Der „AI-Act“ der EU ist das weltweit erste KI-Gesetz, das den Einsatz von künstlicher Intelligenz regelt. Was halten Sie davon?
Das KI-Gesetz baut auf dem Erbe auf, wie Europa über Daten denkt: Aus meiner Sicht gibt es eine Reihe von Elementen, die die KI-Verordnung zu einem guten Rechtsakt machen. Daten und Privatsphäre werden von den EU-Regulatoren in den Fokus genommen. Darüber hinaus ist es aus meiner Sicht beeindruckend, wie schnell es gelungen ist, viele verschiedene Nationalstaaten bei einem solch komplexen Thema zusammenzubringen. Das ist kein triviales Unterfangen. Es ist großartig, dass ein Block mit der Größe von 27 Nationen so schnell etwas zusammengebracht hat. Aber es baut auf der Tatsache auf, dass der Schutz der Privatsphäre wichtig ist und dass die Rechte der Bürger im Mittelpunkt der Funktionsweise der Europäischen Union stehen. Das kann anderen Nationalstaaten helfen, über künstliche Intelligenz nachzudenken.
Der EU-Rahmen bietet in dieser Hinsicht Schutz und schafft darüber hinaus auch ein Bewusstsein dafür, wie man über KI denken sollte. Wie wir wissen, gibt es zum Beispiel bei großen Sprachmodellen, seien es Claude, ChatGPT oder andere, diese Neigung zu Halluzinationen: Wenn man den Systemen eine Frage stellt, werden sie in jedem Fall eine Antwort geben, egal welche Datenqualität aktuell vorliegt. Es ist wichtig, dass wir uns dessen bewusst sind und unser kritisches Denken auf die bereitgestellten Informationen anwenden.
Eine Regulierung schafft Vertrauen – verliert man im Gegenzug Innovationstempo?
Ich bin ein starker Verfechter der kontrollierten Innovation. Wenn man die Worte „Innovation außer Kontrolle“ hört, wird man unruhig. Man braucht also eine kontrollierte Innovation. Ein Teil der EU-KI-Verordnung sieht dies in Form von Sandkästen vor, die in diesem Bereich eingesetzt werden sollen. Man braucht kontrollierte Innovation in allen Dimensionen, sei es in der Fertigung oder im Dienstleistungsbereich, bei Finanzdienstleistungen oder in diesem Fall bei der KI. Aus meiner Sicht wichtig: Die beste Innovation entsteht, wenn man sich in einem Umfeld von Zwängen bewegt. Wenn Sie sich in einer Position des Überflusses befinden oder vollkommen frei sind, dann ist Ihr Fokus nicht dort, wo er sein muss. Ich glaube also fest daran, dass man in einem regulierten Umfeld innovativ sein kann.
Welche Erfahrungen haben Firmen im letzten Jahr mit KI-Projekten gemacht?
Wie bei jeder Innovation gibt es eine Erwartungshaltung, die enttäuscht werden kann, wenn die Ergebnisse von den ursprünglichen Vorstellungen abweichen. In der Praxis experimentiert fast jedes Unternehmen mit KI. Gleichzeitig kämpft aber praktisch auch jedes Unternehmen damit zu verstehen, wo der skalierbare Wert liegt. Das ist natürlich bei jeder Art von Innovation der Fall. Entscheidend ist, dass dieser Weg als methodische Untersuchung betrachtet wird und nicht als Misserfolg. Wenn ein Projekt zunächst keine materiellen Ergebnisse gebracht hat, gibt es wichtige Lektionen, die man aus dem Prozess gelernt hat und die nicht verloren gehen.
Zur Person
Howard Boville war bis 2023 IBM Head of Cloud Platform and Technology Lifecycle Services. Seither ist er Executive Vice President und Global Lead of Applications Services and Artificial Intelligence beim IT-Unternehmen DXC Technology. Boville gilt als KI-Experte und kommt aus New York.