betonage und Vorspannen in einem täglichen Rhythmus intensiv über die Einpress- und Entlüftungsöffnungen mit Kaltluft umspült. Dadurch sollte v. a. sich ansammelndes Tauwasser abgeleitet werden. Während der Kontrollen wurde visuell keine Rostbildung festgestellt. Nach Zeitzeugenberichten war bis zum Einbau der Spannglieder in die Schalung der Prozess weitestgehend kontrolliert. Ab dann sind die Korrosionsschutzmaßnahmen jedoch nur noch spärlich dokumentiert.
Mit dem Vorspannen wurde ca. sechs Tage nach Abschluss der Betonierarbeiten des jeweiligen Bauteils begonnen. Bei den Einhängeträgern erfolgte eine Teilvorspannung bereits am vierten Tag, um Schwindrissen vorzubeugen, 21 Tage nach Betonierende wurden Spannkraftverluste infolge von Kriechen und Schwinden durch Nachspannen ausgeglichen. Wird von normativen Vorgaben gem. GBL I Teil II Nr. 84 von 1967 „Anordnung über den Korrosionsschutz bei Spannbeton“ [21] abgewichen – hier heißt es in §7 Absatz (4), dass St 140/160 in Spannkanälen nicht länger als zehn Tage unverpresst bleiben darf –, so müssen besondere Maßnahmen gem. Absatz (7) [21] erfolgen. Aufgeführt werden hier Schutzgas im Hüllrohr, Schutz-flüssigkeiten oder Warmluft. In jedem Fall bedürfen diese Maßnahmen zur damaligen Zeit einer Zustimmung des Amtes für Messwesen und Warenprüfung oder der staatlichen Bauaufsicht des Ministeriums für Bauwesen.
Besonderheiten beim Betonieren
Abb. 11: Beprobungsstelle Bodenplatte Zug b, Neustädter Seite, in Brückenlängsrichtung (horizontal im Bild) sind zwei Schlaffstähle, eine einbetonierte Rohrleitung und ein geöffnetes Spannglied zu sehen - Foto: Silke ScheererDie Carolabrücke wurde mit einem Normalbeton B450 konzipiert. Um eine gleichbleibende Betonqualität und -optik zu gewährleisten, wurden bspw. die Zuschläge in Vorratsboxen mit einem Fassungsvolumen von insgesamt 1.000 m3 gelagert. Um die Feuchtigkeit möglichst konstant zu halten, waren die Boxen mit einer Drainage versehen. Da nur wenige Erfahrungen mit der Pumpbarkeit und zum Schwindverhalten des B450 vorlagen, fanden im Vorfeld umfangreiche Technologietests statt.
Im Winter wurden die Zuschläge mit dampfführenden Rohrleitungen vorgewärmt. Außerdem wurde Warmwasser beim Mischen verwendet. Zudem war die Mischanlage eingehaust, damit auch bei Temperaturen bis –15 °C Beton hergestellt werden konnte [22]. Bei großer Kälte wurde vor dem Betonieren Warmluft in die abgedeckte Schalung eingebracht, um eine zu schnelle Abkühlung des eingefüllten Frischbetons zu verhindern.
Zur Vermeidung von Schäden in der Arbeitsfuge zwischen Bodenplatte und Steg beim Kragträger in Achse D infolge der erwarteten erheblichen Hydratationswärmeentwicklung wurden Rohre zur Kühlung einbetoniert (Abb. 11), die später wie die Hüllrohre der BSG ausgepresst wurden.
Der Artikel geht auf einen Vortrag auf der 3-Länder-Korrosionstagung in Dübendorf bei Zürich Ende März zurück.
Zweiter und letzter Teil in der kommenden Ausgabe der Galvanotechnik.
Literatur
[1] Oelsner, N.: Die Dresdner Elbbrücke im Mittelalter und in der frühen Neuzeit. In: Dresdner Geschichtsverein e.V. (Hrsg.): Dresdner Elbbrücken in acht Jahrhunderten, erschienen in: Dresdner Hefte 26 (2008) 94, Dresden: Michael Sandstein, Grafischer Betrieb und Verlagsgesellschaft mbH, 2008, S. 5–14.
[2] Dresdner Geschichtsverein e.V. (Hrsg.): Dresdner Elbbrücken in acht Jahrhunderten, erschienen in: Dresdner Hefte 26 (2008) 94, Dresden: Michael Sandstein, Grafischer Betrieb und Verlagsgesellschaft mbH, 2008.
[3] Liste der Elbquerungen in Dresden unter: https://de.wikipedia.org/wiki/Liste_der_Elbquerungen_in_Dresden inkl. weiterführender Links ebenda.
[4] Hirsch, E. (Regisseur): Carola-Brücke Dresden, Sprengung des alten Brückenträgers am 7. März 1952 [Archivtitel]. BR Deutschland, Kurz-Dokumentarfilm, 1952 – abrufbar unter: https://www.filmportal.de/node/1726836/video/1731223.
[5] Slavik, V.: Studienwettbewerb für die neue Elbebrücke in Dresden. Bauplanung – Bautechnik 18 (1964) 3, S: 124–135.
[6] Peschel, R.: Verkehrsplanerische und verkehrstechnische Gestaltung der Nord-Süd-Verbindung in Dresden. In: Bau der Nord-Süd-Verbindung in Dresden : Erinnerungsschrift, Dresden, 1971, S. 10–14.
[7] Fiedler, E.: Straßenbrücken über die Elbe in Deutschland : eine Darstellung der historischen Entwicklung dieser Brücken. Dresden, 2005.
[8] Kantschew, T.: Das geplante „Gauforum Dresden“ – Werkzeug zur Massenmanipulation – Gigantomanie des deutschen Faschismus. Publiziert bei Das neue Dresden – https://www.das-neue-dresden.de/gauforum.html, 2005 inkl. spätere Ergänzungen.
[9] Wikipediaeinträge zur Bebauung auf der Neustädter Seite: https://de.wikipedia.org/wiki/S" target="_blank">https://de.wikipedia.org/wiki/Sächsisches_Staatsministerium_der_Finanzen und https://de.wikipedia.org/wiki/S" target="_blank">https://de.wikipedia.org/wiki/Sächsische_Staatskanzlei#Gebäude.
[10] Berger, R.; Franke, M.; Thürmer, E.: Projektierung der Dr.-Rudolfs-Friedrich-Brücke. DIE STRASSE 11 (1971) 6, S. 266–277.
[11] Schlimper, H.: Festansprache. In: Bau der Nord-Süd-Verbindung in Dresden : Erinnerungsschrift, Dresden, 1971, S. 1–3.
[12] Schleicher, C.: Langzeituntersuchungen an der Carolabrücke Dresden. Bautechnik 71 (1994) 1, S. 15–22.
[13] Kriesche, K.: Entwurfs- und Bauvorgaben für die Dr.-Rudolfs-Friedrich-Brücke. DIE STRASSE 11 (1971) 6, S. 264–277.
[14] Gremler, A.; Fischer, K.-H.; Thürmer, E.: NV 84/69 „Stahlgelenke für Massivbrücken“. Eingereicht beim Büro für die Neuererbewegung (BfN) am 15.12.1969, angenommen am 20.02.1970.
[15] Fleischer, H.; Göbel, W.; Haffner, P.; Kluge, P.; Kamjunke, K.-H.; Riedrich, W.; Römhild, H.; Steglich, K.: Bauausführung der Dr.-Rudolfs-Friedrich-Brücke. DIE STRASSE 11 (1971) 6, S. 278–290.
[16] Zeitzeugengespräch von Jakob Vogt (IMB, TU Dresden) mit Dipl.-Ing. Hilmar Uhlich, Bauleiter Carolabrücke von Januar 1967 bis September 1968, im Oktober 2024.
[17] Endt, C.; Schloms, M.; Kuhn, H.; Berndt, H.; Anders, F.; Siebert, P.; Schneider, A.; Just, J.: Weltkriegsbombe an der Carolabrücke: Dresden für mehr als einen Tag im Ausnahmezustand. Sächsische Zeitung online, 09.01.2025.
[18] Fischer, K.-H.; Göbel, W.: Seilkonstruktion als Behelfsbrücke. DIE STRASSE 10 (1970) 6, S. 334–337.
[19] TGL 101–036, Blatt 1: Spannstahl St 140/160 ölschlußvergütet Stahlmarken Technische Lieferbedingungen. 01.08.1966–31.12.1968.
[20] TGL 101–036, Blatt 2: Spannstahl St 140/160 ölschlußvergütet oval schräg gerippt Abmessungen. 01.08.1966–31.12.1968.
[21] Anordnung über den Korrosionsschutz bei Spannbeton vom 19. August 1967. Erschienen in: Gesetzblatt der Deutschen Demokratischen Republik, Teil II Nr. 84, Ausgabetag: 08.09.1967, S. 588–592.
[22] Riedrich, W.: Winterbauprobleme beim Bau der Dr.-Rudolfs-Friedrich-Brücke. Bauplanung – Bautechnik 25 (1971) 9, S. 453–455.