Galvaniken setzen Trommeln für die Beschichtung von Schrauben und metallischem Schüttgut ein. Bedeutender europäischer Anbieter für die bewährte Technologie ist Progalvano aus Mailand. Das Familienunternehmen hat sich neu erfunden und 2021 einen neuen Hauptsitz mit hochmoderner Produktion eröffnet. Beim Event „Open House“ wurde das jetzt mit Kunden und Zulieferern gefeiert.
Anfang Mai ist das Wetter in Norditalien schon sommerlich: der Himmel ist strahlend blau, das Sonnenlicht gleißend. Das quirlige Leben in der Metropole Mailand hat sich längst von Drinnen nach Draußen verlagert – und auch die Touristen strömen zahlreich in die Stadt und zu den vielen Sehenswürdigkeiten. Im Fokus der Reisenden aus aller Welt steht vor allem der prächtige Duomo im Zentrum mit seinen hochaufragenden Zinnen, auf denen Steinfiguren auf die geschichtsträchtige Stadt und ihre Skyline hinabblicken.
Nicht nur Kultur und Geschichte wird hier großgeschrieben. Mailand ist auch das Modezentrum zwischen Alpen und Amalfi-Küste und der industrielle Hotspot des Landes, das weiterhin u. a. für seinen Auto- und Maschinenbau bekannt ist. Hier in Norditalien fand auch viel Technikgeschichte statt: Luigi Galvani etwa, der mit seinen Beobachtungen und Forschungen dem später entwickelten Fertigungsverfahren Galvanotechnik den Boden bereitete, stammt aus dem 200 Kilometer entfernten Bologna. In Mailand erinnert die Via Luigi Galvani an den großen Arzt, Anatom und Naturforscher.
Europäischer Hidden Champion
Ähnlich wie in Deutschland bestimmen häufig noch Familienunternehmen die wirtschaftliche Entwicklung in Italien. So auch bei Progalvano. Das Unternehmen produziert mehr Trommeln für Galvaniken als alle Hersteller von Trommeln in Deutschland zusammen – ein europäischer Hidden Champion, dessen Produkte zur wirtschaftlichen Beschichtung von z. B. metallischem Schüttgut aus der Galvanotechnik nicht wegzudenken sind. Jetzt, Anfang Mai, hat das Unternehmen der beiden Eignerfamilien Cuzzolin und Premru zum Open House anlässlich der Eröffnung der neuen Hauptzentrale mit angeschlossener Produktion in einem Gewerbegebiet am Rand von Mailand eingeladen. Feierlichkeiten und eine Besichtigung der Fertigung stehen an.
Progalvano - das Unternehmen produziert mehr Trommeln für Galvaniken als alle Hersteller von Trommeln in Deutschland zusammen
Bereits der Vorabend war von italienischer Gastfreundschaft geprägt: Bei einem 3-Gänge-Menü, zu dem eine vorzügliche Pasta und eisgekühlter Prosecco gehörten, wurde der aus dem Ausland angereiste Teil der insgesamt rund 100 Gäste vom Technischen Produktionsleiter Matteo Cuzzolin und der deutschsprechenden Vertrieblerin Alessandra empfangen. Matteo gab gestenreich Einblick in die Geschäfte und strategischen Aktivitäten des 55 Jahre alten Betriebs mit seinen 35 Mitarbeitern, die rund 8 Millionen Euro Umsatz jährlich erwirtschaften. Zwischendurch klingelte das Telefon: Schwester Francesca, Sales & Marketing-Leiterin, meldete sich aus dem rund 30 Kilometer entfernten Saronno, wo sie auf Matteos kleine Tochter aufpasste. Arbeitsteilung auf Italienisch – ein hiesiges Familienunternehmen wie es leibt und lebt.
Feier mit Kunden und Lieferanten
Das brandneue langgezogene Geschäftsgebäude von Progalvano präsentiert sich am nächsten Tag in makellosem Ziegelrot. Unter zahlreichen Pavillons stehen frisch gedeckte Tische und Stühle, im Hintergrund bereiten Caterer ein Buffet mit regionalen Spezialitäten vor: Parmigiano, Fritto Misto, Parma-Schinken, viel Obst und Backwaren, an anderer Stelle Wein- und Aperolflaschen vor weißgekleideten Barkeepern. Vor der Eingangstüre flattern die europäische, italienische und koreanische Flagge an Fahnenmasten. Letztere hängt hier wegen der Minderheitsbeteiligung eines koreanischen Unternehmers. Auf der Gästeliste stehen viele italienische Lieferanten und Kunden, aber u. a. auch Vertreter des deutschen Gießereianlagenspezialisten Fikara und Schlötter Svenska.
Weitere Expansion geplant
Vor dem Ansturm auf die Köstlichkeiten sieht das Programm zunächst die Besichtigung der Fertigung vor. 5000 Quadratmeter umfasst der neue Firmensitz mit Produktion. Francesca Cuzzolin, die Tochter von Firmengründer Ferdinando Cuzzolin, ist hier in ihrem Element. Im Vertriebsbüro macht sie vor einer großen Weltkarte halt. Der größte Teil der Länder ist von den Mailänder Unternehmern bereits erschlossen: Größere weiße Flecken finden sich nur noch in Afrika sowie im Nahen und Mittleren Osten. Vereinbarungen über künftige Lieferanten in Asien wurden kürzlich getroffen, zudem soll das Engagement in den USA verstärkt und der Nahe und Mittlere Osten in den Blick genommen werden, kündigt Francesca Cuzzolin an und lobt die Arbeit des Vertriebs mit Alessandra für die DACH-Region und Chiara Brambilla, die u. a. Chinesisch spricht, für China und Fernost. Immerhin neun Sprachen beherrscht das kleine Vertriebsteam, zu dem auch Exportmanager Luka Premru gehört. Premrus kürzlich gestorbener Vater war leidenschaftlicher Leser der Galvanotechnik. Alle Ausgaben seit den 1980er-Jahren soll er in seinem Büro gesammelt haben, verrät Francesca Cuzzolin am Rande der Führung.
Hochautomatisierte Fertigung
Ein Global Player mit 35 Mitarbeitern, geht das überhaupt? Ein Teil der Antwort erschließt sich beim Blick über die Schultern der beiden Produktdesigner, die an Doppelbildschirmen Trommeln simulieren und CNC-Fertigungsprogramme schreiben. Customizing, nennt Matteo Cuzzolin diesen bedeutenden Produktionsschritt, bei dem die Trommeln virtuell etwa für die Fertigung von Schrauben für Brillengestelle oder spezielle Anwendungen im Luftfahrtbereich angepasst werden. Der zweite Teil der Antwort findet sich beim Abschreiten der Fertigungsstrecke, die vom Lager in mehreren Produktionsschritten bis zur Montage führt und von Regalen mit Baumaterialien gesäumt wird. An den zahlreichen CNC-Fräsen in der Halle wird die CNC-Programmierung automatisch in die Tat umgesetzt. Sie bringen Kunststoffscheiben aus Polypropylen in Form. An anderer Stelle wird in automatisierten Anlagen geschweißt, per Laser geschnitten oder im Kunststoffspritzguss Plastikgranulat zu Kunststoffbauteilen vergossen. Insgesamt 33 Schritte sind bis zum fertigen Produkt erforderlich, Produktmarkierungen an den Trommeln zur Nachverfolgung inklusive. Es ist eine hochautomatisierte vernetzte Fertigung, der sich hinter den Mauern des Betriebs an der Viale Lombardia verbirgt.
Real-Time-Kontrolle möglich
Vor in Reih und Glied angeordneten, fast mannshohen Trommeln setzt nun Matteo zu einer Rede an: 3000 Trommeln seien im letzten Jahr hergestellt worden. Bei einem sehr eiligen Auftrag sei es gelungen die Lieferzeit von üblicherweise 5–6 Monaten auf nur 8–10 Wochen zu verringern. Er hebt das Qualitätsmanagement und die Präzision der Trommeln hervor, dann geht es weiter zur Montage, wo an Werkbänken die Einzelteile noch größtenteils händisch zum fertigen Produkt zusammengesetzt werden. In den einzelnen Segmenten der Trommeln sind die Kontakte für die Stromführung zu sehen, während Werker Schrauben anziehen. Und auch über den Datenbedarf für die Digitalisierung von Galvaniken haben sich die Experten bei Progalvano Gedanken gemacht. Im Zentrum des Montagebereichs steht eine spezielle Trommelanlage. Sie ist mit einer Automatisierung ausgestattet, die eine „Real-Time-Kontrolle“ der Beschichtung erlaubt. „Sie wissen jeden Augenblick, was in der Trommel passiert“, erklärt Matteo. Der Stromeinsatz ist jederzeit im Blick: Angezeigt werden etwa, wieviel Ampere für das Galvanisieren oder auch das Erhitzen eingesetzt werden.
Reach out, touch faith
Unter den Pavillions hat bei der Rückkehr zum Festbereich schon die Musik eingesetzt und die Gäste strömen zum Buffet und zu den Getränkeständen. Eine dreiköpfige Band spielt Coversongs. Personal Jesus und Strange Love von Depeche Mode sind darunter, die Songzeile „Reach out – touch faith“ erfüllt die schwere heiße Luft vor der Progalvano-Hauptzentrale. Nach ihrem Vater und Matteo tritt Francesca Cuzzolin schließlich ans Rednerpult: „Wir wollen das Wachstum der Firma und den neuen Hauptsitz mit erweiterter Produktion feiern, unterstreicht sie noch einmal den Anlass für die gemeinsame Feier. Im späteren Interview (lesen Sie mehr auf S. 958) wird sie sich mit dem allseits bekannten Slogan „Think locally, act globally“ noch zur lokal verwurzelten Produktion mit globalem Anspruch bekennen und trotz gemischter wirtschaftspolitischer Vorzeichen angesichts von Krisen und Kriegen positives Denken in den Vordergrund stellen.
„Think locally, act globally“
Fotos: Progalvano