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Donnerstag, 31 August 2023 11:59

Nachhaltigkeit und Digitaler Zwilling – Emissionen und Energiekosten senken

von Sarah Meitz
Geschätzte Lesezeit: 4 - 7 Minuten
Nachhaltigkeit und Digitaler Zwilling – Emissionen und Energiekosten senken Bild: AdobeStock

Viele Industriebetriebe könnten einen großen Teil ihres Wärmebedarfs mit erneuerbaren Energien decken. Doch bisher gab es kaum Tools, um die Systeme so zu designen und zu regeln, dass sie unter den jeweiligen Bedingungen die maximale Emissions- und Kostenersparnis bewirken. Die Forschungsprojekte CORES und Digital Energy Twin liefern nun Modelle, mit denen Betriebe ihre Wärmeversorgung nicht nur umbauen, sondern auch im laufenden Betrieb optimieren können.

Die hohen Strom- und Gaspreise treffen die Industrie hart. Die Hoffnung vieler Betriebe und der Politik richtet sich vor allem auf Wasserstoff und Strom aus erneuerbaren Energien. Doch beides ist bisher knapp. In dieser Diskussion geht oft unter, dass es noch andere Technologien gibt, um Prozesswärme für die Industrie zu erzeugen.

Wärme macht rund drei Viertel des industriellen Energiebedarfs weltweit aus, mehr als die Hälfte davon bei Temperaturen von 250 °C oder weniger. Diese Wärme ließe sich auch mit Solarthermie-Kollektoren, kombinierten thermisch-elektrischen Kollektoren (PVT) und Photovoltaik-Anlagen in Kombination mit Wärmepumpen sowie der Einbindung von Abwärme gewinnen.

Auch Effizienzmaßnahmen, wie die Wärmerückgewinnung, sind längst noch nicht in allen Betrieben ausgeschöpft. Eine Studie des Consulting-Unternehmens ICF kam 2015 zu dem Ergebnis, dass in der Prozesswärme-Versorgung bis zu zehn Prozent Einsparungen mit Effizienzmaßnahmen möglich wären, die sich bereits bei den damals noch sehr niedrigen Energiekosten in weniger als fünf Jahren amortisieren würden.

Projekt ‚CORES' für die Optimierung von Anlagenkonfigurationen

Die beste Anlagenkonfiguration für einen konkreten Anwendungsfall zu finden ist noch immer eine komplexe Aufgabe, die sich mit herkömmlicher Auslegungssoftware nicht zufriedenstellend lösen lässt. Das von AEE INTEC koordinierte Projekt ‚CORES – Integration kombinierter Erneuerbarer Energiesysteme in die Industrie' verfolgte daher einen neuen Ansatz. Die Projektpartner aus Österreich haben gemeinsam digitale Modelle entwickelt und erprobt, um die besten Wärmesysteme für drei konkrete Industriebetriebe zu identifizieren. Zu diesen gehören der Hersteller von Fruchtzubereitungen und Fruchtkonzentraten Agrana Fruit in Gleisdorf, die Käserei Wörle im Salzburger Land und die Fliesenproduktion von Lasselsberger im tschechischen Chlumany. Zentrale Aufgabe war es, die Simulationsmodelle auf eine Handvoll Optimierungsgrößen und Kennzahlen (Key Performance Indikatoren, KPI) zu reduzieren, denn ein überfrachtetes System wird langsam und für den praktischen Einsatz unbrauchbar.

Mit dem ‚CORES‘-Modell von AEE Intec wird simuliert, wie aus Sonnenkollektoren, Wärmepumpe, Abwärme und Speicher ein maßgeschneidertes Energiesystem für einen Industriebetrieb entstehen kannDeutlich zeigte sich in der Simulation, wie stark das optimale System von den Energiepreisen abhängt: Steigt der Gaspreis, ist vor allem die Solarthermie für die günstige Wärmeerzeugung interessant. Sind die Gaskosten hoch, während der Strompreis moderat bleibt, spricht das für den Einsatz einer Wärmepumpe. Und wenn auch der Strompreis in die Höhe geht, bietet es sich an, den Strom für die Wärmepumpe mit einer PV-Anlage zu erzeugen. Bei der Entscheidung für ein Systemdesign bleibt es also nicht aus, Annahmen über die Preisentwicklung zu treffen und sich zu entscheiden, ob minimale Kosten, die Reduktion von Emissionen oder eine stärkere Unabhängigkeit wichtiger sind.

Doch auch nach der Installation kann das System noch in gewissen Grenzen reagieren. Dafür entwickelten die Projektpartner eine Regelstrategie, um in jeder Marktsituation und bei jeder Wetterlage die größtmögliche Menge erneuerbarer Energien zu den geringsten Kosten bereitzustellen.

Das Potenzial für Solarthermie, Wärmepumpen und Abwärmenutzung in der Industrie ist groß: Fast drei Viertel des industriellen Energiebedarfs weltweit macht die Wärme aus, gut die Hälfte davon bei Temperaturen von maximal 250 °C

Digital Energy Twin: Energiemodell mit realen Daten

Einen Schritt weiter geht das noch laufende Projekt ‚Digital Energy Twin (DET)'. Der digitale Energiezwilling dient nicht nur dazu, das Energiekonzept zu planen, sondern wird für längere Zeit im Unternehmen installiert. Basierend auf Daten der Produktion, des Energiemarkts und der Witterung bildet er die aktuelle oder zukünftige Energieversorgung ab. Hinzu kommt, dass der digitale Energiezwilling im Gegensatz zum ‚CORES'-Modell auch die Produktionsprozesse selbst als Variable einbeziehen kann.

Zum Einsatz kommen soll der Energiezwilling als erstes beim Hersteller von High-End-Leiterplatten und IC-Substraten ‚AT&S Austria Technologie & Systemtechnik'. Das Unternehmen plant, digitale Modelle von ausgewählten Produktionsprozessen und virtuelle Realitäten für die Schulung von Mitarbeitenden einzusetzen. Die immersive Darstellung von Energiedaten direkt an der Maschine unterstützt Mitarbeitende dabei im Verständnis für Energieverbräuche und Einsparungspotentiale.

AT&S benötigt Energie für elektrische Antriebe, Kälte- und Wärmebereitstellung. Das Versorgungssystem wurde im Laufe der Jahre immer wieder an den aktuellen Bedarf angepasst. Es umfasst unter anderem zwei Wärmenetze mit unterschiedlichen Temperaturen, eine kaskadische Wärmenutzung sowie die Nutzung der Abwärme aus Kompressoren und Kälteanlagen.

Der österreichische Leiterplattenhersteller AT&S nutzt bereits digitale Modelle seiner Fertigung und Virtuelle Realitäten, um Mitarbeitende zu schulen. Bald soll ein Digitaler Energiezwilling hinzukommen, um Emissionen und Kosten zu senkenUm dieses System mit einem Energiezwilling abzubilden, kombinieren die Forschenden zwei Arten von Modellen. Die Energie-Bereitstellungsanlagen lassen sich gut mit bekannten Gleichungen darstellen, sodass sie in physikalischen Modellen darstellbar sind. Hier baut DET direkt auf die Modelle aus ‚CORES' auf. Das Verhalten von Produktionsanlagen wie Galvanikbäder und Bohrmaschinen sind so hingegen kaum zu beschreiben. Mit maschinellem Lernen haben die Partner deshalb datenbasierte Modelle entwickelt, die diese Prozesse in unterschiedlichen Detailgraden abbilden können. Hier ist allerdings noch weiterer Forschungsbedarf notwendig, um sämtliche Einflussgrößen dieser Prozesse in Abhängigkeit der Produktionssequenz berücksichtigen zu können.

Eine wesentliche Herausforderung des digitalen Energiezwillings stellt die konsistente Verbindung der einzelnen Modelle und deren Anknüpfung an die Produktionsdaten dar. Dies wird über eine Cloud-fähige Datenbank realisiert, welche alle relevanten internen und externen Daten sammelt und den Simulationsmodellen bereitstellt. Auch die Simulationsergebnisse werden dort zentral gespeichert und stehen für weitere Analysen oder Visualisierungen zur Verfügung. Wie schon im Projekt ‚CORES' war auch beim digitalen Energiezwilling die Auswahl wesentlicher KPIs ein zentraler Bestandteil in der Entwicklung, um Datenbanken und Modelle schlank und arbeitsfähig zu halten.

Der Energiezwilling zieht in die Fabrik

Mit der Fertigstellung der Modelle und der Zusammenführung zu einem Simulationstool wird der größte Teil der Entwicklungsarbeit abgeschlossen sein.

Im nächsten Schritt soll der digitale Energiezwilling bei AT&S an das Prozessleitsystem angebunden werden. Dort wird er einzelne Produktionsanlagen und Versorgungssysteme begleiten und helfen, Emissionen und Kosten zu senken. Dabei sollen auch praktische Erfahrungen mit der Handhabung gesammelt werden: Wie können die verschiedenen Abteilungen mit dem digitalen Energiezwilling interagieren? Wie gelingt es, die im Prozess gewonnenen Erkenntnisse in die Modelle zurückzuführen? Und wie gewährleistet man zugleich die bestmögliche Datensicherheit? Am Ende des Projektes soll es auch auf diese Fragen Antworten geben.

Herauskommen soll ein digitaler Energiezwilling, der so weit standardisiert ist, dass er sich mit wenig Aufwand auch auf veränderliche Situationen anpassen lässt. Das ist dringend nötig, denn nur mit zugleich standardisierten und anpassungsfähigen Planungs- und Optimierungsprozessen wird es möglich sein, die Industrie mit der durch Klimawandel und Energiekrise gebotenen Geschwindigkeit auf alternative Energiekonzepte umzustellen.

www.aee-intec.at, ats.net

Sarah Meitz

Sarah Meitz ist Projektmitarbeiterin des Bereichs Industrielle Systeme sowie in der Forschungsgruppe Wasser und Prozesstechnologien bei AEE – Institut für Nachhaltige Technologien (AEE INTEC) und Projektleitern von ‚CORES'. Forschungsschwerpunkte sind die Dekarbonisierung der Industrie sowie Energie- und Ressourceneffizienz.

Carles Ribas Tugores

Carles Ribas Tugores ist Projektmitarbeiter des Bereichs Städte und Netze bei AEE – Institut für Nachhaltige Technologien (AEE INTEC). Forschungsschwerpunkte sind die Modellierung und Optimierung von Energiesystemen.

‚AEE – Institut für Nachhaltige Technologien (AEE INTEC)' wurde 1988 gegründet und forscht auf dem Gebiet erneuerbarer Energie und Ressourceneffizienz. In den drei Zielgruppenbereichen ‚Gebäude', ‚Städte & Netze' und ‚Industrielle Systeme' sowie in den drei technologischen Arbeitsgruppen ‚Erneuerbare Energien', ‚Thermische Speicher' sowie ‚Wasser- und Prozesstechnologien' reicht die Palette der durchgeführten F&E-Projekte von grundlagennahen Forschungsprojekten bis hin zur Umsetzung von Demonstrationsanlagen. Seit 2015 ist AEE INTEC Mitglied von ‚Austrian Cooperative Research (ACR)', einem Netzwerk privater Forschungsinstitute, die für Unternehmen Forschung und Entwicklung betreiben.

Weitere Informationen

  • Ausgabe: 8
  • Jahr: 2023
  • Autoren: Sarah Meitz; Carles Ribas Tugores

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