Nachhaltigkeit lohnt sich (meist) – Green Electronics 2025

Moderiert wurde das Technologieforum von Sabrina Nickel

Das Thema Nachhaltigkeit in der Elektronikbranche prägte auch die zweite Auflage des Technologieforums Green Electronics. Spezialisten für Nachhaltigkeit aus Wissenschaft und Wirtschaft zeigten in einer Serie von Vorträgen die verschiedenen Facetten des wirtschaftlichen Nachhaltigkeitsmanagements auf.

Organisiert wurde die Veranstaltung von den Firmen kolb Cleaning Technology, MTM Ruhrzinn, Stannol und STEGO. Die offizielle Begrüßung und Eröffnung der Veranstaltung im Gebäude der ehemaligen Seifenfabrik Dr. Thompson's in Düsseldorf erfolgte durch die aus den Medien bekannte Moderatorin Sabrina Nickel.

Nachhaltigkeit als normativ-ethisches Konzept

Prof. Dr. Rüdiger HahnProf. Dr. Rüdiger HahnBereits die Keynote von Prof. Dr. Rüdiger Hahn, Heinrich-Heine-Universität Düsseldorf, mit dem Titel ‚Erfolgsfaktor Nachhaltigkeitsmanagement - (Wann) lohnt sich Nachhaltigkeit auch einzelwirtschaftlich?' machte deutlich, dass Nachhaltigkeit und Wirtschaftlichkeit eng miteinander verknüpft sind. Global-gesamtwirtschaftlich sind, wie verschiedene von ihm zitierte Studien zeigen, die Folgen ziemlich eindeutig, wie z. B.:

  • 1.056 $ soziale Kosten pro Tonne CO2
  • BIP wäre heute um 37 % höher, wenn zwischen 1960 und 2019 keine Erderwärmung stattgefunden hätte bzw. 52 % BIP-Verlust 2100 im Vergleich zu 2024 bei ungebremsten Klimawandel
  • Rückgang von Biodiversität und Ökosystemen kostet bis 2030 jährlich 2,3 % des globalen BIP (2,7 Mrd. $)
  • 19 % Einkommensrückgang von 2024 bis 2050 im Vergleich zu Situation ohne Klimaauswirkungen
  • Schäden schon kurzfristig sechsmal höher als die zur Erreichung des 2 °C-Ziels notwendigen Ausgaben

Zudem ist ein positiver Zusammenhang von Nachhaltigkeit und Unternehmensperformance vielfach empirisch belegt. Nachhaltigkeitsrisiken können schnell zu konkreten Geschäftsrisiken werden. Nachhaltigkeitsmanagement kann direkten und indirekten Einfluss auf Umsätze und Kosten sowie die Mitarbeiterzufriedenheit haben, wie mehrere Metaanalysen empirischer Studien belegen. Denn es steckt mehr Erfolgsfaktor im Nachhaltigkeitsmanagement als oft angenommen. Nicht alles lässt sich rechnen. Umfassende Kosten-Nutzen-Rechnungen sind eine große Herausforderung. Und dabei stellt sich die Frage: Wie groß muss der Nutzen sein, damit Nachhaltigkeitsmaßnahmen in gewinnmaximierenden Unternehmen umgesetzt werden? Prof. Dr. Rüdiger Hahn schloss seinen Beitrag mit der Aussage, dass Nachhaltigkeit ein normativ-ethisches Konzept und nicht per se ein Mittel zur Gewinnmaximierung ist.

Johannes RöckJohannes RöckWie Siemens mit Digitalisierungstechnologie die Nachhaltigkeit erhöht, erläuterte Johannes Röck, Siemens, ausgehend vom digitalen Zwilling. Eine Anwendung, mit der u. a. sehr viel Papier eingespart werden kann, ist das digitale Typenschild. Mit dem Scannen des Datamatrix-Codes auf einem Produkt wird dieses identifiziert und es öffnet sich der ID-Link, über den man mittels Browser die zum Produkt gehörenden Daten abrufen kann. Mit dem ‚Simatic Energy Management' können Nachhaltigkeit und Energieeffizienz von der Maschine bzw. Feldebene bis hin zum gesamten Unternehmen bewertet werden. Dies schafft Transparenz und unterstützt die Analyse der Daten und Planung von Maßnahmen zur Maschinen- und Lastoptimierung. Beispielsweise kann damit eine Reduzierung des Standby-Energieverbrauchs einer Maschine um 64% erreicht werden. Johannes Röck hat abschließend zum Besuch des ‚The Impulse & The Impact Digitalisierungs-Centers' und der Elektronikfertigung in Amberg eingeladen, um dies live zu sehen.

Es gilt, Verantwortung zu übernehmen

Prof. Dr. Markus Glück, Hochschule Aalen, referierte über das Engineering für eine lebenswerte Welt. Derzeit erleben wir einen dramatischen Rückgang beim Ingenieurnachwuchs an den Hochschulen. Die Zahl der Erstsemester-Studenten ist im 10-Jahres-Vergleich um 13% gesunken. Wie kann man die jungen Leute für einen Ingenieurberuf motivieren? Umweltschutz und Klimawandel stehen nur noch an Position 5 des aktuellen Interesses der jungen Generation. Obwohl 2024 das wärmste Jahr seit Messbeginn war, ist kein Aufschrei erfolgt. Und die Emissionen nehmen weiter zu. IT und KI haben einen enormen Einfluss. Deshalb ist Gestaltung gefragt. Eine lebenswerte Welt muss heute aktiv und sinnvoll gestaltet werden. Es gilt, Verantwortung zu übernehmen für Materialauswahl, Recycling und Kreislaufwirtschaft sowie für den sozialen Ausgleich in der Welt. Nachhaltiges Leben wird durch Werte und verantwortungsvollen Technikeinsatz möglich, d. h. durch sinnstiftendes Engineering. Dies ist die Mission von Lehre und Forschung. Prof. Dr. Markus Glück hat die Umsetzung in die Praxis am Beispiel grüner Robotik mit Circular System Design verdeutlicht.

Einen interessanten Aspekt beleuchtete Kilian Schweiger, Verband deutscher Metallhändler & Recycler (VDM), in seinem Beitrag ‚Das große Interesse an der Kontrolle von Stoffströmen aufgrund ihrer wirtschaftlichen Bedeutung' über die Kreislaufwirtschaft als Powerplay um Rohstoffe anhand dreier Beispiele. Früher gab es ein gut funktionierendes Sammelnetz der Sinti und Roma, mit dem v. a. Altmetalle und -textilien vor Ort erfasst und zu den Verwertern geliefert wurden. Die generell für die Abfallsammlung verantwortlichen Kommunen forderten trotzdem die Einführung von Wertstofftonnen, um so qua Gesetz Zugriff auf diese Rohstoffe zu bekommen, was zu einer Wettbewerbsverzerrung führte. Auch die Industrie möchte die Stoffströme unter ihrer Kontrolle behalten, wozu je nach Situation die Narrative wertvoller Rohstoff, gefährlicher Abfall oder Kritikalität benutzt werden. Das Patent ‚Verfahren zur Herstellung von Schrottprodukten mit hohem Reinheitsgrad aus inhomogenem Inputmaterial' hat viele Einsprüche nach sich gezogen, weil damit der gesamte Aufbereitungsprozess patentiert wurde. Zudem könnte das Patent zur Norm werden, was den Druck auf die Branche weiter erhöhen würde. Marktbegleiter müssten Patentgebühren zahlen oder ihr Material zum Patentbesitzer liefern.

Prof. Dr. Markus GlückProf. Dr. Markus Glück

Kilian SchweigerKilian Schweiger

Dr. Mareike HaaßDr. Mareike Haaß

Nachhaltigere Produktionsprozesse

Über den Stand der Nachhaltigkeit in der EMS-Branche informierte Dr. Mareike Haaß, in4ma. Daten von 672 EMS-Unternehmen aus dem DACH-Raum und 635 Webseiten sowie Rückmeldungen zur Jahresstatistik 2025 wurden ausgewertet. Die Ergebnisse der Auswertungen wurden in Form von Diagrammen präsentiert und können folgendermaßen zusammengefasst werden:

  • Rund ein Drittel der EMS-Unternehmen im DACH-Raum beschäftigt sich sichtbar mit Nachhaltigkeit und Umweltfragen, wobei die Unternehmensgröße dabei nicht ausschlaggebend ist. Oft hängt es von der Einstellung der Geschäftsleitung oder des Inhabers ab.
  • Umweltmaßnahmen werden vor allem dann umgesetzt, wenn sie wirtschaftlich sinnvoll sind.
  • Konkrete Zahlen werden selten genannt, meist bleibt man vage.
  • In Zukunft wird eine umfassendere Dokumentation und Kommunikation unvermeidlich sein, denn die Corporate Sustainability Reporting Directive (CSRD) sowie die Stakeholder verlangen dies. Zudem ist Nachhaltigkeit ein Jobfaktor.
  • Nachhaltigere Produktionsprozesse sind nötig, dazu gehören Energieeffizienz, Ressourcenschonung durch recycelbare Materialien, Abfallreduzierung, Miniaturisierung, Langlebigkeit und Reparierbarkeit sowie Recycling/Kreislaufwirtschaft und nachhaltige Lieferketten.

Dr. Mareike Haaß stellte zudem gut gelungene Webseiten von Unternehmen und Lösungsansätze für die Dokumentation vor.

Über grünere Elektronik aus Deutschland – das Kompetenzzentrum Green ICT @ FMD informierte Dr. Nils Nissen, Fraunhofer IZM, Berlin. Letzteres unterstützt Unternehmen dabei, ihre IKT-Produkte ressourcenschonender zu gestalten und schafft eine solide Datenbasis zur Quantifizierung und Minimierung ökologischer Auswirkungen zukünftiger IKT-Entwicklungen. Der steigende Energiebedarf von IKT bleibt wesentlicher Treiber der Umweltlast. Die Entwicklung des Carbon Footprints der IKT in Deutschland im Zeitraum 2013 – 2033 wurde gezeigt, wobei drei Szenarien für den Energiemix angewendet wurden. Am Beispiel Leiterplattenwurde verdeutlicht, dass es aufgrund der Bestandteile keine grüne Leiterplatte gibt und sich die Umweltforderungen nur schwer umsetzen lassen. Dr. Nils Nissen ging auf die Herausforderungen ein, wobei er diese gruppierte (Material-, Klimaanforderungen usw.) und dazu Öko- bzw. Klimabilanzbeispiele für einige typische Produkte präsentierte. Die Verantwortung liegt in deren vorgelagerten Lieferketten. So trägt die Halbleiterherstellung wesentlich zur Umweltlast bei.

Dr. Nils NissenDr. Nils Nissen

Dr. Nils Nissen ging auf die Zielsetzung und die Angebote des vom BMBF geförderten Kompetenzzentrums Green ICT @ FMD ein, das eine Erweiterung der Forschungsfabrik Mikroelektronik Deutschland FMD für die deutsche Industrie und die deutsche IKT-Forschung ist. Dann erläuterte er die Vor- und Nachteile der Elektronikproduktion in Deutschland, u. a.:

  • Regelungsdichte, Energiekosten und Personalkosten bleiben hoch.
  • Stärken sind der Trend beim Energiemix, Lieferkettenstabilitäten, politischer Wille zu technologischer Souveränität. Sie ermöglichen Neubewertungen im innovativen Produktbereich.
  • Umweltaspekte sind nicht immer eine Belastung für die Industrie.

Fokussierung und Priorisierung erfolgen hinsichtlich:

  • Klimawirkung/Klimaneutralität
  • Kreislaufwirtschaft/Circular Economy mittels Repair, ReUse, Refurbish sowie Materialrecycling
  • konkreter kritischer Chemikalien
  • Unternehmensebene z. B. CSR
  • Resilienz und Standort

Mit Blick auf Leiterplatten, Komponenten und Fertigung in Deutschland zog er als Fazit:

  • Daten werden im Betrieb und mit der Lieferkette ermittelt wegen Reportingpflichten sowie zwecks Effizienzpotenzialen und Zukunftsaufstellung.
  • Substanziell ‚grüne' Technologien sind eher Nischenanwendungen, die es weiterzuentwickeln, anzubieten und anzupassen gilt.
  • Auch bei geringem Beitrag zur Gesamtbewertung sind Detailverbesserungen einzelner Komponenten und Materialien wichtig.
  • Produktionsrückverlagerung oder neue regionale Ketten, bei denen Kommunikationsoverheads, Knowhow-Schutz sowie flexible, effiziente Fertigung und Umweltkennzahlen zusammen kommen.

Im letzten Vortrag gab Michael Schmidt, Deutsche Rohstoffagentur (DERA) in der Bundesanstalt für Geowissenschaften und Rohstoffe, einen Überblick über die Rohstoffe für die Energiewende mit Ausblick bis 2030. Die DERA führt ein Rohstoffmonitoring zur Steigerung der Markttransparenz für eine nachhaltige und sichere Rohstoffversorgung durch. Dabei werden auch die für die Energiewende (Windenergie, Photovoltaik) benötigten Rohstoffe betrachtet. Die Pro-Kopf-Metallbedarfe wachsen, wobei die Energiewende aktuell nur ein schwacher Treiber ist. Eine hohe Angebotskonzentration stellt die Rohstoffbeschaffung vor Herausforderungen. Zudem gibt es eine hohe Importabhängigkeit Deutschlands und der EU bei vielen Rohstoffen und Komponenten. Michael Schmidt informierte über die erwarteten Bedarfe und die Zulieferländer von kritischen Rohstoffen sowie die Situation in der PV-Industrie (kaum mehr in der EU) und in der Windindustrie (Herausforderungen u. a. durch lange Genehmigungsprozesse). Das Nachhaltigkeitsszenario der IEA bis 2030 scheint realisierbar.

  • Titelbild: Moderiert wurde das Technologieforum von Sabrina Nickel
  • Ausgabe: April
  • Jahr: 2025
  • Autoren: Gustl Keller
  • Link: https://green-electronics.net/
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