– Teil 2 – Spezielle Gefährdungspotenziale, Arbeitsmittel, PSA / Fortsetzung aus Heft 12/2024
Die Beschäftigung dicker Menschen kann eine Reihe sicherheitsrelevanter Maßnahmen erforderlich machen. Dazu gehören unter anderem psychische Betreuung und die Investition in spezielle Arbeitsmittel.
Die physische Belastung dicker Menschen ist ungleich höher, als die dünner. Das drückt sich besonders in der Verrichtung körperlich schwerer Arbeiten aus, die den Einsatz höherer Kräfte erfordern. Ein dicker Mensch, der z. B. in einer Galvanik einen Hubwagen be- und entladen muss, trägt sozusagen zweimal – einmal an seinem Körper und einmal die Arbeitslast.
Bei großen Belastungen sind so die Überlastung des Herz-Kreislaufsystems und/oder der Gelenke möglich. Sogar Strukturschäden des Bewegungsapparates liegen im Bereich des Möglichen und damit bleibende körperliche Belastung.
Wenn dies bei der Gefährdungsbeurteilung festgestellt wird, ist der Arbeitgeber gefragt: Arbeitsplatzbezogene Präventionsmaßnahmen sollen ergriffen werden, dazu könnten beispielsweise eine Umgestaltung des Arbeitsplatzes durch Assistenzsysteme zählen oder eine andere Arbeitsplatzorganisation – etwa durch Tausch des Arbeitsplatzes.
Angebote wie zum Beispiel die Gründung einer Betriebssportgruppe können zur Gesundheit der Mitarbeiter beitragen - (Foto: stock.adobe.com/HENADZY)
Die Psyche nicht vergessen
In Zeiten der Verherrlichung körperlicher Fitness oder des Körperkults werden Dicke von ihren dünnen Kollegen oft ausgegrenzt, stigmatisiert oder sogar gemobbt. Das kann zu psychischen Problemen der betroffenen Opfer führen. Das Arbeitsschutzgesetz sieht in seinem Paragraphen 5 jedoch vor, dass auch auf die psychischen Belange von Mitarbeitern eingegangen werden muss. Das hat mittlerweile auch Eingang in die Rechtsprechung gefunden, der EuGH stellt in seinem Urteil C-354-13 FOA die besondere Schutzpflicht von Arbeitgebern gegenüber Dicken fest.
In der betrieblichen Praxis bedeutet das, dass der Arbeitgeber eine besondere Fürsorgepflicht gerade für seine dicken Arbeitnehmer hat. Gegebenenfalls muss er die anderen Arbeitnehmer darüber aufklären, dass Adipositas viele Gründe haben kann und Dicke weder faul noch undiszipliniert sind.
Eine Studie der DAK weist durch Befragungen von Normalgewichtigen nach, dass 70 Prozent der Normalgewichtigen Übergewichtige wenig ästhetisch finden und 15 Prozent der normalen Bevölkerung es sogar vermeiden, Kontakt mit Dicken zu haben. Fast alle der Befragten ordnen Dicken Eigenschaften wie „faul“, „kränklich“ oder „undiszipliniert“ zu. Sollte dies im kollegialen Miteinander eines Betriebes zu Spannungen führen, hat der Arbeitgeber sogar das Recht, Mitarbeiter zu kündigen, wenn diese den dicken Kollegen mobben.
Auswirkungen auf Arbeitsmittel
Strahlenschutz
Die Maßeinheiten Gray und Sievert geben an, wieviel Energie in Joule durch Strahlung pro Kilogramm Körpergewicht aufgenommen wird. Wobei Gray und Sievert ein Joule pro Kilogramm beschreiben. Wenn in einem Betrieb also mit Strahlenbelastung umgegangen werden muss, so darf der gesetzlich zulässige Wert von 20 Millisievert nicht überschritten werden. Hier empfiehlt es sich, mit Tabellen zu arbeiten. Denn ein 100 Kilogramm-Mann nimmt mehr Strahlung auf, als ein 80-Kilogramm-Mann.
Tragende Arbeitsmittel
Stühle, Leitern, Gerüste: Sie alle sind für ein gewisses Tragegewicht zugelassen. Da das Durchschnittsgewicht der Bevölkerung in Industriestaaten immer höher wird (Fastfood, Convenienceprodukte...) steigen auch die Mindestanforderungen an solche Arbeitsmittel. Ging man früher bei der Konstruktion noch von einem maximalen Tragegewicht von 75 kg aus, so steigt dieses parallel zum Durchschnittsgewicht stetig an. Wer adipöse Mitarbeiter beschäftigt, muss also auf entsprechende Arbeitsmittel achten, alte, früheren Normen entsprechende Arbeitsmittel gegebenenfalls austauschen.
Arbeitskleidung/Schutzkleidung
Dicken Arbeitnehmern ist eine ausreichend große Unternehmenskleidung zur Verfügung zu stellen, falls diese vorgeschrieben oder auch aus Fragen der Corporate Identity firmenseitig vorgesehen ist. Der Hüft-Bauch-Umfang (HBU) dient dabei auch als Faustformel zur Bewertung des Gewichtes des Arbeitnehmers. Gemessen wird wie folgt: Den Bauchumfang nimmt der Verantwortliche etwa in der Mitte zwischen unterem Rippenbogen und dem Becken ab, der Hüftumfang ist das größte Maß über dem Po. Bauchumfang geteilt durch Hüftumfang ergeben ein Maß, idealerweise kleiner Eins. Als normalgewichtig gelten Frauen, deren Ergebnis dieser Rechnung kleiner 0,8 ist. Und bei Männern kleiner 0,9. Frauen mit einem Wert von 0,8 bis 0,85 und Männer ab 0,9 bis 0,99 gelten als dick. Jeder Wert darüber bedeutet, dass dieser Mensch adipös ist.
Atemschutz
Dicke Menschen sind nur bis zu einem gewissen Grad für Arbeiten oder Rettungsmaßnahmen einsetzbar, die Atemschutzausrüstung erfordern. Berufstaucher zum Beispiel oder auch Archäologietaucher sind ab einem Body Mass Index (BMI) größer 30 nicht mehr tauglich zu schreiben. Bei der Feuerwehr hat sich folgende Berechnungsmethode durchgesetzt: Körpergröße minus 100 mal 1,3.
Beispiel: 180 cm Körpergröße – 100 = 80 x 1,3 = 104 kg
Wer also schwerer als 104 Kilogramm ist, darf bei der Feuerwehr nicht zum Atemschutz eingeteilt werden. Diese Vorgehensweise deckt sich auch mit dem DGUV-Grundsatz Atemschutzuntersuchung nach G26.3 – dieser Abschnitt sieht genau diese Berechnungsmethode vor.
Mannlöcher
Konstruktionsvorgaben für Mannlöcher, beispielsweise in Tanks, gibt es in nur sehr unverbindlicher Form. So soll ein „normal gebauter Mensch ohne Schwierigkeiten hindurchsteigen können". Das Maß von 500 Millimetern sollte nicht unterschritten werden. Trotzdem gibt es Mannlöcher, die nur 400 Millimeter messen oder oval geformte mit nur 350 x 450 Millimetern Abmessung. Grundsätzlich fordern die Regelwerke Abmessungen, die eine „schnelle und schonende Rettung von Menschen“ ermöglichen. Der Anhang 7 der DGUV-Regel 113-004 empfiehlt weiterhin Mindestmaße. Die hängen unter anderem ab von der Erreichbarkeit der Öffnung, von deren Lage an einem Behältnis oder von der Zugänglichkeit. Aber auch davon, ob ein Mensch eine persönliche Schutzausrüstung braucht, um im Innern eines Behältnisses arbeiten zu können (z. B. Atemschutz wegen gefährlicher Dämpfe), ob das Mannloch zusätzlich von einem Stutzen bzw. einer Manschette umgeben ist, und schließlich auch von der Häufigkeit der Nutzung. Bei all dem, siehe oben, handelt es sich jedoch nur um Empfehlungen.
Mannlöcher sollen schnell und schonend passiert werden können. So die Empfehlung der DUGV-Richtlinie - (Foto: stock.adobe.com/AI04)
Fazit
Ob Übergewicht bestimmter Mitarbeiter Eingang in eine Gefährdungsbeurteilung finden muss, ist sicherlich nicht zuletzt vom Arbeitsplatz abhängig. Ein Maschinenbediener, der vorwiegend steht oder sitzt, oder auch eine Bürokraft werden selten betroffen sein. Sehr wohl aber spielt Fettleibigkeit beim Einsatz eines Mitarbeiters im Werksschutz eine Rolle oder bei schweren körperlichen Arbeiten wie dem manuellen Be- und Entladen von Transportsystemen. Größere Firmen können beispielsweise mit einem speziellen Angebot an gesundem Essen in der Kantine Einfluss auf das Körpergewicht von Mitarbeitern nehmen oder der Installation von Angeboten zum Betriebssport. Immerhin zeigt die weiter oben im Text angesprochene DAK-Studie, dass sowohl Arbeitgeber als auch Arbeitnehmer gesundheitsfördernde Maßnahmen am Arbeitsplatz zu 55 Prozent „sehr begrüßen“ oder zu fast 40 Prozent „begrüßen“ würden.
ZUR INFO
Normen für Körpermaße:
DIN 33404 Körpermaße des Menschen
DIN 33408 Körperumrissschablone
DIN 33411 Körperkräfte des Menschen
DIN 33406 Arbeitsmaße im Produktionsbereich
DIN EN ISO 7250-1:2010-06 Wesentliche Maße des menschlichen Körpers
DIN EN ISO 14738: 2009-07 Anthropometrische Anforderungen an die Gestaltung von Maschinenarbeitsplätzen
DIN EN 547-1 bzw. 547-2 Sicherheit von Maschinen unter Berücksichtigung der Körpermaße des Menschen