Kolumne: Anders gesehen – Ganz ohne

Kolumne: Anders gesehen – Ganz ohne

Während ‚ganz ohne' in der Sauna oder am FKK-Strand eine Frage der Textilien ist, spricht der Prozessingenieur über Rückstände auf der Leiterplatte. Die Frage, ob es ganz ohne Rückstände möglich ist zu löten wird immer akuter, da mit der Verringerung der Rasterabstände und der Verkleinerung der Bauteile sich bereits ein Problem ergeben hat, das inzwischen durch die 5G-Technik noch aufgewertet wird.

Schaut man sich den Lötprozess genauer an, so war es schon seit langer Zeit möglich, ohne Flussmittel zu löten, was nicht notwendigerweise auch gleich eine rückstandsfreie Baugruppe mit sich bringt. Ist die zu belötende Metalloberfläche sauber und oxidfrei, ist das verwendete Lot es ebenfalls – beim Schwalllöten sieht man die Krätze, beim Reflowlöten verstecken sich die Zinnoxide auf dem Pulver – und findet der Lötprozess unter Ausschluss des Sauerstoffs statt, sodass eine Nachoxidation ausgeschlossen werden kann, wird bei der geforderten Temperatur eine Lötverbindung entstehen. Andere metallische Verunreinigungen, wie etwa Ag2S(Silbersulfid) in bleifreien Loten, stellen potenziell ein weiteres Ärgernis dar.

Diesen Zustand bei der Leiterplatte und beim Lot zu erzielen, ist sehr aufwendig und teuer, und deswegen wird solch ein Verfahren meist nur unter Laborbedingungen durchexerziert. Ob dann doch noch Rückstände durch Ausgasen aus der Leiterplatte oder den Bauteilen sich auf der Baugruppe absetzen, die aus früheren Prozessen möglicherweise eingeschleppt wurden, muss zusätzlich untersucht werden, ist aber nicht unwahrscheinlich. Eine weitere Frage bleibt dann, ob solche Rückstände stören.

Einige der Vorgehensweisen, wie etwa das Löten mit Ultraschallaktivation, beseitigen zwar die störenden Oxidschichten mit Gewalt und erzwingen so einen direkten Kontakt zwischen Metall und Lot, aber die Metalloxide werden nur zur Seite geschoben und nicht beseitigt.

Die Vielzahl an Patenten, die sich mit flussmittelfreien Prozessen beschäftigen, unterstreicht das gesteigerte Interesse, wenigstens das Flussmittel loszuwerden. Flussmittel sind eigentlich nur Säuren, und die reagieren mit den Metalloxiden auf z. B. dem Kupfer und dem Zinn und bilden so Metallsalze, womit sie dann (meist) das Metall freilegen.

Metalloxid + Säure Salz + Wasser

Bei Kupfer und aggressiven Säuren etwalöst sich Kupfer(II)-oxid in Mineralsäuren wie Salzsäure, Schwefelsäure oder Salpetersäure und bildet die entsprechenden Kupfer(II)-salze und Wasser, das bei diesen Temperaturen verdampft:

CuO + 2 HCl→ CuCl2 + H2O

CuO + H2SO4→ CuSO4 + H2O

CuO + 2 HNO3→ Cu(NO3)2 + H2O

In ähnlicher Weise löst sich SnO2 in – nehmen wir mal an – Schwefelsäure, um ein Sulfat zu ergeben:

SnO2 + 2 H2SO4→ Sn(SO4)2 + 2 H2O

Zinn(II)-oxid ist eine Verbindung mit der Formel SnO. Es kann in stark sauren Lösungen zu den ionischen Komplexen Sn(OH2)32+ und Sn(OH)(OH2)2+ und in weniger sauren Lösungen zu Sn3(OH)42+ gelöst werden. Die meisten Salze sind wasserlöslich und deswegen auf der Baugruppe in Verbindung mit Luftfeuchtigkeit nicht gerade das, was sich der Prozessingenieur wünscht.

Als Alternative zum Flussmittel denkt jetzt der Chemiker den Wasserstoff an. Die Idee ist, das Oxid seines Sauerstoffs zu berauben und es somit wieder in das Grundmetall zurückzuversetzen. Wasserstoff kann das leisten, denn er reagiert ‚gerne' mit Sauerstoff. Jedoch schmeißt die Chemie da etwas Sand ins Getriebe, denn für so eine Reaktion, soll sie in einem vernünftigen Zeitrahmen für eine Baugruppenproduktion ablaufen, sind hohe Temperaturen nötig. Die wiederum bekommen der Leiterplatte und den Bauteilen schlecht. Das liegt daran, dass der Wasserstoff normalerweise in Form von H2-Molekülen vorliegt, die nicht ganz so willig reagieren.

Das wirft sofort die Idee auf, dass H1 schneller reagiert und man also mit H1 statt mit H2 arbeiten sollte. H1 lässt sich in einer Unterdruckkammer mittels Erregung herstellen. Dann hat man das Gas als Plasma vorliegen. Sowas funktioniert tatsächlich und die Reaktion ist viel schneller. Gasplasmen bei Audio-, Radio- oder Mikrowellenfrequenzen können erzeugt werden, um reaktive Radikale für die Desoxidation der Oberfläche zu formen. Typischerweise wird eine Mischung verwendet, die 5 % oder mehr Reduktionsgas (z. B. H2) in einem inerten Träger (z. B. N2) enthält – bekannt als Formiergas. Das Problem ist hier jetzt nicht die Chemie oder Physik, sondern die Ingenieurswissenschaften und das Finanzielle. Ein gleichmäßiges Plasma in einer Kammer zu etablieren, besonders wenn dann noch diese hinderlichen Baugruppen (notwendigerweise müssen es mehrere oder gar viele sein) drin angeordnet sind, ist nicht ganz einfach. Vielleicht ist es dieser Knackpunkt, der dem Verfahren noch nicht zu dem Durchbruch verholfen hat, den man sich wünschte.

Abb. 1: Formiergas in FlascheAbb. 1: Formiergas in FlaschePlasmen können auch Prozesskammern durch einen Sputterprozess beschädigen und eine Aufladung dielektrischer Oberflächen hervorrufen, was zu möglichen Schäden an Mikroschaltungen führen kann. Mikrowellen selbst können auch Mikroschaltungen beschädigen, und die Substrattemperatur ist während der Prozesseinwirkung schwer zu kontrollieren. Da Plasmen auch potenziell gefährliches ultraviolettes Licht freisetzen, sind weitere Überlegungen angeraten. Zudem erfordern solche Verfahren teure elektrische Gerätschaften und verbrauchen beträchtliche Energie, wodurch ihre Gesamtkosteneffizienz verringert wird.

Schlaumeier auf diesem Gebiet haben gleich erkannt, dass man den Gasen im Plasma noch kleine Beigaben unterschmuggeln kann. Infrage kommen etwa CF4Cl2, CF4 und SF6. Sie entfernen oberflächig angelagerte Metalloxide recht effizient.Solche Gase hinterlassen jedoch Halogenidrückstände, die sowohl die Lötfestigkeit verringern als auch eine Korrosion fördern. Derartige Verbindungen stellen auch Sicherheits- und Umweltentsorgungsprobleme dar und können Lötgeräte chemisch angreifen.

Wenn all das noch keine Lösung darstellt, greifen wir auf unseren heiß geliebten Laser zurück, denn Metalloxide können mit Lasern abgetragen oder auf ihre Verdampfungstemperatur erhitzt werden. Auch hier verwendet man am besten gleich wieder inerte oder reduzierende Atmosphären, um eine erneute Oxidation durch die freigesetzten Verunreinigungen zu verhindern. Die Schmelz- oder Siedepunkte der Oxide und der Grundmetalle können jedoch ähnlich sein und es gehört viel Fingerspitzengefühl dazu, das Grundmetall nicht auch gleich mitzuschmelzen oder mitzuverdampfen. Daher sind solche Laserprozesse schwierig zu implementieren. Neben anderen Einwänden haben Laser den Nachteil, dass sie direkten Sichtzugang zur Lötstelle benötigen, d. h. hier zu der Oxidschicht, die sich aber tückischerweise immer häufiger unter den Bauteilen (BGAs, Stecker) versteckt.

Da diese Prozesse sich hauptsächlich an die Metalloxide wenden und andere Verunreinigungen außer Acht lassen, ist es eventuell kostengünstiger – und auch einfacher –, sich auf das Waschen zu konzentrieren und Flussmittel zu verwenden, die gut löten und deren Rückstände sich leicht und vollständig entfernen lassen.

Literatur

C. C. Dong et al.; Fluxless soldering in activated hydrogen atmosphere; 2016 China Semiconductor Technology International Conference (CSTIC)
Potter, et al.; Fluxless Soldering Under Activated Atmosphere at Ambient Pressure
Koopman, et al.; Fluxless Flip Chip Solder Joining
Shiloh, et al.; Flux-Free Soldering
Swanson, D.; Fluxless Soldering Under Ambient Pressure Plasma Cleaning; Electronic Packaging and Production, Oct. 1995
[6] Eung-Jik Lee et al.; The Effects of the Addition of CF4, Cl2, and N2 TO O2 ECR Plasma on the ETCH Rate, Selectivity and Etched Profile of RuO2 Film; MRS Online Proceeding Library Archive 493·January 2011

  • Ausgabe: Mai
  • Jahr: 2025
  • Autoren: Prof. Armin Rahn
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