Eugen G. Leuze Verlag KG
×
 x 

Warenkorb leer.
Warenkorb - Warenkorb leer.
Montag, 17 Juni 2024 13:00

Dynamische Elektrochemie als Möglichkeit der Bauteilnachbearbeitung -Bericht über das 11. Europäische Pulse Plating Seminar in Wie

von
Geschätzte Lesezeit: 5 - 9 Minuten
Prof. Dr. Wolfgang Kautek (Universität Wien) verdeutlichte in seinem Eröffnungsvortrag die Bedeutung elektrochemischer Methoden zur Erreichung der ambitionierten Umweltziele Prof. Dr. Wolfgang Kautek (Universität Wien) verdeutlichte in seinem Eröffnungsvortrag die Bedeutung elektrochemischer Methoden zur Erreichung der ambitionierten Umweltziele Fotos: EGM

Erstmals nach der pandemiebedingten Pause konnte das Europäische Pulse Plating Seminar am 7. und 8. März in seiner angestammten Form in Wien wieder stattfinden. Die Veranstaltung rund um die Forschung und Anwendung gepulster elektrochemischer Oberflächenbearbeitung wurde wie in den vergangenen Jahren gemeinsam mit der Europäischen Akademie für Oberflächentechnik (EAST, Schwäbisch Gmünd) veranstaltet. So war der erste Konferenztag als EAST- Forum thematisch etwas offener. Interessanterweise zeigte sich, dass selbst hier die sogenannte dynamische Elektrochemie in weiten Teilen im Fokus stand. Insgesamt präsentierten 21 Vortragende aus 14 Ländern die Ergebnisse ihrer Forschungsarbeiten.

 

Oberflächentechnik und Green Energy

Vor allem am ersten Tag der Fachtagung standen auch Umweltthemen im Zentrum der Präsentationen und Diskussionen. Was bedeutet die europäische Politik in Richtung „Green Energy“ für die weltweite Energie- und CO2 Bilanz? Sehen wir nur Europa und ignorieren die Auswirkungen in anderen Teilen der Welt? Was kann die elektrochemische Oberflächentechnik dazu beitragen, dass eine Transformation und Neuausrichtung nachhaltig und in der weltweiten Gesamtbilanz sinnvoll stattfindet? Fast die Hälfte der Vorträge widmete sich diesen Themen, mit wesentlichen Beiträgen zu den Aspekten Energiegewinnung, Katalysatoren bei der Herstellung von Biotreibstoffen, Abwasserreinigung und Rohstoffrückgewinnung aus Abfällen. In all diesen wichtigen Themen kann Elektrochemie eine zentrale Rolle spielen, wie auch Prof. Dr. Wolfgang Kautek (Universität Wien) in seinem Eröffnungsvortrag festhielt. Synthetische Kraftstoffe auf Basis von H2 und CO2 (E-Fuels) können insbesondere im Flugzeug-, Schienen- und Fernverkehr eine nachhaltige Lösung des CO2-Problems darstellen. Nicht nur gt 2024 05 237Ein Impulsreferat zum Thema Metallrückgewinnung aus Abfällen wurde von Prof. Dr. Mari Lundström (Aalto University/Finnland) gehalten. thermisch-katalytische Verfahren, sondern auch elektrochemische Technologien werden unverzichtbar werden. Gerade auch unter Ausnutzung der Möglichkeiten der dynamischen Elektrochemie ist es erst möglich, entscheidende Herausforderungen auf diesem Weg zu einer ökologischen Wirtschaft zu meistern. So berichtete Prof. Mari Lundström (Aalto University/FIN) in Ihrem Impulsreferat über den erhöhten Bedarf bestimmter Metalle, um Ziele wie Dekarbonisierung oder rein erneuerbare Energie ohne Verwendung fossiler Brennstoffe erreichen zu können. Metalle werden nicht nur beim Bau von Wind- und Solarkraftwerken sondern zunehmend auch in Energiespeichern und in Batterien elektrisch betriebener Fahrzeuge benötigt. Hier kann die ökologische Gesamtbilanz nur sinnvoll über Wiederverwertung von Metallen (aus Abfall) gewährleistet werden. Galvanische und elektrochemische Prozesse sind für die Recyclingschritte unersetzbar.

 

Erstmals Fokus auf Nachbearbeitung von 3D-Metalldruck

Neben dem Thema Umweltschutz wurde erstmals dem Themenbereich der Nachbearbeitung von 3D-gedruckten Metallteilen durch elektrochemische Prozesse (Post-Processing) ein eigener Vortragsblock gewidmet. Prof. Uta Klement (TU Chalmers, Schweden) berichtete über den Einfluss der Mikrostruktur auf den Materialabtrag während des Hirtisation-Prozesses. Die vorliegende Mikrostruktur eines Materials spielt bei einem elektrochemischen Abtrag eine entscheidende Rolle, wird jedoch oft bei der Betrachtung einer Nachbehandlung im Bereich metallischer 3D-Druck ignoriert. Bei hochkomplexen Geometrien oder bei Teilen mit internen konformen Kühlkanälen, die mit Powder Bed Fusion – Laser Beam (PBF-LB) hergestellt werden, ist der Einsatz konventioneller Nachbearbeitung begrenzt. Hier schafft das u. a. von Selma und Wolfgang Hansal erfundene patentierte Hirtisations-Verfahren als dynamischer elektrochemischer Prozess, bei dem der Elektrolyt leicht sowohl äußere als auch innere Oberflächen erreichen kann, Abhilfe. Die Versuchsserien zeigten gute Ergebnisse sowohl bei der Entfernung von Stützstrukturen als auch bei der Oberflächenverbesserung. In der präsentierten Studie wurde der Einfluss der Mikrostruktur auf die Ergebnisse der elek­trochemischen Bearbeitung mittels PBF-LB hergestellten Oberflächen bestätigt. Diese Erkenntnisse erlauben eine gezielte Abstimmung zwischen den einzelnen Druckparametern und dem elektrochemischen Post-Processing und somit einen gezielten und gleichmäßigen Materialabtrag bei der Nachbehandlung. Dr. Selma Hansal berichtete über die industrielle Relevanz der elektrochemischen Behandlung additiv gefertigter Teile, insbesondere mit komplexen Formen und Strukturen, wie sie beispielsweise in der Luft- und Raumfahrt oder in medizinischen Anwendungen verwendet werden. Hierbei sind es zumeist die feinen, fragilen Strukturen, welche nicht über klassische mechanische Verfahren behandelt werden können. Das gleiche gilt für innenliegende Flächen z. B. in Kanälen und Hohlräumen. Hier erreichen flüssige Medien (Elektrolyte) die ansonsten nicht zugänglichen Oberflächen und ermöglichen im Zusammenspiel mit dynamischer Elektrochemie deren Bearbeitung. Je nach Stromdichte und Potentialfeld kann über geeignetes Pulsen zwischen der Entfernung von Stützstrukturen und dem Polieren der Oberfläche über Änderung des Pulsprofils gewechselt werden Rudolf Mann berichtete im Anschluss als Vertreter der Firma RENA, dem nunmehrigen Eigentümer des Prozesses Hirtisation, über die erfolgreiche Anwendung in der Praxis der industriellen Teilefertigung.

 

Klassische Anwendungen der Galvanotechnik

Selbstverständlich kamen bei der Fachtagung die Anwendungen der dynamischen Elektrochemie in eher klassischen Anwendungen der Galvanotechnik nicht zu kurz. Hier zeigten einmal mehr die beiden auf diesem Gebiet führenden deutschen Universitäten, TU Ilmenau (Arbeitsgruppe Prof. Dr. Andreas Bund) und TU Chemnitz (Arbeitsgruppe Prof. Dr. Thomas Lampke) auf und präsentierten mit jeweils zwei Vorträgen die neuesten Ergebnisse ihrer Forschungsarbeiten. Prof. Dr. Andreas Bund präsentierte seine Arbeiten zur Abscheidung von Aluminium-Nickel Dispersionsschichten. Die galvanische Abscheidung der Aluminiummatrix erfolgte dabei in Chloraluminatschmelzen bei Raumtemperatur. Die resultierenden Al-Ni-Verbundschichten werden als reaktive Schichten bezeichnet, da beim Einbringen einer Aktivierungsenergie (z. B. eines elektrischen Funkens) aufgrund der Bildung einer intermetallischen Al-Ni-Verbindung eine beträchtliche Wärmemenge freigesetzt wird. Mögliche Anwendungen solcher reaktiven Schichten sind Fügeprozesse für elektronische und elektrische Geräte. Aus der gleichen Arbeitsgruppe berichtete Dr. Adriana Ispas über ihre wissenschaftlichen Erkenntnisse bei der elektrochemischen Abscheidung von Eisen-Nickel-Legierungen und dem Einfluss organischer Badzusätze auf diese. Die wichtigsten Zusammenhänge waren einerseits als direkter Einfluss ein Anstieg des Eisengehalts in der Legierung mit zunehmender Citratzugabe zum Elektrolyten und andererseits ein Absinken des Eisengehalts mit zunehmender Stromdichte. Die Oberflächenhärte konnte durch die Zugabe von Saccharin erhöht gt 2024 05 236Prof. Dr. Andreas Bund (TU Ilmenau) berichtete über die Abscheidung von Aluminium-Nickel Dispersionsschichten werden und stand in direktem Zusammenhang mit der Stromdichte und der Temperatur des Elektrolyten. Zum Thema Legierungsabscheidung präsentierte auch Dr. Andreas Richter (fem, Schwäbisch Gmünd) einen wesentlichen Beitrag. Er berichtete über die Ergebnisse seiner Forschungsarbeiten zum Thema Abscheidung ternärer Ag-In-Sn Systeme für TLP-Lötprozesse. Die Vorteile dieses Systems liegen beim niedrigen Schmelzpunkt und den damit verbundenen niedrigen Prozesstemperaturen. Kritisch ist dabei die gezielte Abscheidung intermetallischer Phasen wie Ag3(Sn,In) über die geeignete Wahl der (elektrochemischen) Prozessbedingungen und die richtige Abstimmung der thermischen Nachbearbeitung. Frank Simchen (TU Chemnitz, Deutschland) hielt einen vielbeachteten Vortrag über die Identifizierung parasitärer elektrochemischer Teilprozesse bei der plasmaelektrolytischen Oxidation von Magnesium mittels Transientenanalyse. Plasma­elektrolytische Oxidations (PEO)-Schichten in REACh-konformen Elektrolyten auf Basis von Magnesium- oder AlMgSi-Legierungen können durch die Anwendung von Pulsen gebildet werden. Durch die Aufklärung und das Verständnis der Nebenreaktionen dieser Prozesse können kompakte Oxidschichten erzeugt und somit das industrielle Potenzial von PEO-Beschichtungen voll ausgeschöpft werden.

 

Vorträge der EAST- und P.L. Cavallotti Preisträger

Der diesjährige Gewinner des EAST-Nachwuchspreises, Dr. Peter Nagy (ELTE, Ungarn), präsentierte seine preisgekrönte Arbeit zur Herstellung und Charakterisierung eines galvanisch abgeschiedenen nanokristallinen Co-Fe-Ni-Zn-Legierungsfilms (MPEA) mit einer Dicke von etwa 2,5 μm durch elektrochemische Abscheidung. Diese Schichten wiesen eine nanokristalline Mikrostruktur mit einer Korngröße von etwa 12 nm auf. Die vorherrschende Struktur des Films war dabei kubisch-flächenzentriert (fcc), wobei auch eine gewisse Menge an kubisch-raumzentrierten (bcc) und amorphen Phasen festgestellt wurde. Die Härte solcher Schichten ist im Vergleich zu anderen fcc-MPEA-Schichten überlegen und kann auf die verstärkende Wirkung der feinen Korngröße und das Vorhandensein nanokristalliner bcc- und amorpher Minoritätsphasen zurückgeführt werden. Während das Pulse-Plating-Seminar grundsätzlich eine Plattform zur Förderung der europäischen Aktivitäten auf dem Gebiet der dynamischen Elektrochemie ist, wurde die erste Rede des zweiten Tages von einem besonderen Gast aus den USA gehalten. In seinem Plenarvortrag fasste Dr. E. J. Taylor, Gründer und langjähriger Geschäftsführer der Firma Faraday Technology USA, seine Aktivitäten im Bereich Pulsabscheidung und den Übergang zur dynamischen elektrochemischen Oberflächenbearbeitung zusammen. Die Präsentation umfasste auch erfolgreiche Anwendungen von gepulsten galvanischen Prozessen, die über eine herkömmliche galvanische Abscheidung und Oberflächenveredelung hinausgehen, wie z. B. nanoskalige Elektrokatalysatoren, Recycling von ECM-Abwässern, Galvanoformung, gezielte Abscheidung bleifreier Lote, Nachbearbeitung additiv gefertigter Teile und Oberflächenvorbereitung vor der eigentlichen Beschichtung. Für sein umfangreiches Lebenswerk wurde Dr. Taylor auf der Fachtagung mit dem renommierten P.L. Cavallotti Preis für herausragende Leistungen auf dem Gebiet der Pulsabscheidung geehrt.

Auch der Gründer und Veranstalter dieser Fachtagung, Dr. Wolfgang Hansal, zeigte die Vielseitigkeit und das enorme Potential der dynamischen Elektrochemie anhand zahlreicher industrieller Anwendungen auf. Die Möglichkeiten, (Strom oder Potential) Pulse während eines elektrochemischen Oberflächenprozesses zu ändern, erweitern das Anwendungsfeld elektrochemischer Methoden erheblich. Unter Bezugnahme auf seine eigenen 20-jährigen Erfahrungen mit der Skalierung und Industrialisierung von Pulse-Plating und verwandter Prozesse erörterte er Hindernisse, die bei der Umsetzung überwunden werden müssen, und betonte die Notwendigkeit eines wissensbasierten Ansatzes. Einen sehr interessanten Ansatz dazu präsentierte Lars Lehmann (TU Chemnitz/D) in seinem Vortrag. Da sich die elektrochemischen Bedingungen an der Elektrodenoberfläche während einer (Puls-) Abscheidung ändern, schlug er einen Aufbau zur In-situ-Prozessdiagnostik von Pulse-Plating-Prozessen vor. Dies soll über den Zusammenhang oberflächensensitiver Analytik (z. B. Reflexionsmessungen) während der Abscheidung mit den zugehörigen Strom-Spannungskurven realisiert werden. Prinzipiell könnten diese Methoden daher geeignet sein, in situ Informationen über den Abscheidungsprozess zu liefern und Kriterien zu definieren, die eine Unterbrechung des Prozesses oder die Zugabe von Additiven erfordern. Ebenso können in „Echtzeit“ zahlreiche wichtige Informationen über den ablaufenden Prozess ermittelt werden, etwa die Kapazität der Doppelschicht, der Kontaktwiderstand und die damit verbundenen Änderungen der Oberflächeneigenschaften über die Zeit. Der Bericht über alle Vorträge würde den Umfang dieses Beitrags bei weitem übersteigen. So sei zum Abschluss nur noch die Präsentation von Prof. Dr. Sudipta Roy erwähnt, welche in sehr eindrucksvollen Messungen den Zusammenhang und damit die entscheidende Bedeutung der elektrochemischen Eingabeparameter bei der Anwendung numerischer Simulationswerkzeuge zur Beschreibung (oder Vorhersage) galvanischer Abscheidungen am Beispiel der Galvanoformung herstellte.

 

Dynamische Elektrochemie liefert Antworten

Zusammengefasst verdeutlichte das European Pulse Plating Seminar/ EAST Forum 2024 die schrittweise Transformation klassischer Pulse Plating-Techniken hin zu einer breiteren Anwendungsvielfalt weit über die eigentliche Metallbeschichtung hinaus. Die Oberflächenmodifizierung mittels dynamischer (gepulster) Elektrochemie, zu der auch das Pulse Plating gehört, erweiterte die Möglichkeiten dieses Bereichs der elektrochemischen Oberflächentechnik und lieferte Antworten auf die neuen Aufgaben und Herausforderungen der heutigen industriellen Produktion sowie der energiepolitischen Transformation in Richtung Green Energy.

 

 

 

 

 

 

Weitere Informationen

  • Ausgabe: 5
  • Jahr: 2024
  • Autoren: Dr. Wolfgang Hansal

Onlineartikel Suche

Volltext

Autoren

Ausgabe

Jahr

Kategorie

Newsletter

Auf dem Laufenden bleiben? Jetzt unsere Newsletter auswählen und alle 14 Tage die neuesten Nachrichten in Ihrem E-Mail Postfach erhalten:

Der Leuze Verlag ist die Quelle für fundierte Fachinformationen.
Geschrieben von Fachleuten für Fachleute. Fachzeitschriften und Fachbücher
rund um Galvano- und Oberflächentechnik sowie Aufbau- und Verbindungstechnik in der Elektronik –
seit 120 Jahren professionelle Informationen und Fachwissen aus erster Hand.

UNTERNEHMEN

ZAHLARTEN

Paypal Alternative2Invoice
MaestroMastercard Alternate
American ExpressVisa

Zahlarten z.T. in Vorbereitung.

KONTAKT

Eugen G. Leuze Verlag
GmbH & Co. KG
Karlstraße 4
88348 Bad Saulgau

Tel.: 07581 4801-0
Fax: 07581 4801-10

E-Mail: [email protected] oder
E-Mail: [email protected]