Kolumne: Anders gesehen – Neipfercht, als wie in einem Schaft [1]

Weiß-Ferdl-Brunnen auf dem Münchner Viktualienmarkt

In der Linie 8 muss es gelegentlich ziemlich eng gewesen sein, wenigstens wie es Weiß Ferdl in seinem berühmten Gesang darstellt. Die Linie 8 wurde am 22. November 1975 eingestellt, wobei ein hoher Beamter der Stadt mir einst beteuerte ‚das würden wir heute auch nicht mehr machen'. Verfolgt man die Bestückungsdichte der Baugruppen über die Jahre, so wurde es dort auch immer enger.

Zwar limitiert die Fingerkuppe, besonders bei Erwachsenen, die Größe der Kontaktflächen, aber das Gerät packt eben immer mehr – häufig nutzlose, aber verkaufsfördernde – Funktionen in die nämliche Packung. Hier scheint die Erfindungskraft kaum zu erlahmen, bis endlich die verschiedenen Regierungen sich gegenseitig der Hintertürchen und Spionage verdächtigen. Diese Sorge um die Privatsphäre ist eigentlich etwas verwunderlich, nachdem die Gläubigen im Beichtstuhl über Jahrtausende selbst die intimsten Geheimnisse aus purer Angst vor der Hölle[2] und dem Versprechen der Vergebung dem Priester ins Ohr bliesen.

Moore's Law - 2005

Aber das Gedränge in der Linie 8 oder vor dem Beichtstuhl hat wenig mit dem Gedränge auf der Leiterplatte zu tun, die über die Jahre immer dramatischer wurde. Verursacht wird sie hauptsächlich durch die Entwicklung im Bereich der integrierten Schaltungen. Von den wenig spektakulären Anfängen hat sie inzwischen phänomenale Sphären erreicht, die sie von dem ursprünglich klobigen Transistor auf kleinste Strukturen führte. Gerade hat Intel angekündigt, 2030 eine Billion (in Worten: 1.000.000.000.000 oder 1012) der kleinen Biester (wir sprechen hier von etwa 5 nm, d. h. ein nm ist der Millionste Teil eines mm) auf einem Chip zusammen zu drängen[3]. Das alles folgt oder wird getrieben von einer Aussage Gordon Moore, die inzwischen als ‚Moore's Law' Weltruf erlangt hat.

Moores Gesetz lässt sich in etwa so formulieren, dass die Anzahl der Transistoren in einer integrierten Schaltung sich alle zwei Jahre in etwa verdoppelt[4].

VE301W [5]VE301W [5]

Erster Transistor wie von Bell Laboratories patentiertErster Transistor wie von Bell Laboratories patentiert

Bild: Degree Controls Inc (Alex Sargent)Ob das nun nötig ist oder nicht, muss man sich fragen, denn die Drittklässler, die sich das neueste ‚Handy' ans Ohr halten, brauchen diesen Aufwand nicht. Aber da gewaltige Geldsummen darauf verwendet und verdient werden, muss es massenhafte Anwendungen finden, wie etwa in der Satellitentechnik, dem Militär oder aber der Fertigungsindustrie, die in Richtung Roboter und ‚Lichtaus'-Firmen marschiert. Selbstverständlich wird dauernd das Ende dieser Progression vorausgesagt, was für die silikonbasierende Technik auch ganz logisch ist. Jedoch muss man auf die Forschung schauen, die sowas wie ‚Transistoren' auch mit anderen Medien eruiert und Erfolge vorzeigt. So hat die Universiät Bochum unlängst über mit Jod gedoptem Wasser und Laserpulsen erreichten Schaltungsraten berichtet, die Zustandsänderungen in Picosekunden (Billionstelsekunde) erzielen, was für Rechner 1,000 GHz bedeutete – rasant schneller als alles, was wir heute haben. Ob und bis wan das sich tatsächlich kommerziell umsetzen lässt – wie bei dem traditionellen Transistor – muss man eben mit angehaltenem Atem abwarten. Vom alten Volksempfänger mit seinen Röhren bis zur modernen Baugruppe ist es ein langer Weg und er wird immer kitzeliger. Das Hauptproblem sieht die Industrie inzwischen bei dem Mangel an Fachkräften, so dass sich die Firmen gegenseitig die Spezialisten durch finanzielle Anreize abwerben. Denn wie bei den Prozessoren ist auch der Entwurf einer modernen Leiterplatten mit vielen Fallstricken versehen. Schon alleine die Reduzierung der Spannung, die durch die Schaltungen laufen (der neueste Micron 2550 läuft bei 3,3 V und mit einer Geschwindigkeit von 5000 MB/s) sorgt für eigene Probleme. Der Rest der Baugruppe musste also mit den Prozessoren notgedrungenerweise Schritt halten und so wurden die Bauteile stetig kleiner und immer enger zusammen gerückt. Die einst einseitig bestückte Leiterplatte entwickelte sich zur Multilagenplatte (in extremen Fällen mehr als 100 Schichten! Etwa für Supercomputer) und wurde nicht nur auf beiden Seiten mit Bauteilen belegt, sondern inzwischen kratzen sich die Produktingenieure am Kopf und rätseln, wie sie die auch in Aussparungen bringen, und das, ohne Defekte zu verursachen, denn Reparaturen werden immer komplizierter. Während mit dem Lötkolben ein Bauteil neu zu verlöten nur ein paar Sekunden in Anspruch nahm, rechnet man bei dem Austausch eines größeren Prozessors mit mehreren Stunden, und das mit recht teurem Gerät. Im Labor oder in kleinen Betrieben macht das wenig Eindruck, aber wenn man Hunderttausende von Geräten fertigt, fangen Fehler, an dramatisch zu stören. Damit setzt sich immer mehr die Meinung durch, dass es billiger und besser ist Fehler, im Vorfeld zu vermeiden. Mit der ständig wachsenden Komplexität der Baugruppen kann der Fertigungsingenieur alleine nicht alle Probleme lösen, und bei einer Durchsicht der neueren Fachliteratur bemerkt man schnell, dass sich die Bemerkungen ob einer Zusammenarbeit der verschiedenen Abteilungen häufen. Sowohl der Layouter wie auch der Einkauf sollten sich mit der Produktion absprechen und selbst das Prüffeld hat eine Rolle zu spielen. Die Zeit, dass die Weißkittel mit denen im blauen Toni nicht kommunizieren, sollte endgültig überwunden werden und das Management muss überlegen, ob die unbedachten Belohnungen für billigen Einkauf wirklich der Firma nutzen, wenn dadurch Probleme in der Fertigung verursacht werden.

Weiß Ferdl, 1936 - Berlin, Eden-HotelWeiß Ferdl, 1936 - Berlin, Eden-Hotel

München MVV Tramlinie 8 (P2 2001 + p2 3001) Karlsplatz am 17. August 1974München MVV Tramlinie 8 (P2 2001 + p2 3001) Karlsplatz am 17. August 1974

„In da Trambahn gibt’s koa Dame!
Na, da gibt’s blos an Hammel, gey?“

Eben, eben und in der Firma sollte diese alte Adelsphilosophie ebenfalls abgeschafft werden.

Referenzen

[1] Ein Wagen von der Linie 8; Ferdinand Weisheitinger (*1883 † 1949), eher bekannt als Weiß Ferdl, war ein Münchner Schauspieler.
[2] Siehe etwa Hieronymus Bosch geboren als Jheronimus van Aken c. 1450 – 1516.
[3] https://www.techzine.eu/news/infrastructure /96267/intel-more-than-1-trillion-transistors-on-a-chip-by-2030/ (Abruf: 1.10.2024).
[4] Moore, Gordon E. (1965-04-19). ‚Cramming more components onto integrated circuits', intel.com, Electronics Magazine. Archived (PDF) from the original on 2019-03-27, Retrieved April 1, 2020.
[5] https://antiqradio.com/post_old-german-tube-radio-volks-empfenger.html (Abruf: 1.10.2024).
[6] VE102W - https://antiqradio.com/post_old-german-tube-radio-volks-empfenger.html (Abruf: 7.11.2024).

Literatur

Nile Bowie; Exclusive: Micron reveals its big picture growth plans; Asia Times; December 5, 2022
Dudi Amir & Brett Grossman; Cavity Board Smt Assembly Challenges; Proceedings of SMTA International, Oct. 14 - 18, 2018, Rosemont, IL, USA
Mark Whitmore, et al.; Factors Affecting Stencil Aperture Design for Next
Generation Ultra Fine Pitch Printing; SMTA Proceedings
Satyajit Walwadkar et al.; Influence of Pcb Surface Features on BGA Assembly Yield; Proceedings of SMTA International, Sep. 25 - 29, 2016, Rosemont, IL, USA
Adrian Buchmann et al.; An Ultra-Fast Liquid Switch for Terahertz Radiation; APL Photonics 7, Submitted: 10 October 2022 Accepted: 06 November 2022

  • Titelbild: Weiß-Ferdl-Brunnen auf dem Münchner Viktualienmarkt
  • Ausgabe: Oktober
  • Jahr: 2024
  • Autoren: Prof. Armin Rahn
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