Korrosionskunst: die Schönheit des Verfalls

Korrodierte Rohleitungen, überwucherte Förderstrecken: Dieses alte Stahlwerk im Landschaftspark Nord in Duisburg übt als Industriedenkmal große Faszination aus
  • Titelbild: Foto: stock.adobe.com/Alice_D

Korrosion in der Kunst ist seit einiger Zeit en vogue. Rostskulpturen zieren städtische Plätze, auf Kunstmärkten und in vielen Läden finden sich unterschied-lichste Kunstwerke mit der typischen rostroten, unebenen Oberfläche. Die Geschichte dieser Kunstform ist alt, der breite Trend aber noch jung – und hat voraussichtlich etwas mit dem rasanten Wandel unserer Welt zu tun.

Das Industriezeitalter begann Ende des 18. Jahrhunderts und wird allmählich vom Digitalzeitalter abgelöst. Geprägt war und ist es von den bemerkenswerten Errungenschaften menschlicher Schaffenskraft, die wir häufig mit Maschinen, Anlagen, großen Industriekomplexen, Auto-mobilen, riesigen stählernen Ozeanriesen, aber auch gewaltigen Bauwerken, wie dem Eifelturm oder den aus Stahlbeton errichteten Wolkenkratzern in New York, Shanghai oder Dubai verbinden. Sie haben eine große Gemeinsamkeit – Metalle, meist Stahl und Eisen, sind ihre wesentlichen Werkstoffe. Und so sehr sie den Betrachter mit ihren Funktionen, ihrem glänzenden Aussehen, ihrer vermeintlichen Unverwüstlichkeit auch zum Staunen bringen – sie sind der Vergänglichkeit ausgesetzt, wie alles auf der Erde. Dafür sorgt vor allem ein für den Oberflächenbeschichter bestens bekannter chemischer Prozess: die Korrosion. Schäden in Höhe von 150 Mrd. Euro soll Korrosion in Deutschland Jahr für Jahr hervorrufen. Wenn wir überlegen, dass der Bundeshaushalt 476 Mrd. Euro im Jahr 2024 umfasst, ist das eine gewaltige Summe. Damit die Schäden im Rahmen gehalten werden können, ist die Galvano- und Oberflächentechnik im Laufe des Industriezeitalters immer wichtiger und ausgefeilter geworden.

Eduardo Chillidas Rost-Anker vor dem Bundeskanzleramt soll die Wiedervereinigung im atmosphärischen Dialog zwischen Ding und Wetter ganz ohne „stählernes Geschichtspathos“ symbolisieren und zum Nachdenken anregen

Korrosion im Wandel der Zeit

In der Vergangenheit galt der Rost als Feind und Schreckgespenst. Redewendung wie „wer rastet, der rostet“ zeugen von dieser Zeit. Den Bogen zwischen Mensch und Maschine beim Thema Rost spannte unter anderem der Naturheilkundige Sebastian Kneipp, der im 19. Jahrhundert schrieb, Mensch und Werkzeug seien gleichsam rostgefährdet. Und auch Goethe schrieb schon 1785 an den Herzog Karl August, dass seine Rostflecken hartnäckiger Einsamkeit dadurch abgeschliffen worden seien, dass er unter Menschen gegangen sei. Rost war lange nur eins: Schädling, Entwerter, Fortschrittsbremse. Etwas differenzierter wurde die Sicht auf Korrosion in Deutschland in den 1960er- und 70er-Jahren mit dem Strukturwandel, als Stahlwerke, Eisengießereien, Gruben und Zechen geschlossen wurden. Der Künstler Richard Serra hatte 1977 mit seiner Skultur „Terminal“ – vier aufrecht stehenden korrodierten Stahlplatten – auf der Dokumenta 6 in Kassel ein Werk präsentiert, das die Stadt Bochum erwarb und vor dem Hauptbahnhof aufstellte. Damals kam es zu Bürgerprotesten sowie einer hitzigen Rede des Politikers Kurt Biedenkopf, der forderte den „Schandfleck“ zu entfernen. Die Menschen haderten mit der Darstellung von Rost als Kunst, sahen in ihr vielleicht eine Entwürdigung der jahrzehntelangen Arbeit von Gruben-, Zechen- und Stahlarbeiter. Auch vom „Todesstoß gegen das Schöne“ war die Rede. Die Proteste ebbten ab – die Skulptur blieb und allmählich änderte sich auch die Sicht auf Kunst mit korrodierter Oberfläche.

Richard Serras „Terminal“ vor dem Bochumer Bahnhof. Die Aufstellung der Skulptur führte zu BürgerprotestenRichard Serras „Terminal“ vor dem Bochumer Bahnhof. Die Aufstellung der Skulptur führte zu Bürgerprotesten

 

Skulptur Froschkönig 2.0 des Künstlers Gerd Krämer aus Bamberg

Korrosion ist authentisch und zeitlos

Heute ist im Zusammenhang mit solchen Kunstwerken von Authentizität die Rede. Kunst soll auch zeigen können, dass sie altert, eine Geschichte hat. Besonders eindrucksvoll und durchaus gut besucht sind die vielen Industriedenkmäler des Ruhrgebiets, etwa die riesigen Industrieanlagen im Landschaftspark Nord in Duisburg. Hier wird nicht mehr gewartet und instandgesetzt, stattdessen pilgern Tausende Menschen Monat für Monat unter riesigen Rohr- und Förderanlagen hindurch, an denen ganz offen der Zahn der Zeit nagt. Es geht vorbei am Möllerbunker, der über und über mit der typischen rostroten Schicht bedeckt ist, dem Eisen (III)-hydroxidoxid mit seiner chemischen Formel Fe (OH)3. Stahl und Eisen reagieren mit dem in Wasser enthaltenen Sauerstoff und oxidieren. Vielleicht ist die Faszination auch dadurch zu erklären, dass die zunehmend digitaler werdende Welt besonders schnell und auch sehr vergänglich und kurzlebig ist. Bilder und Informationen kommen und gehen. Eben noch rele­evante Themen und Eindrücke vergehen schnell und werden rasant von Neuem abgelöst. Korrodiertes Metall hat in passender Umgebung und Form dagegen etwas Beständiges, Beruhigendes, Entschleunigendes.

Dekorative Wandelemente aus sogenantem Cortenstahl (Handelsbezeichnung Cor-Ten-Stahl) mit detaillierten Szenen aus der Tierwelt, eingebettet in einen modern gestalteten HinterhofDekorative Wandelemente aus sogenantem Cortenstahl (Handelsbezeichnung Cor-Ten-Stahl) mit detaillierten Szenen aus der Tierwelt, eingebettet in einen modern gestalteten Hinterhof

Künstler greifen Vintage- und Retrotrend auf

Ein weiterer Trend trägt zur Beliebheit des Rosts bei: der Vintage- und Retrotrend. Etliche Maler und Innenarchitekten nutzen Rost als Stilelement. Auf dem Boesner-Kunstportal (www.boesner.com) können sich Künstler und andere Interessierte umfassend über die Schaffung von Korrosions- und Patinaeffekten aller Art informieren, es werden Metallgrundierungen und Oxidationslösungen vorgestellt, damit die Kunstwerke schnell den gewünschten Look bekommen. Die künstliche Alterung in rostrot ist dabei nicht nur für Metall zu haben. Auch Papier, Pappe, Holz, Glas, Beton, Stein oder Textilien erhalten so einen Retrolook. Und in der Architektur und Skulpturistik gibt es sogar eine eigene Stahlsorte, den sogenannten Cor-Ten-Stahl, der ganz bewusst eine Rostschicht als Sperrschicht gegen weitere Korrosion hat und vielfältige Verwendung bei Brücken, Häuserfassaden und eben in der Kunst bei Skulpturen und Denkmälern findet.

Rostskulptur vor der Innenstadt von Bamberg. Der Trend, den Korrosionslook im Straßenbild einzusetzen ist ungebrochen   Rostskulptur vor der Innenstadt von Bamberg. Der Trend, den Korrosionslook im Straßenbild einzusetzen ist ungebrochen

Korrosionsschutz und Korrosionskunst

Der Oberflächenbeschichter versucht alles, um Korrosion zu vermeiden. Wenn Korrosion bewusst als Designelement in Kunst und Architektur eingesetzt wird, dürfte das nicht jedem Galvaniseur oder Feuerverzinker gefallen. Erste Ansätze einer solchen Optik sind allerdings schon deutlich älter als der neuerliche Trend. Korrosion diente auf Kirchendächern schon seit Jahrhunderten nicht nur als natürlicher Schutz, sondern auch als Stilelement. Gleiches gilt für Bronzestatuen und Kupferkunstwerke, wo die Patinabildung bewusst eingesetzt wurde und wird.Kombination aus rostroter Fassade und herkömmlicher architektonischer Bauweise bei einem Geschäftsgebäude in DüsseldorfKombination aus rostroter Fassade und herkömmlicher architektonischer Bauweise bei einem Geschäftsgebäude in Düsseldorf

Unsere moderne Welt wird auf Korrosionsschutz niemals verzichten können, schließlich geht es dabei nicht nur um Optik, sondern auch um das Bewahren der Funktionalität und Langlebigkeit von Technik für unseren Energiehunger, unsere Mobilität, Kommunikation, funktionsfähige Werkzeuge und vieles mehr. Korrodiertes Metall in der Kunst macht den Blick frei für die wahre Natur metallischer Oberflächen. Für den Galvaniseur zeigt sich die Korrosion damit als Freund und Feind zugleich und lässt den Rost in einem anderen Licht erscheinen, im Schatten Zerstörung und Entstellung, im Hellen künstlerische Ästhetik und Authentizität – wo Licht ist, ist eben auch Schatten!

Rostkunst in verschiedener DarstellungRostkunst in verschiedener Darstellung

Rostkunst in verschiedener DarstellungRostkunst in verschiedener Darstellung

  • Ausgabe: Juni
  • Jahr: 2024
  • Autoren: Robert Piterek, B.C.
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