Brief aus England

Abb. 1: Der neue Quantencomputerchip (Foto: Oxford Ionics)
  • Titelbild: Abb. 1: Der neue Quantencomputerchip (Foto: Oxford Ionics)

Quantencomputer

Eine der Aufgaben von Autoren der Zeitschrift Galvanotechnik ist es, die Leser über die neuesten Fortschritte der Technologie zu informieren. Fortschritte gibt es viele – aber es gibt zwei Technologien, die versprechen, unsere Welt wirklich zu verändern. Dabei handelt es sich um die Kernfusion, mit der kostengünstiger Strom ohne radioaktiven Atommüll erzeugt werden kann, und um Quantenrechner, die um Größenordnungen leistungsfähiger sind als unsere heutigen Computer. Bei der Kernfusion werden gute Fortschritte erzielt – in vielleicht fünf Jahren könnten wir eine Anlage sehen, die beträchtliche Mengen an Strom erzeugt. Bei der Quanteninformatik gab es vor einigen Wochen einen großen Durchbruch.

Oxford Ionics (www.oxionics.com) hat erklärt, dass sein neuester Chip in Massenproduktion hergestellt werden kann und dass der erste brauchbare Quantencomputer der Welt in drei Jahren gebaut werden könnte. Die neue Technologie ermöglicht es, sehr komplexe Berechnungen extrem schnell durchzuführen und Probleme zu lösen, die für normale Computer zu schwierig sind. Nach Angaben von Oxford Ionics steckt hinter dem Durchbruch die Technologie „trapped ions“ zu dt. gefangene Ionen, mit der die erforderliche Leistung erbracht werden kann. Einige Probleme, für deren Lösung ein herkömmlicher Computer (mit sogen. binärer Logik) Jahre braucht, könnten – so die Experten – mit einem Quantencomputer, der „Qubits“ anstelle von binärer (1 oder 0) Logik verwendet, in wenigen Minuten gelöst werden. Der neue Chip des in Kidlington ansässigen Unternehmens (Abbildung 1) soll in der Lage sein, diese gefangenen Ionen zu kontrollieren – mit einer mehr als doppelt so hohen Leistung wie bei früheren Versuchen. Nach Angaben des Unternehmens deuten die Ergebnisse darauf hin, dass „der Beginn der nutzbaren Quanteninformatik viel näher ist als bisher angenommen“.

Ein neues Beschichtungsmaterial

Juli und August sind die Monate, in denen einige von uns ans Meer fahren. Und am Strand sehen wir oft Seegras. Seit Hunderten von Jahren haben sich die Menschen gefragt, ob sie dafür eine Verwendung finden können. Einige Landwirte haben Seetang als Düngemittel auf ihren Feldern ausgebracht. Doch der hohe Salzgehalt mahnt zur Vorsicht. Jetzt haben Wissenschaftler der Universität Bath im Vereinigten Königreich eine neue Beschichtung auf der Grundlage von Meeresalgen entwickelt. Zu diesem Zweck haben sie ein Unternehmen namens Kelpi gegründet. (www.kelpi.net). Ausgehend von Meeresalgen haben sie ein Biopolymer entwickelt, das als Lebensmittelverpackung verwendet werden kann. Das neue Material wird durch die Extraktion von Kohlenhydraten aus der Meeresalge hergestellt, um ein Biopolymer zu bilden, das sich nach der Verwendung im Gegensatz zu den meisten Kunststoffen wie PET leicht zersetzt. Abbildung 2 zeigt frische Mangofrüchte, die in einem großen britischen Supermarkt verkauft werden und in einer Kelpi-Schale verpackt sind.

Abb. 2: Das aus Meeresalgen gewonnene Biopolymer Kelpi ist in britischen Supermärkten zu sehen (Foto: Kelpi)Abb. 2: Das aus Meeresalgen gewonnene Biopolymer Kelpi ist in britischen Supermärkten zu sehen (Foto: Kelpi)

Kelpi ist nicht das einzige Unternehmen in diesem Bereich. Ein weiteres ist Notpla (www.notpla.com), dessen Produkte unter dem Handelsnamen „Ocho“ verkauft werden. Sie arbeiten eng mit einem führenden deutschen Hersteller von Lebensmittelmaschinen, der Handtmann GmbH in Biberach, zusammen, deren Maschinen u. a. zur Herstellung von Wurstwaren eingesetzt werden.

Im Februar dieses Jahres sicherte sich Kelpi einen zweiten Vertrag mit dem französischen Konzern L'Oréal. Sowohl Notpla als auch Kelpi verfügen über zahlreiche Patente, etwa das mit der Nummer US2020/0047927 A1 „Method of Encapsulating Liquid Products“. Ich bin sicher, dass es weitere Unternehmen in diesem Bereich geben wird – und dass Biopolymere Teil unseres Alltags werden.

Lithiumbatterien – gute und schlechte Nachrichten

Die Gründung einer Lithiumbatteriefabrik ist nicht immer eine Garantie für finanziellen Erfolg, wie die letzten Monate gezeigt haben. Der schwedische Batterieriese Northvolt überdenkt seine Pläne für neue Anlagen, wie sie in Deutschland, Kanada und Schweden geplant sind. Northvolt musste einen Rückschlag hinnehmen, als BMW kürzlich einen 2-Milliarden-Euro-Vertrag kündigte. BMW beschloss stattdessen, den Auftrag an Samsung SDI in Südkorea zu vergeben. Das Land ist ein führender Hersteller von Lithiumbatterien. Die Pläne für eine zweite Northvolt-Anlage in Borlange (Schweden) liegen ebenfalls auf Eis. Die jüngsten Finanzzahlen von Northvolt zeigen einen Umsatz von 128 Millionen US-Dollar und einen Verlust vor Steuern von 1,2 Milliarden US-Dollar.

Abb. 3: Ende Juni brannte eine Batteriefabrik in Südkorea aus, es kamen 22 Menschen ums Leben. In dem Werk wurden Lithiumbatterien gefertigt. Wegen der starken Reaktion von Lithium mit Wasser wurde mit Sand gelöscht (Foto: Screenshot NTV-Beitrag vom 26. 6. 2024)Abb. 3: Ende Juni brannte eine Batteriefabrik in Südkorea aus, es kamen 22 Menschen ums Leben. In dem Werk wurden Lithiumbatterien gefertigt. Wegen der starken Reaktion von Lithium mit Wasser wurde mit Sand gelöscht (Foto: Screenshot NTV-Beitrag vom 26. 6. 2024)

Schlimmer als diese massiven Verluste ist jedoch ein katastrophaler Brand, der vor Kurzem in einer südkoreanischen Batteriefabrik gewütet hat (Abbildung 3). Das Feuer wurde durch die Explosion mehrerer Lithiumbatterien ausgelöst. Dabei sind mindestens 22 Menschen ums Leben gekommen. Der Brand brach in der Aricell-Fabrik in der Stadt Hwaseong, etwa 45 km südlich der Hauptstadt Seoul, aus. Lokale Fernsehbilder zeigten große Rauchwolken und kleine Explosionen, als Feuerwehrleute versuchten, das Feuer zu löschen. 18 chinesische, ein laotischer und zwei südkoreanische Arbeiter sind unter den Toten. Von den 100 Personen, die zum Zeitpunkt des Brandausbruchs arbeiteten, wurden acht weitere verletzt, zwei davon schwer. In der Aricell-Fabrik befanden sich schätzungsweise 35.000 Batteriezellen im zweiten Stock, wo die Batterien geprüft und verpackt wurden, und weitere an anderen Orten. Das Feuer brach aus, als eine Reihe von Batteriezellen explodierte, wobei noch unklar ist, was die ersten Explosionen auslöste. Da ein Lithiumbrand stark auf Wasser reagiert, mussten die Feuerwehrleute trockenen Sand einsetzen, um den Brand zu löschen, der erst nach mehreren Stunden unter Kontrolle gebracht werden konnte. Normalerweise lassen sich aus solchen Ereignissen Lehren ziehen – aber in diesem Fall bleibt es ein Rätsel, wie und warum diese Batteriezellen explodierten. Was die Technologie betrifft, gibt es jedoch bessere Nachrichten.

Es gibt einen weltweiten Wettlauf um die Entwicklung schneller aufladbarer Batterien, die leistungsfähiger, leichter und haltbarer sind. Letztes Jahr verkündete Toyota, dass ein technischer Durchbruch die Entwicklung einer Festkörperbatterie ermöglichen würde, die nur zehn Minuten Ladezeit braucht und 1200 km lang hält. Und ein kompaktes Ladegerät, das vom US-Start-up-Unternehmen Gravity entwickelt wurde, kann die Reichweite eines Elektrofahrzeugs in weniger als 13 Minuten um 200 Meilen erhöhen.

Dr. Edward Brightman, Dozent für Chemieingenieurwesen an der Universität Strathclyde, erklärte jedoch, dass Schnellladungen zwar für lange Fahrten nützlich seien, das eigentliche Hindernis für die Einführung von Elektrofahrzeugen jedoch in der Infrastruktur liege.

„Elektroautos sind wirklich nicht mehr durch die Batterien begrenzt“, sagte er. „Wir müssen dringend das Stromnetz aufrüsten und Schnellladegeräte einsetzen, die in der Lage sind, die Ladung an die Batterie zu liefern.“

Bessere Batterien

Aber auf der technischen Seite gibt es bessere Nachrichten. Aus verschiedenen Quellen kommen Berichte über bessere Batterien mit längerer Lebensdauer und schnellerer Aufladung. Einem kleinen Unternehmen, Nyobolt (www.nyobolt.com), ist es gelungen, eine Lithium-Batterie in vier Minuten und 37 Sekunden von 10 auf 80 % aufzuladen. Der Sportwagen, in den die Nyobolt-Batterie eingebaut war – und der vor Kurzem zwei Tage lang getestet wurde – erreichte nach dieser Ladezeit eine Reichweite von 180 km.

Zum Vergleich: Ein Tesla Pkw, der mit seinem „Supercharger“ auf 80 % aufgeladen wird, hat nach 15-20 Minuten Ladezeit eine Reichweite von bis zu 300 km. Wir wissen wenig über die neue Nyobolt-Batterie, aber es gibt mindestens zwei Patente, die sie beschreiben – WO2021074406A1 – Elektrodenzusammensetzung (veröffentlicht 2021) sowie US 20230071080 A1, veröffentlicht am 9. März 2023 unter dem gleichen Titel.

Nyobolt zufolge beabsichtigt das Unternehmen nicht, seine eigenen Fahrzeuge zu produzieren, und plant, mit bestehenden Automarken zusammenzuarbeiten, wobei die Batterie möglicherweise innerhalb eines Jahres in Elektroautos „in kleinem Maßstab“ eingebaut werden könnte.Die leistungsstarken 350-kW-­Gleichstrom-Superschnellladegeräte, die Nyobolt benötigt, sind in Großbritannien zwar öffentlich verfügbar, aber noch nicht weit verbreitet. Das Unternehmen behauptet auch, dass es die Degradation minimiert hat – es sagt, dass die Batterie nach 4.000 Zyklen immer noch zu 80 % geladen ist. Zum Vergleich: Apple gibt an, dass die Batterie des iPhone 15 nach 1.000 Zyklen noch zu 80 % aufladbar ist. Wir wissen nicht viel mehr über die Technologie dieses neuen Akkus, aber das Unternehmen hat ein Bild veröffentlicht, das wir hier wiedergeben (Abbildung 4). Nyobolt ist auch in Deutschland aktiv.

Abb. 4: Bild der neuen Nyobolt-Batterie in-situ (Foto: Nyobolt)Abb. 4: Bild der neuen Nyobolt-Batterie in-situ (Foto: Nyobolt)

Nyobolt ist bei Weitem nicht das einzige Unternehmen, das fortschrittliche Lithium-Batterien entwickelt. Toyota, das eine neue Generation von Festkörper-Lithium-Batterien entwickelt, hat erklärt, dass seine Batterien bis 2027 eine Reichweite von 1100 km bei einer Ladezeit von nur 10 Minuten bieten. Zu gegebener Zeit sollen noch bessere Batterien mit einer Reichweite von 1400 km auf den Markt kommen. Toyota hat erklärt, dass es ein „neues Material“ entdeckt hat - ansonsten gibt es aber keine weiteren Details.

Diese Entwicklungen werfen mehrere Fragen auf. Sollten wir als Verbraucher vielleicht noch 3 bis 4 Jahre warten, bevor wir ein Elektroauto kaufen? Und dann gibt es noch eine weitere Frage. Das Aufladen in nur 10 Minuten klingt nach einer wunderbaren Idee. Aber was halten wir von den sehr großen Strömen, die dabei fließen? Das Aufladen einer typischen Elektroauto-Batterie erfordert ca. 50 KWh. Wenn wir das in einer Stunde schaffen, ist das ein 50 kW-Strom. In 10 Minuten sind dafür 50 x 6, also 300 KW erforderlich – eine gewaltige Strommenge. Und wenn eine solche Schnellladung weniger effizient ist als eine langsamere Ladung – was man erwarten würde – wäre der Strom sogar noch höher. Noch nie wurde von uns – der Öffentlichkeit – verlangt, dass wir mit so hohen Strömen umgehen. Was halten wir davon?

Ein relativ neues Unternehmen, Gravity Technologies (www.gravity­technologies.com), bietet Batterie­ladegeräte mit einer Leistung von500 kW an, die an der Wand montiert werden und kaum größer sind als ein großes Buch. Die an die Batterie des Elektroautos angeschlossenen Kabel sind flüssigkeitsgekühlt und für einen kontinuierlichen Stromfluss von 500 A ausgelegt. Das Unternehmen bietet weitere Geräte zur Analyse und Optimierung von Lade­strategien an. Ich bin mir sicher, dass kein normaler deutscher oder englischer Haushalt in der Lage ist, einen so hohen Strombedarf zu decken. Wikipedia enthält übrigens einen nützlichen Abschnitt, der die Geschichte der Entwicklung und der Vorschriften für das Laden von Fahrzeugen beschreibt.

https://en.wikipedia.org/wiki/Combined_Charging_System

Früher oder später, wenn die Preise für Batterien sinken, werden wir – als Galvanotechniker – darüber nachdenken können, ob wir mit preiswertem Nachtstrom geladene Batterien für unsere Betriebe nutzen, die tagsüber für die Produktion Energie liefern.

Unsere Welt verändert sich, aber, wie ich finde, auf gute Weise!

  • Ausgabe: August
  • Jahr: 2024
  • Autoren: Dr. Anselm T. Kuhn
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