Resilienz als strategischer Faktor in der Galvanotechnik

Wie widerstehen Branchenunternehmen den vielfältigen Herausforderungen unserer Zeit und gehen vielleicht sogar gestärkt aus Krisen hervor? - (Foto: stock.adobe.com/Attasit)
  • Titelbild: Wie widerstehen Branchenunternehmen den vielfältigen Herausforderungen unserer Zeit und gehen vielleicht sogar gestärkt aus Krisen hervor? - (Foto: stock.adobe.com/Attasit)

In Zeiten globaler Unsicherheiten und rasch wechselnder Rahmenbedingungen gewinnt die Resilienz eines Unternehmens eine zentrale Bedeutung. Insbesondere in der Galvanotechnik, einer Branche, die von strengen Regulierungen und technologischen Innovationen geprägt ist, wird sie zum entscheidenden Erfolgsfaktor. Die Fähigkeit, sich nicht nur anzupassen, sondern auch aus Krisen gestärkt hervorzugehen, ist heute der Schlüssel zur langfristigen Wettbewerbsfähigkeit und Nachhaltigkeit. In diesem Artikel wird anhand von Beispielen gezeigt, wie die B+T Oberflächentechnik GmbH durch strategische Resilienzmaßnahmen in den Bereichen Energie, Chemie, Ersatzteile und Personal ihre Stabilität sichert und sich auf zukünftige Herausforderungen vorbereitet.

Resilienz und die Rahmenbedingungen

„Resilienz“ hat seinen Ursprung im Lateinischen „resilire“ und kann mit „zurückspringen, abprallen“ übersetzt werden. Der Begriff ist heute in aller Munde und wird für die Fähigkeit von Personen oder Systemen verwendet, externen Einflüssen standzuhalten und sich an veränderte Rahmenbedingungen anzupassen.

Bei B+T ist die Überprüfung tatsächlicher und möglicher Störfaktoren ein kontinuierlicher, regelmäßiger Prozess, um rechtzeitig und vorausschauend Maßnahmen zu ergreifen. Das Ziel ist, einen neuen Gleichgewichtszustand zu erreichen, da eine Rückkehr zum Ausgangszustand nicht möglich oder nicht gewünscht ist.

Von welchen Einflussfaktoren sprechen wir? Resilienz in Bezug auf politische Rahmenbedingungen

Verschärfte gesetzliche Vorgaben, wie niedrigere Chemikaliengrenzwerte oder EU-Klimaziele (klimaneutral bis 2050) setzen Galvanotechnik-Unternehmen zunehmend unter Druck. Zudem beeinflussen geopolitische Krisen wie Kriege und Pandemien durch Wirtschaftsembargos und Lockdowns die Lieferketten und Produktionsabläufe.

Resilienz in Bezug auf wirtschaftliche Rahmenbedingungen

Wirtschaftliche Resilienz erfordert eine Anpassung an volatile Märkte und unsichere Lieferketten. Unternehmen müssen ihre Rohstoffversorgung und Energieverfügbarkeit sicherstellen und gleichzeitig die wachsenden Kundenanforderungen im Blick behalten. Flexibilität und vorausschauende Planung sind essenziell, um trotz schwankender Kosten und unvorhersehbarer Marktveränderungen langfristig wettbewerbsfähig zu bleiben.

Resilienz in Bezug auf soziale Rahmenbedingungen

Der Fachkräftemangel und der demografische Wandel stellen große Herausforderungen dar. Unternehmen müssen sich auf veränderte Bildungssysteme, einen Wertewandel hin zu Work-Life-Balance und die Integration von Zuwanderern einstellen (Abb. 1).

Abb. 1: Betriebe unterliegen externen Einflussfaktoren. (Symbole aus PowerPoint)   Abb. 1: Betriebe unterliegen externen Einflussfaktoren. (Symbole aus PowerPoint)

Es gilt, flexibel auf diese Veränderungen zu reagieren und durch nachhaltige Maßnahmen die Widerstandsfähigkeit zu sichern; dazu zählen alternative Beschaffungsstrategien, Diversifikation bei Materialien oder Lieferanten, Verbrauchsreduktion oder Lagerbildung sowie den eigenen Betrieb als attraktiven Arbeitsplatz zu gestalten.

Resilienz im Konzept von Industrie 4.0 – das Richtmodell bei B+T

Die Integration von Industrie 4.0-Prinzipien ist ein zentraler Bestandteil moderner Resilienzstrategien. B+T orientiert sich dafür am Modell des Bundeswirtschaftsmini­steriums (BMWK). Die strategischen Handlungsfelder Sou­veränität, Interoperabilität und Nachhaltigkeit bieten B+T im Anpassungsprozess greifbare Anhaltspunkte für die Überprüfung und Korrektur. Ziel der Unternehmensführung ist es, langfristig unter den gegebenen Rahmenbedingungen frei und selbstbestimmt zu agieren. Das Ganze erfolgt im regen Austausch mit Lieferanten, Kunden, Behörden, Marktbegleitern und sonstigen Interessengruppen. Das Engagement in diversen Verbänden, das Mitwirken bei vielen Forschungsprojekten, das Pflegen von Kontakten, bspw. zu Bildungseinrichtungen, sind B+T Herzensangelegenheit und bieten die Chance, ständig den Finger am Puls zu haben. Entscheidungen werden im Hinblick auf ihre Nachhaltigkeit getroffen, um langfristig auf dem Markt zu bestehen. Das umfasst neben dem Klimaschutz auch gute Arbeitsbedingungen, Weiterbildungsmöglichkeiten und natürlich die gesellschaftliche Akzeptanz (Abb. 2).

Ein zentrales Element von Industrie 4.0 ist die Digitalisierung von Produktionsprozessen und der Einsatz von Künstlicher Intelligenz (KI), welche eine erhöhte Automatisierung und Effizienz gewährleisten. Sie helfen Engpässe besser zu antizipieren und alternative Lösungen schneller zu implementieren. Hier sieht sich B+T in der Branche in einer Vorreiterrolle. Aktuell ist das Unternehmen dabei, KI im komplexen Prozess der Angebotserstellung einzuführen. Investitionen in solche Innovationen haben bei B+T einen hohen Stellenwert.

Abb. 2:  Resilienz im Konzept „Industrie 4.0“.  Quelle: Whitepaper Bundesministerium für Wirtschaft und Klimaschutz (BMWK)Abb. 2: Resilienz im Konzept „Industrie 4.0“. Quelle: Whitepaper Bundesministerium für Wirtschaft und Klimaschutz (BMWK)

Resilienz in Energie, Chemie, Ersatzteilen und Mensch Energie

Betriebe der Galvanotechnik sind äußerst energieintensiv. Sie sind zudem auf eine konstante Energieversorgung angewiesen, da sie im Dreischichtbetrieb an 7 Tagen in der Woche produzieren. Der jüngste Vorschlag der Bundesregierung, die Produktion an die Verfügbarkeit von erneuerbaren Energien anzupassen, ist daher mehr als unrealistisch.

Durch Stromverträge, die über einen längeren Zeitraum abgeschlossen günstiger sind, befinden sich produzierende Betriebe in Abhängigkeit von ihrem Versorger, daher verbleiben in diesem Bereich lediglich Maßnahmen wie die Einsparung oder der Einsatz neuer technischer Möglichkeiten. Die Ausstattung von Anlagen mit Sensorik, auch in der Peripherie, ermöglicht B+T ein effektives Energie-Monitoring und liefert Erkenntnisse zur Optimierung des Verbrauchs. Verbunden mit vorausschauender Auftragsplanung können daher kostenintensive Stromspitzen vermieden werden. Weitere Automatisierungstools, wie der Einsatz von RFID-Technologie tragen zur Effizienzsteigerung bei. Auch hält KI mittlerweile Einzug in der Produktion – B+T konnte bereits vor einigen Jahren damit erste Erfahrungen als Anwendungspartner im Forschungsprojekt SmArtPlaS machen.

Chemie

Um Lieferengpässe bei Chemikalien – welche zuletzt durch den Ukraine-Krieg auftraten – und damit drohende Anlagenstillstände zu vermeiden, hat B+T seine Bezugsquellen ausgeweitet, die Lagerbestände optimiert und setzt auf Reduktion des Chemieeinsatzes. Die Badchemikalien werden durch das hauseigene Labor täglich, die Elektrolyte mit Onlineanalyse-Verfahren dauerhaft überwacht und nach dem eigens entwickelten ProStab-/ProOp-Prinzip optimiert. Die Expertise in diesem Bereich stellt B+T im Forschungsprojekt KI-InGaTec unter Beweis. RFID-­Technologie kommt nicht nur bei der Lagerhaltung der Chemikalien zum Einsatz, sondern auch in der Produktion bei den Anlagen mit wechselbaren Bädern (Abb. 3).

Abb. 3: Badführung nach dem ProStab-/ProOp-Prinzip (Fotos und Grafiken: B+T Oberflächentechnik GmbH) Abb. 3: Badführung nach dem ProStab-/ProOp-Prinzip (Fotos und Grafiken: B+T Oberflächentechnik GmbH)

Ersatzteile

Die Lagerbestände von Ersatzteilen lassen sich mit RFID einfach und schnell überwachen, bei kritischen Teilen wird entsprechend zeitig bestellt oder nach Alternativen gesucht. Dabei stehen regelmäßig sowohl Materialien als auch Lieferanten auf dem Prüfstand. Bei einigen Ersatzteilen konnte B+T durch Standardisierung effizienter werden: an den unterschiedlichen Anlagen kommen, soweit möglich, die gleichen Pumpen, Ventile und ähnliche Verschleißteile zum Einsatz. Predictive Maintenance, also die vorausschauende Wartung, trägt dazu bei, die Lebensdauer von Maschinen zu verlängern und Ausfälle zu verhindern.

Mensch

Der Mensch bleibt das wichtigste Element eines erfolgreichen Unternehmens, erst recht in Zeiten des Fachkräftemangels und demografischen Wandels. B+T ist ein traditionsreiches Familienunternehmen, mittlerweile in dritter Generation, das großen Wert auf die Pflege einer familiären Unternehmenskultur legt. Frank Benner, geschäftsführender Gesellschafter der Unternehmensgruppe, kennt alle seine Mitarbeiter mit Namen, kennt ihren Werdegang und ihre Geschichte. Die Töchter Annalina und Sarah Benner haben schon in der Schulzeit im eigenen Betrieb mitgeholfen. Sie sind in ihrer Funktion als Gesellschafterinnen mit sämtlichen Prozessen und Entwicklungen im Betrieb vertraut (Abb. 4).

Bei B+T steht der Mensch im Mittelpunkt, hier werden seine individuellen Fähigkeiten und Stärken gefördert. Engagement wird gewürdigt und belohnt. Die Galvanotechnik ist nach wie vor eine von Männern dominierte Branche. Auch bei B+T bleibt der Frauenanteil mit 23 % weit hinter dem der männlichen Kollegen zurück. Im Top-Management und in der Gesellschafterstruktur sind die Frauen jedoch stärker vertreten.

81 Beschäftigte der 111-köpfigen Belegschaft im Jahr 2023 waren Deutsche, die anderen kamen aus Süd- und Osteuropa, aus Asien oder Afrika. Ihre Integration in unsere Gesellschaft gelingt am besten, wenn sie in die Prozesse eingebunden werden und im Alltag mit ihren Kolleginnen und Kollegen interagieren. Die Sprachbarrieren werden bei B+T mittels moderner Technologie, wie mobilen Übersetzungsgeräten, bildhaften Darstellungen oder Anleitungen im Videoformat überwunden.

Das Thema Arbeitssicherheit wird bei B+T großgeschrieben. Daher werden Schulungs- und Arbeitssicherheitsinformationen in der jeweiligen Sprache zur Verfügung gestellt. Im Rahmen des Management-Reviews wird die Mitarbeiterentwicklung überwacht, die Schulungsquote für das Jahr 2023 lag bei 85 %, sie übertrifft damit die gesetzte Mindestschulungsquote von 75 % bei weitem.

Der betriebliche Arbeitssicherheitsindex (ASI) wird vierteljährlich mittels der Fehlermöglichkeits- und -Einfluss­analyse (FMEA)-Methode ermittelt. Dabei werden sämtliche Abteilungen anhand bestimmter Kriterien überprüft. Solche sind zum Beispiel die mechanische, elektrische, biologische oder thermische Gefährdung, Gefahrstoffe, Brandgefährdung, physische Einwirkungen, physische und psychische Gefährdung, Gefahren durch Umgebungsbedingungen. Dadurch gelingt es B+T, gezielte Maßnahmen zu ergreifen, um die Sicherheit und Gesundheit der Beschäftigten zu gewährleisten, Arbeitsunfälle oder Gesundheitsschäden zu minimieren.

Die Altersstruktur bei B+T ist eher untypisch für Gesamtdeutschland. Während in der Gesellschaft der Anteil der 40- bis 59-jährigen am höchsten ist, verzeichnet B+T den höchsten Anteil bei den 25- bis 39-Jährigen. B+T scheint es gelungen zu sein, als attraktiver Arbeitgeber wahrgenommen zu werden.

Im Jahr 2023 hat B+T mit neun Azubis wieder überdurchschnittlich viele junge Menschen für das Berufsleben qualifiziert. Die Ausbildungsberufe umfassen nicht nur die typischen Galvanotechnik-Berufe, sondern bilden das gesamte Spektrum der im Betrieb erforderlichen Kompetenzen ab.

B+T schreibt sich auf die Fahne, über den Tellerrand hinauszuschauen. Das stellt das Unternehmen mit seinem Engagement in verschiedenen Forschungsprojekten, seiner Kooperation mit diversen Schulen und Universitäten unter Beweis. Im Pilotprojekt mit Gesamtschule Schwingbach wird Hauptschülern etwa der Berufseinstieg in einem zweiwöchigen Praktikum und anschließendem Praktikumstag (einmal pro Woche im restlichen Schulhalbjahr) erleichtert; B+T ist Sponsor von Hardware und Know-how an regionalen Schulen (Werner-von Siemens-Schule, THS Wetzlar); CTO Edgar Kaufmann, Dipl.-Chemieingenieur (FH) hält regelmäßig Vorträge in Berufsschulen, z. B. in der Gewerblichen Schule Schwäbisch Gmünd.

Abb. 4: Ein Familienbetrieb in dritter Generation: B+T                          Abb. 4: Ein Familienbetrieb in dritter Generation: B+T

Nachhaltigkeit nachweisen

B+T ist nicht verpflichtet, einen Environmental, Social and Governance (ESG)-Nachhaltigkeitsbericht zu erstellen – und dennoch hat das Unternehmen einen solchen für das Jahr 2023 verfasst. Darin werden sämtliche Fortschritte, die für Kunden, Stakeholder und die gesamte Öffentlichkeit von Interesse sind, veröffentlicht.

Die Geschäftsleitung liefert darin Kennzahlen für die vorangegangenen drei Jahre aus den Bereichen Umwelt, Soziales und verantwortungsvolle Unternehmensführung und macht die Nachhaltigkeitsstrategie transparent. Kunden erhalten ein Zertifikat, welches den CO2-Fußabdruck ihrer Produkte abbildet, bezogen auf den Produktionsschritt bei B+T.

Fazit

Resilienz ist heute ein unverzichtbarer Bestandteil für die nachhaltige Entwicklung und den langfristigen Erfolg von Unternehmen – insbesondere in der Galvanotechnik. Die Fähigkeit, sich flexibel an neue Herausforderungen anzupassen, wird nicht nur durch technologische Innovationen, sondern auch durch gezielte Investitionen in Mitarbeiter und Nachhaltigkeit gestärkt. Unternehmen, die Resilienz als strategischen Faktor begreifen, sichern sich langfristig Wettbewerbsvorteile und tragen gleichzeitig zur Bewältigung globaler Herausforderungen wie Klimawandel, Fachkräftemangel und Lieferkettenprobleme bei.

Ein wichtiger Aspekt der Resilienz ist allerdings auch die Fähigkeit, neue Chancen zu erkennen und wahrzunehmen. Die jüngsten politischen Entwicklungen – von verschärften Regulierungen bis hin zu geopolitischen Unsicherheiten – können Unternehmen dazu bewegen, ihre Produktions­strategien zu überdenken. So kann die Verlagerung oder Ausweitung von Produktionskapazitäten ins Ausland eine Möglichkeit sein, neue Märkte zu erschließen, Lieferketten zu stabilisieren und von wirtschaftlich günstigeren Bedingungen zu profitieren. Dies unterstreicht, dass Resilienz nicht nur auf das Aushalten von Krisen abzielt, sondern auch darauf, aktiv neue Potenziale zu nutzen und Chancen für nachhaltiges Wachstum zu erschließen.

Der Artikel geht auf einen Vortrag auf den Oberflächentagen 2024 zurück.

  • Ausgabe: Januar
  • Jahr: 2025
  • Autoren: Edgar Kaufmann, Frank Benner, Norbert Kaufmann und Sigrid Frey
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