Auf den Punkt gebracht: Verlieren wir das auto­matisierte Fahren an China? – Übernimmt China nach der E-Mobilität auch hier die Führung?

Abb. 1: Mercedes S-Klasse bei Testfahrten in Peking für automatisiertes Fahren L-4 mit LiDAR, Millimeterwellen-Radar und Kameras in redundanter Anordnung zur Erhöhung der Sicherheit

„Autonomes Fahren“ ist etwas für die 2030er-Jahre und später, so lautet die häufige Meinung in der deutschen Öffentlichkeit, nachdem der Hype vor einigen Jahren verflogen ist.

Nicht so in China! Zunächst gibt es hier vom Staat einen langfristigen Plan ‚Made in China 2025' mit starkem politischen Willen, die weltweite Führung des Automobil- oder besser Mobilitätsmarkts zu übernehmen. Dass dies bei der bisher führenden deutschen Automobilindustrie und ihren Zulieferern zu erheblichen Verlusten an Arbeitsplätzen und Bedeutung führen wird, ist spätestens seit dem in der EU politisch erzwungenen Wandel zur E-Mobilität deutlich.

Aber auch der chinesische Automobilkäufer spielt hier eine wesentliche Rolle. Einerseits ist hier der neu entstandene Stolz auf die eigenen überlegenen New Electric Vehicles (NEV) zu nennen. Dazu kommt das Bedürfnis bei längeren Kolonnenfahrten zum Arbeitsplatz die Zeit nützlicher als mit dem Lenken zu verbringen.

Autonome Taxis in China sammeln Daten

Seit 2020 betreibt die chinesische Internet-Plattform Baidu autonome Taxis, derzeit in zehn Städten von Wuhan, Shenzhen bis Beijing. Mittlerweile sind mehr als tausend Robotaxis der Marke ‚Apollo Go' in China im Einsatz, allein mehr als 300 in der Stadt Wuhan mit ihren 11 Mio. Einwohnern (Abb. 2). In diesem Jahr ist in Wuhan auch der 24-Stunden-Betrieb zugelassen worden. Für die Fahrt über die Autobahn nach außerhalb zum Wuhan Airport gibt es seit August 2023 eine Zulassung. Seit Februar dieses Jahres gibt es den autonomen Airport-Service auch in Peking zum Daxing Airport. Die Daten von über 6 Mio. Fahrten von privaten Pkws bis Anfang 2024 sind eine wertvolle Datenbasis auch um autonomes Fahren in Richtung der Klasse 4 voranzutreiben.

Abb. 2: Fahrerloses Robotaxi‚ Baidu Apollo Go‘ in ShenzhenAbb. 2: Fahrerloses Robotaxi‚ Baidu Apollo Go‘ in Shenzhen

Tesla treibt den Markt in China

Nachdem Tesla die Marktführung bei NEVs in China an BYD verloren hat und auch Preissenkungen verblasst sind, ist jetzt das automatisierte Fahren die nächste Herausforderung. Lange Zeit war Tesla selbsternannter Technologieführer beim teilautonomen Fahren. Das ‚Full Driving System' FSD zunächst nur auf Kamerabasis mit Verzicht auf teure LiDAR-Sensoren wurde nun als Betaversion chinesischen Autokäufern angeboten. In der internationalen Nomenklatur entspricht dies dem Level 2+, bei dem der Fahrer oder die Fahrerin zwar das Lenkrad loslassen kann, aber jederzeit das Steuer wieder übernehmen muss (i. d. R. innerhalb von zehn Sekunden).

Xpeng, Li Auto und Huawei sind die NOA-Spitzenreiter

NOA (Navigation on Autopilot) ist die chinesische Terminologie für (teil)autonomes Fahren. Li Auto plant bis Ende 2024 sein teilautonomes Fahrsystem für 100 chinesische Städte anzubieten. Xpeng plant in 200 Städten sein KI gestütztes Car-Betriebssystem einzusetzen. Für Xpeng zeichnen sich AI Smart EVs durch drei Kernmerkmale aus: aktives Lernen, schnelles Wachstum und personalisierte Erfahrungen. Die Kerntechnologie besteht darin, große KI-Modelle mit unbegrenzten Situationen zu füttern und zu trainieren, um deren Verständnis, Wahrnehmung und Entscheidungsfähigkeit in komplexen Szenarien zu verbessern. Derzeit hat Xpeng Kernalgorithmen für die Wahrnehmung, Positionierung, Planung und Entscheidungsfindung entwickelt. Dazu kommen sowohl fahrzeugseitige als auch cloudbasierte Datenverarbeitungsfunktionen, die eine schnelle Iteration der Algorithmen auf der Grundlage realer Daten ermöglichen und den Nutzern über OTA-Updates kontinuierlich verbesserte Fähigkeiten für das autonome Fahren bieten, wie Xpeng kürzlich auf einer Pressekonferenz mitteilte. Mit den KI-Modellen möchte Xpeng bis 2025 hochautomatisiertes Fahren Klasse L-4 erreichen.

Im Juni dieses Jahres wurde das Modell P5 mit dem X-Pilot Version 3.5 in den Markt eingeführt. Fünf Radarsensoren, zwei LiDAR-Systeme, 12 Ultraschall-Systeme. Verknüpft mit der KI-basierten Software, kann der P5 nicht nur auf der Autobhahn, sondern auch im Stadtbereich hochautomatisiert fahren.

Abb. 3: Das Modell P5 von  Xpeng (Xiaopeng Motors, Guangzhou) wurde im Juni 2024 mit X-Pilot Version 3.5 für Level 3 automatisiertes Fahren in den Markt eingeführt Abb. 3: Das Modell P5 von Xpeng (Xiaopeng Motors, Guangzhou) wurde im Juni 2024 mit X-Pilot Version 3.5 für Level 3 automatisiertes Fahren in den Markt eingeführt

Automatisiertes Fahren Mercedes

Im ersten Halbjahr 2024 schrumpfte der Absatz von Mercedes in China um 9 % auf 342.000 Fahrzeuge. Dabei stürzte das Betriebsergebnis über alle Märkte um 25 % auf 7,9 Mrd. € versus dem Vorjahr ab. Kein Wunder, dass Mercedes in China versucht, beim vollautomatisierten Fahren Level 4 mitzumischen, wie das Testfahrzeug in Abbildung 1 zeigt. Mit der bekannten Kombination von LiDAR-, Kamera-, Radar- und Ultraschallsensoren, verknüpft mit einem Hochleistungsrechner, hat Mercedes derzeit die Zulassung Level 3 in Nevada, Kalifornien und Deutschland erreicht. Eingebaut wird die serienreife Version des DRIVE PILOTS in der S-Klasse und dem EQS. In Deutschland ist das hochautomatisierte Fahren auf bestimmten Autobahnen bis zu einer Geschwindigkeit von 60 km/h zugelassen, in Nevada und Kalifornien bis 40 mph (64 km/h). Ab Ende 2024 soll die Geschwindigkeit auf 90 km/h erhöht werden und bis Ende dieses Jahrzehnts, so Mercedes, auf 130 km/h. Mercedes schlägt vor, dass alle automatisiert fahrenden Fahrzeuge durch türkisfarbene Markierungsleuchten für andere Verkehrsteilnehmer kenntlich gemacht werden sollen.

Die Stufen zum selbstfahrenden Auto

Auf dem Markt kommt bislang Level 1-3 zum Einsatz, Level 4 ist in Vorbereitung.

Als Stufe 0 wird das nicht automatisierte Fahren bezeichnet, bei dem der Fahrer alle Fahrfunktionen selbst ausführt, auch wenn unterstützende Systeme (z. B. ABS) vorhanden sind.

Stufe 1: Beim sogenannten ‚assistierten Fahren' werden lediglich bestimmte Assistenzsysteme (z. B. der dynamische Abstandsregeltempomat) bei der Bedienung des Fahrzeugs helfen.

Stufe 2: Beim ‚teilautomatisierten Fahren' werden viele Funktionen wie Einparken, Spurhalten, allgemeine Längsführung, Beschleunigen, Abbremsen vom System übernommen (z. B. vom Stauassistenten), der Fahrer muss dieses aber ständig im Blick behalten.

Stufe 3: Beim ‚hochautomatisierten Fahren' müssen die Hände nicht mehr am Lenkrad sein. Auch hier übernimmt das System jedoch selbstständig viele Fahrleistungen wie Bremsen, Lenken, Spurwechsel oder Überholen. Der Fahrer kann sich anderen Dingen zuwenden, wird aber bei Bedarf vom System aufgefordert, i. d. R. innerhalb von 10 Sekunden die Führung zu übernehmen.

Stufe 4: Beim ‚vollautomatisierten Fahren' wird die Führung des Fahrzeugs (Quer- und Längsführung) zwar auch dauerhaft vom System übernommen. Der Fahrer kann jedoch aufgefordert werden, die Führung zu übernehmen, wenn die Fahraufgaben vom System nicht mehr bewältigt werden können. Allerdings ist das System in der Lage, das Fahrzeug selbst aus jeder Ausgangssituation in einen risikominimalen Systemzustand zurückzuführen (z. B. indem es das Fahrzeug auf dem Seitenstreifen zum Stillstand bringt), wenn der Fahrer nicht die Führung übernimmt.

Auf den Punkt gebracht

  • China hat einen Masterplan zur Erlangung technologischer Dominanz und Marktführerschaft. Zu den Schlüsseltechnologien gemäß der ‚Made in China 2025'-Strategie gehören die Elektromobilität und KI
  • Chinas Elektroautos sind KI auf Rädern, während europäische Autos immer noch versuchen, intelligent zu werden. Die Kombination ‚Software + Batterie + Basisfahrgestell' ermöglicht es Technologieunternehmen wie dem Smartphonehersteller Xiaomi, in das Geschäftsfeld einzusteigen und schnell neue Autos zu entwickeln.
  • Mit fahrerlosen ‚Baidu Apollo Go'-Robotaxis werden aus bisher 6 Mio. Fahrten wertvolle Daten für das autonome Fahren generiert. (Abb. 2)
  • Mit dem Modell P5 von Xpeng aus Guangzhou wurde kürzlich der X-Pilot Version 3.5 für Level 3 automatisiertes Fahren in den Markt eingeführt (Abb. 3). Andere Hersteller wie Li Auto und Huawei arbeiten auch mit Hochdruck an den Technologien für Level 3 und 4.
  • Mercedes versucht am Ball zu bleiben und beteiligt sich mit Testfahrten in Peking an Level 4, dem vollautomatisierten Fahren. (Abb. 1)

Was benötigt man für eine erfolgreiche, wachsende Wirtschaft? Zunächst Bildung, d. h. gute Schul- und Ausbildung, vor allem in MINT-Fächern, also in naturwissenschaftlichen Fächern. Daraus folgend verfügbare qualifizierte Fachkräfte, aber auch eine fortschrittsfreundliche Gesellschaft. Und eine Regierung und Behörden, die sich als Unterstützer und nicht als Verhinderer von Zukunftsideen und Weiterentwicklung ihres Landes verstehen. Das meiste fehlt bisher leider bei uns. Kein Wunder, dass Deutschland im Vergleich zu anderen Ländern immer weiter zurückfällt und damit auch Arbeitsplätze und Wohlstand verlorengeht.

Bleiben Sie uns gewogen.

Es grüßt Sie herzlich
Ihr
Hans-Joachim Friedrichkeit

Kontakt

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  • Titelbild: Abb. 1: Mercedes S-Klasse bei Testfahrten in Peking für automatisiertes Fahren L-4 mit LiDAR, Millimeterwellen-Radar und Kameras in redundanter Anordnung zur Erhöhung der Sicherheit
  • Ausgabe: September
  • Jahr: 2024
  • Autoren: Hans-Joachim Friedrichkeit
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