Wer Medizin studiert, muss durch den Fluss waten, den die Biochemie seit dem 19. Jahrhundert immer weiter verbreitert. Noch bevor künftige Ärztinnen und Ärzte ihre ersten Patientinnen und Patienten zu sehen bekommen, müssen sie auswendig lernen, was die Lehrbücher auf engbedruckten Seiten mit oftmals unverständlich bleibenden Namen präsentieren.
Die Rede ist zum Beispiel von einem Harnstoff-Zyklus, der Anfang der 1930er-Jahre von dem deutschen Biochemiker Hans Krebs ausfindig gemacht werden konnte, bevor sich der spätere Nobelpreisträger der Frage zuwandte, wie eine Zelle sich mit chemischen Umwandlungen ihre Energie beschafft. Weil die Nazis meinten, jüdische Wissenschaftler nicht gebrauchen zu können, erblickte der Krebszyklus – das Ungetüm für alle Medizinstudierenden – das Licht der Welt unter britischem Himmel. Der Krebszyklus übt seine Abneigung auf Anfangssemester aus, weil er voller Namen wie Succinat, Pyruvat, Alpha-Ketoglutamat, Oxaloacetat und anderen steckt, die man doch bald wieder vergisst – es sei denn, jemand erklärt einem oder einer das Wunder, das das Leben im Krebszyklus geschaffen hat und bereithält.
Zugegeben, wer in einem Biochemie-Lehrbuch unter Krebs nachschlägt und nicht nach der schrecklichen Krankheit, sondern nach dem glänzenden Wissenschaftler sucht, wird vor allem auf eine umherwirbelnde Vielfalt von vertrackten Namen stoßen und bestenfalls im Kleingedruckten finden, dass das Leben hier mit dem Feuer spielt, was spannend genug ist. Der Krebszyklus zeigt, wie das Leben etwas verbrennt, wie die Chemiker sagen, wenn Sauerstoff gebunden wird, aber bei diesem Vorgang müssen die Zellen behutsam vorgehen, um den Körper, den sie bilden, nicht in Flammen aufgehen zu lassen.
In einer Zeit, in der sich die Politik immer mehr um die Versorgung der Menschen mit Energie kümmern muss, will man auch wissen, wie sich das Leben selbst seine Energie beschafft. Als die Biochemiker sich ernsthaft an die Aufgabe machten und wissen wollten, wie die dazugehörige Kreisbewegung im Laufe der Evolution entstanden ist, konnten sie eine aufregende Entdeckung machen. Sie fanden Bakterien, die den Krebszyklus in die umgekehrte Richtung laufen lassen und Energie einsetzen, um die Moleküle zu produzieren, mit denen sie ihr Leben gestalten können. Der Krebszyklus liefert Energie und Informationen, wie es die Studierenden brauchen, die ihn auswendig lernen müssen. Vielleicht beginnen sie jetzt, ihn nicht zu hassen, sondern zu lieben.