Nachhaltige Klebtechnik mittels Atmosphärendruckplasma

Gruppenbild der Teilnehmerinnen und Teilnehmer des 47. ak-adp-Workshops in Jena (Foto: Innovent e.V.)
  • Titelbild: Gruppenbild der Teilnehmerinnen und Teilnehmer des 47. ak-adp-Workshops in Jena (Foto: Innovent e.V.)

Der nun schon zur Tradition gewordene November-Workshop des Anwenderkreises Atmosphärendruckplasma (ak-adp) zu Fragen der Haftungsoptimierung mit atmosphärischen Plasmen fand im traditionsreichen, neu sanierten Volkshaus im thüringischen Jena statt. Veranstalter war Innovent e.V. in Zusammenarbeit mit der Krüss GmbH, der sika Deutschland GmbH, der Sura Instruments GmbH und der Tigres GmbH.

Haftungsoptimierung ist in vielen Industriezweigen ein ständig wiederkehrendes Thema und Qualitätskriterium. Hier können Plasmen, energetisch angeregte Gase, schnell, kosten- und umweltfreundlich helfen. Die Oberflächen­funktionalisierung mit Atmosphärendruck-Plasma durch Feinstreinigung, Aktivierung oder Nanobeschichtung kann chemische und Vakuum-Prozesse ersetzen bzw. auch völlig neue Funktionalitäten und Materialkombinationen ermöglichen. Damit sind atmosphärische Plasmen ein innovativer Weg zu mehr ökologischer Nachhaltigkeit, Qualitätssicherung und Steigerung der Wirtschaftlichkeit von Produktionsprozessen. Im Rahmen des Workshops lag ein aktuell besonders relevanter Fokus der diskutierten Plasmaanwendungen auf dem Nachhaltigkeitsaspekt, der von vielen Kunden angefragt wird.

Thematische Schwerpunkte der Vorträge lagen u. a. auf effizienter Bauteilreinigung, Haftmechanismen, konkreten Oberflächen-Vorbehandlungen für verschiedene Materialien und Anwendungen inkl. Verbundwerkstoffen und Rezyklaten sowie neuen Methoden zur Messung des Haftungsvermögens. Eine Abendveranstaltung und der etablierte Stammtisch waren ebenfalls Teil des Workshops. Vor dem Start des Programmes bestand am 13. November die Möglichkeit zur Laborbesichtigung bei Innovent e.V. Technologieentwicklung.

Der Workshop wurde von Kerstin Horn von Innovent eröffnet und moderiert. Nachfolgend finden Sie kurze Berichte über ausgewählte Vorträge aus den verschiedenen Themenblöcken.

Haftung als Voraussetzung für Funktionalität

„Umweltschonende und effiziente Bauteilreinigung mit Atmosphärendruckplasma“ war Thema des Vortrags von Thomas Stehrer, Fronius International GmbH, Thalheim, Österreich. Er informierte über die partielle Bauteilreinigung mit heiß-aktivem Plasma (HAP). Der Acerios Plasmabrenner liefert eine Plasmaleistung von bis zu 4 kW bei einem Arbeitsabstand von 5 bis 25 mm. Bei der Automatisierung unterscheidet man zwischen bauteilgeführten Systemen (der Plasmabrenner ist fixiert) und brennergeführten Systemen (der Plasmabrenner wird bewegt, das Bauteil ist fixiert). Das System kann direkt in die Produktionslinie integriert werden. Fluoreszenzanalyse wurde zum Nachweis organischer Verunreinigungen genutzt. Oberflächen­analysen mit XPS und Haftungsprüfungen (Zug/Scher) konnten die Überlegenheit der HAP Plasmareinigung gegenüber anderen Verfahren zeigen. Oxidschichten auf Aluminium werden durch HAP nicht entfernt.

Potenziale zur Verbesserung der Nachhaltigkeit liegen bei der vorgestellten Technologie in der gezielt partiellen Bauteilreinigung und im Ersatz chemischer Reinigungsverfah­ren.

Funktionelle Oberflächen müssen entweder gute Haftung (z. B. zum Verkleben, Lackieren) oder schlechte Haftung (z. B. Entformung oder Nichthaftung von Verunreinigungen) aufweisen. In seinem Beitrag „Haftungsvermögen messen mit dem Krafttensiometer“ stellte Daniel Frese, Krüss GmbH, Hamburg verschiedene Methoden zur Adhäsionsmessung vor. Krafttensiometer bieten einen leicht anzuwendenden, direkten Ansatz, Adhäsionseigenschaften zu untersuchen. Sie können praktisch auch „Kräfte jenseits der Gecko-Füße erfassen“. Ein Tensiometer besteht aus einer präzise verfahrbaren Probenbühne sowie einem hochauflösenden Kraftsensor, wobei eine extra Kamera die synchrone Aufnahme von Kraft- und Bilddaten ermöglicht. Kernstück eines Kraft-Tensiometers ist eine hochpräzise Federwaage zur Kraftmessung. Gekoppelt mit verschiedenen Probekörpern (z. B. Bügel, Ring, Platte) können jeweils die Gewichts- bzw. Kraftänderungen (N) als Funktion der Zeit (s) messtechnisch erfasst werden. Zusätzlich sind auch Messwerte zugänglich, die sonst nur schwer messbar sind. An mehreren Beispielen konnte Frese das vielfältige Anwendungspotenzial der Methode aufzeigen (u. a. selbstreinigende Antihaft-Beschichtungen für Holz, Sandstrahlen zur Haftungsverbesserung, Haftung von Hotmelt auf Papier, Haftung von Polymeren).

Anwendungen für verschiedene Materialkombinationen

Martin Schollerer vom Institut für Systemleichtbau des DLR in Braunschweig präsentierte mit seinem Vortrag zur „Anwendung von AD-Plasma bei lokal oberflächenzähmodifizierten Klebverbindungen für die Luftfahrt“ einen Anwendungsfall mit sehr hohen Ansprüchen. Hier sind weder Kohäsions- noch Adhäsionsbrüche zulässig. Aktuelle Systementwicklungen favorisieren den Einsatz von duktilen Materialien in den Kernzonen der Haftungsbeanspruchung inkl. Plasmavorbehandlung zur Gewährleistung optimaler Funktionssicherheit der verklebten Bauteile.

Zum Thema „Haftungsverbesserung von Deckschichten auf harzreichen Hölzern durch die Verwendung funktioneller Plasmaschichten“ informierte Andreas Pfuch von Innovent. Mittels atmosphärischer Plasmatechnik können wesentliche Eigenschaften von Holzoberflächen angepasst werden. Neben der Einstellung der Benetzbarkeit betrifft dies insbesondere auch die Haftung von nachfolgend aufgebrachten Lacken oder Lasuren, z. B. für die Bereitstellung antimikrobiell wirkender Holzoberflächen. Für die Plasmabeschichtung eignen sich sowohl Jetplasmen als auch Corona-Entladungen. Als Precursor können neben HMDSO auch APTES oder GLYMO verwendet werden. Corona-Entladungen ermöglichen das relativ unkomplizierte Aufbringen von flächigen Haftvermittlerschichten auf Kiefernkernholz, Douglasie und Lärche. Dadurch wird eine signifikante Haftungssteigerung nachfolgend aufgebrachter Deckschichten erreicht. Besonders die Steigerung der Lackhaftung bei Vorhandensein von Feuchtigkeit ist hervorzuheben.

„Haftung von Silikonen auf Metallen und Kunststoffen - ein lösbares Problem“ war Thema des Beitrags von Norbert Eckardt, Sura Instruments GmbH, Jena. Er stellte das Pyrosil-Verfahren vor, eine Silikatisierung von Oberflächen durch Beflammung mit einem siliziumhaltigen Gasgemisch. Die erzeugten Schichten bieten unter anderem einen exzellenten Haftgrund, erhöhen die Oberflächenenergie, bieten hydrophile und Barriereeigenschaften gegen Alkaliionen und Gase. Die Oberflächenmodifizierung durch Flammen-/Pyrosilbehandlung ermöglicht auch eine gute Haftung von z. B. RTV1-Silikonen auf Polypropylen. Es sind sowohl punktuelle als auch großflächige Beschichtungen möglich. Anwendungen bestehen u. a. zur Haftungsverbesserung, zum Korrosionsschutz, zu verbesserter Feuchtigkeitsaufnahme und Transmission. Mit dem Pyrosil-Verfahren steht ein alternatives Verfahren zu Primern und Grundierungen zur Verfügung. Die Umweltbilanz ist trotz des Einsatzes von Brenngasflammen für die Mehrzahl von Anwendungen besser als die chemischer Verfahren.

Spezialfall Rezyklate

„Plasmavorbehandlung für nachhaltigere Produktion“ – Peter van Steenacker, Tigres GmbH, Marschacht, betonte zu Beginn seines Vortrags die Notwendigkeit für mehr Nachhaltigkeit in Industrie und beim Konsum. Anschließend informierte er darüber, was Plasma dazu beitragen kann. Zu den Vorteilen zählen u. a. die Minimierung von (VOC) Emissionen, der Einsatz umweltfreundlicher und/oder kostengünstigerer Kunststoffe, die verbesserte Recyclingfähigkeit durch Vermeidung problematischer Stoffe sowie die Verwendung schadstoffreduzierter Klebstoffe, Tinten, Farben, Beschichtungen und Lacke. Bei Tigres stehen je nach Anwendungsfall Plasmadüsen (Plasmajet, APPJ) oder Sprühcorona/Coronajets und dielektrisch behinderte Entladungen (DBE (Corona)) zur Verfügung. Es können sowohl 3D-Körper als auch Folien behandelt werden. Die Anwendungsbereiche einer Plasmabehandlung umfassen Feinstreinigung, Aktivierung, Beschichtung und Entgraten. An mehreren Beispielen konnte der Vortragende zeigen, wie Atmosphärendruckplasmaverfahren dazu beitragen können, durch nachhaltige Prozesse Material, Energie und Kosten zu sparen und auch der Umweltgesetzgebung der EU (Verkleinerung des CO2-Fußabdrucks, REACH u. a.) gerecht zu werden.

Talk zum Thema Haftungsverbesserung contra Recyclingfähigkeit

Ein besonders spannendes Thema ist Haftungsverbesserung im Kontext mit Nachhaltigkeit und insbesondere Recycling-Fähigkeit. „Optimale Haftung und Debonding-On-Demand – Chancen und Potenziale“ – Michael Thomas, Fraunhofer IST, Braunschweig, und Sven Hartwig, TU Braunschweig, gaben einen Überblick über für die Kreislaufwirtschaft (Circular Economy) wichtige Maßnahmen. Die Funktions­oberflächen von Bauteilen und Produkten sollen oft hohe Adhäsion aufweisen, gleichzeitig beim Recyceln aber sortenrein getrennt werden können. Die Vortragenden konnten zeigen, dass „Debonding on Demand“ z. B. über chemisch reaktive Oberflächen, aber auch über Schichten oder Materialien wie spezielle Klebstoffe oder niedrig schmelzende Legierungen möglich ist. Dabei wird eine hohe Sortenreinheit bei der Rückgewinnung aus komplexen Multimaterialbauteilen angestrebt. Beispiele für Debonding-On-Demand-Systeme sind u. a. das Niedrigtemperaturfügen von Kredit- und ID-Karten, von Klebstoffen in der Fahrzeugtechnik oder funktionalisierten Thermoplasten in Batteriesystemen. Dabei muss insbesondere berücksichtigt werden, dass die Trigger für das Debonding-On-Demand nicht zu nah beim Einsatzbereich des Bauteils liegen. Auch die Kostenfrage spielt eine wichtige Rolle. Kreislaufwirtschaft zur Ressourcenschonung muss finanzierbar sein, um von der Industrie akzeptiert und umgesetzt zu werden. Hier muss noch viel Entwicklungsarbeit geleistet werden und atmosphärische Plasmen bieten breites Potenzial für neue Lösungswege.

Tipps:

  • Der 49. ak-adp-Workshop (24.–25.09.2025, Jena) ist der Plasmamedizin gewidmet. Hier diskutieren Naturwissenschaftler und Mediziner plasmaphysikalische Grundlagen sowie aktuelle medizintechnische und humanmedizinische Behandlungs- und Therapiekonzepte.
  • Weiteres Highlight des ak-adp-Jahres 2025 wird der 50. Workshop sein, der vom 12.-13. November in Zwickau im August-Horch-Museum stattfindet. Es werden Automotive & Mobility-Einsatz und Potenzial von AD-Plasmen für OEM- und Zulieferer-Prozesse thematisiert.

 

  • Ausgabe: Mai
  • Jahr: 2025
  • Autoren: Kerstin Horn, Richard Suchentrunk
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