Ulmer Gespräch 2024 im Zeichen der Nachhaltigkeit Das Expertenforum in Ulm lässt keinen Zweifel offen: Eine Vielzahl von Forschungsprojekten in der Galvano- und Oberflächentechik beschäftigt sich derzeit mit Wasserstoff, Batterien, Speichern und Anwendungen in der E-Mobilität. Damit ist die Innovationskraft der Branche eng mit der Transformation der Industrie verwoben. Auch ein Überraschungsgast gab sich in Ulm die Ehre – Prof. Nasser Kanani verlieh den nach ihm benannten Preis in diesem Jahr selbst.
"Das Ulmer Gespräch fand 43 Mal in Neu-Ulm statt und nur zweimal in Ulm“, rechnete Dr. Klaus Wojczykowski, Veranstaltungsleiter und Leiter des DGO-Fachausschusses Forschung, den Teilnehmerinnen und Teilnehmern zum Auftakt der Veranstaltung vor. Der Grund für das Zahlenspiel war einfach: Der seltene Fall war eingetreten – in diesem Jahr tagten die rund 70 Branchenvertreter aus Forschung, Anwendung und Zulieferindustrie auf der Ulmer Donauseite im Stadthaus direkt neben dem Ulmer Münster. Unter dem Motto „Oberflächentechnik und Nachhaltigkeit“ wurden dort am 15. und 16. Mai 15 Vorträge zu Wasserstoffwirtschaft, Batterietechnik und zu neuen Speicher- und Schichtlösungen präsentiert. Für das Networking und ausgedehnte Fachgespräche gehörte, wie in den Vorjahren, ein gemeinsamer abendlicher Besuch der Brauerei Barfüßer in der Ulmer Innenstadt zum Programm.
Dr. Wojczykowski stellte Nachhaltigkeit in seiner einführenden Rede als Gegenwarts- und Zukunftsthema dar, das Impulse für die Branche bereithält. Die Entwicklung von Gesellschaft und Industrie in Richtung Nachhaltigkeit vollziehe sich jedoch nicht einheitlich, wie die Widersprüchlichkeit der aktuellen Lage bei der E-Mobilität zeige, in der die Anmeldezahlen seit Anfang des Jahres rückläufig sind. „Man weiß nicht, wohin es geht“; konstatierte Dr. Wojczykowski, der neben seinem Verbandsengagement Direktor IP Management bei MacDermidEnthone ist.
Patricia Preikschat erhält DGO-Plakette
Dann folgte die diesjährige Verleihung der DGO-Plakette durch den DGO-Vorsitzenden Dr. Martin Metzner an Patricia Preikschat (Interview mit ihr auf S. 844), Mitbegründerin der Firma SurTec und heute Geschäftsführerin der Firma Presch Matters in der Schweiz. Die Gründung von Surtec im Jahr 1993 liegt über 30 Jahre zurück. Die Firma ist inzwischen international für ihre Spezialchemie mit nachhaltigen Produkten, wie z. B. Chrom(III), bekannt. Neben ihrer Berufslaufbahn hat Preikschat auch eine lange Vereinskarriere beim DGO hinter sich. Zwischen 2006 und 2009 war sie Vorsitzende des Vorstands. „Der Arbeitskreis Wasserstoffversprödung ist von ihrem Engagement geprägt“, betonte Dr. Metzner. Ihrer Initiative sei es auch zu verdanken, dass es heute eine Weiterbildung Wasserstoffversprödung für Praktiker gebe. Dadurch, so Dr. Metzner in seiner Laudatio, habe Patricia Preikschat dazu beigetragen, dass heute eine gefahrlose Behandlung von Bauteilen möglich sei. Patricia Preikschaft nahm die Plakette dankbar entgegen. Sie habe gute Erinnerungen an das Ulmer Gespräch mit guten Vorträgen, klugen und kontroversen Diskussionen sowie schönen Begegnungen und freue sich sehr über die Auszeichnung.
Nasser-Kanani-Preis für Forschungen zum Korrosionsschutz
Der ebenfalls während des Ulmer Gesprächs verliehene Nasser-Kanani-Preis hielt dieses Jahr eine besondere Überraschung bereit, da er in Anwesenheit des Preisstifters Prof. Dr.-Ing. Nasser Kanani verliehen wurde (Interview mit ihm auf S. 782). Prof. Kanani bekräftigte in einer kurzen Rede, dass die Ingenieur- und Naturwissenschaften wichtig für den allgemeinen Wohlstand seien. Aus diesem Grund seien auch Wissenschaftspreise wichtig, die die Forschung voranbrächten. Prof. Kanani hat lange an der TU Berlin gelehrt und zahlreiche Bücher zur Galvanotechnik und Technikgeschichte verfasst – viele davon im Leuze Verlag. In diesem Jahr ging der Preis zu gleichen Teilen an zwei Wissenschaftler, die sich damit auch das Preisgeld von 3000 Euro teilten: An Frank Simchen von der TU Chemnitz für seine Forschungen zu Schichten für den Korrosionsschutz von Magnesium und an Dr. René Böttcher von Airbus Defense & Space für seine Forschungen zur elektrochemischen Abscheidung von Aluminium aus ionischen Flüssigkeiten. Mit dem scherzhaften Zitat „Magnesium ist der Werkstoff der Zukunft und wird es auch immer bleiben“, leitete Frank Simchen sein Thema ein. Magnesium sei ein sehr korrosionsanfälliger Werkstoff, bei dem es bislang noch an wirksamen protektiven Korrosionsschutzschichten fehle, so der Chemnitzer Wissenschaftler. Er wies nach, dass auf Magnesium mittels Mg(OH)2 eine Passivierungsschicht wie auf Aluminium realisiert werden kann. Simchen arbeitet bei seinen Forschungen mit dem Gleichrichterexperten plating electronic aus Sexau im Schwarzwald zusammen. Auch Dr. Böttcher ging im Anschluss auf das Thema Korrosionsschutz ein und führte aus, dass sich beim Kathodischen Korrosionsschutz heute Aluminium durchgesetzt und Kadmium abgelöst habe. Doch inwieweit sind galvanische Aluminiumlegierungen aus Ionischen Flüssigkeiten in der Lage unter atmosphärischen Bedingungen einen wirksamen kathodischen Korrosionsschutz zu gewährleisten? Dr. Böttcher wies anhand von Forschungsergebnissen nach, dass Aluminium-Zink-Systeme hier die besten Ergebnisse zeigen.
Oberflächentechnik für die Wasserstoffwirtschaft
Das Kernprogramm begann mit einem Vortrag von Prof. Dr. Thomas von Unwerth von der Technischen Universität Chemnitz über die Rolle von Wasserstoff als nachhaltigem Energieträger. Er warnte davor, dass die Treibhauserwärmung bis zur Jahrhundertwende lokal zu einer Temperaturerhöhung von bis zu 10 °C führen könnte. Anschließend führte er aus, dass Wasserstoff erheblich zur Erreichung der Klimaziele beitragen und die Abhängigkeit von fossilen Brennstoffen verringern könnte, während die Wirtschaftsfähigkeit zugleich erhalten bleibt. Die Potenziale von Wasserstoff erstrecken sich von der Erzeugung über die Speicherung und den Transport bis hin zu vielfältigen Anwendungen.
Dr. Mila Manolova vom fem Forschungsinstitut Edelmetalle + Metallchemie in Schwäbisch Gmünd stellte anschließend die galvanische Herstellung von hochaktiven Nichtedelmetall-Elektroden für die alkalische Membran-Elektrolyse (N-AEMEL) vor. Dabei wurden edelmetallfreie Katalysatoren auf porösen Substraten elektrochemisch abgeschieden und in industrierelevanten Bedingungen getestet. Die Ergebnisse zeigten eine hohe Aktivität und Stabilität der Katalysatoren.
Dr. Tomas Klicpera, Schaeffler Technologies AG & Co. KG, präsentierte die Elektrolyseur-Technologie für industrielle Anwendungen, insbesondere Anion Exchange Membrane Water Electrolysis (AEMWE) und Proton Exchange Membrane Water Electrolysis (PEMWE). Er betonte die Wichtigkeit der Anpassung der Elektrolyse-Anlagen an Lastprofile, die durch die schwankende Verfügbarkeit emissionsfreier Energiequellen entstehen. Die Diskussion konzentrierte sich auf die Beständigkeit der Leistung und die Minimierung der Gaspermeation von Wasserstoff.
Oberflächen für Batterien und Brennstoffzellen
Nach der Kaffeepause folgte unter der Moderation von Prof. Dr. Andreas Bund ein Vortrag von Prof. Dr. Timo Sörgel von der Hochschule Aalen. Er berichtete über den aktuellen Stand der Kompositgalvanoformung von Batteriekathoden, wobei Aluminium als Bindematrix verwendet wurde, um leistungsfähigere Batterien zu entwickeln. Ein Recycling-Konzept gibt es auch: Die Kathode kann später als Anode wiederverwendet werden. Um hochleistungsfähige Elektroden zu entwickeln, gebe es inzwischen eine Kräftebündelung mit der TU Ilmenau, berichtete Prof. Sörgel.
Dr. Mathias Weiser vom Fraunhofer-Institut für Keramische Technologien und Systeme IKTS in Dresden stellte neuartige Elektrodenmaterialien durch elektrolytische Oxidation galvanisch abgeschiedener Zinnschichten vor. Diese nanoporösen leitfähigen Zinnoxidschichten können als Anodenmaterial für Lithium-Ionen-Batterien verwendet werden.
Neue Energiespeicher
Moderiert von Prof. Dr. Timo Sörgel begann der nächste Tag mit einem Vortrag von Dr. Andreas Dietz vom Fraunhofer Institut für Schicht- und Oberflächentechnik IST in Braunschweig. Er sprach über die Energiegewinnung ohne fossile Brennstoffe durch die Verbrennung von Eisen, und betonte die Möglichkeit, Eisenoxid durch elektrochemische Verfahren wieder zu metallischem Eisen umzuwandeln. Dr. Dietz ist Experte für Elektrochemie und Oberflächentechnik und arbeitet intensiv im Bereich der Raumfahrt. Sein Forschungsschwerpunkt liegt auf der Entwicklung neuer Konzepte zur Sicherung der Energieversorgung durch Ressourcen auf dem Mond. In diesem Zusammenhang ist auch Eisen wichtig.
Christoph Kiesl vom fem Forschungsinstitut Edelmetalle + Metallchemie in Schwäbisch Gmünd präsentierte im Anschluss die galvanische Herstellung von Calcium-Batterie-Anoden als vielversprechende Alternative zu Lithium-Batterien, um die Speicherkapazität und Nachhaltigkeit zu erhöhen.
Mit neuen Speichertechnologien beschäftigt sich Dr. Martin Opitz vom fem Forschungsinstitut Edelmetalle + Metallchemie. Er gab einen Überblick über aktuelle Entwicklungen im Bereich der Redox-Flow-Batterien, insbesondere Nickel-Zink-Doppelfluss-Batterien, die sich als stationäre Energiespeicher eignen.
Prof. Dr. Philipp Adelhelm von der Humboldt-Universität in Berlin diskutierte in der Folge die Potenziale und Herausforderungen von Natrium-Ionen-Batterien als Alternative zu Lithium-Ionen-Batterien und skizzierte ihre Marktchancen. Vorteile sind insbesonders die Verfügbarkeit und der Preis.
Oberflächentechnik unterstützt Nachhaltigkeit
Mit Dr. Klaus Wojczykowski als Moderator, startete Prof. Dr. Andreas Bund von der Technischen Universität Ilmenau den letzten Vortragsblock. Er präsentierte die elektrochemische Reduktion von Kohlendioxid zur Herstellung nachhaltiger Brennstoffe und stellte experimentelle Ergebnisse mit porösen Kupferelektroden vor.
Im folgenden Vortrag von Dr. Isabell Buresch von TE Connectivity Germany GmbH ging es um die Verwendung von Silber-Dispersionsschichten für Steckverbinder in der E-Mobilität, die hohe Vibrations- und Temperaturstabilität sowie zahlreiche Steckzyklen ermöglichen.
Konkreten Bezug zur Galvanoindustrie hatte der Vortrag von Franz Rieger, Geschäftsführer der Rieger Metallveredlung GmbH & Co KG in Steinheim am Albuch. Rieger beleuchtete den Kostenaspekt der Nachhaltigkeit und den Return on Investment (ROI) bei der Implementierung grüner Maßnahmen in einem deutschen Lohngalvanik-Unternehmen im Rahmen des EU-„Green Deal“.
Den Schlusspunkt setzte Lionel Thiery von MacDermid Enthone Industrial Solutions, der einen Vortrag über Nachhaltigkeit in der Oberflächenveredelung hielt. Er hob die Bedeutung von Umweltschutz und Effizienzsteigerung in der Produktentwicklung hervor und präsentierte Technologien, die diese Ziele erfolgreich kombinieren.
Fotos: Robert Piterek